
Chapter 3
Kapitel 3
Tony
Natasha folgte Tony und den anderen erst in die Küche als das Klappern von Peppers Absätzen im Aufzug verschwunden war. Tony hatte derweil Clint auf einen der Barhocker gehoben und bestrich eine Scheibe Toast dick mit Erdnussbutter, während Bruce noch immer an seinem Hals hing wie ein menschlicher Oktopus.
Loki tauchte wenig später mit den beiden geschrumpften Super-Soldaten und einem leicht eingeschüchterten Sam in der Küche auf. Peppers Abwesenheit kommentierte er nur mit einem fragenden Blick in Tonys Richtung, dann machte er es dem Milliardär nach und sorgte für weitere Frühstücksoptionen. Im Gegensatz zu Tony wusste Loki zwar nicht wie man einen anständigen Herd konstruierte, dafür konnte er darauf kochen.
Tony ließ sich mit Bruce auf seinem Stuhl nieder und sehnte sich nach einem Schluck Alkohol in seinem Kaffee, doch selbst ihm war klar, dass das keine gute Idee war. Steve und Bucky hatten beide artig am Tisch Platz genommen und verspeisten so ziemlich alles was Loki ihnen vorsetzte. Natasha dagegen hielt weiter Abstand, doch Tony bekam mit wie sie mehrere der Apfelschnitze stibitzte, die Sam auf seinem Teller bei Seite geschoben hatte um Platz für eine Kelle Rührei zu machen.
Bruce ließ sich nicht dazu wegen Tony loszulassen, doch immerhin knabberte er nach einer Weile an einer Scheibe Toast herum und schaute aus großen Kinderaugen in die Gegend.
„In Ordnung. Irgendeine Idee, wieso wir hier auf einmal einen Kindergarten haben?“, fragte Tony als Loki sich ebenfalls an den Tisch setzte und Milch über seine Cornflakes kippte. Der zuckte zur Antwort erst nur mit den Schultern, dann nahm er einen Schluck Orangensaft. Eines musste man dem Lügengott lassen, in Sachen Frühstück machte er keine halben Sachen, sofern man ihm nicht in die Quere kam.
„Ms. Potts ist der Meinung und ich zitiere hier, dass diese Sache nach Magie stinkt.“ Loki rümpfte die Nase und schob sich einen Löffel seines Frühstücks in den Mund während er Natasha aufmunternd zulächelte, die sich inzwischen auf den am weitesten entfernten Stuhl begeben hatte und sich an Sams Teller bediente. Der schien nicht allzu viel dagegen zu haben sein Frühstück mit dem rothaarigen Mädchen zu teilen.
„Und ist das hier Magie?“, fragte Tony und griff geistesgegenwärtig über den Tisch um Bucky davon abzuhalten Clint, der ihm eines seiner Würstchen geklaut hatte, zur Strafe in die Rühreischüssel zu tunken.
Der dunkelhaarige Junge warf ihm einen wenig begeisterten Blick zu, schüttelte seine Hand ab und kauerte sich noch mehr über seinen Teller als vorher schon. Loki schüttelte den Kopf.
„Ich weiß nicht, was das hier ist, aber ich gebe mein Wort, dass ich diesmal meine Finger nicht im Spiel habe.“ Tony zweifelte seltsamer Weise nicht für eine Sekunde an Lokis Aufrichtigkeit. Der Trickster kam zwar auf die verrücktesten Ideen, doch im Normalfall konnte er es nie lange aushalten wenn niemand wusste, dass der Schlamassel, den er verursacht hatte sein Werk war. Denn dann konnte ihn ja auch niemand dafür bewundern. Außerdem ließ er Clint für gewöhnlich außen vor. Der Bogenschütze war empfindlich was Magie anging seitdem Loki ihn damals auf dem Helicarrier verhext hatte.
„Wo sind wir hier?“, meldete sich da ein Stimmchen zu Wort, das Tony so gar nicht mit dem Befehlston in Einklang bringen konnte, den er sonst von Captain America gewöhnt war. Der blonde Junge sah aus als würde ihn der nächste Windstoß umwerfen so mager war er. Und Tony fiel mit Erschrecken ein, was für eine Liste an Krankheiten klein Steve vor dem Serum mit sich herumgeschlappt hatte. Es blieb nur zu hoffen, dass Loki und ihm eine Lösung einfiel bevor irgendetwas davon relevant werden konnte.
„Wir sind in New York im Avengers Tower.“, antwortete er wahrheitsgemäß, was ihm von Steve allerdings nur ein Stirnrunzeln einbrachte.
„Wieso sind wir hier? Ist das ein Waisenhaus oder so was?“, fragte er dann und Tony verschluckte sich fast an seinem Kaffee.
„Du lieber Himmel nein. Das heißt.“ Ohne recht zu wissen wie um alles in der Welt er einem Tisch voller Kinder beibringen sollte, dass sie in Wirklichkeit eine Bande geschrumpfter Erwachsener waren, wandte er sich an Loki. Der seufzte und rührte in seinen Cornflakes.
„Was ist das letzte woran du dich erinnerst Steve? Das heißt bevor ich dich heute hier aufgeweckt habe?“ Steve runzelte angestrengt die Stirn und überlegte.
„Mom hat mich ins Bett geschickt weil ich so böse gehustet hab. Bucky durfte nicht zum Spielen kommen, weil Mrs. Barnes gesagt hat er wäre krank und könnte mich anstecken.“, antwortete er und griff nach Buckys Hand wie um seinem Freund zu versichern, dass die Zeit mit ihm jede Erkältung wert war.
„Fühlst du dich krank?“, fragte Loki alarmiert, doch zu Tonys Beruhigung schüttelten sowohl Steve als auch Bucky den Kopf. „Gut. Hör zu Steve, das hier ist schwer zu erklären, aber seit dem Abend an den du dich da erinnerst ist eine ganze Menge Zeit vergangen.“ Wieder runzelte Steve die Stirn und tauschte einen Blick mit Bucky. Die beiden wortlos kommunizieren zu sehen, war bei Captain America und dem Winter Soldier schon seltsam genug doch bei diesen beiden Kindern machte es Tony aus irgendeinem Grund noch nervöser.
„Wie?“, fragte Steve dann herausfordernd, so als würde er kein Wort von dem was Loki sagte glauben, wenn der nicht mit ein paar stichhaltigen Beweisen aufwarten konnte.
„Magie.“, tschirpte Clint bevor Loki auch nur den Mund aufmachen konnte und grinste von einem Ohr zum anderen.
„Blödsinn.“, antwortete Steve beinahe sofort. „Magie gibt es überhaupt nicht.“
„Gibt es wohl.“ gab Clint zurück und streckte Steve die Zunge heraus. Tony musste sich auf die Lippen beißen um nicht laut loszulachen. Das Clint ein kleiner Racker gewesen war, darauf hätte er eigentlich selbst kommen können. Auch der erwachsene Clint war schließlich für jeden Scherz zu haben.
„Da muss ich Clint zustimmen.“, warf Loki ein bevor die beiden Blondschöpfe sich noch an die Gurgel gehen konnten. Steve starrte ihn an als würde er nun endgültig am Verstand des Mannes zweifeln, dann wanderte sein Blick Hilfe suchend zu Tony. Der warf Loki einen vielsagenden Blick zu woraufhin der Trickster seufzte und ein Trugbild von sich selbst erschuf, das in seiner kompletten Rüstung leicht gelangweilt am Kühlschrank lehnte.
„Abgefahren.“, jauchzte Sam. Clint sah aus als wäre Weihnachten vorverlegt worden und Steves Kinnlade krachte beinahe auf den Tisch. Selbst Natasha starte den zweiten Loki an als könnte sie nicht glauben, was sie da sah. Bucky schien genauso überwältigt wie Clint, doch aus Rücksicht auf seinen Freund Steve behielt er seine Begeisterung für sich. Nur seine strahlenden Augen machten Tony klar, wie gerne auch dieser Junge an Magie glauben wollte.
Bruce kuschelte sich noch tiefer in Tonys Arm und lugte zwischen dem Loki am Tisch und dem am Kühlschrank hin und her.
„Bist du ein echter Zauberer?“, fragte Clint mit großen Augen und sah begeistert zu Loki auf. Tony konnte sich nicht entscheiden ob er das Verhalten des geschrumpften Bogenschützens nun unendlich niedlich oder eher besorgniserregend finden sollte. Der erwachsene Clint hätte Loki nicht in hundert Jahren mit so viel Ehrfurcht im Blick angeschaut.
„Wenn du so willst.“, antwortete Loki und ließ seinen Doppelgänger wieder verschwinden.
Zum ersten Mal an diesem Morgen meldete sich Natasha zu Wort und Tony brauchte eine ganze Weile um zu begreifen, weshalb er nicht ein Wort von dem verstand, was aus ihrem Mund kam. Dann allerdings fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Natürlich. Die Kleine sprach russisch. Noch bevor Tony JARVIS um eine halbwegs korrekte Übersetzung bitten konnte, war Loki schon dabei ihr in ebenso fließendem Russisch zu antworten.
Die Augen des kleinen Mädchens hellten sich auf und von da an gab es kein Halten mehr. Natasha plapperte in einem fort, so als wäre sie es nicht gewohnt so viel reden zu dürfen wie sie wollte.
„Okay Jarv, was genau ist passiert bevor unser Team hier sich in die sieben Zwerge verwandelt hat?“, fragte Tony.
„Hey.“, protestierte Steve. „Ich bin sieben und Bucky ist schon acht und außerdem sind wir nur sechs.“ Tony zwinkerte ihm eher amüsiert als entnervt zu. Im Gegensatz zu seinem muskelbepackten Erwachsenen-Model war Mini-Steve einfach nur drollig.
„Cleveres Kerlchen.“, erwiderte Tony und rückte Bruce auf seinem Schoß zurück. „Und interessantes Thema. Wie alt ist den der Rest von euch Dreikäsehochs.“ Steve hatte schon den Mund geöffnet um sich erneut zu beschweren als Bucks Arm sich um seinen Kopf legte und ihn mit einer Handfläche zum Schweigen brachte, während er weiter an seinem Toast kaute.
„Halt die Klappe Stevie.“, nuschelte er an seinem Bissen vorbei. Tony war kurz davor in schallendes Gelächter auszubrechen. Bucky bereitete ihm auch nach all der Zeit, die er schon im Turm lebte noch gelegentlich Bauchschmerzen, doch sein kindliches Gegenstück war genau wie die Comics immer gesagt hatten. Der große Bruder, der Steve Rogers davor bewahrte sich auf allzu viele Kämpfe einzulassen, die er nicht gewinnen konnte.
„Ich bin sechs.“, meldete sich Sam zu Wort. „Und irgendwer sollte meine Granny anrufen, sonst macht sie sich bestimmt Sorgen.“ Tony schluckte und wechselte einen unsicheren Blick mit Loki.
„Sicher Kleiner, aber ich bin nicht sicher ob wir ihre Nummer haben. JARVIS?“
„Mrs. Wilson ist als Notfallkontakt gelistet Sir. Ich kümmere mich darum.“ Tony atmete erleichtert durch und Sam schien sich mit der Situation genauso abzufinden wie die beiden Kids aus den Vierzigern.
„Also ich bin vier und ihr braucht keinen anzurufen. Mein Dad ist eh nicht zu Hause, Mom arbeitet und Barney vermisst mich nicht.“, meldete Clint sich fröhlich zu Wort und zupfte an Lokis grünem T-Shirt wie um herauszufinden ob der wohl wirklich echt war.
Natasha stellte eine Frage an Loki, der ihr unbekümmert antwortete woraufhin die Kleine kurz überlegte und dann ebenfalls ihr Alter nannte.
„Sie ist fünf und möchte wissen welches Datum wir haben, wenn du schon sagst, dass Steve und Bucky aus einer anderen Zeit stammen.“ Tony warf Nat einen bewundernden Blick zu, der ihr älteres Selbst sicher dazu gebracht hätte ihn den Rest des Tages aufzuziehen.
„Na dann lass die Katze mal aus dem Sack.“, antwortete Tony und nippte an seinem Kaffee.
„Hey ich will auch wissen welches Jahr wir haben.“, meldete sich Steve wieder zu Wort, der inzwischen Buckys Versuchen ihn vorrübergehend zum Schweigen zu bringen entkommen war. Tony verdrehte die Augen. Jepp das war eindeutig Capsicle in klein.
„Zweitausendvierzehn.“, sagte er dann bevor Steve noch anfangen konnte Theater zu machen und dem blonden Kind fiel erneut die Kinnlade herunter. Auch Bucky sah erschüttert aus, allerdings war er deutlich besser als Steve darin zu verbergen wie geschockt er sein musste.
„Und wie alt bist du Kleiner?“, fragte Tony an das Kind auf seinem Schoß gewandt. Bruce sah zu ihm auf und erwiderte scheu sein Lächeln.
„Drei.“, flüsterte er dann und hielt drei Finger hoch bevor er sich wieder in Tonys Shirt versteckte. Tony hatte nicht die leiseste Ahnung wie er den Schock für die Kinder plötzlich in einem anderen Jahrhundert gelandet zu sein, mildern könnte, also ignorierte er das Problem. Hauptsächlich, weil er keine Möglichkeit sah Geld danach zu werfen um es zum Verschwinden zu bringen.
„Okay. Wenn ihr alle aufgegessen habt, können wir wieder ins Wohnzimmer und sehen was wir finden können bevor ihr mir noch vor Langeweile den Turm ansteckt. Steve, Buck ihr seid die ältesten hier. Ihr passt bitte auf die restlichen Zwerge auf, während Loki und ich versuchen herauszukriegen wie wir diesen“, er überlegte kurz wie er die Sache ab besten umschrieb und entschied sich dann für die einfachste Variante „Zauber rückgängig machen können. Einverstanden?“ Steve sah aus als hätte er dazu eine ganze Menge zu sagen, doch Bucky kam ihm zuvor.
„Sicher. Aber zuerst sind sie dran. Wer sind sie und wo sind wir hier?“ Tony schaute Bucky in die Augen und grinste dann.
„Ich bin Tony und wehe einer von euch kommt auf die Idee mich mit Mr. Stark anzureden. Das hier ist mein Zuhause. Der Avengers-Tower. Der Kerl da drüben heißt Loki und dass er zaubern kann wisst ihr ja schon.“ Bucky nickte, dann zog er Steve von seinem Stuhl.
„Und wie alt bist du?“, krähte Clint und schoss um Loki herum um sich an Tonys Bein zu hängen. Diesmal konnte der Wissenschaftler sein Lachen nicht mehr zurückhalten und auch Loki sah aus als wollte er sich am liebsten über den Tisch kugeln.
„Achtunddreißig. Und bevor du fragst, Loki weigert sich nach wie vor mir zu verraten wie alt er ist, aber ich glaube der war schon da um den Dinosauriern auf den Nerv zu gehen.“ Loki schnaubte, Clint grinste und wenige Minuten später war die Kinderschar im Wohnzimmer versammelt. JARVIS hatte den nächstbesten Disneyfilm eingeworfen und nun flimmerte Schneewittchen über den Plasmabildschirm, der sonst eher an StarWars gewöhnt war.
Natasha war die Einzige die nicht wie verzaubert an den bunten Bildern hing. Stattdessen unterhielt sie sich weiter angestrengt mit Loki, der für eine Weile grübelte bevor sich sein Gesicht aufhellte. Er zog einen grünen Stein aus seiner Hosentasche, oder vielleicht auch aus dem Nirgendwo, in dem er all seine Zaubersachen aufbewahrte. Dann murmelte er einige Worte, die definitiv nicht mehr russisch sondern eher asgardisch waren und überreichte Nat dann den Stein wie ein kostbares Juwel.
Das rothaarige Mädchen nahm das Geschenk mit einem vorsichtigen Gesichtsausdruck entgegen und sah Loki dann fragend an. Der nickte ihr aufmunternd zu und als Natasha diesmal fragte, ob sie sich jetzt anders anhörte, konnte nicht nur Loki sie verstehen.
„Wow.“, stellte Tony fest und blickte beinahe sehnsüchtig auf den Übersetzerstein in Natashas Hand. „Wenn ich Magie nicht so unglaublich lästig fände, könnte man sich doch glatt dran gewöhnen.“ Natasha strahlte und gesellte sich zu den anderen Kindern vor der Flimmerkiste, während Tony und Loki begannen zusammen mit JARVIS zu rekonstruieren, was an Abend zuvor geschehen war.
Steve
Als Steve erwachte war sein erster Gedanke, dass seine Mutter Unrecht gehabt hatte. Er hatte sich nicht bei Bucky angesteckt. Keine Spur von Fieber steckte mehr in seinen Knochen. Wenn es etwas gab womit Steve sich auskannte dann war es Fieber. Er hatte schon so viele erlebt und überlebt, dass er sich nicht länger die Mühe machte mitzuzählen.
Das zweite, was ihm auffiel, war das Bett, in dem er lag. Es fühlte sich an wie ein Marshmallow. Bucky hatte das süße Zuckerzeug einmal mit blitzenden Augen von Gott weiß wo mitgebracht und Steve hatte es geliebt. Süßigkeiten waren einer der größten Lichtblicke in seiner von Krankheiten geprägten Welt. Wobei Bucky der größte Lichtblick von allen war.
Steve konnte sich nicht mehr erinnern wann Bucky in sein Leben getreten war. Irgendwie war er immer da gewesen. Selbst wenn Steve nicht wusste wie er seiner Mutter dabei helfen sollte sie beide über Wasser zu halten, Bucky war da.
Was Steve nur noch deutlicher machte, dass er im Augenblick allein war. In einem Bett, das so groß und weich war, wie Steve es nur aus dem zerlesenen Märchenbuch kannte, das seine Mutter mit ihren übrigen Kostbarkeiten in der Schublade ihres Nachttisches aufbewahrte. Neben dem Foto seines Vaters, der gestorben war, bevor Steve ihn kennen gelernt hatte.
Panik breitete sich in Steves Herzen aus, doch er kämpfte dagegen an. Ohne Bucky hatte er niemanden hier, der ihm durch eine Asthmaattacke hindurchhelfen konnte und abgesehen von Staub brachte nichts seine Lunge schneller zum Streiken als Panik. Das bedeutete nicht, dass Steve keine Angst kannte, nein das lähmende Gefühl war ihm genauso vertraut wie kalte Füße in viel zu großen Schuhen. Es hieß nur, dass er gelernt hatte die Panik zu verdrängen bis er in Sicherheit war. Bei Bucky.
Steve schlug die dicke Bettdecke zurück und wunderte sich für einen Moment weshalb der Schlafanzug, der ihm gestern noch tadellos gepasst hatte, was selten genug vorkam, nun um etliche Nummern zu groß war. Das Oberteil schlackerte um seine mageren Schultern und Steve hatte mehr und mehr das Gefühl in einem völlig verrückten Traum zu stecken. Oder in einer der Geschichten die Bucky so gerne las, wann immer es ihm gelang dem freundlichen Kioskbesitzer um die Ecke eines der Hefte abzuschwatzen, das doch niemand mehr kaufen würde, wenn es schon seit Monaten im Regal lag und einstaubte. Insgeheim hatte Steve den Verdacht, dass der alte Kioskbesitzer genau wusste, dass Bucky nichts lieber tat als sich in der Welt aus schwarzen Buchstaben auf weißem Papier zu verlieren, doch er ließ sich immer wieder erweichen. Nicht zuletzt, weil die schmalen Büchlein sich im tiefsten Winter auch eigneten um den Herd anzufeuern, selbst wenn es Steve jedes Mal das Herz brach auch wenn Bucky ihm noch so oft versicherte, dass er jedes Wort davon auswendig kannte und es viel wichtiger war, dass Steve es warm hatte als dass er etwas zu lesen bekam.
Steve krempelte die ewig langen Hosenbeine hoch und überlegte für einen Moment ob es nicht sinnvoller wäre sich auf das Hemd zu beschränken, das ihm bis über die Knie reichte, entschied sich dann aber doch dagegen. Sobald er seine Gliedmaßen wieder benutzen konnte, kletterte er aus dem watteweichen Bett und machte sich auf Erkundungstour.
Das Zimmer war fast so groß wie die Wohnung, in der Steve mit seiner Mutter lebte, doch sehr zu Steves Erstaunen schien dieser Raum nur als Schlafzimmer zu dienen. Abgesehen von dem Bett und einem Nachttisch auf dem eine Lampe stand, wie Steve sie noch nie gesehen hatte, war das Zimmer beinahe leer. Neben einer Tür stand ein Stuhl auf dem ein Haufen Kleidungsstücke lag, die alle genauso riesig waren wie die in denen Steve aufgewacht war.
Vorsichtig öffnete er die Tür neben dem Stuhl und ihm fiel die Kinnlade herunter. Er hatte noch nie einen begehbaren Kleiderschrank gesehen. Dass es so etwas überhaupt gab wusste er auch nur, weil Buckys Schwester Becca irgendwo davon gehört hatte und seither davon schwärmte so viele Kleider zu besitzen, dass diese einen eigenen Raum benötigten. Hier schien das allerdings nicht der Fall zu sein. Der Schrank war fast so groß war wie das Schlafzimmer, das Steve zu Hause für sich hatte, weil seine Mutter darauf bestand, dass er jede Nacht in einem richtigen Bett schlief. Doch nur ein Bruchteil der Regale war auch mit Kleidungsstücken belegt.
Da waren Hemden und Hosen in säuberlichen Reihen, darunter mehrere Paar Schuhe und fast an der gegenüberliegenden Wand eine Militäruniform wie Steve sie von den Fotos, auf denen sein Vater zu sehen war, kannte. Steve drehte den Kopf und entdeckte ein weiteres Kleidungsstück, dass ihm ein Stirnrunzeln entlockte.
Von den anderen Kleidern durch mehrere leere Regale getrennt, hing da etwas, das ein wenig wie ein Strampelanzug aussah auf den jemand die amerikanische Flagge gemalt hatte. Allerdings nicht in einer Größe, die für ein Kind angemessen wäre, sondern viel eher für einen Erwachsenen gedacht. Das Kostüm zog Steve beinahe magisch an und nach einem Blick über die Schulter, der ihm nur sagte, dass er noch immer allein in diesem verrückten Traum war, streckte Steve die Hand aus und berührte das Material. Irgendwie hatte Steve im ersten Moment nicht erwartet, dass das Gewebe so weich sein würde wie es aussah, doch seine Finger schienen fasziniert von der Textur. Es juckte ihn seinen Zeichenblock zu holen und das seltsame Kostüm zu malen, doch bisher hatte er nichts von seinem zu Hause in diesem Raum gesehen. Das schloss auch seinen Zeichenblock mit ein.
Steve verließ den Schrank wieder ohne irgendetwas anderes zu berühren und schloss die Tür hinter sich wieder gewissenhaft. Egal wer hier wohnte, wenn ihm die riesigen Kleider passten, wollte Steve ihm auf keinen Fall in die Quere kommen.
Die nächste Tür, die Steve ausprobierte, führte in das größte Badezimmer, das Steve jemals gesehen hatte. Ihm fielen beinahe die Augen aus dem Kopf und insgeheim war er sich jetzt endgültig sicher, dass er träumte. Welcher normale Mensch verschwendete so viel Platz auf ein Badezimmer? Steve hatte das Gefühl, dass er in der Badewanne ertrinken würde, sollte er auf den verrückten Gedanken kommen sie voll Wasser laufen zu lassen.
Steve schüttelte den Kopf und schloss die Badezimmertür, ohne auch nur einen Fuß in das Zimmer gesetzt zu haben. Er atmete noch einmal durch und wollte gerade die dritte und letzte Tür öffnen, als jemand von außen dagegen klopfte. Steve erstarrte wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Hoffentlich würde er aufwachen, bevor sich das hier in einen Alptraum verwandelte, da hörte er eine Stimme durch die Tür, die er überall und unter allen Umständen erkennen würde.
„Du hast gesagt Steve ist hier. Also wo ist er jetzt?“ Das war Bucky. Steve stürzte zur Tür und riss sie so heftig auf, dass dem dunkelhaarigen Mann, der gerade die Hand gehoben hatte um noch einmal zu klopfen durch den Windzug die Haare ins Gesicht flogen.
„Bucky.“ Steve stürzte aus dem Zimmer und fiel seinem besten Freund so ungestüm um den Hals, dass der Junge beinahe hinten über gefallen wäre.
„Stevie.“ Buck schlang die Arme um Steves dürre Gestalt und Steve erkannte mit einem Mal, dass er nicht träumte. Bucky fühlte sich viel zu echt an.
„Was ist hier los?“, flüsterte Steve und spürte wie es ihm kalt den Rücken hinunterlief.
„Ich weiß es nicht.“, antwortete Bucky und zog Steve noch ein Stück weiter von dem Mann weg, der inzwischen lässig im Türrahmen zu dem Schlafzimmer, in dem Steve erwacht war lehnte und die beiden Jungen seinerseits musterte.
„Da ihr beide offensichtlich wach seid, kommt mit. Wir gehen Sam wecken und dann gibt es da jemanden, der euch sehen will.“ Der Mann schob sich an Steve und Bucky vorbei und Steve fühlte so etwas wie einen kalten Hauch von ihm ausgehen. Er schauderte und wollte sich gerade die langen Ärmel wieder über die Hände ziehen als er verblüfft feststellte, dass der Pyjama, der ihm gerade noch viel zu groß gewesen war, plötzlich wie angegossen passte.
Steve blinzelte und schaute dann zu Bucky auf. Der zuckte die Achseln und schob Steve halb hinter seinen Rücken bevor er dem fremden Mann in den Flur hinaus folgte. Steve schloss sich seinem Freund kommentarlos an. Wenn Bucky diesem Kerl zumindest im Moment vertraute, dann würde Steve das nicht in Frage stellen. Bucky hatte einen Riecher wenn es darum ging welchen Erwachsenen man besser aus dem Weg ging und bei welchen man eine Chance hatte Hilfe zu bekommen.
Bucky und Steves Mom waren ein eingespieltes Team wenn es darum ging auf Steve aufzupassen auch wenn Steve immer wieder beteuerte, dass er niemanden brauchte um auf ihn aufzupassen. Bucky schnaubte jedes Mal und nahm Steve bei nächstbester Gelegenheit in den Schwitzkasten. Jetzt jedoch war Steve so froh wie schon lange nicht mehr, dass Bucky an seiner Seite war.