
Instinkt
Das leere Waisenheim fühlte sich äußerst merkwürdig an, war aber auch praktisch.
Violet und Caitlyn nutzten die Chance und inspizierten die Zimmer. Bei den Mädchen herrschte ein leichtes Chaos und Violet notierte sich im Kopf, dass sie mehr Kleiderschränke benötigten. Einige mehr. Sie betrat das Badezimmer und verließ es umgehend wieder. Diese Kriegszone würde sie nicht unbewaffnet betreten können.
Caitlyn tauchte wie von Zauberhand in der Tür auf. „Auf einer Skala von 1 bis 10, wie dramatisch ist es?“ „12… vielleicht eine 14.“ Antwortete Violet und Caitlyn verzog das Gesicht. „Naja auf dem Gebiet Chaos. Sie haben bisher nichts zerstört, falls du das wissen willst. Ich war mir nicht bewusst, dass man 5 Glätteisen zeitgleich benötigt. Und so viel Make-up! Überall liegt etwas!“ Violet trat in diesem Augenblick auf einen einzelnen Schuh neben einem Bett und knickte fast schmerzhaft um „Shit“ Violet schaffte es gerade noch so sich aufzufangen, laut fluchend. Caitlyn blieb mit Sky auf dem Arm auf Sicherheitsabstand im Türrahmen stehen. „Du bist halt anders.“ Lächelte Caitlyn begnügt. Violet blieb abrupt stehen, weil sie etwas im Chaos entdeckte und hob mit zwei spitzen Fingern ein Stück Stoff hoch, auf Armlänge von sich weghaltend. „Oh wir müssen wohl noch einmal das Thema Hygiene ansprechen…“ bemerkte Caitlyn und verzog besorgt das Gesicht, während Violet das Spitzenhöschen in ihren Fingern weitertrug bis zu einem großen Stoffkorb, neben der Tür auf welchem groß ‚Schmutzige Wäsche‘ prangerte. Sie seufzte schwer, während sie das Stück Stoff in den Korb reinwarf. „Definitiv. Bevor die Läuse ausbrechen.“ Sie schauderte sich kurz dann nickte sie in die andere Richtung des Flurs. Beide Frauen gingen mit besonders schweren Schritten zum Zimmer der Jungs.
Violet öffnete die Tür und begann umgehend zu husten. Caitlyn lachte laut auf und Sky gluckste begeistert. „Boah öffnen die nie das Fenster!?“ kreischte die pinkhaarige und kämpfte sich keuchend bis zum Fenster vor. Sie öffnete jedes einzelne Fenster, das irgendwie erreichbar war. „Was stinkt hier so?!“ fragte sie entsetzt.
„Der Moschusduft der pubertierenden Männer. In der Umkleide der Enforcer herrscht auch dieser Geruch.“ Violet blickte entsetzt zu ihr rüber. „Wieso weißt du so etwas?“ fragte sie verwirrt und Caitlyn zuckte nur grinsend mit den Schultern. Violet fragte lieber nicht weiter nach und ließ ihren Blick durch den Raum gleiten. „Milo und Claggor haben nie so gestunken!“ argumentierte Violet schließlich und Caitlyn verdrehte die Augen. „Violet. Du hast mindestens so gestunken wie sie, du hast es nur nicht bemerkt. Ihr wart doch immer zusammen? Bedauere lieber Vander.“ Caitlyn sah sich den Lichtschalter neben der Eingangstür an, der lose an einem Kabel hing. Violet ließ das Thema erst einmal ruhen und wanderte zum Badezimmer rüber, fluchte laut und kehrte ins Schlafzimmer zurück. Caitlyn blickte zu ihr rüber mit hochgezogenen Augenbrauen. „Definitiv noch einmal über Hygiene sprechen. Und saubere Toiletten!“ sie wanderte zwischen den Betten zurück zum Eingang des Zimmers und stöhnte plötzlich laut. „Überall liegen Socken….“
„Lass die liegen Violet!“ Ermahnte Caitlyn streng und verließ das Zimmer. Violet folgte ihr verwirrt. Sie wollte nachfragen, doch Caitlyn winkte ab als wolle sie nicht weiter das Thema vertiefen.
Allmählich kehrten die Kinder aus der Schule zurück und warfen am Eingang sofort Schulranzen, Jacken und Schuhe ab. „Ordnung“ ermahnte Violet. „Sonst fällt jemand und bricht sich einen Fuß!“ warnte sie, an den einsamen Schuh von vorhin zurückerinnernd. Die Kinder mussten manchmal ermahnt werden, waren jedoch immer brav. Die jüngeren begrüßten Violet und Caitlyn mit Umarmungen, während die Älteren nur verbal begrüßten und winkten. Vivien nickte nur kurz während Iris, wie gewohnt, an ihnen vorbei ging. Violet hatte verstanden, dass es nichts mit fehlendem Respekt zu tun hatte. Für Iris waren wiederholende menschliche Zwischenaktionen wie Begrüßungen oder Danksagungen, schlichtweg eine Energieverschwendung.
Caitlyn hatte eines der leeren Zimmer mit einigen Schreibtischen ausgestattet, damit die Kinder dort ihre Hausaufgaben machen konnten. Violet war anfangs sehr besorgt, dass sie den Kindern nicht helfen könnte. Stellte sich heraus, dass niemand Hilfe benötigte. Die Kinder waren äußerst schlau und schafften es sich gegenseitig zu helfen. Violet schwebte nun täglich in dem Zimmer herum und sog jegliche Infos, die die Kinder ihr erzählten von ihrem Schultag und den gelernten Fächern wie ein Schwamm auf.
Caitlyn fragte Violet einmal nachts in der vertrauten Zweisamkeit, ob Violet gerne zur Schule gehen würde und Violet verneinte recht heftig. Ihr Verdacht, dass die pinkhaarige die Kinder jedoch etwas beneidete, sah Caitlyn täglich in ihren Augen aufblitzen.
Lee und Myra, die beiden 9 Jährigen die sich in der gleichen Klasse befanden, nahmen sich am meisten Violets Neugierde an. Jeden Tag setzten sich links und rechts von Violets Seite in die Ecke des Zimmers auf einige Decken und Kopfkissen, drückten Violet eines ihrer Schulbücher in die Hand und erklärten ihr ausführlich, sich dabei abwechselnd wie Zwillinge, was sie an dem heutigen Tag lernten. Violet liebte diese Augenblicke. Sie hatte diese Ecke zum ‚Rumlungern‘ nur deshalb eingerichtet. Caitlyn wärmte es das Herz, dass jeder versuchte sein neuerlerntes Wissen mit Violet zu teilen, abgesehen von den zwei Ältesten Mädchen.
Das erste Mal hatte Vivien nur bemerkt „Zumindest besitzt sie Straßen Schläue.“ Ihre Stimme triefte nur so von Sarkasmus und Caitlyn, die diese Bemerkung gehört hatte, strafte Vivien mit einem besonders großen Löffel voll Broccoli auf ihrem Teller gemeinsam mit einem ‚ich habe dich vorhin gehört ‘-Blick. Iris lachte Vivien nur leise aus.
Alle saßen beisammen zu Mittag am Esstisch und teilten sich aufgeregt untereinander aus. Violet verteilte auf jedem Teller einen großen Löffel voll blanke Nudeln. Ein Phänomen, welches alle Kinder unter diesem Dach teilten, war, dass einfach Jeder blanke Nudeln liebte. Violet konnte diese Liebe nachvollziehen und häufte sich ebenfalls einen Löffel voll Penne auf ihren Teller. Ihre Liebe kennend, gab sie Caitlyn nur einen halben Löffel voll auf ihren Teller. Caitlyn ihrerseits verteilte das nicht so beliebte Gemüse. Sie versuchte den Kindern klarzumachen wie wichtig Gemüse sei, eine Ansicht die Violet nicht teilte und somit immer verweigerte das Gemüse zu verteilen, mit der Erklärung ‚Ich kann die Kinder nicht zu etwas zwingen, hinter welchem ich selbst nicht stehen kann.‘ Violet trug diese Erklärung mit sehr ernster Miene vor, gepaart mit einem frechen Grinsen und erntete eine liebevolle Kopfnuss mit einem Holzlöffel von Caitlyn. Damit Caitlyn nicht ausschließlich Minus-Punkte ernten musste, durfte sie nach dem Essen die Desserts und Süßigkeiten verteilen.
Caitlyn häufte sich einen großen Löffel Brokkoli auf ihren Teller und betrachtete Violet einmal kurz, Löffel und Topf in der Hand. Violet setzte sich hastig hin, zog sich ihren Teller etwas näher an die Brust und versuchte Caitlyn und das grüne Gemüse vehement zu ignorieren. Caitlyn seufzte und stellte den noch halbvollen Topf schließlich weg. Sie setzte sich neben Violet und seufzte erneut „Du bist ein riesen Kind. Erwachsene sollen das gute Vorbild für Kinder sein.“ Violet grinste Caitlyn an, während sie sich einen überfüllte Gabel Nudeln in den Mund stopfte, und mit vollem Mund antwortete: „Dann leg los! Iss brav dein Gemüse und zeige ihnen wie lecker dir es schmeckt.“ Caitlyn schüttelte den Kopf und aß, mit weitaus größeren Tischmanieren, ihr Gemüse.
Alle Zaun geborenen waren, wie üblich, die ersten die ihre Teller aufgegessen hatten. Caitlyn aß gemütlich, bis ihr Sättigungsgefühl einsetzte. Sie schob den Teller schließlich leicht von ihr weg und blickte auf die Uhr in der Küche bevor sie zu Iris rüber blickte. „Wir sollten uns fertig machen Iris.“ Sie hatten ihre erste Schiessstunde.
Leider führte Caitlyns unschuldige Anmerkung zu einem Ausbruch von Neugierde. Während Violet begann Teller einzusammeln, überschlugen sich die Fragen in Caitlyns und Iris Richtung. Iris schrumpfte leicht in sich zusammen von der ganzen Aufmerksamkeit. Violet stellte sich zwischen Iris und der Kinder, gab Iris dabei bewusst einen Stupser mit ihrer Hüfte. „Es reicht jetzt mit eurem Löchern die arme Iris ist ja schon ein Käse!“ Die kleineren Kinder kicherten sofort los, die älteren gaben jedoch nicht so schnell auf. Violet blieb feststehen, schmutzige Teller in den Armen,
„Iris hilft Caitlyn bei Papierkram!“ Die Kinder wurden still vor Enttäuschung. Jemand rief gequält „Langweilig!!“ und das gesamte Thema war wie vergessen. Caitlyn warf Violet einen verwirrten Blick zu, erreichte ihr Gesicht jedoch nicht da diese bereits den Tisch umrundete um die Teller wegzuräumen. Caitlyn wechselte daraufhin kurz einen Blick mit Iris, welche die Schultern hob. Auch Vivien war verwirrt und fixierte Violets Schultern. Niemand interessierte sich für das Thema und Caitlyn hob sich. „Wir gehen dann los, die Akten organisieren sich schließlich nicht von selbst.“ Vivien flüsterte Iris ein ‚Viel Spass.‘ zu, während Violet laut rief „Bis nachher!“ und den Beiden winkte. Sie lächelte Caitlyn an, wand sich jedoch sofort wieder ab.
„Wieso hat sie gelogen?“ fragte Iris verwirrt als sie die Eingangstür vom Waisenheim hinter sich schlossen. „Ich habe keine Ahnung, aber ich frage heute Abend nach.“ Caitlyn redete unterwegs nicht weiter, zu vertieft waren ihre Gedanken. „Caitlyn?“ fragte Iris plötzlich und die Genannte blickte zu ihr rüber. Iris blieb stehen und zwang auch so Caitlyn dazu stehen zu bleiben. „Hat sie etwas dagegen? Wenn ja, gehen wir zurück.“
Caitlyn öffnete ihren Mund und schloss ihn wieder. Sie dachte kurz nach. Violet hatte kein einziges Anzeichen gezeigt, dass sie nicht damit einverstanden wäre, dass Iris mit Caitlyn zum Schießstand geht. „Nein. Mit keinem einzigen Wort hat sie sich negativ zu der Idee geäußert. Iris, vergiss Violets Reaktion. Womöglich wollte sie uns einfach keinen Ärger machen, damit wir den Tag zu zweit für uns haben. Ich kläre das mit ihr okay? Heute geht es um dich!“ Caitlyn versuchte zu lächeln, war aber mindestens so unsicher wie Iris. Iris nickte kurz und Beide setzten sich erneut in Bewegung.
Der Marsch zur Kiramman Villa war kurz und Iris Augen wurden grösser je näher sie dem Gebäude kamen. Caitlyn und auch Violet behielten ihr Privatleben größtenteils für sich, somit auch wo und wie sie wohnen. Caitlyn konnte das Gewehr jedoch nicht einfach so ins Waisenheim mitnehmen also entschied sie sich kurzerhand dann lieber Iris zur Waffe zu bringen. „Whoaaa“ staunte Iris mit offenem Mund als sie im Eingangsbereich zum abrupten Halt kam. „Hier wohnt ihr!?“ ihre Stimme klang eine Oktave höher als normal. Caitlyn lachte. „Das ist die Kiramman Villa, von Generation zu Generation weiter gereicht.“ Erklärte sie und Iris blieb an gigantischen Porträts hängen. „Sind das deine Vorfahren?“ Caitlyn nickte, „ja. Meine Ur-Großmutter kam von Ionia. Meine Oma zog nach Piltover und baute hier die Dynastie auf. Und das ist meine Mutter.“ Caitlyn zeigte auf das letzte Porträt in der Reihe. Das Gesicht ihrer Mutter zu sehen, schmerzte sie immer noch. Sie brach den Augenkontakt schnell ab. „Und du hast kein Porträt?“ fragte Iris überrascht und blickte zu Caitlyn. Diese verzog gequält das Gesicht. „Ich weiß nicht, ob ich diese Tradition weiterführen will…“ Iris blickte sich erneut um und drehte sich dabei um ihre Achse. „Sonst gibt es keine Bilder?“ fragte sie überrascht und Caitlyn war kurz ratlos. „Wir hatten überall Fotos… von Mama und ihrer Mama.“ Erklärte Iris kurz und Caitlyn nickte und blickte sich in dem großen Raum um. Sie hatte Recht. Ihre Mutter führte immer einen sehr sauberen und übersichtlichen Haushalt. Eine Vase auf einem Tisch, mehr benötigte man nicht, sagte sie immer. Fotos suchte man bei den Kirammans noch immer vergebens. „Gibt es keine Fotos von dir und Violet?“ fragte Iris schließlich und es machte etwas mit Caitlyn. Ihre Brust wurde eng und ihr Kopf drehte. „Ich…“ murmelte Caitlyn, was Iris nicht hörte weshalb sie weitersprach, den Rücken zu Caitlyn gedreht. „Man würde nicht glauben, dass Violet hier auch wohnt.“ Caitlyn schluckte schwer. Sie sah sich um und Iris hatte Recht. Violet hat nie irgendetwas in diesem Haus angefasst oder gar Möbel verrückt. Sie hat sich in ihr Umfeld nahtlos eingefügt, ohne dieses zu beeinflussen. „Sie hat es nicht so mit Innenarchitektur.“ Erklärte Caitlyn kurz. „Warte hier, ich hol die Gewehre.“ Caitlyn musste umgehend aus diesem Raum und dieser Diskussion. Sie eilte in ihr Arbeitszimmer und schlug die Tür dabei etwas zu laut zu. „Shit.“ Irgendwo in den tiefen des Hauses begann ein Kind zu schreien. Der einzige Beweis, dass Violet existiert, war Sky.
Caitlyn wollte sich an die Tür lehnen, entschied sich jedoch dagegen. Sie sollte jetzt nicht in diesen negativen Gedanken versinken. Aus einem edlen Mahagoni-Holz Schrank entnahm sie ein ungeladenes Gewehr und steckte sich die dazugehörigen Kugeln in die eigene Tasche. Als sie das Arbeitszimmer verließ, saß Iris im Eingangsbereich, gemeinsam mit der Nanny. Sie hatte Sky auf dem Arm und Caitlyn zuckte kurz zusammen. Gedanken von Panik und Unsicherheit tummelten sich plötzlich in ihrem Kopf. ‚Fass sie nicht an!‘ schrie ihr Instinkt. Sie wollte Iris die kleine Sky aus den Armen reißen. Reiss dich zusammen, ermahnte sie sich und schritt schnellen Schrittes zur Gruppe. Sie lehnte das Gewehr gegen einen Beistelltisch und versuchte Iris das Kind zu entnehmen, ohne dass es zu streng wirkte. „Hallo meine Süße!“ flötete sie und Sky gluckste aufgeregt, während Caitlyn die Kleine hochhielt, fest unter den Achseln gehalten und sie über ihrem Kopf schweben ließ. Sky liebte es wenn Violet das tat. Caitlyn wandte sich von Iris ab und reichte das Kind zurück zur Nanny und gab ihr den wütendsten Blick, den sie aufbringen konnte und die Nanny verblasste. Gut, sie hatte die Nachricht verstanden. „Wir müssen los, komm!“ befahl Caitlyn und griff nach dem Gewehr, nicht zu Iris blickend.
Caitlyn öffnete die Eingangstür und hielt sie groß geöffnet und Iris beeilte sich die Villa schnell zu verlassen. Caitlyn schloss die Tür hinter sich und klemmte sich das Gewehr an die Seite. Sie hätte die Trageschlaufe befestigen sollen, zurückkehren wollte sie jedoch nicht mehr. Iris schwieg bis Caitlyn schließlich sagte. „Ich habe mich umentschieden; wir gehen in den Wald.“ Iris blinzelte sie überrascht an, argumentierte aber nicht.
Caitlyn erklärte ihr kurz die Basis des Jagens und Iris hörte zu, mied es jedoch zu sprechen. Caitlyn hatte den Verdacht, dass Iris ihre Reaktion wegen Sky wohl bemerkt hatte. Irgendwo war es Caitlyn auch egal. Sollte das Mädchen denken, was sie will. Caitlyn spürte eine gewissen Ungeduld in den Knochen, die sie heute Morgen noch nicht gespürt hatte. Vielleicht wird Violet enttäuscht sein, wenn sie von Caitlyns Benehmen hört.
Während sie zusah wie Iris versuchte durch den Lauf des Gewehrs eine leere Dose anzuvisieren, dachte Caitlyn zurück an Sky. Wie hätte Violet reagiert? Wo zieht sie die Linie? Hätte Violet es lächelnd erlaubt oder hätte sie wie Caitlyn reagiert? Hatte sie möglicherweise überreagiert? Ein Schuss hallte durch den leeren Wald und Iris keuchte. Caitlyn verkniff sich ein Grinsen. „Achte auf den Rückschlag.“ Bemerkte sie nur kurz und Iris warf ihr einen kurzen Blick zu der deutlich sagte ‚hättest du mich nicht vorher warnen können?‘. „Nochmal. Diesmal ordentlich anvisieren.“ Befahl sie und Iris brummte genervt. Sie versuchte es erneut, schoss jedoch erneut daneben. „Du atmest zu aufgeregt.“ Caitlyn nahm ihr das Gewehr ab und zeigte Iris Atemübungen. Nach einer Weile schien Iris ruhiger zu werden, während Caitlyn das Gewehr nachlud. „Du siehst ganz gefährlich aus, wenn du nachlädst. Deine… Gestik wirkt als könntest du das im Schlaf machen…“ flüsterte Iris und Caitlyn hob den Blick, sah ihr direkt ins Gesicht, während sie fertig lud, den Lauf des Gewehres fest zuschlugt, entsicherte und das Gewehr Iris zurückreichte in einer fließenden, schnellen Bewegung. „Ich kann das blind. Los nochmal.“ Grinste Caitlyn als Antwort und Iris hastete schnell zurück in Position. Gut. Deshalb waren sie im Wald. Sie wollte dem Kind Respekt vor ihr beibringen.
Nach einigen weiteren Belehrungen und Schüssen, traf Iris den Teil des Baumstammes, direkt unter der Dose. „Jaaa endlich!!“ keuchte sie begeistert. Caitlyn nickte zufrieden. „Du kommst der Sache näher.“ Sie nahm Iris das Gewehr ab und lud gerade nach, als ein Knacken ertönte. Caitlyn hatte im nächsten Augenblick bereits das Gewehr entsichert und in die Richtung des Knackens gehalten, ein Schritt nach rechts getan, und sich vor Iris aufgebaut. Einige Meter weiter weg stand ein gigantisches Wesen. Caitlyn fixierte den Bären und Iris fluchte leise. In einer kurzen Geste nach links, schoss Caitlyn in den Baumstamm direkt neben dem Bären, zog das Gewehr jedoch sofort wieder auf den Bären. Dieser war jedoch so vom plötzlichen Knall neben seinem Kopf erschrocken, dass er hastig das Weite suchte. Erst als er aus der Sicht verschwand, ließ Caitlyn das Gewehr langsam sinken. „Der Nachteil vom Wald sind wilde Tiere. Eigentlich haben sie Angst vor den Schüssen und kommen nicht näher. Dieser Bär muss sehr neugierig gewesen sein.“ Sie blickte zu Iris hinüber und das Mädchen wirkte nicht begeistert. „Willst du weitermachen oder nach Hause?“ Iris war unsicher bevor sie meinte „weitermachen. Er ist ja jetzt weg.“ Sie begaben sich beide wieder in Position, Caitlyn stellte sich etwas weiter hinter Iris um heimlich den Wald besser beobachten zu können. Es würde sich nicht noch einmal ein Bär so nahe an sie ranschleichen können!
Die nächsten Schüsse gingen jedoch so weit daneben, dass Iris irgendwann seufzte und aufgab. „Können wir zurück? Ich denke nicht, dass ich noch irgendwas hinkriege nach der Fast-Bären-Attacke…“ Caitlyn nickte. Sie hatte bereits beim Ersten Schuss bemerkt, dass Iris sich nicht mehr konzentrieren konnte, wollte dem Mädchen trotzdem eine Chance geben. Sie nahm Iris das Gewehr ab und sicherte es. Sie würde die Kugeln erst entladen, wenn sie den Wald verlassen. Als sie sich in Bewegung setzten, betrachtete Iris sie kurz verblüfft, schwieg jedoch. Caitlyn marschierte hinter ihr, das Gewehr so angelehnt, dass sie es schnell heben könnte um zu schießen im Notfall und Iris schien dies zu bemerken. „Man merkt, dass du Enforcer warst.“ Murmelte sie irgendwann und Caitlyn brummte nur zu stimmig, während sie die tiefen des Waldes im Auge behielt. „Du eskortierst mich richtig.“ Versuchte Iris es erneut, doch Caitlyn konzentrierte sich lieber auf die Geräusche des Waldes als platonisches Geschwätz. Iris schwieg.
Sie erreichten die Lichtung und Caitlyn sicherte das Gewehr und entnahm die Kugeln, während sie den Wald verließen. „Caitlyn.“ Bemerkte Iris, während Caitlyn ihr den Rücken gedreht hatte. „Du bist wütend.“ Bemerkte sie und Caitlyn atmete tief durch. „Ja.“ Antwortete sie kurz. „Wegen meiner Bemerkung oder weil ich dein Kind hielt?“ hakte Iris nach und Caitlyn spürte die Wut hochbrodeln. Verdammtes Kind mit seinen verdammten Beobachtungen. Sie setzte sich in Bewegung und hoffte das Thema tot zu schweigen.
„Ihr seid witzig ihr Zwei.“ Iris klang nun gereizt, während sie Caitlyn folgte. „Violet hat nichts zur Einrichtung der Villa beizutragen, weiß vermutlich nicht, ob du es gutheißen würdest und du, du weißt nicht, ob Violet es gutheißen würde, wenn jemand ihr Kind hält.“
Verdammtes Genie. „Es ist unsere Wohnung und unser Kind.“ Caitlyn betonte das jeweilige ‚unser‘ besonders fest. Iris zischte durch die Zähne „Klar. Und wir? Wem gehören wir?“
Caitlyn blieb abrupt stehen. Sie drehte sich zu Iris und fixierte sie. „Was?“
„Wir. Die Waisen. Wem von euch Beiden gehören wir? Die die bei uns ist, oder dem Namen über der Tür?“
Caitlyn unterdrückte ein genervtes Knurren, fauche jedoch: „Wieso bist du jetzt genervt? Ich habe meinen Nachmittag vergeudet und durfte dich vor einem Bären beschützen!“
Iris plusterte sich kurz auf, lief rot an als würde sie explodieren vor Wut und stürmt an Caitlyn vorbei. Sie nahm dabei besonders weit aus um sicher zu stellen, dass sie dabei Caitlyn einmal ordentlich in die Schulter rippte. Caitlyn unterdrückte jeden Drang zu einer Reaktion und ließ das Mädchen davon stürmen. Sie hätte nicht sagen sollen, dass der Tag vergeudet, war. „Scheisse…“ fluchte Caitlyn und die Wut wich ihr aus den Knochen.
Das Mädchen war weg. Caitlyn machte sich langsam auf den Weg zurück. Sie wollte das Gewehr zuerst nach Hause bringen, entschied sich jedoch um und ging geradewegs zum Waisenheim. Sie musste sicherstellen, dass Iris zu Hause war. Als Violet mit besorgter Miene sie im Eingang abfing, wusste sie sofort, dass Iris zuhause war. „Was ist passiert?“ zischte Violet besorgt und Caitlyn seufzte. Dann fiel Violets Blick auf das Gewehr. „Du hast es mitgebracht?“ ihr leises zischen klang gestresst. Caitlyn hob ihre Augenbrauen. „Es ist leer und gesichert?“ „Ich will keine Waffen um die Kinder!“ ermahnte Violet mit strenger Stimme und Caitlyn verstand nun ihre Reaktion beim Essen. „Seit wann hast du etwas gegen mein Gewehr?“ fragte Caitlyn verblüfft und Violet schüttelte leicht den Kopf. „Ich habe nichts gegen das Gewehr, es ist nur… ich will nicht, dass die kleineren in Kontakt kommen. Die von Piltover verbinden es mit Leid und die aus Zaun mit Gewalt. Verstehst du?“ fragte Violet leise und Caitlyn nickte leicht. Violet streichelte ihr über die Wange und ihre Hand war wundervoll warm an ihrer kalten Haut der frischen Waldluft. „Geh nach Hause. Ich kümmere mich um Iris.“ Caitlyn nickte und zog sich zurück.
Auf dem Weg zurück, rasten die Gedanken in Caitlyns Kopf. Sie hatte nie in dem Gewehr Leid und Gewalt gesehen. Als Kiramman wurde ihr der Jagdsport in die Wiege gelegt. Sie wuchs mit Gewehren auf. Sie waren Tradition und zeugten von Status. Als sie Enforcer wurde, waren die Gewehre ihr größter Stolz. Ihr Lieblingsgewehr verlor sie im Tausch für Violets Leben!
Caitlyn betrat wie in Trance die Villa, verstaute das Gewehr, grüßte die Nanny und verschwand in ihrem Schlafzimmer. Sie betrachtete die Dekorationen im Flur, die Vorhänge in ihrem Schlafzimmer. Seit dem Tod ihrer Mutter, hatte sich in dieser Villa nur eines geändert; die Blumen in den Vasen. Kein Tisch wurde verschoben, keine Vorhänge ausgewechselt. Wütend zog sich Caitlyn aus und schritt ins Badezimmer, die schmutzige Wäscher ließ sie dabei auf dem Boden liegen und hinterließ so einen Weg bis zur Dusche. Sie stellte das Wasser auf besonders heiß. Das Brennen auf ihrer Haut dämpfte die Wut kaum. Sie dachte immer wieder an Iris Worte zurück. Alle ihre Worte. Sie verzerrten sich in ihren Erinnerungen.
Violet war die Inneneinrichtung egal. Sie hatte noch nie etwas bemängelt. Sie fügte sich in Caitlyns Leben ein wie das letzte Puzzlestück, welches ein Bild komplett machte. Wieso trafen diese Worte also so tief? Wie konnte sie es wagen ohne Erlaubnis Sky anzufassen. Sie würde mit der Nanny schimpfen müssen. Nein, sie würde sie entlassen! Sie kann nicht einfach fremden Menschen ihre Tochter in die Arme drücken! Das Mädchen hätte ein Einbrecher sein können, denn die Nanny sah Caitlyn doch gar nicht das Haus betreten! Sie konnte dieses Benehmen unmöglich dulden! Caitlyn rieb sich durch das Gesicht und knirschte vor Wut und Frust mit den Zähnen.