
Kapitel 5
Büro von Eva de Vries, Hotel Mondial.
Eva ist gerade dabei, den Folien ihrer Präsentation den letzten Feinschliff zu verpassen, als ihr Laptop sich plötzlich mit einem leisen Summen von selbst ausschaltet. Der Bildschirm wird schwarz.
“Mist! Was soll das denn jetzt? Ist das jetzt dein Ernst?”, beschimpft sie ihren Laptop, während sie versucht, ihn wieder hochzufahren. Aber das Gerät weigert sich standhaft.
Mittlerweile ist es 12:59 Uhr laut ihrem Handydisplay, der Mann von der Marketingagentur dürfte also jeden Moment bei ihr im Büro stehen. Nachdem sie schließlich den Akku des Laptops herausgenommen und wieder eingesetzt hat, das Gerät aber immer noch nicht wieder funktioniert, gibt Eva auf.
‘Dann muss ich halt frei vortragen, wie früher’, denkt sie sich, als es auch schon klopft.
Sie sortiert kurz ihre Gedanken und ruft nach einem Moment laut “Herein!”
Die Tür geht auf und ein schlanker Mittdreißiger in typischer ‘Marketing-Uniform’’ - so nennt Eva insgeheim den Trend bestehend aus karierten Stoffhosen in Kombination mit weißen Hemden und Turnschuhen - tritt in ihr Büro.
“Sie müssen Frau von Vries sein”, sagt der junge Mann mit einem Lächeln, das seine Augen nicht erreicht und ergänzt: “Ich bin Sören Althaus, von der Agentur ThinkWide.”
Eva hebt nur eine Augenbraue und erhebt sich langsam aus ihrem Bürostuhl.
“De”, kommentiert sie trocken.
“Wie bitte?”, fragt Sören Althaus irritiert.
“Mein Name ist Eva DE Vries, nicht VON Vries”.
"Ach ja, stimmt, naja, so zwei kleine Wörtchen kann man ja schon mal verwechseln”, sagt Althaus und lacht übertrieben laut.
Schon in diesem Moment weiß Eva, dass der Mann ihr von Grund auf unsympathisch ist und dass dieser Termin kein leichter werden wird. Schon gar nicht mit nur viereinhalb Stunden Schlaf. Dann besinnt sie sich jedoch wieder auf ihre Manieren.
“Es freut mich, Sie kennenzulernen, Herr Althaus. Nehmen Sie Platz. Möchten Sie einen Kaffee? Oder ein Wasser?”, gibt Eva sich ganz als höfliche Gastgeberin.
“Ein Wasser wäre schön”, antwortet Althaus und lässt sich auf einen der Besucherstühle vor Evas Schreibtisch fallen, während diese durch das Büro in den angrenzenden Konferenzraum tritt, um eine Flasche Wasser und zwei Gläser zu holen. Sie schenkt erst Althaus, dann sich selber ein und nimmt anschließend wieder in ihrem schwarzen Bürostuhl Platz.
“Danke. Bei uns im Büro macht das normalerweise die Sekretärin”, bemerkt Althaus süffisant. “Ist es hier üblich, dass die Hotelchefin ihre Gäste selber verpflegt?”
“Ja, das ist hier üblich”, gibt Eva kurz angebunden zurück. “Ich brauche keine Assistentin und für die Gäste, die ich in meinem Büro empfange, kann ich in der Regel selber sorgen. Sie erwarten ja schließlich kein Vier-Gang-Menü, oder Herr Althaus?”
Bei ‘Vier-Gang-Menü’ denkt Eva automatisch an Uli und an das Menü, das diese für sie beide gekocht hatte.
Uli.
Was gäbe sie jetzt dafür, dass sie hier in ihrem Büro säße und nicht dieser Althaus. Sie könnten einen Kaffee trinken, vielleicht sogar Croissants essen!
“Nein, das erwarte ich nicht”, kontert Althaus und reißt Eva wieder aus ihrem Gedankenstrudel und zurück in die Realität.
“Gut. Nachdem die Verpflegung geklärt ist, können wir ja jetzt zum eigentlichen Thema dieses Termins kommen - der Strategie für die Marketingaktion, die Sie in Kooperation mit der Stadt Schwerin planen. Leider ist mein Laptop abgestürzt, daher müssen Sie leider mit meinen verbalen Ausführungen Vorlieb nehmen - Sie können ja mitschreiben”, sagt Eva lächelnd und deutet auf das in braunes Leder gebundene Notizbuch mit dem viel zu protzigen silbernen Füller daran, das Althaus bei seinem Eintreten demonstrativ auf ihrem Schreibtisch deponiert hatte.
“Sehr gerne, dann lassen Sie mal hören, Frau DE Vries.”
Eva ignoriert die deutliche Betonung ihres Nachnamens und beginnt zu referieren - sie versucht, die wichtigsten Ideen und Eckpunkte der von ihr ausgearbeiteten Marketing-Strategie zusammenzufassen. Im Laufe ihres Vortrags machen sich dann allerdings der fehlende Schlaf und die daraus resultierende geringere Konzentration bemerkbar: sie gerät ins Schlingern.
Mehrfach verliert sie fast den Faden - und die Tatsache, dass Althaus in jeder etwas längeren Redepause mit dem anderen Ende des Füllers auf sein Notizbuch trommelt, macht es für sie nicht einfacher. Und obwohl sie nach außen die Fassade der kühlen und distanzierten Geschäftsfrau aufrechterhalten kann, spürt sie, wie ihr der Schweiß iden Rücken hinunter rinnt.
Nachdem sie die letzten Aspekte zur möglichen Finanzierung der ganzen Strategie abgearbeitet hat, ist ihr Vortrag zu Ende und Eva erleichtert. Sie hofft, dass sie Sören Althaus überzeugen konnte - obwohl sie tief in sich drin weiß, dass dieser Vortrag sicher nicht der beste ihrer Karriere war.
Dieser Ansicht scheint auch Sören Althaus zu sein, er wirkt wenig begeistert.
“Hmh”, murmelt er, während er schnell noch ein paar Notizen in sein Notizbuch kritzelt. “Die Strategie scheint mir noch nicht zur Gänze ausgereift, Frau de Vries. Es sind mehrere Sachen unklar geblieben, zum Beispiel wie genau Sie sich die Einbindung des Hotels vorstellen, wenn Sie explizit nicht wünschen, dass wir für unsere Agentur entsprechend Werbung in Ihren Räumlichkeiten machen können.”
“Ein wichtiger Punkt”, nimmt Eva den Gesprächsfaden auf. “In meinen Augen ist es allerdings wenig sinnvoll, in einem Hotel, das Teil einer Marketingaktion eines ganzen Bundeslandes und seiner Hauptstadt ist, Werbung für die Agentur zu machen, die diese Aktion durchführt. Unsere Gäste sind zu neunzig Prozent Touristinnen und Touristen, keine Geschäftsleute. Wir sind in unserem Haus bisher immer gut mit der Strategie der Neutralität gefahren - politisch wie kommerziell. Wenn wir nun hier eine Ausnahme machen und eine Agentur sowie ein Projekt bewerben, das im Zusammenhang mit der politischen Führung des Landes Mecklenburg-Vorpommern steht, wäre das ein absolutes Novum. Dann könnten wir uns auch in Zukunft nicht mehr auf unsere Neutralität berufen.”
Eva sieht, dass Sören Althaus gerade Luft holen will, um vermutlich ein ganzes Magazin an Gegenargumenten abzufeuern. In der Hoffnung, sich möglicherweise etwas Zeit zu ‘erkaufen’, fügt sie hinzu: “Wir können allerdings gerne einen neuen Termin machen, an welchem wir dann die Ausgestaltung einer solchen Kooperation mit Ihrer Agentur besprechen können. Ich würde bis dorthin in Rücksprache mit meinen Kolleginnen und Kollegen ein Konzept ausarbeiten, um so etwas zu ermöglichen. Was halten Sie davon, Herr Althaus?”
“Mhm, also ich weiß ja nicht. Ihre gesamte Strategie erschien mir wenig durchdacht. Aber wie sollte es auch anders sein…”, fügt er halblaut hinzu.
Eva spürt, wie sich ihr Puls beschleunigt. Ihr Gesicht bleibt vermeintlich ungerührt, nur jemand, der sie gut kennt, würde merken, wie sehr es in ihr brodelt: ihre linke Augenbraue ist so weit hochgezogen, dass sie fast vollständig unter ihren hellblonden Haaren verschwindet.
“Bitte? Wie meinen Sie das?”, hakt sie kühl nach. Sie weiß natürlich genau, wie Sören Althaus diesen Satz meint, aber sie will, dass er gezwungen ist, es auszusprechen.
“Wie meine ich was?”, gibt dieser sich ahnungslos.
“Das ‘wie sollte es auch anders sein’, Herr Althaus. Wie haben Sie das gemeint?”, bohrt Eva weiter. Noch immer taxiert sie ihn.
“Hmh, ähm, also, naja…”, druckst Althaus herum und weicht ihrem Blick aus.
Eva lässt nicht locker. “Bitte?”
“Naja mein Gott, wenn die Strategie von einer Frau kommt, die eben erst das Hotel übernommen hat…”
‘Aha, da haben wir es doch schon’, denkt sich Eva und kocht innerlich, bevor sie freundlich lächelnd antwortet.
“Eben erst? Da müssen Sie aber falsch informiert sein, ich führe dieses Hotel bereits seit mehreren Monaten, nicht erst seit eben oder heute Morgen, Herr Althaus. Ich werde dieses Hotel auch weiterhin führen und wenn Sie nach wie vor ein Interesse daran haben, uns als eine der besten Adressen Schwerins in Ihre PR-Aktion einzubinden, würde ich vorschlagen, dass wir einen Folgetermin machen, um ein mögliches Konzept zu diskutieren. Was meinen Sie?”
Althaus sagt erst einmal nichts - diese Antwort und die darin verpackte Retourkutsche muss er erst einmal verdauen.
Nach einigen Sekunden des Schweigens findet er jedoch wieder zu seinem üblichen Selbstbewusstsein zurück und gibt sich jovial. Nach einigem Hin und Her stimmt er schließlich einem von Evas Terminvorschlägen zu, bevor er sich dann zu einem höflichen Geplänkel über die Stadt Schwerin und ihre Zukunft herablässt.
Wenig später begleitet sie ihn zur Tür, wünscht ihm noch einen schönen Tag und lässt sich, nachdem sie die Tür fest hinter ihm geschlossen hat, noch immer vor Wut schäumend auf ihren Bürostuhl fallen. Sie vergräbt ihr Gesicht in ihren Händen und spürt heiße Tränen auf ihren Wangen.
Sie hatte es gerade so geschafft, den Deal nicht sofort platzen zu lassen. Gerade so. Und das alles, weil dieser bescheuerte Laptop nicht funktioniert hat. Zu allem Übel hört sie auch noch, wie das Gerät mit einem leisen Summen aus seiner Starre erwacht, hochfährt und so tut, als ob nichts gewesen wäre.
Eva kapituliert. Sie lässt ihren Kopf auf die Tischplatte sinken und schließt für einen Moment die Augen.
Althaus hatte das Wasserglas auf Evas Schreibtisch kein einziges Mal angerührt.
Eva liegt noch immer mit dem Kopf auf der Tischplatte, als sie ein zaghaftes Klopfen an ihrer Tür hört. Hektisch setzt sie sich auf, wischt sich durch das Gesicht und versucht notdürftig, die Spuren ihrer Tränen wegzuwischen. ‘Wer ist das denn jetzt? Hab ich einen Termin vergessen?’, denkt sie ärgerlich.
“Ja bitte?”, ruft sie laut.
“Zimmerservice!”, tönt es von draußen, aber niemand macht Anstalten, herein zu kommen.
Ohne genauer auf die Stimme zu achten, denkt Eva ‘Ich hab doch gar nichts bestellt’, erhebt sich aber trotzdem aus ihrem Stuhl und geht gerade auf die Tür zu, als sich diese sich auch schon öffnet und ein silberner Servierwagen hineingeschoben wird.
“Ich hab doch gar nichts…Das bist ja du!”, entfährt es ihr, als sie sieht, wer für ihren ‘Zimmerservice’ zuständig ist. Ihr Gesicht hellt sich für einen kurzen Moment auf.
“Ja, das bin ich!”, sagt Uli mit einem breiten Lächeln. “Ich wollte sichergehen, dass du heute auch wirklich genug isst…”
Dann bemerkt sie Evas Gesichtsausdruck und sieht die Spuren der Tränen auf ihren Wangen. Sofort wird sie ernst.
“Ist etwas passiert? Geht es dir nicht gut?”
Eva gelingt ein halbherziges Lächeln.
“Nein, nein, alles in Ordnung. Ich hatte nur gerade einen ziemlich blöden Termin der ziemlich blöd gelaufen ist”, sagt sie leise und steht so verloren und mit hängenden Schultern vor Uli, dass diese ohne ein weiteres Wort in Windeseile den Wagen ins Zimmer fährt, die Tür hinter sich schließt und Eva fest in ihre Arme zieht.
Eva lässt sich in die Umarmung fallen, umschlingt Ulis Schultern und drückt ihr Gesicht an ihren Nacken. Keine der beiden sagt etwas. Nach ein paar Minuten des Schweigens schiebt Uli Eva ein Stück von sich weg und schaut ihr ins Gesicht.
“Was war denn los?”
“Ach nichts”, schnaubt Eva und löst sich von ihr. “Ich hab mich blamiert, das ist alles.”
“Das glaube ich nicht”, erwidert Uli. “Dafür kenn' ich dich zu gut. Du gibst doch immer zweihundert Prozent bei dem, was du tust. Du hast dich garantiert nicht blamiert.”
“Ich kann sehr wohl selber sehen, wann ich einen Fehler gemacht habe! Ich bin nicht so perfekt, wie du immer denkst”, fährt Eva sie an. “Und wenn ich sage, dass der Termin blöd für mich - und schlimmer noch - blöd für das Mondial gelaufen ist, dann kannst du mir das auch einfach mal glauben!”
“Okay wow!”, erwidert Uli mit hochgezogenen Augenbrauen. “Ich wollte dir eigentlich nur helfen und dir außerdem was zu essen bringen, aber ich glaub’ es ist besser, wenn ich erst mal wieder gehe. Ich komm’ dann später nochmal wieder…”
Sie dreht sich um und will gerade mit gerunzelter Stirn das Büro verlassen, als sie spürt, dass Eva sie an ihrem T-Shirt festhält. Sie fährt herum. “Was denn?”, fragt sie schärfer als beabsichtigt.
Mehr kann sie nicht sagen, denn im gleichen Moment nimmt Eva ihr Gesicht in beide Hände und küsst sie mit einer Leidenschaft, dass Uli fast das Gleichgewicht verliert.
Sie kann sich nicht erinnern, jemals von jemandem so geküsst worden zu sein. Nach einem kurzen Moment der Verwirrung seufzt sie auf, fasst Eva an Nacken und Hüfte und zieht sie enger an sich. Sie erwidert den Kuss, ihre Zunge gleitet über Evas Lippen, bittet um Einlass.
In ihrem Bauch scheint ein ganzes Heer an Schmetterlingen zu fliegen - so jedenfalls fühlt es sich für sie an.
Eva lässt sie gewähren und als ihre Zunge die von Eva das erste Mal berührt, fühlt sie sich, als ob man sie angezündet hätte. Ihr ganzer Körper glüht, ihre Knie zittern und eine Gänsehaut überzieht ihre Arme. Immer leidenschaftlicher wird ihr Kuss, nach kurzem Atemholen dreht sich Uli um und drückt Eva kurzerhand gegen die Bürotür, bevor sie ihre Lippen wieder so fest auf Evas presst, dass sie spürt, wie ihre Zähne zusammenstoßen.
Eva stöhnt leise auf und ihre Hände finden den Weg unter Ulis T-Shirt, streicheln die weiche Haut, während ihre Zunge weiterhin Ulis Mund erkundet.
Uli zieht bei der Berührung scharf die Luft ein und biegt ihren Körper Evas Hand entgegen, will mehr, will Evas Hand auf ihren Brüsten spüren. Doch bevor das passiert, löst Eva ihre Lippen von Ulis und lehnt die Stirn an ihre. Sie lächelt, als sie sieht, wie Uli um Fassung ringt, wie sie versucht, ihre Atmung zu normalisieren. Sie schaut ein bisschen verschreckt.
“Es ist nicht, dass ich das nicht will”, flüstert Eva ihr leise ins Ohr, um sie zu beruhigen. “Ich will. Sehr sogar. Aber nicht hier. Nicht in diesem Büro. Ich will, dass wir Zeit haben, dass wir genießen können. Und das können wir hier nicht - die Wände in diesem Haus haben Ohren.”
Uli lächelt. “Da hast du wohl recht…Man kann nur hoffen, dass die Wände in deinem Büro keine Augen haben…”, flüstert sie.
Eva schnaubt. “Das stimmt wohl. Was die sonst jetzt wohl erzählen würden…”
Und dann, nachdem sich die beiden eine Zeit lang nur lächelnd angeschaut haben, ergänzt Eva leise: “Es tut mir leid wegen vorhin. Ich war einfach nur genervt von diesem Typen und hab das an dir ausgelassen. Das war nicht richtig. Verzeihst du mir?”
Uli schmunzelt. “Natürlich verzeihe ich dir, das ist mir ein Leichtes, wenn wir unsere Konflikte jetzt immer so lösen…”
Sie beugt sich nach vorne und gibt Eva einen zärtlichen Kuss auf die Lippen, doch es bleibt nicht lange dabei, denn Eva erwidert den Kuss mit der gleichen Leidenschaft, mit der sie Uli vorher geküsst hatte. Dieses Mal bittet Eva mit ihrer Zunge um Einlass, den Uli ihr selbstverständlich gewährt.
Nach ein paar Minuten lösen sich die beiden schweren Herzens voneinander - ihre Atmung geht schnell, die Lippen sind vom Küssen geschwollen.
Sie lächeln sich an, bis Uli schließlich sagt: “Du, ich glaub’ dein Kaffee wird kalt, den solltest du trinken.”
Eva schmunzelt und löst sich von Uli, um mit einer Hand den Kaffee und mit der anderen das Croissant, das sich unter einer silbernen Haube versteckt hat, zu nehmen. Sie probiert den Kaffee.
“Der ist noch genau richtig”, beruhigt sie Uli. “Und das Croissant auch”, sagt sie mit einem Augenzwinkern. “Du wolltest wohl wirklich sichergehen, dass ich nicht verhungere oder? Sogar was Gesundes hast du mir mitgebracht…”
“Na klar! Ich kenn’ dich ja, ich weiß dass du das gerne mal vergisst, das mit dem Essen.”
“Was hältst du denn davon, wenn wir heute Abend gemeinsam essen gehen? Irgendwo in die Stadt oder ins Umland, wo wir unsere Ruhe haben? So könntest du sicherstellen, dass ich auch genug esse. Danach könnten wir zurück hierher fahren und noch einen Absacker trinken, was meinst du?”
Das kommt unerwartet für Uli. Für einen - wirklich nur sehr kurzen - Moment ist sie verdutzt.
“Das klingt wunderbar, Eva”, antwortet sie dann mit einem strahlenden Lächeln, das aber nur einen Moment später erlischt. “Aber was ist, wenn uns jemand im Hotel zusammen sieht?”
“Wir können ja getrennt reinkommen in die Lobby und du kommst dann einfach durch den Personalflur zu mir nach oben. Dann fällt das niemandem auf.”
“Klingt nach einem guten Plan, Frau de Vries. Ganz die Managerin”, sagt Uli grinsend und mit einem Augenzwinkern. “Um wieviel Uhr wollen wir denn los?”
“Was hältst du von 18:30 Uhr? Bis dahin bin ich mit allem hier durch und habe sicherlich ziemlichen Hunger. Passt das für dich?”
“Das passt super - ich hab ja heute und das ganze Wochenende frei, daher bin ich vollkommen flexibel. Soll ich hierher kommen?”
“Nein, ich hole dich ab. Deine Adresse müsstest du mir allerdings noch verraten…”
“Mozartstraße 17, im ersten Stock. Mein Klingelschild ist das ohne Namen”, antwortet Uli. “Ich freu mich auf dich. Äh, auf den Abend. Also natürlich auch auf dich!”, fügt sie hektisch hinzu.
‘Was bin ich denn auf einmal so nervös?’, schimpft sie innerlich. ‘Wie so ein Teenager!’
Eva lacht. “Ich mich auch. Auf beides. Und so gerne ich dich jetzt noch eine Weile hier behalten würde: ich muss dich jetzt trotzdem leider rausschmeißen, in ein paar Minuten kommt mein nächster Termin. Jemand von der Stadt Schwerin. Hoffentlich ist der vernünftiger drauf als der Typ von vorhin.”
“Natürlich, klar, ich will dich auch gar nicht aufhalten”, sagt Uli schnell.
“Du hältst mich nicht auf, Uli. Ich will nur nicht, dass Herr Dr. Wegmann vom Rathaus gleich hier rein platzt und uns in dieser Situation sieht, sonst nichts”, sagt Eva leise. “Bis heute Abend.”
“Bis später!”, antwortet Uli und will schon die Türklinke nach unten drücken, als Eva sie an der Schulter fasst und umdreht.
“Oh nein, so einfach kommst du mir dann doch nicht davon!”, grinst Eva und zieht sie fest an sich, um ihr noch einen letzten leidenschaftlichen Kuss zu geben.
“Hmh”, seufzt Uli und löst sich nur sehr widerwillig aus Evas Armen. “Bevor du deinen Herrn Dr. Wegmann empfängst, solltest du…naja, deinen Lippenstift ein bisschen auffrischen”, feixt sie. “Sonst denkt der eventuell was ganz Komisches von dir…”
Und mit diesen Worten huscht sie auch schon aus der Tür, nicht ohne Eva ein letztes Mal zugezwinkert zu haben.
Eva lacht laut auf und schließt die Tür hinter ihr, bevor sie sich mit der Kaffeetasse in der Hand daran macht, ihren Laptop neu hochzufahren und den Lippenstift nachzuziehen. Sie muss sich jetzt wirklich zusammenreißen, wenn sie den Folgetermin nicht auch noch vergeigen will.
Sie hatte ja schließlich den Abend, auf den sie sich freuen konnte.
Einen ganzen Abend mit Uli. Alleine.
Mit der Aussicht auf ein freies Wochenende. Vielleicht gemeinsam mit ihr.