
Der Haferbrei
Wäre ich nicht so perplex über sein plötzliches Auftauchen, müsste ich fast lachen über die Situation. Ich sitze da in meinem Krankenbett, den Löffel haltend, auf dem mein wohlverdientes Frühstück liegt – süßer Haferbrei mit einem Hauch von Zimt und frischen Früchten. Doch ich bin zu schwach, um ihn auch nur zum Mund zu führen. Meine Hand zittert bereits vom Versuch. Severus steht neben mir, sein Gesicht wie gemeißelt, keine Emotion zu erkennen, vollkommen im Lehrermodus.
Und dann Harry – Harry, der mich mit diesem intensiven, aufmerksamen Blick ansieht, der sich immer so direkt anfühlt, als könnte er meine Gedanken lesen. Doch anstatt mich weiter zu mustern, wandert sein klarer, grüner Blick zu Severus.
Nein, verdammt, schau mich an! Wie lange haben wir uns jetzt nicht gesehen? Vier Tage? Oder doch fünf? Scheiße, selbst das weiß ich nicht mehr. Zeit verschwimmt hier im Krankenflügel. Und jetzt schaut er einfach weg. Verdammtes Arschloch.
Ach, verdammt, Draco, reiß dich zusammen. Es ist ja nicht so, dass ich irgendeinen Anspruch auf ihn habe. Ich habe keinen Grund, wütend zu sein, oder? Doch diese Gedanken nagen an mir.
Harrys Stimme reißt mich aus meinen wirren Überlegungen: „Professor, Sie haben nach mir gerufen?“ Seine Stimme klingt überrascht, fast misstrauisch, und ein wenig heiser, als hätte er heute schon viel gesprochen oder vielleicht zu wenig geschlafen.
Warte, was?! Was hat das denn jetzt mit Severus zu tun? Severus, was hast du gemacht? Kann mich irgendjemand bitte aufklären, warum Harry hier ist? Ich meine, ich will ihn sehen, das will ich wirklich, aber doch nicht in diesem Zustand, in dem ich noch nicht mal einen blöden Löffel ein paar Zentimeter anheben kann. Ich schaue Severus angespannt und fragend an, aber er ignoriert mich mit der typischen, steinernen Miene.
Stattdessen wendet er sich Harry zu und erklärt kühl: „Mister Potter, da Sie heute Morgen in meinem Unterricht es für sinnvoll hielten zu schlafen, dachte ich, Sie könnten genauso gut Mister Malfoy Gesellschaft leisten.“
Mir klappt der Mund zum zweiten Mal innerhalb von fünf Minuten auf. Wieso? In meinem Kopf tauchen Dutzende Fragezeichen auf, wild durcheinander. Wieso ist Harry im Unterricht eingeschlafen? Ich weiß, er mag Tränke – zumindest theoretisch – auch wenn seine praktische Ausführung oft zu wünschen übrig lässt. Aber das liegt nicht unbedingt an ihm. Severus ist, ehrlich gesagt, ein beschissener Lehrer für die Gryffindors. Er ist parteiisch und ungerecht. Er bewertet sie strenger und macht sie vor der Klasse runter.
Warum gibt ihm Severus jetzt so eine „Strafe“? Das passt doch nicht zusammen. Wir versuchen doch, den Schein als Erzfeinde zu wahren. Aber Sev ist ein verdammter Doppelspion, einer der cleversten Menschen, die ich kenne. Der müsste unsere Scharade doch längst durchschaut haben. Also was soll das?
Harry klingt genauso irritiert wie ich: „Aber Professor, ich habe Unterricht und …“ beginnt er zu protestieren, aber Severus unterbricht ihn mit dieser leisen, gefährlichen Stimme, die keine Widerworte duldet: „Ich habe Professor McGonagall schon Bescheid gesagt. Sie hat Sie für den Tag vom Unterricht befreit. Machen Sie sich also keine Sorgen.“
Ein Funken Schalk blitzt in Severus’ Augen auf, als er sich noch einmal zu mir dreht. „Ich wünsche Ihnen noch gute Besserung, Mister Malfoy. Mister Potter kann Ihnen ja helfen beim Essen.“ Seine Stimme klingt fast beiläufig, aber das winzige, kaum erkennbare Grinsen, das über sein Gesicht huscht, verrät ihn.
Bevor ich reagieren kann, rauscht er aus dem Raum, seinen Umhang dramatisch hinter sich herziehend wie eine verdammte Fledermaus. Ich starre ihm ungläubig nach. Das hat er gerade nicht wirklich gesagt. Aber das Grinsen auf Harrys Gesicht bestätigt mir meine Befürchtung.
Nein, nein, nein! Scheiße! Jetzt komme ich mir ja noch mehr wie ein kleines Kind vor, das nicht mal alleine essen kann. Wie soll ich ihn dann für mich gewinnen? Warte, was? Ihn für mich gewinnen? Seit wann steht das bitte zur Debatte?
Kann ich nicht einfach wieder ins Koma fallen? Bitte.
„Du brauchst Hilfe beim Essen?“ fragt Harry plötzlich. Seine Stimme klingt warm, fast sanft, aber auch neugierig. Oh, scheiße! „Ehm…“ krächze ich und spüre, wie meine Kehle trocken wird. Ich räuspere mich, um meine Stimme zu klären, und versuche es erneut.
„Ja, mein Körper findet wohl, dass ich auf Diät sein sollte.“ Mein Versuch, einen Witz zu machen, klingt kläglich, aber Harry lacht trotzdem leicht.
Mir läuft ein Schauder über den Rücken. Sein Lachen sollte verboten werden. Es ist rau und tief und einfach verdammt sexy. Bei Merlin, was denke ich da? Sexy, er, sein Lachen, nein! Ich meine ja! Ach, egal!
Er kommt auf mich zu und setzt sich auf den Stuhl, auf dem Severus vorher saß. Er wirkt so ruhig, so gelassen. Ich spüre, wie mein Puls schneller wird, obwohl ich mich zu beherrschen versuche. „Soll ich dir helfen? Beim Essen, meine ich?“ fragt er aufmerksam und deutet auf den Löffel in meiner zitternden Hand. Seine grünen Augen ruhen auf mir, wachsam, geduldig.
Mist, was sage ich jetzt? Ich schaue auf meine Hand hinunter, die immer noch den Löffel hält, aber deutlich macht, dass ich es alleine nicht schaffen werde. Ich könnte es versuchen, aber wenn es schiefgeht, habe ich den Haferbrei auf meinem T-Shirt. Das wäre peinlich – so richtig peinlich. Also gebe ich nach:
„Ja, bitte, wenn es dir nichts ausmacht!“ Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. Ich schaue verlegen zur Decke und spüre, wie mein Gesicht heiß wird. Das ist oberpeinlich. Jetzt wird er mir den Löffel aus der Hand nehmen und mich wie ein Kleinkind füttern, denke ich. Aber stattdessen spüre ich seine warme, kräftige Hand auf meiner.
Er hilft mir sanft, meinen Arm anzuheben, sodass ich den Löffel selbst zu meinem Mund führen kann. Die Wärme seiner Hand scheint durch meine Haut zu brennen, und ich muss mich zwingen, ihn nicht anzustarren. Ich öffne meinen Mund und koste endlich meinen süßen, zimtig-fruchtigen Brei.
Ich seufze leicht, als der Geschmack auf meiner Zunge explodiert. Ich liebe Severus’ Haferbrei. Er ist perfekt – cremig, süß, mit genau der richtigen Menge Zimt. Ich schließe für einen Moment die Augen, genieße den Moment.
Harry lächelt mich an. „Gut?“ fragt er und deutet mit einem sanften Nicken auf die Schüssel, die noch fast voll ist.
„Unglaublich,“ antworte ich schwärmerisch und bin selbst überrascht, wie ehrlich meine Stimme klingt. Er nickt, sein Lächeln wird etwas breiter, und er führt meine Hand wieder in die Schüssel, sodass der Löffel sich erneut mit Brei füllt.
So geht das noch eine Weile weiter. Immer wieder hebt er meine Hand vorsichtig an, lässt mir aber die Kontrolle, sodass ich das Gefühl habe, es selbst zu schaffen. Als mein Magen irgendwann voll ist, werfe ich einen Blick auf die Schüssel. Es ist noch mehr als die Hälfte übrig, und Enttäuschung macht sich breit.
„Willst du den Rest? Ich kann nicht mehr,“ frage ich ihn schließlich und lehne mich in die Kissen zurück, erschöpft, aber auch ein wenig erleichtert.
„Es ist dein Brei. Du kannst ja nachher noch was davon essen,“ schlägt er vor, als wäre das die offensichtlichste Lösung der Welt.
„Du hast noch nie Haferbrei gegessen, oder?“ frage ich mit einem kleinen Lächeln, das ich mir nicht verkneifen kann.
Er schaut mich verwirrt an: „Doch, natürlich habe ich schon mal Haferbrei gegessen,“ antwortet er und sieht mich fragend an. Ich muss lachen – na ja, es hört sich eher wie ein krächzendes Etwas an.
„Dann war es aber kein guter. Richtigen, guten Haferbrei muss man warm oder, noch besser, heiß essen, sonst schmeckt er nur nach Pappe,“ erkläre ich mit einem schwachen Lächeln.
Er zuckt mit den Schultern und nimmt mir den Löffel aus der Hand. Ohne viel zu zögern taucht er ihn in den Brei und führt den vollen Löffel zu seinem Mund. Ich beobachte ihn neugierig. Während er den Löffel Brei isst, verwandelt sich sein Gesichtsausdruck von belustigt zu überrascht, und dann stößt er einen kleinen, genießerischen Seufzer aus, der definitiv in meinen Träumen eine Rolle spielen wird.
Ich muss einfach grinsen, als er sich noch einen weiteren Löffel von dem Brei nimmt und ihn sich genüsslich in den Mund schiebt. „Schmeckt’s?“ frage ich grinsend, obwohl die Antwort eigentlich offensichtlich ist.
„Soll das ein Witz sein? Das ist das Beste, was ich je gegessen habe! Bei Merlin, das ist gutes Zeug,“ stöhnt er begeistert und schnappt sich gleich die ganze Schüssel von meinem Schoß. Ich grinse weiter und beobachte ihn beim Essen. Natürlich nur, weil ich gerade nichts anderes zu tun habe. Nicht, weil ich wie ein Perverser auf seine vollen Lippen starre, die sich bei jedem Bissen öffnen und schließen, und auch nicht wegen der wohlig leisen Seufzer, die ihm dabei entgleiten.
Als die Schüssel schließlich leer ist, stellt er sie behutsam auf meinen Nachttisch zusammen mit dem Tablett. Dann wendet er sich mir wieder zu, seine grünen Augen voller Wärme und, zu meiner Überraschung, Besorgnis.
„Wie geht es dir?“ fragt er leise und greift nach meiner Hand, die nutzlos auf meiner Decke liegt. Die Berührung ist sanft, fast vorsichtig, und doch fühlt sie sich vertraut an – nicht, weil sie Harrys Hand ist, sondern weil sie etwas in mir auslöst. Es ist schwer zu erklären. Warm, beruhigend. Sie fühlt sich an, als wollte sie mir etwas mitteilen, mich an etwas erinnern. Es ist fast, als würde sie mich anschreien, mich zwingen, mich daran zu erinnern, dass ich diese Berührung schon einmal gespürt habe.
Doch bevor ich länger darüber nachdenken kann, zieht Harry seine Hand schnell zurück, als hätte er gar nicht beabsichtigt, mich zu berühren. Vielleicht war es nur ein Reflex oder eine spontane Geste. „Ähm… mir geht es gut, denke ich,“ antworte ich schließlich und versuche, nicht allzu verwirrt zu klingen.
Sein fragender Blick sagt mir, dass ihm diese Antwort nicht reicht, also erkläre ich genauer: „Na ja, ich meine, die Wunde tut ein bisschen weh, aber ansonsten geht es mir gut.“ Ein bisschen ist gut. Sie tut echt weh, seit ich sitze. Ich glaube, das fand die Wunde nicht so gut. Es brennt und sticht, ein ekelhaftes Gefühl, das ich nicht mal richtig beschreiben kann.
Harry scheint meine Gedanken zu lesen, denn er steht auf und beugt sich über mich, um die Kissen in meinem Rücken zu entfernen, die mich in meiner sitzenden Haltung gestützt haben. Seine Bewegungen sind ruhig, bedacht, und trotzdem fühlt es sich an, als würde alles in mir vor Aufregung summen. Er hält mich mit einem Arm aufrecht, während er mich vorsichtig zurück in eine liegende Position bringt.
Dann legt er mir die Hand auf die Schulter. Wieder diese Berührung. Wieder dieses seltsam vertraute Gefühl. Woher kenne ich das? Ich runzle die Stirn und versuche verzweifelt, mich zu erinnern, aber die Antwort bleibt verschwommen. Es ist, als ob ein Schleier über meinen Gedanken liegt. Mist.
„Draco!“ Eine Hand wedelt vor meinem Gesicht, reißt mich abrupt aus meinen Gedanken. Ich schrecke hoch und blicke verwirrt in diese warmen, smaragdgrünen Augen, die mich durchdringen, als könnten sie tief in meine Seele schauen.
„Was?“ frage ich außer Atem, unfähig, meinen Blick von ihm abzuwenden. Diese Augen, heiliger Merlin…
Harry grinst breit, ein Anblick, der mein Herz einen Moment schneller schlagen lässt. „Ich wollte wissen, ob es jetzt besser ist mit der Wunde?“ fragt er, ein Hauch von Besorgnis in seiner Stimme.
„Ja, ich meine, ja, viel besser, danke,“ stottere ich und spüre, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. Oh, verdammt! Er hat mich beim Starren erwischt. Scheiße.
Er schüttelt amüsiert den Kopf, als könnte er meine Gedanken erraten, und will sich gerade wieder hinsetzen, als die Tür plötzlich aufgerissen wird.