
Kapitel 14
In der Suite 412 ist es still. Nur das leise Schluchzen von Uli, die noch immer fest von Evas Armen umschlungen an der Tür steht, ist zu hören.
Eva streicht beruhigend über ihren Rücken und murmelt ihr leise etwas ins Ohr, so lange, bis die Schluchzer leiser werden und schließlich ganz abebben.
Irgendwann lässt Uli von Eva ab und wischt sich die Tränen von den Wangen. Sie zieht ein Taschentuch aus der Hosentasche und schnäuzt sich. Ihre Augen sind verquollen und gerötet. Eva, die sich keinen Zentimeter von der Stelle gerührt hat, schaut sie durchdringend an. In ihrem Kopf überschlagen sich die Gedanken - jedoch verbietet sie es sich, davon auch nur das Geringste nach außen dringen zu lassen. Uli braucht sie jetzt. Mit ihren eigenen Sorgen und möglichen Konsequenzen würde sie sich später auseinandersetzen.
“Wie soll ich denn jetzt weitermachen? Wie soll das gehen, wenn er so ist? Ich hab Angst, dass er abrutscht, zu viel trinkt und wer weiß was noch für einen Unsinn macht. Und ich will nicht, dass Ivy ihren Vater verliert…Aber was heule ich hier rum, das kann dir ja egal sein. Ist ja meine eigene Suppe, die ich mir da eingebrockt habe. Und wer sie sich einbrockt, der muss sie auch selber auslöffeln”, konstatiert Uli missmutig.
“Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dich jetzt hängen lasse, oder? Uli! Also wirklich. Ich bin da - und ich bin da für dich. Wir finden eine Lösung.”
“Wir?”, fragt Uli leise.
“Ganz genau, WIR. Du und ich. Gemeinsam. Jeremy wird sich schon wieder beruhigen. Der wird jetzt erstmal seinen Rausch abbauen und morgen werde ich ein Wörtchen mit ihm reden, wenn er seine Kündigung abholt. Ich werde ihm nahelegen, dass er gut daran tut, kein Wort darüber zu verlieren, was sich heute hier abgespielt hat, wenn er noch irgendwo in Meck-Pomm einen Job finden will.”
“Er ist ja auch eigentlich kein schlechter Mensch, und er liebt Ivy über alles. Er würde ihr nie etwas antun - die beiden sind unzertrennlich. Er hat nur in der Vergangenheit einfach Scheiße gebaut. Und zwar so, dass ich nicht mehr verstehe, wer dieser Mann überhaupt ist.”
“Eben. Aber trotzdem solltest du, vielleicht, wenn ein paar Tage vergangen sind, mit ihm reden. Wenn du willst, kann ich dabei sein - und wenn er auch nur Anstalten macht, dich anzufassen, werde ich ihn anzeigen, ob du willst oder nicht.”
Uli erwidert nichts darauf. Sie wendet sich von Eva ab und geht ins Bad, um sich das Gesicht zu waschen. Währenddessen bestellt Eva etwas zu essen und verschwindet wenig später ebenfalls im Bad, um sich für den Tag herzurichten.
Als dann eine halbe Stunde später die neue Kollegin, die im Service arbeitet, an der Zimmertür klopft, flüchtet sich Uli wortlos zurück ins Bad, bevor Eva die Tür öffnet.
Sie bedankt sich und schließt die Tür hinter der Kollegin, wartet dann noch einen Moment und versichert sich mit einem Blick durch den Türspion, dass sie auch wirklich verschwunden ist.
“Frühstück ist fertig!”, ruft sie danach leise und einen Moment später schiebt sich eine noch immer betrübt dreinschauende Uli durch den Spalt von Badezimmertür und Wand. Beim Anblick des Wägelchens jedoch hellt sich ihr Gesicht auf.
“Wie hast du das denn so schnell hergezaubert?”, fragt sie verdutzt.
Bemüht darum, die Stimmung zu heben, erwidert Eva scherzhaft: “Du hast dir die Frage schon selbst beantwortet - ich habe gezaubert! Gehört zu den Kernkompetenzen einer Hotelmanagerin…”
EIn zaghaftes Grinsen huscht über Ulis Gesicht.
“Na dann lass uns mal probieren, was du uns da so alles gezaubert hast.”
Sie will sich gerade daran machen, die Thermoskanne und die anderen Köstlichkeiten, die wieder unter silbernen Servierhauben versteckt sind, auf dem Esstisch anzurichten - keine leichte Aufgabe, wenn man bedachte, dass Eva diesen Tisch als zweiten Schreibtisch nutzte und er dementsprechend mit Papierstapeln, Mappen und ihrem Laptop vollgestapelt war - als Eva von hinten an sie herantritt und sie umarmt.
Sie drückt einen Kuss auf den weichen Nacken der schwarzhaarigen Frau, die sich umdreht und Evas Gesicht in ihre Hände nimmt. Ihr Blick wandert über Evas Augen hin zu ihrem Mund - dem Mund mit den weichsten Lippen, die Uli sich vorstellen kann.
Eva lächelt. Und Uli spürt, wie die Schmetterlinge in ihrem Bauch fliegen. Auch sie lächelt, und schließlich finden Evas Lippen die Ihren.
Die erste Berührung ist noch zaghaft - doch schnell wird aus dem zärtlichen Kuss ein leidenschaftlicher, wenig später ist das Frühstück vergessen und die Kleidung der beiden findet wieder ihren angestammten Platz auf dem Fußboden der Suite.
Einige Zeit später, die Anzeige auf Evas Wecker geht zügig auf Mittag zu, liegen die beiden etwas erschöpft aber glücklich zwischen den Kissen auf Evas Bett.
Eva, die nie gedacht hat, dass sie jemals - so kitschig das klingt - ein ‘kleiner Löffel’ sein würde, genießt es, wenn die Arme von Uli sie umschlingen und sie ihren Rücken an Ulis nacktem Oberkörper spürt.
Langsam, damit Uli gar nicht auf die Idee kommt, sie loszulassen, dreht sie sich um. Mit geschlossenen Augen liegt sie da, die Frau, die ihr vom ersten Tag im Mondial an nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Sie lächelt.
Mit einer Hand streicht sie eine der schwarzen Haarsträhnen aus Ulis Gesicht. Diese öffnet die Augen - sie hatte nicht geschlafen, sondern einfach nur mit geschlossenen Augen dagelegen und darüber sinniert, was in den letzten Stunden und vielmehr den letzten Tagen alles passiert war. Sie blickt in Evas Gesicht, das umrahmt ist von etwas zerzausten blonden Haaren, und lächelt.
Auf einmal spürt sie das leise Grummeln in ihrem Bauch und hofft, dass Eva nichts davon mitbekommt. Aber Eva hört es sehr wohl.
“Wir sollten was essen, Uli. Schließlich sollen sich deine Kolleginnen und Kollegen aus der Küche nicht die ganze Arbeit umsonst gemacht haben, oder?”
“Stimmt, da hast du wohl recht”, erwidert Uli und hüpft wenig später aus dem Bett. Während sie ihre Klamotten vom Boden aufsammelt, überlegt sie, wann es wohl am klügsten wäre, in ihre Wohnung zu gehen und sich umzuziehen - schließlich war ihr Wanderoutfit das Einzige, das sie bei sich hatte.
Auch Eva hat sich mittlerweile wieder angezogen und beginnt, den Esstisch etwas aufzuräumen, sodass wenige Minuten später das Frühstück angerichtet ist. Erstaunlicherweise waren weder die weichen Eier, die unter einer Warmhaltehaube lagen, noch der Kaffee in der Thermoskanne merklich abgekühlt, sodass dies dem Geschmack des Ganzen keinen Abbruch tun konnte.
Die beiden essen größtenteils schweigend, erst als Uli den letzten Rest ihres Kaffees getrunken hat, greift sie nach Evas Hand und schaut sie eindringlich an.
“Ich werde jetzt zu mir fahren, Eva. Ich brauche dringend andere Klamotten und außerdem will ich sicherstellen, dass Jeremy seinen Krempel mitgenommen hat und vor allem den Schlüssel da gelassen hat. Ich muss auch mit meinen Schwiegereltern telefonieren und mit Ivy reden. Noch hat sie Ferien, aber ich weiß nicht, ob sie genügend Anziehsachen mit hatte, als Jeremy sie dort abgeladen hat. Außerdem glaube ich, dass es besser wäre, wenn ich morgen früh von meiner Wohnung aus zur Arbeit hierher komme - ich will vermeiden, dass mich jemand so früh morgens hier sieht und irgendwelche Gerüchte aufkommen. Es wird früh genug über uns geredet werden, das will ich dir ersparen. Ich hab’ ja - leider oder Gottseidank, je nachdem - diese Woche meine letzte Arbeitswoche hier. Danach bin ich ja nicht mehr offiziell deine Angestellte, und dann dürfte das alles für uns einfacher werden.”
Diese Sätze sprudelten in einer Geschwindigkeit aus ihr heraus, mit der Evas Gedanken gerade so noch mithalten konnten.
Bei den Worten zu Ulis letzter Arbeitswoche hatte sie einen Stich im Herzen gespürt, diese Tatsache hatte sie in den letzten drei Tagen vollkommen verdrängt. Aber als Uli gesagt hatte, dass ‘das mit uns’ dann einfacher werden würde, war der Stich wie weggeblasen gewesen - Uli hatte ‘uns’ gesagt. Das hieß doch, dass sie mit Eva mehr verband, als nur ein kleines Abenteuer mit einer Frau, oder? Evas Gedanken kreisen um diese Frage. Sie schaut Uli mit ihren grauen Augen durchdringend an und umfasst Ulis Hand fester.
“So, meine Liebe”, setzt sie mit fester Stimme an. Ulis Augenbrauen heben sich und sie schaut Eva ob des ernsten Tonfalls etwas irritiert an.
“Ich hab’ dir genau zugehört und weiß jetzt, dass du eine Menge Dinge hast, die du zu erledigen hast. Aber eine Sache hast du vergessen: dass ich DA bin. Und dass ich FÜR dich da bin. Deswegen machen wir folgendes: wir räumen jetzt zuallererst diesen Tisch ab und stellen das Wägelchen auf den Flur. Dann ziehen wir uns an, ich gehe zum Auto und hole dich wie üblich unten im Parkhaus ab.”
Bei dem ‘wie üblich’ muss Eva selber grinsen, schließlich war das erst zwei Mal der Fall gewesen - aber es fühlte sich eben an, als ob sie seit Monaten miteinander unterwegs gewesen wären.
“Dann fahren wir zu dir in die Wohnung.” Uli will sie unterbrechen, aber Eva schneidet ihr das Wort ab. “Nichts da, keine Widerrede. Ich lasse dich nicht alleine in die Wohnung, von der dein Mann, der vor nicht einmal fünf Stunden hier war, meine Einrichtung demoliert und dich körperlich bedroht hat - zum zweiten Mal seit gestern übrigens - noch einen Schlüssel hat. Ende der Diskussion.”
Um ihren Worten die Schärfe zu nehmen, lächelt sie leicht und fährt dann fort.
“Von dort aus rufst du deine Schwiegereltern an und erkundigst dich nach Ivy. Wenn sie etwas braucht, fahren wir dorthin. Gemeinsam. Und mit den ganzen anderen Dingen und der Frage nach dem, was nach der nächsten Woche kommt, beschäftigen wir uns heute Abend in Ruhe.”
Uli, die Evas Ansage in den letzten Minuten stumm gelauscht hat, nickt zögerlich.
“Das klingt alles ziemlich sinnvoll, was du da so sagst.”
“Ist es meistens”, erwidert Eva mit einem Grinsen.
Uli grinst jetzt ebenfalls.
“Ach ja? Ist das so, Frau de Vries?”
“Das ist in der Tat so. Ist nämlich eine Art Voraussetzung für den Job hier, Frau Kersting.”
“Hrmpf”, entfährt es Uli und mit einem Mal kann sie sich kaum noch halten vor Lachen. Die ganze Anspannung der letzten Stunden und Tage, das Glück, das sie empfindet, wenn sie mit Eva zusammen ist, die Schmetterlinge in ihrem Bauch, all das entlädt sich geradezu in einem Lachanfall, wie sie ihn lange nicht mehr hatte.
Irgendwann kann auch Eva sich nicht mehr halten und fängt schallend an zu lachen. Nach ein paar Minuten und mit gewaltiger Atemnot sammeln sich die beiden Frauen wieder, und Uli beginnt, das Geschirr vom Tisch auf den Servierwagen zu stapeln.
Unterdessen durchkämmt Eva ihren Kleiderschrank und sucht ein passendes Outfit für den heutigen Tag heraus. Sie entscheidet sich für eine leichte Leinenhose und ein helles T-Shirt, denn nach dem Gewitter der vergangenen Tage ist der Sommer mit dem heutigen Tag wieder mit voller Kraft zurückgekehrt.
Die Uhr an Evas Handgelenk zeigt gerade halb zwei, als sie Uli zur Tür begleitet und ihr einen Kuss von den Lippen stiehlt, bevor sie sich mit einem Blick durch den Gang versichert, dass niemand sieht, wie die Foodchefin des Mondial das Zimmer der Managerin des Mondial verlässt.
“Bis gleich”, flüstert Uli lächelnd und geht schnellen Schrittes zum Treppenhaus.
Auch dieses Mal scheinen die Götter es gut zu meinen - ihr begegnet niemand auf dem Weg ins Parkhaus. Auf den letzten Metern des Kellerflurs will sie sich gerade darüber freuen, wieder einmal ungesehen den Weg zurückgelegt zu haben, als sie Schritte hinter sich hört.
“Hey Uli, was machst du denn hier?”, hört sie eine Stimme hinter sich.
Sie fährt erschrocken herum. Hinter ihr, am Ende des Gangs, der zu einem der drei Kühlhäuser des Mondial führt, steht Pit, ihr Kollege aus der Küche. In den Armen hält er eine weiße Box aus Styropor. ‘Wahrscheinlich hat er gerade frischen Zander aus dem Kühler geholt’, denkt Uli und verflucht sich selbst.
In der Küche wurden um diese Uhrzeit regelmäßig Fischfilets mariniert, die am Abend ihren Weg ins Restaurant finden würden. In Sekundenbruchteilen überlegt sie sich eine Ausrede.
“Hey, du! Na, was hast du in deiner Schatztruhe versteckt?”, reagiert sie mit einer Gegenfrage, um Pit gar nicht die Gelegenheit zu geben, sich zu fragen, was sie hier unten zu suchen hatte, an ihrem freien Sonntag.
“Zanderfilets, für heut’ Abend”, erwidert Pit grinsend.
‘Wusste ich’s doch’, denkt Uli und lächelt ebenfalls.
“Aber du? Was machst du hier? Und was sind das für Klamotten die du da trägst? So hab ich dich ja noch nie gesehen”, bohrt er unbeirrt weiter.
“Du kennst mich eben doch nicht so gut, wie du immer behauptest mein Lieber”, antwortet Uli. “Aber ja, ich war wandern und mir ist zwischendrin eingefallen, dass ich vergessen habe, eine bestimmte Gewürzmischung zu bestellen. Daher bin ich also zurück hierher und hab’ das schnell gemacht.”
Pit schaut sie irritiert an. “Du hättest auch einfach anrufen können, dann hätte ich das für dich gemacht. Du wusstest doch, dass ich heute Dienst habe.”
“Stimmt, hätte ich wohl. Aber da ja morgen meine letzte Woche hier beginnt, dachte ich, ich nutze jeden Moment noch einmal diese heiligen Hallen zu betreten. Und wenn’s an meinem freien Tag ist.”
Pit grummelt. “Ja, stimmt. Letzte Woche. Schöne Scheiße ist das, Uli. Wie soll ich denn hier ohne dich klarkommen? Der Jo ist ja ganz okay, aber…”
Uli sieht, wie sehr es ihn anstrengt, sein Gefühl in Worte zu fassen. Pit als typischer Vertreter der norddeutschen Nüchternheit hatte immer schon Probleme damit, zu sagen, was er fühlte. Lieber schwieg er dann. Aber dieses Mal nicht.
“Aber er ist halt nicht du, Herrgott noch eins”, presst er zwischen den Zähnen hervor.
Alles in Uli schreit, sie soll sich umdrehen und zu Eva ins Parkhaus flüchten, aber sie kann nicht. Nicht wenn Pit so drauf ist. Sie macht ein paar Schritte auf ihn zu und packt ihn bei der Schulter.
“Hey. Ich bin ja nicht aus der Welt. Ich bleibe hier in Schwerin - und wer weiß, wenn ich irgendwo anders ein Restaurant aufmache, dann brauch‘ ich auch ‘nen Souschef. Und du wirst der Erste sein, den ich frage.”
Damit hellt sich Pits trübsinniges Gesicht auf. Er grinst zaghaft.
“Na dann…Jetzt solltest du dann aber verschwinden, du musst noch früh genug wieder deine ‘heiligen Hallen’ hier aufsuchen, morgen früh nämlich, um sieben.”
“Exakt. Und deswegen hau ich jetzt auch ab. Bis morgen!”
Und mit diesen Worten gibt sie Pit noch einen letzten Klaps auf die Schultern und macht sich auf den Weg in die entgegengesetzte Richtung, hin zum Ausgang.
Kurz bevor sie die Tür, die geradeaus führt, erreicht, blickt sie noch einmal über ihre Schulter. Sie will sichergehen, dass Pit bereits um die Ecke verschwunden ist und sie niemand dabei sieht, wie sie anstatt die Tür zum Seitenausgang zu nehmen, die Tür rechter Hand öffnet, die zum Parkhaus führt. Niemand ist zu sehen. Sie öffnet die schwere Feuerschutztür und geht mit schnellen Schritten durch die menschenleere Halle, hin zu dem grauen Audi, der auf seinem Stammparkplatz steht.
Als sie ankommt, sieht sie, dass Eva bereits eingestiegen ist. Leise, um die Frau mit den blonden Haaren, die ganz in der Musik versunken zu sein scheint, nicht zu erschrecken, klopft sie an das Fenster.
Eva zuckt trotzdem zusammen, sieht dann aber, wer da an ihrer Tür steht und lächelt. Mit einer Kopfbewegung bedeutet sie Uli einzusteigen.
“Wo warst du denn so lange?”, fragt Eva als die schwarzhaarige Frau die Beifahrertür öffnet.
“Ich hab’ Pit getroffen, unten, im Gang. Den musste ich erst abwimmeln und dann ein bisschen trösten.”
“Trösten? Wieso das denn?”
“Naja, er kommt noch nicht so ganz damit klar, dass ich ab Ende der Woche nicht mehr seine cholerische und anstrengende Chefin bin”, erwidert Uli. “Ich hab ihm aber gesagt, dass wenn ich mein eigenes Lokal eröffne, er der Erste sein wird, den ich fragen werde wenn ich einen Souschef suche.”
Eva lächelt ein bisschen angestrengt, versucht aber, sich vor Uli nichts anmerken zu lassen.
“Na dann wollen wir mal los”, und mit diesen Worten legt sie den Rückwärtsgang ein und steuert wenig später den Wagen in Richtung Ulis Wohnung. Den Weg dorthin findet sie mittlerweile im Schlaf.
In der ruhigen, mit groben Pflastersteinen belegten Seitenstraße angekommen, parkt Eva den Wagen schon gewohnheitsmäßig im absoluten Halteverbot.
Uli grinst. “Das städtische Ordnungsamt wird sich irgendwann noch darüber freuen.”
“Sollen sie - das ein oder andere Knöllchen kommt sicher immer noch billiger, als hier immer ein Ticket zu lösen”, erwidert Eva, ebenfalls grinsend.
“Musst du wissen”, sagt Uli schnippisch und mit diesen Worten löst sie den Gurt und steigt aus.
Die beiden steigen die knarzende Treppe zu Ulis Wohnung hinauf. An der Tür angekommen kramt diese nach ihrem Schlüssel und schließt auf. Langsam öffnet sie die Tür - wie als ob sie fürchtet, dass Jeremy doch noch in der Wohnung zugange ist. Aber es ist still. Sie betreten den Flur und das Erste, was Uli wahrnimmt ist der Schlüsselbund bestehend aus drei unterschiedlichen Schlüsseln, der auf der Kommode im Flur liegt.
Sie atmet erleichtert aus. Jeremy war also schon da gewesen. Nachdem sie die Tür geschlossen und ihre Schuhe ausgezogen hat, wendet sie sich Eva zu.
“Fühl dich ganz wie zuhause. Wenn du was trinken willst, Kaffee, Wasser, Saft, bedien dich einfach in der Küche. Ich ziehe mich mal eben um.” Damit verschwindet sie im Schlafzimmer, während Eva die Wohnung erkundet.
‘So lebt also Familie Kersting’, denkt sie verschmitzt, als sie die gemütliche Küche betritt und dann mit einem Glas Wasser durch den restlichen Teil der Wohnung wandert. Es hängen zahlreiche Fotos an den Wänden, in erster Linie Landschaftsfotografien, aber auch Zeichnungen, die sehr wahrscheinlich aus Ivys Händen stammen.
Auf einmal hört sie, wie Uli mit jemandem redet - anscheinend hatte sie ihre Schwiegereltern vom Handy aus angerufen. Nach einigen Minuten, gerade als sie das Schlafzimmer betreten will, kommt Uli ihr auch schon entgegen, mittlerweile sind ihre Haare zu einem Dutt gewickelt und sie trägt schwarze Shorts mit einem hellgrünen T-Shirt.
“Das waren Marlene und Dieter”, erklärt sie. “Ivy will gern noch ein paar Tage auf dem Bauernhof bleiben, allerdings braucht sie ein paar Klamotten mehr. Und einen Badeanzug - ihre Großeltern haben einen Pool aus Heuballen und Folie gebaut, und da will sie gern rein. Deshalb müssten wir wohl hinfahren. Wäre das für dich okay? Es ist eine knappe Stunde bis dorthin. Ich zahl dir auch den Sprit…”
Aber noch ehe sie weiter argumentieren kann, legt Eva ihr einen Finger auf die Lippen.
“Natürlich ist das okay. Los, pack die Sachen und dann fahren wir. Ich hab ja keine Ahnung vom Landleben, wird Zeit, dass sich das ändert und ich mal aus diesem Städtchen hier rauskomme.”
Uli lächelt.
Eine halbe Stunde später sitzen die beiden wieder in Evas Wagen und Eva will Uli gerade bitten, den Ort ins Navi einzugeben, als Uli ihr das Wort abschneidet.
“Wir brauchen kein Navi. Ich weiß den Weg. Vertrau mir.”
“Okay, dann mal los.” Mit diesen Worten startet Eva den Wagen und nach ein paar Schlenkern durch die schmalen Seitenstraßen Schwerins sind sie kurz darauf unterwegs aufs Land