
Nocturne Op.9 Nr.2
Eine weitere Nacht geht vorbei, eine mit weniger grauenvollen Alpträumen als die vorherige. Regulus hat zwar wieder kaum eine Stunde ruhigen, ungestörten Schlaf bekommen, aber immerhin hat er es geschafft überhaupt einzuschlafen. Er nimmt einfach was er bekommt.
Er fühlt sich immer noch schrecklich, deshalb lässt Mrs. Potter ihn allein oben im Gästezimmer essen. Ihm ist aufgefallen, dass er deutlich mehr Appetit hat, wenn er nicht am zu kleinen Esstisch zwischen Sirius und Mrs. Potter eingezwängt ist. Er schafft zwar keinen ganzen Teller, aber wenigstens bekommt er überhaupt ein paar Bissen herunter, bis ihm wieder schlecht wird und er nicht weiteressen kann.
Die Tür öffnet sich und Mrs. Potter steckt ihren Kopf herein: „Bist du fertig Darling?“
„Mhm“, er nickt und sie durchquert das Zimmer und nimmt den Teller von Bett.
„Komm mit, ich habe etwas, das ich dir gern zeigen würde.“ Sie winkt auffordern und signalisiert, dass er ihr folgen soll. Regulus schält sich schnell aus den Laken und folgt ihr gespannt, in der Hoffnung, dass es um das gehen könnte, das er vermutet. Gleichzeitig möchte er sich aber auch nicht zu früh freuen, falls er am Ende doch enttäuscht wird.
Sie gehen zusammen nach unten und Mrs. Potter lässt ihn warten, während sie seinen Teller in die Küche bringt und kurz abspült, danach durchqueren sie den breiten Flur und Mrs. Potter öffnet eine der angrenzenden Türen. Sie macht einen Schritt zur Seite und gibt die Sicht auf einen großen Raum frei, von dem Regulus bis jetzt gar nicht wusste, dass er existiert. Es stehen einige Boxen und Taschen verteilt herum, direkt vor dem großen Fenster steht eine Staffelei neben einer Sammlung von verschiedensten Farbtöpfen. Die bereits fertigen, an die Wand gelehnten, Leinwände verraten ihm, dass es sich ganz offensichtlich um die Kunstecke seines Bruders handelt, seine Gemälde würde er überall wiedererkennen.
Ein wunderschöner, weißer Flügel nimmt die rechte Ecke des Raumes ein und Regulus Herz beginnt bei diesem Anblick sofort ein wenig schneller zu schlagen.
„Du kannst gern etwas spielen, wenn du möchtest“, sie gestikuliert in Richtung der bereits aufgedeckten Klaviertasten und er durchquert schnell den Raum, um auf der rot gepolsterten Bank Platz zu nehmen. Er weiß, dass alles was er jetzt zu Spielen versucht, vermutlich grauenvoll klingt, weil er seine Finger noch nicht aufgewärmt hat, aber er kann dem Drang einfach nicht widerstehen und beginnt daher das erste Stück, das ihm in den Kopf kommt. Chopin. Nocturne Op.9 Nr.2. Eines seiner persönlichen Favoriten, das er ungefähr seit seinem zehnten Geburtstag auswendig kann.
Die Tasten sind definitiv steifer als die des Pianos, das er zuhause stehen hat. Er ist vermutlich der der Erste, der sie seit vielen Jahren bespielt. Auch wenn es nicht vergleichbar ist mit dem sündig teuren Klavier, das sich immer noch im Grimmauldplatz Nummer 12, unter den wachsamen Augen seiner Mutter, befindet, ist es trotzdem wunderschön.
Er spielt das komplette Stück und Mrs. Potter steht die ganze Zeit im Türrahmen und beobachtet ihn. Es ist meilenweit von jeglicher Perfektion entfernt, er springt ungewollt über Noten und stolpert zu schnell durch die einzelnen Passagen, aber es stört ihn kein bisschen. Er ist einfach absolut überglücklich, dass er tatsächlich spielen kann, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass er bis vor kurzen überhaupt nicht wusste, dass es in diesem Haushalt überhaupt ein Klavier gibt.
Als er fertig ist und das Adrenalin ihn langsam verlässt, legt er zufrieden die Hände auf seine Knie und ist überrascht, als er Mrs. Potter plötzlich vom Eingang aus begeistert Klatschen hört. „Das war wirklich bewundernswert Darling!“
Er dreht den Kopf zu ihr und schenkt ihr das erste ehrliche Lächeln jemals, „Danke.“
Schritte ertönen im Gang und James taucht neben seiner Mutter auf: „Wow, warst du das eben?
„Ähm, ja“, antwortet Regulus mit hochgezogener Augenbraue.
„Ich wusste gar nicht, dass das alte Ding noch funktioniert“, lacht James, „Verrückt!“
Regulus zuckt nur mit den Schulter. Er hat keine Ahnung was er darauf antworten soll. Ein funktionierendes Klavier kommt ihm nicht besonders verrückt vor.
Mrs. Potter deutet auf eines der großen Bücherregale: „Wenn ich mich richtig erinnere, dann sind dort hinten noch ein paar Stücke und Notenbücher, du kannst dich gerne durchstöbern und bedienen. Ich glaube die meisten Bücher hier sind älter als du.“ Sie lacht. Er scannt die Regale mit den Augen und springt auf, als er ein Buch entdeckt, das er kennt. Er zieht es vorsichtig zwischen den anderen hervor und blättert zufrieden durch die gewohnten Seiten.
„Dann lassen wir dich mal in Ruhe, komm einfach ins Wohnzimmer, falls du irgendetwas brauchst Darling.“
Er nickt, „Vielen Dank.“
Mrs. Potter stupst James sanft zurück in Richtung Flur, schließt die Tür und überlässt einen freudig aufgeregten Regulus allein, der begeistert durch das Notenbuch blättert und überlegt was er als erstes spielen möchte.
Gott hatte er das hier nötig. Musik macht einfach alles besser.
„Regulus! Sirius! Kommt her Jungs!“, klingt Mr. Potters Stimme laut durchs Haus, „Ich habe hier Briefe für euch!“
Regulus steht von der bequemen Klavierbank auf und verlässt seinen neuen Lieblingsraum, um in die Küche zu laufen. Sirius wartet dort schon auf ihn, durch die offene Wohnzimmertür sieht Regulus James auf dem Sofa liegen, neben ihm auf dem Tisch ein angefangenes Zaubererschachspiel.
Mr. Potter vergewissert sich nochmal indem er auf die Vorderseiten der beiden Briefe in seiner Hand schaut, dann reicht er Sirius den einen und Regulus den anderen. „Die zwei Eulen sind gleichzeitig hier angekommen eben, aber sie sahen nicht so aus, als gehörten sie derselben Person.“
Sirius wirft einen schnellen Blick auf den Brief seines Bruders, „Nein, sie sind definitiv nicht von derselben Person.“ Er lehnt sich gegen die Küchentheke und reißt seinen Umschlag auf, Regulus beobachtet ihn. Es interessiert ihn wer die Nachricht geschickt hat, der Handschrift nach zu urteilen muss es ein Mitglied der Familie Black gewesen sein.
„Heiliger- oh mein Gott,“ er strahlt Regulus an und fuchtelt aufgeregt mit dem Stück Pergament, „Der hier ist von Andromeda!“
Regulus stellt sich neben ihn und schaut über seine Schulter. Der Brief ist zwar nicht für ihn bestimmt, aber er erkennt trotzdem seinen Namen in den Zeilen. „Sie lädt uns zu sich ein?“, fragt er überrascht und schaut zu seinem Bruder.
„Ja, ich glaube schon“, Sirius sieht aus, als würde er vor Aufregung platzen, „Ich würde sagen wir gehen sie besuchen, ich hab Andy wirklich vermisst.“
Regulus zuckt mit den Schultern und tut so als wäre es ihm egal, insgeheim freut er sich aber auch Andromeda wieder zu sehen.
„Ich weiß, dass du nur so tust, als würde es dich nicht interessieren“, Sirius schubst ihn spielerisch, „Ich werde schnell hoch gehen und ihr zurückschreiben, viel Spaß mit deinem Brief.“
Der Jüngere verdreht die Augen und Sirius macht sich schnell auf den Weg in sein Zimmer, James wirft Regulus durch die geöffnete Tür einen verwirrten Blick zu. „Was?“ „Wohin zur Hölle ist der Idiot eben verschwunden?“, fragt James, „Wir waren hier gerade mitten in einem Spiel! Was macht er denn?“
„Er ist gegangen, um einen Brief zu schreiben“, antwortet Regulus desinteressiert.
„Ich werd ihn umbringen! Er hat mich einfach hier sitzen lassen!“ James springt auf und rennt die Treppe hoch und lässt Regulus allein mit Mr. Potter, der gerade dabei ist die Küchentheke abzuwischen und ein wenig aufzuräumen.
Er zieht sich in den Pianoraum zurück, der, seit er ihn kennt, seine persönliche Version eines sicheren Hafens ist, setzt sich auf den Klavierhocker und öffnet vorsichtig den Brief, der mit dem Wachssiegel der Familie Black verschlossen ist. Nur Familienmitglieder sind im Besitz dieses Siegels, der Brief kann also nur entweder von Narzissa sein, oder Ärger bedeuten.
Seine Augen springen direkt zum Ende und als er tatsächlich Narzissas Unterschrift dort findet, fängt er erleichtert an zu lesen:
Regulus Black,
Ich hoffe dieser Brief findet dich, wo auch immer du dich gerade befindest. Lucius und ich sind uns unsicher, wohin du verschwunden bist, aber wir vermuten, dass Sirius dich mit zu den Potters genommen hat. Aber falls das nicht der Fall ist, dann hoffe ich, dass du trotzdem sicher bist und auf dich aufpasst. So sehr ich es auch hasse das hier zugeben zu müssen: Bei den Potters bist du vermutlich momentan am besten aufgehoben. Ihr Haus ist gut geschützt und ich vertrauen Fleamont und Euphemia, dass sie dafür sorgen, dass es dir und Sirius gut geht.
Ich mache mir ununterbrochen Gedanken um dich, seit deine Mutter mich darüber unterrichtet hat, dass du aktuell kein Teil mehr ihres Haushaltes bist. Ich bin wirklich besorgt, wenn ich überlege, was dich wohl dazu getrieben haben könnte mit deinem Bruder zusammen wegzulaufen. Ich stelle deine Entscheidung diesbezüglich keinesfalls infrage, ich vertraue deinem Urteil, du handelst nicht annähernd so impulsiv oder unüberlegt wie Sirius. Ich möchte einfach nur sicher gehen, dass sie nichts wirklich Schlimmes getan hat, ich weiß, wie gefährlich Walburga sein kann.
Walburga und Orion lassen überall nach euch suchen, unauffällig natürlich, als könnten sie so noch den sich anbahnenden Skandal abwenden. Bitte sei vorsichtig, selbst jetzt noch. Ich würde mich wirklich freuen von dir zu hören, falls du mir zurückschreiben möchtest, dann denke bitte daran den Brief an meine Wohnung zu adressieren, falls ich ein paar Tage im Grimmauldplatz bin. Ich möchte nicht im Esszimmer neben deinen Eltern sitzen und eine Potter Eule durch das Fenster fliegen sehen. Ich denke du verstehst was ich meine.
Ich hoffe inständig, dass wir uns bald sehen können, vielleicht wenn deine Mutter aufhört jeden meiner Schritte beobachten zu lassen.
Mit besten Grüßen,
Narzissa Black
Er schließt kurz die Augen und seufzt, unsicher, ob er sich über Narzissas Brief freuen soll, oder lieber in Panik verfallen möchte, weil seine Mutter anscheinend wirklich enttäuscht von ihm ist. Die Nachricht ist definitiv bittersüß, aber er entschiedet, dass er lieber die Wahrheit kennt, als nicht zu wissen was seine Eltern momentan tun. Das ist einer der Gründe, warum er und Narzissa sich so gut verstehen. Sie weiß immer was er gerade braucht, bevor er es selbst weiß.
Er steht auf und den Brief hoch ins Gästezimmer zu bringen, als er Mr. Potter von der Eingangstür aus rufen hört: „Hier ist jemand für euch!“
Regulus ganzer Körper gefriert automatisch mitten im Zimmer und er wird totenstill, um zu lauschen, ob sich vielleicht Schritte dem Musikzimmer nähern. Er hört Sirius und James die Treppe hinunterpoltern und schleicht zur Tür, um sie einen Spalt zu öffnen und besser mitzubekommen, was im Flur passiert.
„Glaub mir, du wirst dich freuen!“, ruft James, und Regulus hört das inzwischen vertraute Klicken der sich öffnenden Eingangstür. Die neue Stimme ist so leise, dass er sie weder zuordnen noch verstehen kann. Sein Bruder ist im Gegensatz dazu überraschend laut: „Du hast geplant zu kommen und hast mir nicht Bescheid gesagt?!“
Ah ok, es handelt sich also um eine Person, über deren Besuch Sirius sich freut. Es gibt zwar einige Leute, die auf diese Beschreibung passen, aber Regulus ist sich inzwischen ziemlich sicher wer an der Tür steht. Er verlässt das Klavierzimmer so leise er kann, schleicht an der Wand entlang und wirft einen vorsichtigen Blick um die Ecke zur Haustür.
Seine Vermutung war richtig, im Eingangsbereich steht Remus Lupin, der Sirius eng mit seinen Armen umschlungen hält. Die Beiden haben ihre Augen geschlossen und können ihn deswegen nicht sehen, aber James entgeht sein Spionageversuch nicht. „Hi Regulus!“
Der Jüngere winkt ihm kurz zu und richtet seinen Blick dann wieder auf das glückliche Paar. Remus hat seine Augen geöffnet und schaut ihn an. „Hallo Regulus,“ er lächelt sanft, „schön dich kennen zu lernen.“ Regulus nickt nur, um sich so schnell aus der Situation entfernen zu können wie möglich. Er möchte wirklich gern hoch in das Gästezimmer gehen, um auf Narzissas Brief zu antworten. Leider stehen die drei Älteren direkt an der Treppe und er will sich auf keinen Fall an ihnen vorbei quetschen.
„Wollt ihr zwei nach oben gehen?“, fragt James, Sirius und Remus. Remus lehnt sich nach unten und flüstert etwas ins Ohr seines strahlenden Partners, welcher daraufhin nickt. Sie lösen sich aus ihrer Umarmung und laufen händehaltend die Treppe hoch, James zwinkert ihm zu und folgt ihnen in sein Zimmer. Na großartig, er wusste also, dass Regulus einfach zu unfähig war um sie zu bitten ihn vorbeizulassen. Super.
Er rennt in sein Zimmer, schließt die Tür und lässt sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen, um Tinte und Pergament aus seinem Koffer zu nehmen und endlich mit dem Schreiben zu beginnen. Er schafft exakt zwei Sätze, bevor seine Tür erneut aufspringt und James im Eingang auftaucht. Er lächelt wie ein Idiot. „Hi!“
Regulus starrt ihn einen Moment an: „Ähm, hi?“
„Kann ich reinkommen und mich zu dir setzen?“, will er wissen und deutet auf das Bett. „Uhm,“ Regulus zögert einen Moment, bevor er seine Feder zurück auf ihren Ständer stellt und das Pergament zur Seite schiebt, „Ok?“
James schlendert glücklich durch den Raum und setzt sich auf die Bettkante, weniger als einen Meter von Regulus entfernt. „Also, wie geht’s dir?“
Der jüngere ist verwirrt, antwortet aber mit einem zögerlichen „Gut.“
„Prima“, James wirft einen Blick auf Narzissas Brief auf dem Schreibtisch, „Was ist das?“
„Ein Brief.“
„Von wem?“, fragt er. Regulus hatte nicht erwartet heute 20 Fragen mit ihm zu spielen.
„Meiner Cousine.“
„Von welcher? Hast du nicht drei oder so?“, bohrt er weiter. Aber er scheint keine Hintergedanken zu haben, außer seiner gewohnten, aufgedrehten Neugierde.
„Narzissa.“
„Was hat sie geschrieben? Was antwortest du?“
„Nichts“, versucht Regulus ihn abzuwimmeln, greift nach seiner Feder und schreibt weiter. James Gesellschaft ist eigentlich ziemlich angenehm, er möchte nur nicht die ganze Zeit ausgefragt werden. Aber natürlich hört James nicht auf zu reden. „Das ist ein verdammt langer Brief, den sie dir da geschickt hat. Was hat sie dir denn alles zu erzählen? Habt ihr euch nicht erst vor zwei Tagen gesehen?“
„Vier Tage,“ korrigiert Regulus ihn, ohne aufzusehen.
„Also, was hat sie geschrieben?“
„Nur Familienkram“, antwortet er widerwillig. Er plant auf keinen Fall, mit James über die riesige Angst zu sprechen, die er vor seiner eigenen Mutter hat.
„Was für Familienkram?“, fragt er, „Cousinenkram? Ich habe viele Cousins und Cousinen, ich verstehe also was du meinst.“ Regulus schüttelt den Kopf und schaut hoch, in die Augen eines tatsächlich interessiert und begeistert wirkenden James. „Nein, nicht so wie du denkst“, erklärt Regulus.
James runzelt die Stirn für einen Moment, dann stellt er eine andere Frage: „Was ist eigentlich mit eurer anderen Cousine? Sie hat keinem von euch beiden geschrieben, oder?“ „Bellatrix?“, Regulus schnaubt, „Nein. Ich hoffe sie meldet sich nicht.“
„Du magst sie nich?“
Regulus schüttelt den Kopf, „Habe ich nie.“
„Warum? Was hat sie getan?“, fragt er nach, „Ich meine, von dem was Sirius so erzählt hat, schätze ich, sie ist ein bisschen durchgeknallt, aber er hat mir nie von irgendwas Schrecklichem erzählt, das sie getan hat.“
Regulus starrt ihn einen Moment an und überlegt was er antworten soll, bis er sich auf „Vergiss es“, festlegt und sich wieder seinem Brief zuwendet.
„Nein, ich werden es nicht vergessen“, James verschränkt die Arme, lächelt aber weiter, „Ich will mich einfach mit dir unterhalten Reg! Machen Geschwister das nicht so?“
„Woher soll ich das wissen?“
„Redest du nie mit Sirius?“, James zieht eine Augenbraue hoch, „Warte, er ist doch dein Bruder, oder?“
Es verlangt Regulus jedes bisschen Willensstärke ab das er hat, um James nicht tot ernst in die Augen zu sehen und ihm zu erklären, dass normale, brüderliche Gespräche sich schwierig gestalten, wenn man in der dauerhaften Angst lebt, jeden Moment von der eigenen Mutter getötet zu werden. Oder ihm zu erklären, dass James ihm Sirius weggenommen und als Bruder ersetzt hat. Wieso sollte Sirius sich denn auch mit Regulus unterhalten, wenn er stattdessen mit James sprechen kann. Um James muss er schließlich keine Angst haben und er hat nicht immer seine Schreie in den Ohren, wenn er ihm in die Augen sieht. Stattdessen bleibt er bei einem einfachen „Bei uns ist das anders.“
„Wieso?“
„Stellst du eigentlich immer so viele Fragen?“, fährt Regulus ihn aus Versehen an. Als er hochschaut erkennt er, dass James nicht mehr lächelt. Regulus Miene wird sofort wieder weich: „Es tut mir leid.“
„Nein, mir tut es leid, dass ich dich so ausgefragt hab“, James schenkt ihm ein leeres Lächeln, bevor er aufsteht, „Dann lasse ich dich mal deinen Brief fertig schreiben. Ich würde jetzt gern einen Witz darüber machen, dass du dir Mühe geben sollst, aber du redest korrekter als Dumbledore und hast die perfekteste Handschrift, die ich je gesehen habe.“ Er gestikuliert in Richtung des angefangenen Briefes.
„Danke“, wispert Regulus und James winkt kurz, bevor er aus dem Raum schlüpft.
Er muss zugeben, dass es ihm tatsächlich leid tut James verletzt zu haben. Er hat es nicht so gemeint. Er weiß, dass James einfach nur versucht hat eine normale Konversation mit ihm zu führen. Aber anscheinend haben sie einfach zu verschiedene Interpretationen einer normalen Konversation.
Er zwingt sich die Feder wieder in die Hand zu nehmen und seine Aufmerksamkeit zurück auf den Brief zu lenken. Ein persönliches Problem durch ein anderes einzutauschen, klingt nach einer soliden Taktik für den Moment.
Er ist völlig überrumpelt, als ein paar Minuten später die Tür auffliegt und ein überraschend wütender Sirius ins Gästezimmer stürmt. „Reg, was hast du zu James gesagt?!“, will er sofort wissen.
„Was- ich- ich- hab nicht-“, stammelt Regulus verirrt und auf ein solches Gespräch völlig unvorbereitet.
„Sirius!“, ruft James aus dem Nebenzimmer, „Lass ihn in Ruhe!“
„Ich habe dir eine ganz einfache Frage gestellt Reg“, er macht einen weiteren Schritt ins Gästezimmer, „Was. Hast. Du. Zu. James. Gesagt?“
Er spürt, wie ein Anflug von Panik in seinem Körper zu brodeln beginnt. Er öffnet seinen Mund, um zu antworten, bekommt jedoch kein einziges Wort heraus. Warum ist sein Bruder plötzlich so wütend auf ihn?
„Sirius!“, James taucht im Türrahmen auf, „Lass es gut sein.“
Regulus Blick springt zwischen Sirius und James hin und her. Er traut sich immer noch nicht etwas zu sagen.
„James, lass mich einfach mit ihm reden, dann-“
„Du redest nicht, du brüllst ihn an. Meinetwegen“, unterbricht der größere ihn, „Und das will ich nicht. Deshalb wirst du jetzt damit aufhören und ihn in Ruhe lassen.“
Sirius wendet sich wieder seinem Bruder zu: „Was hast du zu ihm gesagt?“
Regulus versucht die Angst, die ihn vereinnahmt, zurückzudrängen, versucht im hier und jetzt, im Haus der Potters zu bleiben, versucht seinen Geist nicht abdriften zu lassen. Sirius Tonfall klingt ein wenig zu sehr wie der seiner Mutter.
„Liebling“, eine dritte, ruhigere Stimme mischt sich aus dem Flur in das Gespräch ein und Remus taucht hinter den beiden anderen auf, „Komm zurück, lass ihn in Frieden.“
Sirius Gesichtsausdruck wird für einen Moment weich, bevor er sich besinnt, „Er ist mein Bruder, also muss ich mich auch um dieses Problem hier kümmern.“
„Nein-“, versucht James erneut, doch dieses Mal ist er derjenige, der unterbrochen wird.
„Doch!“ Er schaut Regulus direkt in die Augen, „Wieso bist du James so angegangen?“
„Sirius, verschwinde“, warnt der Jüngere, seine Angst beginnt sich langsam, aber sicher in Wut zu verwandeln, „Hör auf mich so zu bedrängen.“
„Nein, ich bin dein älterer Bruder. Es liegt in meiner Verantwortung dich-“
„Zwei Jahre Sirius, du bist nur zwei verdammte Jahre älter als ich!“ Er verdreht provozierend die Augen.
„Das ist mir völlig egal, ich bin trotzdem verantwortlich dafür dir zu sagen, wenn du dich wie ein verdammter kleiner Bengel verhältst!“
„Wow, wow, wow“, James macht ein paar schnelle Schritte in den Raum und stellt sich zwischen die beiden Brüder, eine Hand auf Sirius Schuler. Regulus hat dadurch einen Moment Zeit sich zu fangen, bevor er aufspringt und wütend kontert: „Was, verwandelst du dich jetzt etwa in Mutter?“ Er wind ein wenig lauter als geplant und seine Stimme geht am Satzende panisch nach oben, „Wirst du mich auch mit einem Crucio belegen, wenn ich dir widerspreche?“
Der ganze Raum wird schlagartig still, Sirius Gesichtsausdruck fällt. Remus und James schauen ihn entsetzt an und sein Ärger verfliegt. Verdammter Bengel, wiederholt sich wie ein Echo immer und immer wieder in seinem Kopf und er nimmt kaum noch etwas um ihn herum war.
„Was ist hier los, Jungs?“, fragt Mrs. Potter, während sie sich an Remus vorbei in den Raum zwängt, „Warum seid ihr alle hier drin? Was ist passiert Regulus?“
„Es ist alles in Ordnung Mrs. Potter. Sorry“, Sirius zwingt eine Entschuldigung hervor und dreht sich um, um den Raum so schnell wie möglich zu verlassen, doch Mrs. Potter legt eine Hand auf seine Schulter, um ihn aufzuhalten.
„Bist du dir sicher, dass alles in Ordnung ist? Wieso weint dein Bruder?“
Regulus fasst sich selbst ins Gesicht und spürt, wie seine Finger nass werden von Tränen, die er selbst vorher gar nicht bemerkt hat. Wann hat er angefangen zu weinen?
Sirius schüttelt nur abwehrend den Kopf, greift nach Remus Hand und läuft in Richtung seines Zimmers davon.
„James“, seine Mutter schaut ihn auffordernd an, „Geh mit Sirius und Remus und mach bitte die Tür hinter dir zu.“
Er setzt sich sofort in Bewegung und verlässt leise und zügig den Raum.
Mrs. Potter setzt sich seufzend auf das Gästebett und schaut Regulus fragend an, „Was ist los Darling? Hat Sirius irgendetwas gemacht?“
Er schüttelt den Kopf und presst seine Zunge an seinen Gaumen, um das Schluchzen zu unterdrücken, dass ihm im Hals steckt und versucht auszubrechen. Die Tränen fallen trotzdem weiter.
„Wäre nichts passiert, dann würdest du auch nicht weinen Regulus“, korrigiert sie ihn sanft, „Alles in Ordnung Darling. Hier, warte, lass mich das kurz weglegen.“ Sie greift nach dem Brief, den Regulus auf den Boden geworfen hat, als er von seinem Platz am Schreibtisch aufgesprungen ist, und legt ihn vorsichtig zur Seite, um die feuchte Tinte nicht zu verwischen. Danach setzt sie sich auf das Gästebett und klopft auf die freie Matratze neben ihm. „Setz dich zu mir.“
Regulus steht immer noch etwas verloren in der Mitte des Zimmers. Die eben noch so gehässige und verzweifelte Wut, die ihn durchströmt hat, verlässt ihn schlagartig und er öffnet die vorher zu festen Fäusten geballten Hände, die neben seinem Körper herunterhängen. Er braucht einen Moment, um ihre Geste zu verstehen, dann setzt er sich vorsichtig und immer noch angespannt neben Mrs. Potter. Sie legt kurz beruhigend eine ihrer Hände auf sein linkes Knie.
„Entschuldigung“, flüstert er abwesend, den Blick vor ihr auf die Tagesdecke gerichtet. „Nein, nein, du musst dich nicht entschuldigen Regulus“, rügt sie ihn liebevoll, „Geht es dir gut? Ich hätte das glaube ich als erstes Fragen sollen.“
Er nickt, obwohl es nicht stimmt. Regulus ist sich ziemlich sicher, dass sie weiß, dass er lügt, deswegen lässt er seinen Blick weiterhin nach unten gerichtet. Es fällt ihm schwer ihr ins Gesicht zu lügen. „Ok Darling, dann reden wir wann anders darüber“, entscheidet sie, „Du musst nicht ja sagen, aber möchtest du vielleicht eine Umarmung Regulus?“
Er sehnt sich in diesem Moment nach jedem bisschen familiärer Liebe, das er bekommen kann und nickt daher zustimmend mit dem Kopf. „Regulus, kannst du vielleicht deine Worte benutzen? Dann kann ich mir sicherer sein, dass du wirklich angefasst werden möchtest und nicht nur nickst, weil du nicht nein sagen kannst“, als er endlich hochschaut, erkennt er, dass sie verständnisvoll die Augenbrauen zusammengezogen hat und ihm ein kleines Lächeln schenkt. „Ja, ich- ich würde gern umarmt werden“, flüstert er leise, weil er seiner Stimme noch ganz nicht vertraut.
Sie wickelt sofort ihre Arme um seinen schmalen Oberkörper und zieht ihn näher zu sicher heran. Nicht zu nah, sodass er das Gefühl hat zu ersticken, sondern genau so nah, dass er ihre Liebe und Wärme spürt und das ungewohnte Bedürfnis hat sie ebenfalls zu umarmen. Seltsam. Vielleicht sollte er anfangen die strikte `nicht anfassen´- Regeln zu überdenken. Er hat sich schon lang nicht mehr zu erleichtert gefühlt angefasst zu werden. Das letzte Mal, dass er sich überhaupt erinnern kann, sich über Körperkontakt gefreut zu haben, war, als Sirius vor zwei Jahren in den Weihnachtsferien nachts in sein Zimmer gekommen ist, um einen tiefen Schnitt an seinem Rücken zu versorgen, an den er selbst vermutlich nicht dran gekommen wäre. Seine Mutter ist an dem Abend sehr wütend gewesen, weil seine Noten in Verwandlung schlechter geworden waren.
Vielleicht können Mrs. Potters Umarmungen ja den ersten Platz bekommen, auf seiner neu erstellten Liste erlaubter Körperkontakte. Vielleicht helfen sie ihm sich daran zu erinnern, dass er gerade nicht allein in seinem Zimmer im Grimmauldplatz eingeschlossen ist.