
Ein Schock für Mobius
Den nächsten Angriff konnte Loki abwehren. Er stiess den völlig überrumpelten Mobius hinter sich und parierte Sylvies Blitze. Diese war einigermassen überrascht, den Magier auf einmal vor sich zu sehen.
«Nicht schlecht!» sagte sie mit dieser unheimlichen, männlichen Stimme. «Du bist wirklich gut. Aber das wussten wir ja schon immer, nicht wahr?»
Wiederum fragte sich Loki fieberhaft, an wen ihn diese Stimme erinnerte. Aber es war wie verhext: er konnte die Erinnerung beim besten Willen nicht hervorholen.
Und es war im Moment auch ziemlich nebensächlich. Erst einmal musste er hier raus. Vorzugszweise lebend.
Er nahm Mobius Hand und wollte ein Portal öffnen. Doch Sylvie war schneller. Sie blockte es mit Magie ab und liess es in sich zusammenfallen. Loki erstarrte. So etwas konnten nur wenige, nur äusserst begabte Magier.
Aber er hatte auch noch einige Tricks auf Lager. Er machte sich wieder unsichtbar und schirmte Mobius weiter mit seinem Körper ab, während er gleichzeitig eine Illusion von sich entstehen liess, die sich in eine andere Richtung bewegte und scheinbar den weiteren Angriffen Sylvies auswich. Sie fiel auch tatsächlich darauf herein und verfolgte seine Illusion.
Wunderbar. Das gab Loki Zeit, ein neues Portal zu formen. Und obwohl das natürlich nicht unbemerkt blieb, schaffte er es diesmal ganz knapp, mit Mobius durchzuschlüpfen und zu entkommen.
Nur hatte er in der Eile absolut keine Zeit gehabt, darauf zu achten, wohin das Portal sie führen sollte.
Der Raum, in dem sie landeten, war gross. Sehr gross sogar. Eine Halle, um es genau zu sagen. Und noch bevor Mobius keuchend Luft holte, wusste Loki, wo sie gelandet waren.
Bei den Zeithütern!
Nun ja, einen Vorteil hatte das zumindest: hierher konnte ihm Sylvie nicht folgen. Ohne Einladung der Zeithüter kam hier niemand rein – ausser ihm, dem Schöpfer des Ganzen, natürlich.
«I… ich fa.. fass es nicht.» Mobius stammelnde Worte rissen Loki aus seinen Gedanken. «Wie haben sie das gemacht?»
«Was gemacht?» Loki bemühte sich um ein unschuldiges Gesicht.
«Na das!» erwiderte Mobius noch immer fassungslos. In seiner Verwirrung schien er gar nicht zu bemerken, dass sich die Zeithüter auffallend still verhielten. Lokis kleine Geste mit der Hand war ihm entgangen. «Wie konnten sie ohne ein TemPad mit mir teleportieren? Und dann noch hierher?»
Erst jetzt wagte er es, sich genauer im Raum umzusehen – und die Zeithüter, seine vermeintlichen Schöpfer, anzuschauen. Es dauerte einen ziemlich langen Moment, ehe er realisierte, dass hier etwas seltsam war.
«Was geht hier vor?» fragte er leise.
«Was meinen sie?» Lokis Stimme klang noch immer gespielt unschuldig.
«Die Zeithüter.» Mobius starrte den Mann an seiner Seite an, als sehe er ihn zum ersten Mal. «Sie bewegen sich nicht. Was haben sie mit ihnen gemacht?»
«Ich?» Loki konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen. «Sie denken also, ich bin in der Lage, ihre mächtigen Zeithüter zu kontrollieren?»
Mobius Blick glitt von Loki zu den drei grossen Wesen auf den Stühlen, die Thronen gleich in der Ferne über ihnen schwebten. Er wusste sichtlich nicht, was er antworten sollte.
Loki schmunzelte. «Sie haben Recht, das bin ich tatsächlich.» Er hob die Hand und löste die Zeithüter wieder aus der Starre, in die er sie versetzt hatte.
Mobius Blick glitt von ihm zu den Wesen, die er bislang als die mächtigsten im Universum angesehen hatte. «Wie..?»
«Eindringlinge!» rief einer der Zeithüter und unterbrach den TVA Mann damit. «Wie könnt ihr es wagen, unaufgefordert hier einzudringen?»
Mobius schien unter der harten Stimme zu schrumpfen. Loki hingegen zuckte nur die Schultern. «Ganz ruhig, ihr drei.» gab er zurück. «Da wir nun mal hier sind, hätte ich eine kleine Frage.»
«Eine Frage?» Das war der zweite Zeithüter. «Du wagst es, uns Fragen stellen zu wollen, Sterblicher?»
«Tja…» Loki grinste flüchtig. «Sieht so aus als ob ich genau das vorhätte. Also: wessen Idee war es, echte Menschen in diese Scheinwelt zu holen?»
Mobius erstarrte. «Wovon reden sie..?»
«Genau das wollten wir auch gerade fragen.» Der dritte Zeithüter neigte sich ein wenig nach vorn und musterte Loki scharf. «Wovon bei allen Wesen des Universums redest du, Sterblicher?»
Lokis Magie erkannte, dass die drei Gestalten vor ihm tatsächlich keine Ahnung hatten, wovon er sprach. Es hätte ihn auch überrascht, wenn er ehrlich war. «Naja, einen Versuch wars wert.»
«Was immer du mit deiner Frage beabsichtigst, Sterblicher…» Der erste Zeithüter stand auf und warf dem Asgardianer einen zornig funkelnden Blick zu, «es spielt keine Rolle. Du hast unerlaubt das Reich der heiligen Zeithüter betreten. Und niemand kann so etwas ungestraft tun.» Er hob seine Hand, in welcher er einen ähnlichen Stab hielt wie den, mit denen die TVA Mitarbeitenden Leute stutzten, und richtete ihn gegen Loki.
Dieser aber lachte nur und erwiderte: «Tut mir leid, dich über zwei Irrtümer aufklären zu müssen, aber….» Ein Blitz aus seiner Hand blockte den Strahl aus dem Stab des Zeithüters ab. «…erstens kann ich hier tun und lassen was ich will und zweitens bin ich kein Sterblicher.»
Die drei Wesen auf den Thronen keuchten. Nun hoben auch die anderen beiden ihre Stäbe und feuerten die Energie daraus auf die beiden Männer. Loki konnte zwar alle Angriffe abwehren, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis Mobius getroffen wurde. Es blieb ihm also keine andere Wahl als das Ganze zu beenden. Hier und jetzt.
Er hob beide Hände und drei Blitze fuhren daraus. Hell, grün und vernichtend. Es zischte kurz, dann rollten Köpfe.
Buchstäblich.
Mobius schrie auf und wich zurück, als die Köpfe der drei Zeithüter vor seine Füsse rollten. Und dann schrie er gleich nochmals auf als ihm etwas Wesentliches klar wurde: die Häupter der Wesen waren aus Metall und aus den Stümpfen an ihrem Hals ragten Kabel.
«Ups…» meinte Loki grinsend, «Überraschung!»
Mobius öffnete den Mund, schloss ihn wieder und öffnete ihn erneut. «Was um alles in der Welt…»
«Später.» Loki fasste den Mann an der Hand, sammelte seine Energie und öffnete ein neues Portal. «Wir müssen erst einmal weiter.»
«Die… Zeithüter.» stammelte Mobius. «Sie… sie waren…»
«Androiden.» Das Ganze hatte den Mann offenbar derart mitgenommen, dass er sich über das Portal schon gar nicht mehr wunderte.
«Und sie… haben das gewusst.»
Loki antwortete nicht sofort, da er sich diesmal genauer konzentrieren wollte. Schliesslich wollte er nicht aus Versehen Sylvie in die Arme laufen. Oder Richterin Renslayer oder sonst jemandem aus ihrer Truppe.
Ausserdem wusste er jetzt genau, wo er hin musste. Und was er an sich bringen musste, ehe Sylvie – oder das Ding in ihr – es in die Finger bekam.
«Haben sie mich deshalb zu ihnen gebracht?» fuhr Mobius fort. Seine Stimme klang zittrig. «Um mir zu zeigen, dass die Zeithüter nur… Maschinen sind?»
«Androiden.» korrigierte ihn Loki und zog ihn mit sich durch das Portal. Sie betraten einen neuen Raum, wesentlich kleiner als der, aus dem sie gekommen waren. Und fast genauso leer. Ausser ein paar Stühlen und einem kleinen Tisch stand nichts darin. «Und nein, dass wir bei ihren ach so heiligen Zeithütern gelandet sind war Zufall. Ich hatte sie einfach schnellstmöglich aus der Schusslinie bringen wollen.»
«Woher wussten sie, dass die.. Zeithüter Androiden sind?» Mobius Stimme schwankte noch immer.
Loki schien ihn nicht gehört zu haben. Seine Augen tasteten den Raum ab, als suchten sie nach etwas.
«Verstehe, sie wollen es mir nicht sagen.» Mobius raufte sich die Haare. «Aber…»
«Ich habe sie erschaffen.» unterbrach ihn Loki zerstreut. Er schaute sich noch immer konzentriert um. Das Siegel, es musste doch hier irgendwo sein!
«Sie haben was?»
«Sie erschaffen.» Loki seufzte leise und wandte sich zu Mobius um. «Ist ein Schock für sie, ich weiss. Aber da gibt es noch viel mehr, das sie schocken wird, also gewöhnen sie sich besser daran.»
«Sie haben… die Zeithüter erschaffen?» Mobius schien es wiederholen zu müssen, um sicher zu sein, dass er nicht nur geträumt hatte. «Sie?»
«Können wir dieses Gespräch auf ein anderes Mal verschieben?» fragte Loki leicht bissig zurück. «Ich versuche nämlich gerade, uns beiden den Hintern zu retten.» Oder, wenn's ganz schlimm kommt, sogar dem ganzen Universum – aber den Gedanken sprach er lieber nicht laut aus.
Er wollte sich abwenden, um sich genauer umzusehen, aber Mobius Hand hielt ihn am Arm fest. Der Mann schien seine letzten Worte gar nicht richtig wahrgenommen zu haben. Seine Gedanken drehten sich ganz offensichtlich nur um das, was er eben gehört hatte - und um das, was ihn schon seit einiger Zeit beschäftigte. «Sie haben die Zeithüter nach echten Menschen gefragt.» versetzte er leise. «Was haben sie damit gemeint? Hat es etwas mit dem zu tun, was C-20 sagte?»
«C-20?»
«Sie wissen doch: die Jägerin, die Sylvie entführt hatte. Sie hat dauernd gestammelt, dass es nicht echt ist.» Mobius holte tief Luft und fixierte Loki eindringlich und beinahe flehend. «Was hat sie damit gemeint? Was ist nicht echt? Die Zeithüter? Oder noch etwas anderes?»
«Mobius…»
Weiter kam er nicht. Vor ihnen öffnete sich ein Zeitportal und ehe Loki reagieren konnte, trat Sylvie hindurch. Der Magier war ehrlich überrascht. Verflixt, offenbar hatte sie jemandem ein TemPad entwenden können. Aber wie hatte sie ihn so schnell gefunden?
«Hier bist du!» sagte sie keuchend, zu ihm gewandt. «Hat mich ganz schön viel Kraft und Magie gekostet, dich aufzuspüren. Warum bist du einfach ohne mich abgehauen? Noch dazu mit ihm?»
«Wie bitte?» schappte Mobius, ehe Loki etwas sagen konnte. «Sie wollten mich töten.»
«Sie töten?» Slyive blinzelte verwirrt. «Wovon reden sie da?»
Mobius stiess ein bitteres Lachen aus. «Schon vergessen? Gerade eben, den kleinen Angriff auf mich?»
«Ich schwöre, ich habe nicht…»
Mobius konnte nicht anders, er lachte erneut auf. Es klang noch bitterer als vorhin. Aber Loki bedeutete ihm mit einer Geste, still zu sein. Er drang in Sylvies Bewusstsein ein und erkannte, dass die Wahrheit sagte: sie hatte tatsächlich keine Ahnung, was vorhin geschehen war.
«Was nun?» fragte Sylvie zu Loki gewandt. Sie hatte instinktiv erkannt, dass der Magier ihr glaubte und würdigte Mobius keines weiteren Blickes mehr. Was sie vorhin angeblich getan hatte, interessierte sie bereits nicht mehr. Es gab Wichtigeres als das Gefasel eines ihrer Meinung nach nur verwirrten TVA Angestellten. «Suchst du hier irgendwas?»
«Schlaues Mädchen.» gab Loki zurück und ignorierte das wütende Schnauben des Mannes an seiner Seite. Anders als Sylvie und er schien Mobius nicht gewillt, das, was passiert war, so einfach hinter sich zu lassen. Er wollte sichtlich etwas sagen, aber Loki kam ihm zuvor: «Ich suche tatsächlich etwas. Und ich müsste es eigentlich auch schon längst gefunden haben.»
«Was denn?»
«Loki, sie vertrauen ihr doch jetzt nicht etwa einfach?»
Das kam gleichzeitig. Loki seufzte und erwiderte, an Sylvie gewandt: «Lass mich nur machen. Wenn ihr beide einen Moment ruhig seid, finde ich es auch.» Und zu Mobius: «Ich erklär's ihnen später - aber ja, ich vertraue ihr. Für den Moment jedenfalls.»
Als beide erneut zu sprechen anhoben, zischte er: «Und jetzt seid still!»
Er schritt langsam im Raum auf und ab und dehnte seine Sinne aus. Das Siegel war unsichtbar und magisch so gut versteckt, dass nur er es finden konnte. Aber offenbar war er zu gut gewesen... Denn so sehr er sich auch anstrengte, er konnte seine Energie nicht wahrnehmen.
Das durfte doch nicht wahr sein! 'Konzentrier dich,' schalt er sich selbst und versuche es erneut.
Mit dem gleichen, frustrierenden Resultat.
«Loki...» Sylvies Stimme riss ihn aus seiner Konzentration. «Wenn du mir sagst, wonach du suchst, kann ich helfen.»
Loki wollte ihr gerade antworten, dass sie das Gesuchte niemals finden würde, als es geschah...
Hinter ihnen erklang ein leises Zischen und die Tür gleitete auf. Herein trat Richterin Renslayer. Sie war allein und starrte sie mit einem Ausdruck auf dem Gesicht an, den Mobius noch nie an ihr gesehen hatte.
Und sie hielt etwas in der Hand. Etwas kleines, rundes, silbrig-grün glitzerndes.
Als Loki es sah, keuchte er auf und wurde kreideweiss.
Das Siegel. Renslayer hatte das Siegel!
Und noch ehe er dazu kam, in irgendeiner Weise zu reagieren, sagte sie mit derselben unheimlichen Stimme, mit der Sylvie vorhin gesprochen hatte: «Endstation.»