Le Mondial

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Le Mondial
Note
Die Rechte an den Figuren dieser Geschichte liegen beim ZDF und der Neuen Deutschen Filmgesellschaft. Die Geschichte bzw. die Handlungen sind mein Eigentum.
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Kapitel 4

Hotel Mondial, Vierter Stock, Suite 412

‘At first I was a afraid, I was petrified, 

Kept thinking I could never live without you by my side, 

But then I spent so many nights thinking how you did me wrong, 

And I grew strong, 

And I learned how to get along…’ 

singt Gloria Gaynor aus Evas Handy.

Mit geschlossenen Augen greift sie nach dem Gerät, um den Wecker auszuschalten. Leider gleitet es ihr aus den Fingern und landet polternd auf dem Boden, während Gloria nun zum Refrain des Liedes kommt und viel zu laut ‘ I will survive ’ trällert.

Eva de Vries grummelt leise. 

Sie schlägt die Bettdecke zurück und steht auf, um endlich diesen nervigen Weckton auszuschalten. 

Normalerweise war sie eine Frühaufsteherin, die klassische Lerche, die morgens ab 6 Uhr nichts mehr im Bett hielt. Aber heute war das anders.

“Warum hab ich mir den Wecker überhaupt gestellt”, murmelt sie leise vor sich hin und macht sich mit zerzausten Haaren auf den Weg zu den Fenstern, um die Vorhänge aufzuziehen. Es ist mittlerweile halb 12 und Eva dankt sich selbst dafür, dass sie am frühen Morgen noch geistesgegenwärtig genug war, das Schild mit der Aufschrift ‘ Please do not disturb ’ an ihrer Tür aufzuhängen.

Sie weiß natürlich, warum Gloria sie für ihren Geschmack viel zu früh geweckt hat. Der Termin mit der Marketingagentur steht für 13 Uhr im Kalender und auf den muss sie sich noch vorbereiten.
Eva fühlt sich, als ob sie von einem dieser riesigen roten Busse überrollt worden wäre, die sie regelmäßig am Hotel vorbeifahren sieht, voll beladen mit Touristen auf dem Weg zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten Schwerins. 

Sie ist völlig gerädert. 

Aber es nützt nichts - der Termin ist wichtig und beim Gedanken daran, dass sie heute Abend vielleicht mit Uli etwas essen gehen könnte - schließlich war morgen Samstag, sie hatte offiziell frei und Uli hatte gesagt, dass sie sich freuen würde, wenn sie sich heute sehen würden - wird sie schlagartig munter.

Mit der Kapselmaschine in ihrer Suite macht sie sich einen doppelten Espresso, den sie - nachdem sie ihren üblichen dreiviertel Liter Leitungswasser in sich hineingeschüttet hat - auf Ex trinkt und schließlich ins Bad geht, um sich für den Tag fertig zu machen.

Sie putzt sich die Zähne, steigt dann in die Dusche und dreht das heiße Wasser auf. Unter dem Wasserstrahl kehren ihre Lebensgeister langsam zurück und sie denkt an Uli und daran, was sie wohl jetzt gerade macht.

‘Ob sie noch schläft? Hoffentlich. Sie muss sich ausruhen. Aber vielleicht ist sie ja doch schon wach?’

Gedankenversunken und mit geschlossenen Augen lässt sie das Wasser auf sich einprasseln und überlegt, ob Uli wohl jetzt gerade auch in ihrer Wohnung in der Dusche steht. 

Sie sieht ihre langen muskulösen Beine und die von der körperlichen Arbeit in der Küche trainierten Arme vor sich. Wie das Wasser über Ulis schmale Schultern und ihre Brüste rinnt. 

Sie stellt sich vor, sie zu küssen, sie zu berühren und bei dem Gedanken daran ist direkt das Kribbeln in ihrem Bauch wieder da, das sie schon am frühen Morgen am See gespürt hatte. 

Zu diesem Gefühl gesellt sich jetzt aber noch ein anderes - ein Brennen und Ziehen im Unterleib. Eva seufzt leise und lässt ihre Finger in Richtung ihrer Mitte gleiten. 

Doch dann besinnt sie sich und dreht schnell am Regler der Wassertemperatur. Das kalte Wasser verfehlt wie üblich seine Wirkung nicht und bringt Eva mit einem Schlag zurück in die Gegenwart. 

Jetzt war gerade keine Zeit dafür. 

Schließlich musste sie sich beeilen, wenn sie sich noch auf diesen Termin mit dieser Agentur vorbereiten wollte.
Und das wollte sie - schließlich war der Termin wichtig für das Hotel und für die Stadt Schwerin, außerdem lieferte Eva de Vries nie weniger als einhundert Prozent ab, sondern mindestens hundertzwanzig. 

Und um das tun zu können, muss sie ihren Vortrag noch einmal durchgehen.

Schnell wäscht sie sich die Haare und schrubbt sich den letzten Rest Essensgeruch vom Körper, bevor sie aus der Dusche steigt und beginnt, sich abzutrocknen. 

 

Wohlriechend - sie hatte die neue Sorte Bodylotion ausprobiert, die das Hotel seit Neuestem in den Zimmern bereitstellte - und mit in Form geföhnten Haaren verlässt sie nach zwanzig Minuten das Bad und beginnt, ihren nicht gerade dürftig ausgestatteten Kleiderschrank zu durchforsten. Die Unterwäsche - eine Kombination aus einem roséfarbenen BH und einem schwarzen Spitzenslip - ist schnell ausgesucht.

Die Frage nach den restlichen Kleidern gestaltet sich allerdings schwieriger.
Sie muss heute professionell auftreten, das ist ihr klar - aber irgendetwas sagt ihr, dass sie heute Uli noch über den Weg laufen würde und da wollte sie nicht nur in ihrem standardmäßigen Businessoutfit auftreten. 

Sie greift nach einer cremefarbenen Seidenbluse mit kurzen Ärmeln, deren Ausschnitt so tief ist, dass er gerade noch als professionell genug durchgeht und kombiniert diese mit einem ihrer geliebten schwarzen Hosenanzüge - so ist sie professionell gekleidet, kann aber trotzdem vielleicht Ulis Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Dass sie wahrscheinlich nicht nur die Blicke von Uli, sondern auch von einer ganzen Menge anderer Leute anziehen würde, ist ihr in diesem Moment vollkommen egal.

Sie zieht sich an und legt Makeup auf, fährt ein letztes Mal durch ihre Haare und verteilt ein paar Tropfen La petite robe noire auf ihrem Dekolleté. Aus dem Schuhschrank neben der Tür zieht sie ein Paar schwarzer Pumps und schlüpft hinein, während sie nach ihrer schwarzen Handtasche greift, die ebenfalls direkt an der Tür steht. Sie zieht die Schlüsselkarte aus dem Fach an der Tür und lässt sie ins Schloss fallen, nicht ohne das ‘ Please do not disturb ’-Schild umzudrehen, sodass dort jetzt ‘ Please make up the room ’ zu lesen ist.

Fast unhörbar dank der schweren Teppiche, die in den Fluren des Mondial auf dem Boden liegen, macht sie sich auf den Weg. Sie begegnet seltsamerweise niemandem und gelangt so völlig ungesehen zu ihrem Büro, das sich im gleichen Stockwerk wie ihre Suite befindet. 

Sie betritt den Raum und schließt direkt die Tür hinter sich - sie wollte jeden freien Moment, den sie vor 13 Uhr noch hatte, für die Vorbereitung ihrer Präsentation nutzen.

Gerade hat sie am Schreibtisch Platz genommen, den Laptop auf die Dockingstation gesteckt und hochgefahren, als sie sich dabei ertappt, wie sie abwesend auf den Bildschirm starrt. Sie denkt an Ulis Arme um ihren Nacken, ihre Lippen auf ihren. Daran, wie sich ihr Kopf auf ihrer Schulter angefühlt hatte.

Und obwohl die Uhr schon 12:20 zeigt und alles in ihr schreit, sie solle doch die Präsentation üben, zieht sie ihr Handy aus der Tasche, um Uli eine Nachricht zu schreiben. Für einen kurzen Moment ist sie enttäuscht - hatte doch ein winziger Teil in ihr gehofft, dass Uli schon wach war und ihr geschrieben hatte. Doch das Display zeigt lediglich die Uhrzeit über ihrem Lieblingsstrand von Schweden, wo sie im vergangenen Sommer in Urlaub gewesen war.

Sie entsperrt das Telefon, öffnet das Nachrichtenprogramm und den Chat mit Uli. 

Ihre Finger schweben über der Tastatur, sie tippt
>>Guten ‘Morgen’! Hast du gut geschlafen? ☺️<<,
kann sich dann aber doch nicht dazu durchringen, die Nachricht abzuschicken. 

‘Ich will sie ja nicht aufwecken, falls sie noch schläft…’, denkt sie sich und nachdem sie noch mehrere Minuten mit der Frage vertrödelt hat, ob sie ihr jetzt wirklich eine Nachricht schreiben soll oder lieber nicht, sperrt sie schließlich mit einem Seufzer das Handy und legt es weg. 

Sie will gerade das Mailprogramm öffnen, als ihr der Stein einfällt, den Uli ihr geschenkt hat.

Der Schutzstein gegen die bösen Geister.

Ihn hatte sie in weiser Vorahnung schon am frühen Morgen in ihre Tasche gelegt, als sie ins Zimmer gekommen war. Sie bückt sich und kramt darin, um ihn wenige Sekunden später lächelnd in der Hand zu halten, bevor sie ihn direkt unter ihrem Bildschirm in Richtung der Bürotür positioniert. 

‘Jetzt dürfte mir hier nichts mehr passieren’, denkt sie schmunzelnd und schaut dann endlich in ihre Mails, um sich wenig später ihrer Strategie für die Marketingaktion zu widmen. 

 

12:30 Uhr, irgendwo in Schwerin.

In der Altbauwohnung in einer ruhigen Nebengasse mit Pflastersteinen mitten in Schwerin summt ein Handy. 

Es ist das Handy von Uli Kersting, ihres Zeichens Foodchefin im Hotel Mondial und laut eigener Aussage eine der besten Köchinnen Schwerins. Diese hört das Summen unter einem Berg an Kopfkissen jedoch nicht direkt, erst als das Gerät durch seine eigene Vibration von Gabriel Garcia-Marquez’ Hundert Jahre Einsamkeit auf die Glasplatte des Nachtschränkchens rutscht und scheppert, wühlt sie sich unter den Kissen hervor und flucht leise.

Sie tastet nach dem Handy und deaktiviert den Wecker, bevor sie sich noch einmal mit geschlossenen Augen auf die Matratze fallen lässt. Ihr tut alles weh und sie fühlt sich völlig zerschlagen. Wann sie das letzte Mal eine Nacht durchgemacht hat, weiß sie nicht.

Die Uhr auf ihrem Handy zeigt 12:35, höchste Zeit zum Aufstehen also. Sie steigt, gekleidet in nichts als ihre Unterwäsche, aus dem Bett und geht als allererstes in die Küche, um sich einen richtig starken Kaffee aufzubrühen. 

Den würde sie heute brauchen. 

Sie setzt in ihrem altmodischen Wasserkessel auf dem Gasherd Wasser auf und gibt zwei Löffel des peruanischen Kaffees in ihre Lieblingstasse.
Für einen kurzen Moment ist sie dankbar dafür, an diesem Morgen alleine zu sein - auch wenn sie Ivy über alles liebt.  Aber mit nur etwas mehr als fünf Stunden Schlaf war es am besten, wenn man Uli erst einmal einfach in Ruhe ließ - und das war für eine Achtjährige in der Regel nicht zu verstehen. 
Uli lächelt, als sie daran denkt, wie Ivy regelmäßig morgens um sechs zu ihr ins Bett gekrabbelt kommt, ganz egal, ob Uli abends um elf oder erst um zwei Uhr in der Früh ins Bett gefallen ist. 

Ein lautes Pfeifen gibt ihr zu verstehen, dass das Wasser heiß ist und so gießt Uli ihre Tasse fast bis an den Rand voll und nimmt eine Nase des bitteren und doch irgendwie süßlichen Geruchs, der ihre Lebensgeister rasch aufweckt. 
So mochte sie ihren Kaffee am liebsten - schwarz, mit Kaffeesatz unten in der Tasse, aus der sie mit Ivy immer wieder versuchte, die Zukunft zu ‘lesen’.
Jeremy fand das komisch. Immer schon. Er hatte nie verstanden, warum Uli nicht einfach die Kapselmaschine nutzte, die er angeschafft hatte. Er fand den Kaffeesatz in der Tasse ‘eklig’. 
Uli bemerkt, wie sich schon alleine beim Gedanken an ihren Mann ihr Magen verkrampft und verscheucht ihn schnellstmöglich aus ihrem Kopf.

Während sie sich die Tasse vor das Gesicht hält und tief einatmet, lässt sie ihre Gedanken schweifen. 

Die Berührungen von ihrer und Evas Hand, ihr Kopf an Evas Schulter in der Küche, Evas Arme um ihre Schultern, als sie sich zum Abschied umarmten. 

 

Ihren Kuss. 

 

Der Kuss, der das Ergebnis all der Gefühle gewesen war, die sich seit dem Auftauchen Evas im Mondial und ihrer ersten Begegnung miteinander in Uli angestaut hatten. 

Schon als sie noch gar nicht wusste, wer diese Frau war, die jeden Morgen ihr Büffet ignorierte und sogar ihre Croissants liegen ließ, hatte sie etwas gespürt.
Dieses Gefühl einer Verbindung, einer Anziehung. 

Irgendetwas in Evas Art, wie sie sie anschaute, wie sie sich bewegte, hatte etwas in Uli ausgelöst. Sie hätte ständig - zuerst unbewusst, später dann irgendwie bewusst aber unauffällig - ihre Nähe gesucht, ja sogar für sie gekocht, als sich herausgestellt hatte, dass sie die neue Hotelchefin war. 

Anspannung hatte sich in ihr gesammelt. 

Uli hatte sie von sich geschoben. 

Hatte versucht, die Gefühle und die Verwirrung in sich zu verdrängen. Schließlich hatte sie einen Mann, den sie liebte, und eine kleine Tochter. 

Sie hatte es wirklich versucht. 

Über Wochen. 

Bis zu dem Tag, an dem sie Eva nach einer kurzen aber hitzigen Diskussion geküsst hatte, war ihr überhaupt nicht in den Sinn gekommen, dass da mehr sein könnte. 

 

Der Kuss. 

 

Wieder finden ihre Gedanken zurück zu jenem Abend, als Eva wutentbrannt in ihre Küche gestürmt kam und sie angebrüllt hatte, was denn eigentlich ihr „scheiß Problem“ mit ihr sei - und sie, nachdem sie Eva in der gleichen Lautstärke erklärt hatte, dass sie, Eva, das Problem wäre - Eva dann kurzerhand geküsst hatte. 

Sie wusste nicht, was sie in dem Moment gedacht hatte - Himmel, sie wusste nicht einmal ob sie überhaupt irgendetwas gedacht hatte - was sie aber wusste war, dass Evas Lippen weich und warm gewesen waren und irgendwie nach Zimt geschmeckt hatten. 

Leider war der Kuss nur kurz gewesen, weil Eva, zurecht vollends verwirrt, Uli von sich gestoßen hatte und aus der Küche gerannt war.

Gedankenversunken schlürft Uli ihren Kaffee, so lange, bis die ersten Körnchen des Pulvers in ihrem Mund landen. Sie stellt die Tasse in die Spüle - mittlerweile ist es nach 13 Uhr - und macht sich auf den Weg ins Bad. 

Gute zwanzig Minuten später betritt eine frisch geduschte Uli in ein Handtuch gewickelt das Schlafzimmer, macht sich über den Kleiderschrank her und verlässt gegen 13:45 Uhr, gekleidet in eine hellgraue Jeans und ein dunkelrotes fließendes T-Shirt und Turnschuhe, ihre Wohnung. 

An ihrem Rad angekommen schließt sie es auf und macht sich dann mit Kopfhörern, aus denen The The ihr This is the day ins Ohr singen, auf den Weg zum Mondial.

Eine Viertelstunde später - die Ampelanlagen in der Innenstadt haben sich heute anscheinend alle gegen sie verschworen - trifft sie im Hotel ein und ihr erster Weg führt in die Küche. 

Unterwegs hatte sie eine Idee. 

Sie weiß, dass Eva heute im Gegensatz zu ihr normal arbeiten muss und sicherlich wieder keine Zeit zum Essen findet. 

Uli hatte sie schon ein paar Mal darauf ermahnt, bei allem Arbeitsstress das Essen bitte nicht zu vergessen - meistens vergeblich. Deswegen will sie heute selber dafür sorgen und macht sich wenig später mit einem Servierwagen, auf dem ein Croissant, eine Tasse frischer Kaffee sowie ein Schälchen mit Obstsalat und ein frisch gepresster Orangensaft Platz gefunden haben, auf den Weg zum Fahrstuhl. Niemand in der Küche hatte sich über sie gewundert - sie war nur kurz hinein gerauscht, ein “Hallo zusammen!” und ein “Bin gleich wieder weg!” gerufen und sich Obst, Kaffee und Croissant geschnappt, um dann gleich wieder die Küche zu verlassen. 

Nicht, dass sie noch irgendjemand zum Arbeiten einteilte. 
Schließlich hatte sie heute frei.

Wenig später öffnet sich die Fahrstuhltür im vierten Stock mit einem leisen ‘Ding’ und Uli fährt den Servierwagen durch den Flur bis zu der Tür, neben der ein gläsernes Schild mit  ‘ E. de Vries - Management ’ angebracht ist.

Sie lauscht für einen kurzen Moment an der Tür, um sicherzugehen, dass sie nicht in irgendeinen wichtigen Termin hinein platzt, aber von drinnen kommt kein Laut.

Uli hebt die Hand und klopft leise aber doch deutlich an die helle Holztür.

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