
Chapter 16
Zwei Tage später
Eva sitzt an ihrem Schreibtisch im Büro, ihre Augen gleiten über den Lebenslauf einer Frau, die vor ihr sitzt. Anfang 30, sympathische Ausstrahlung, Tattoos und Piercings, aber das stört Eva nicht. Solange sie ihren Job gut macht, ist alles in Ordnung.
„Ihre Referenzen sind beeindruckend“, sagt Eva und blickt die Frau interessiert an. „In Köln geboren, Ausbildung in Berlin … und jetzt Schwerin? Was hat Sie hierher verschlagen?“
Die junge Frau erzählt mit einem Hauch von Unsicherheit, dass sie aus persönlichen Gründen nach Schwerin gezogen sei. Es habe nichts mit der Arbeit zu tun. Eva hört aufmerksam zu, nickt dann mit einem entschlossenen, selbstbewussten Lächeln.
„Sehr schön. Wenn Sie möchten, können Sie hier anfangen. Drei Monate Probezeit.“
Ihre Worte sind fest und bestimmt, doch in ihren Augen blitzt eine Wärme auf, die der jungen Frau das Gefühl gibt, willkommen zu sein. Eva, die in diesem Moment wie eine Autoritätsperson wirkt, sieht der Frau entgegen und trägt ihr ein Lächeln auf, das Vertrauen ausstrahlt.
„Ich werde den Vertrag fertigstellen. Sie können ihn in den nächsten Tagen abholen und unterzeichnen.“
Ihre Stimme ist ruhig und sicher, der Ausdruck in ihrem Gesicht verrät nichts anderes als unerschütterliche Zuversicht. Doch die junge Frau, die Eva bis jetzt nur flüchtig gesehen hat, kann sich nicht helfen – sie kennt sie von irgendwoher, aber der Name bleibt ihr noch entglitten.
Eva begleitete die Frau hinunter, jeder Schritt von einem Humpeln begleitet. Der Schmerz, der sie seit Tagen plagt, ist zwar nicht verschwunden, doch mit den Schmerzmitteln ist er nur noch ein blasser Schatten, der sie nicht mehr vollständig beherrscht.
Einige Tage später ist es endlich so weit – der erste Arbeitstag der neuen Mitarbeiterin. Eva ruft ihre Belegschaft zusammen, ihr Blick scharf, aber auf eine Weise, die zugleich Wärme und Führung ausstrahlt.
„Das ist Judith Stein. Sie übernimmt ab heute die Stelle von Herrn Turner. Ich hoffe, Sie zeigen sich alle von Ihrer besten Seite und arbeiten sie gut ein. Vielen Dank.“
Ihr Blick ist fordernd, doch auch ein wenig stolz, als sie die junge Frau vorstellt. Ein leichtes Nicken folgt, als sie sich abwendet und in die Küche geht, wo Uli bereits auf sie wartet.
„Guten Tag zusammen“, grüßt sie die Anwesenden. Ihre Stimme trägt die Autorität einer Führungskraft, aber auch die persönliche Note einer Kollegin.
„Uli, ich brauche morgen einen Tisch für vier Personen in der Ecke, 19 Uhr. Es kommen prominente Influencer. Sie wollen in Ruhe essen.“
„Kriegen wir hin“, antwortet Uli ohne Zögern, bevor sie mit einem scharfsinnigen Blick zu Eva fährt: „Die neue schon angefangen zu arbeiten?“
„Ja, gerade eben. Ich hoffe, sie macht den Job genauso gut wie Jeremy. Das muss man ihm ja lassen – der konnte seinen Job.“
Eva schaut sich um, ihr Blick trifft den von Uli und bleibt für einen Moment hängen. „So, ich muss weiter. Wir sehen uns nach Feierabend, ich warte in der Lobby. Jetzt werde ich meine Runde mal unauffällig drehen.“
„Schönen Tag noch euch allen“, sagt Eva in die Runde, ein letzter Blick, der eine Mischung aus Wohlwollen und Entschlossenheit zeigt.
„Die ist heute richtig gut drauf“, sagt Pit zu Uli, seine Stimme ein wenig neidisch, ein wenig neugierig. Uli schaut ihn nur an, ein Schatten von Verständnis in seinen Augen.
„Ich bin ganz froh drum. Sie hatte viel Stress mit dem Hotel, mit allem. Und dann noch ihr… Unfall.“
Pit sieht Uli an, eine Ahnung dämmert in ihm auf, aber Uli widerspricht ihm leise, beinahe unmerklich.
„Das war kein Unfall, Uli . Das weiß hier jeder. Keine Ahnung, warum ihr es immer noch ‚Unfall‘ nennt, aber Jeremy hatte irgendetwas damit zu tun. Sonst wäre er nicht geflogen.“
Uli nickt und sieht Pit mit einem ernsten Blick an. „Komm heute Abend auf ein Bier vorbei bei uns.“
Pit hebt eine Augenbraue und grinst schief. „Also bei der Chefin dann?“
„Genau, Pit. Bei der Chefin.“ Uli zeigt mit einem entschlossenen Blick auf die Schnitzel, die noch geklopft werden müssen. „Weiter machen.“
Eva bewegt sich durch das Hotel wie ein Schatten, leise, unauffällig. Sie winkt Paolo in der Bar zu, der ihr mit einem breiten Grinsen zurückwinkt.
Mit Raik tauscht sie ein paar Worte, weist ihn an, die neue Mitarbeiterin im Auge zu behalten. Sie kann Raiks Blicke spüren, als er ihr aufmerksam folgt.
Im Aufzug trifft sie auf Swetlana. „Können Sie mir schon etwas zu Frau Stein sagen?“ fragt Eva mit einem neugierigen Unterton.
„Macht guten Job,“ antwortet Swetlana mit ihrem typischen, knappen Akzent. Eva nickt zufrieden.
„Halten Sie mich bitte auf dem Laufenden?“
„Natürlich,“ versichert Swetlana.
Im Büro angekommen, geht die Arbeit weiter. Stunden vergehen, als Eva konzentriert ihre Aufgaben abarbeitet. Schließlich, am Ende des Arbeitstags, lässt sie sich an die Bar sinken und beobachtet das Hotel mit einem nachdenklichen Blick.
„Paolo, was halten Sie von der Idee, ein Mitarbeiterfest zu veranstalten?“ fragt sie nach einer Weile. „Als neue Chefin würde ich gerne eins organisieren. Es ist Frühling, und man könnte sicher etwas Schönes auf die Beine stellen.“
„Da fragen Sie genau den Richtigen,“ sagt Paolo mit einem frechen Grinsen. „Ich habe Ideen genug. Wenn Sie Hilfe bei der Planung brauchen, sagen Sie Bescheid.“
„Da komme ich drauf zurück. Ich muss erst ein Datum finden. Dann können Sie mir gerne bei der Planung helfen.“
„Klingt gut. Ich werde später mal im Kalender schauen und eine Mail an alle schicken. Wer Zeit hat, kommt, wer nicht, der nicht.“
Uli kommt auf Eva zu, sie strahlt Eva an. „So, schönen Tag noch,“ sagt sie und geht mit ihr nach Hause.
Unterwegs kaufen sie noch schnell ein, und Uli erwähnt, dass Pit vielleicht später vorbeikommt. Eva sieht sie für einen Moment unsicher an, aber sie vertraut ihr.
Am Abend räumt Eva die Wohnung auf, während Uli in der Küche steht und kocht. Ivy lässt ihre Sachen überall liegen, und Eva schüttelt schmunzelnd den Kopf. Während Ivy im Gästezimmer spielt, klingelt es an der Tür. Uli öffnet, und Pit steht mit einem breiten Grinsen davor.
„Tach, Chefin,“ begrüßt er Eva, und sie lächelt und bietet ihm das „Du“ an. „Ist, glaube ich, einfacher,“ sagt sie lachend.
Die drei setzen sich mit einem Bier ins Wohnzimmer, die Gespräche drehen sich um die Arbeit und Jeremy. Uli erzählt Pit die ganze Geschichte von Eva, und als er den Moment beschreibt, als Jeremy sie in die Scherben stieß, schnaubt er empört.
„Und dieser Idiot schubst sie dann auch noch in die Scherben. Was ist nur los mit dem? Erst die Tür kaputt schlagen, und dann das.“
„Wo ist der jetzt?“ fragt Pit neugierig.
„Keine Ahnung,“ zuckt Uli mit den Schultern. „Es ist mir auch egal. Das weiß er auch.“
„Und Ivy?“ fragt Pit.
„Sie fragt nach ihm, aber ich bin ehrlich mit ihr,“ antwortet Uli und legt seine Hand beruhigend auf Evas.
Als Pit geht, kuscheln sich die beiden auf dem Sofa. Ivy schläft bereits, und Eva schmiegt sich an Uli. Ihre Füße liegen entspannt auf dem Tisch, und Eva sieht sie an, ihre blauen Augen glänzen im Licht. Das Lächeln, das Eva verrückt macht, ist wie ein Versprechen in diesem Moment.
„Was hältst du davon, wenn ihr hier hochzieht?“ fragt sie sanft. „Also, ihr wohnt ja sowieso schon hier. Aber dann hat Ivy endlich wieder ihr eigenes Zimmer, und du musst nicht ständig rauf und runter laufen. Und sobald die Wohnung im Hotel fertig ist…“ Eva stoppt kurz und schaut sie an. „Könnt ihr euch ja entscheiden, wo ihr hinziehen möchtet.“
Uli strahlt sie an, ihre Augen voller Zuneigung. „Wir ziehen sehr gerne zu dir, Eva.“
„Ach, ich muss noch einen Termin an Paolo schicken,“ sagt Eva, als sie in ihren Kalender schaut. „Schau mal mit, ob wir irgendwelche Pläne haben,“ bittet sie Uli.
„Was ist mit dem 17.4.?“ fragt Eva nachdenklich. „Da hat Ivy Fußball, aber danach kann sie vielleicht bei einer Freundin schlafen. Das würde passen.“
„Okay, dann schreib ich ihm das und den Mitarbeitern schnell, und dann gehen wir ins Bett und kuscheln,“ sagt eva mit einem verschmitzten Lächeln.
Am nächsten Tag, wieder ein hektischer Arbeitstag, ist Ivy in der Schule und die Dinge nehmen ihren Lauf.
Eva sitzt in ihrem Büro, als es klopft.
„Ja, bitte?“ ruft sie laut.
Paolo kommt mit seiner detaillierten Partyplanung herein. „Ich habe die ganze Nacht daran gearbeitet,“ sagt er stolz. Eva schaut sich skeptisch seine Pläne an.
„Stripperin?“ fragt sie irritiert.
„Ja, das wäre doch auch für Sie interessant, oder?“ grinst Paolo frech.
Eva schüttelt den Kopf und zieht eine Augenbraue hoch. „Paolo, wir reden hier von einem Mitarbeiterfest. Keine Striptease-Nummern.“
Eva lächelte leicht und schüttelte den Kopf. „Mir reicht meine Frau zum Angucken. Aber der Rest sieht in Ordnung aus. Setzen Sie das bitte genau so um.“ Ihre Stimme klang entschieden, fast ungeduldig. Sie lehnte sich zurück, den Stift noch in der Hand, und widmete sich wieder den Zahlen vor ihr.
Rechnungen, Zahlungseingänge, offene Posten – Eva war in ihrer eigenen Welt versunken, die Finger flogen über die Tastatur, als ein Klopfen an der Tür sie abrupt aus ihren Gedanken riss. Sie hob den Blick nicht sofort, ließ die Augen aber kurz irritiert zur Tür wandern.
Judith trat ein, die Miene eine Mischung aus Entschlossenheit und Unbehagen. „Entschuldigung die Störung, aber…“ Sie machte eine theatralische Pause und schüttelte den Kopf. „Das Toilettenpapier ist wirklich, wirklich schlimm.“
Eva hob eine Augenbraue, überrascht. „Das Toilettenpapier?“ fragte sie trocken, ihr Tonfall irgendwo zwischen amüsiert und genervt.
„Ja.“ Judith nickte ernst. „Es ist… ich meine, es zerfällt regelrecht in der Hand. Kann man da vielleicht was anderes finden? Etwas, das ökologisch vertretbar ist, aber… naja, nicht wie Sandpapier oder Papierschnipsel?“
Eva legte den Stift zur Seite und sah Judith eindringlich an. „Ich werde mal schauen, was es noch gibt. Irgendwas finde ich schon.“
Judith strahlte sie an, ein Lächeln, das vielleicht etwas zu lange dauerte. „Wunderbar. Sagen Sie mal… kennen wir uns irgendwoher?“ Ihre Stimme klang beiläufig, doch ihre Augen forschten in Evas Gesicht.
Eva schüttelte langsam den Kopf. „Ich wüsste nicht, woher.“ Ihre Haltung war kühl, fast distanziert. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, das Lächeln war verschwunden.
Judith zuckte mit den Schultern. „Vielleicht täusche ich mich.“ Sie verabschiedete sich mit einem knappen Nicken und verließ den Raum.
Als die Tür sich schloss, blieb Eva einen Moment reglos sitzen. Ihre Gedanken kreisten. „Nie gesehen, die Frau“, murmelte sie schließlich leise und kehrte zu ihrer Arbeit zurück.
Später, als die Zahlen und Rechnungen ihr endgültig den Kopf rauchten, ging Eva hinunter in die Küche. Sie fühlte sich ausgelaugt, leer – und ehrlich gesagt konnte sie heute keine Menschen mehr sehen. Sie schüttelte den Kopf, als sie ihre Frau erblickte. „Schatz, ich fahr nach Hause. Ich hab keinen Kopf mehr zum Arbeiten. Bis später.“
„Okay“, erwiderte Uli und streichelte ihr kurz über den Arm. Eine flüchtige, doch vertraute Geste, die Wärme in Evas erschöpfte Gedanken brachte.
Zuhause ließ Eva sich in ihren Lieblingssessel sinken, eine dampfende Tasse Kaffee in der Hand. Sie versuchte zu lesen, doch ihre Gedanken schweiften ab. Ivys Zimmer musste noch eingerichtet werden, Ulis Möbel hochgebracht – eine Liste endloser Kleinigkeiten, die erledigt werden mussten.
„Ich brauche einen extra Schrank für meine Arbeitssachen“, dachte sie laut. „Oder vielleicht einen auf der Arbeit. Wenn wir sowieso umziehen…“
Am Nachmittag klingelte Ivy an der Tür. Eva öffnete und begrüßte sie mit einem Lächeln. Gemeinsam setzten sie sich an den Tisch und machten Hausaufgaben, Ivy mit konzentrierter Stirn, Eva mit halb unterdrückten Seufzern.
Als Uli schließlich nach Hause kam, brachte sie Essen aus dem Hotel mit. „Damit wir nicht kochen müssen“, sagte sie, während sie die Gerichte liebevoll vor Eva und Ivy auf den Tisch stellte. Eva hob eine Augenbraue. „Gourmetservice inklusive?“ fragte sie mit einem Hauch von Ironie.
Uli setzte sich zu ihnen, lächelte und begann zu erzählen, doch Eva beobachtete sie nur. Wie Uli sich bemühte, Ivy ein Gefühl von Normalität zu geben, obwohl ihr eigenes Leben so stark im Wandel war. Eva fühlte Bewunderung – und auch eine Spur von Unsicherheit.
Später, als Ivy im Bett lag und die Wohnung in friedlicher Stille versank, saßen Eva und Uli zusammen auf dem Sofa. Uli hatte ihren Kopf auf Evas Beine gelegt, und Eva massierte ihre Schläfen in sanften, kreisenden Bewegungen.
„Sag mal, Prinzessin“, begann Eva leise, ihre Finger gruben sich tiefer in Ulis Haar. „Traust du dich eigentlich nicht, mich vor deiner Tochter zu küssen?“ Ihre Stimme klang neugierig, doch auch herausfordernd.
Uli errötete leicht und setzte sich auf. Ihre Augen suchten Evas Blick. „Ich weiß nicht“, gestand sie schließlich. „Es fühlt sich… komisch an. Sie hatte Papa und Mama – und jetzt hat sie plötzlich Mama und Eva. Ich weiß nicht, ob sie das schon richtig versteht.“
Eva legte den Kopf schief und musterte sie. „Und du?“ fragte sie sanft. „Verstehst du es?“
Ein kleines, zögerndes Lächeln zog über Ulis Gesicht. Sie griff nach Evas Hand. „Ich verstehe es“, flüsterte sie. „Ich brauche nur Zeit.“
Eva nahm Ulis Hand und sah ihr fest in die Augen. „Uli, sie wird es verstehen. Sie hat euren Streit mitbekommen, das war nicht zu übersehen. Es gibt nichts, wofür du dich schämen oder wovor du Angst haben musst.“ Eine kurze Pause folgte, bevor sie hinzufügte, mit einem schelmischen Grinsen: „Außer vor mir.“
Uli lachte leise, ein warmer, weicher Klang. „Oh ja, vor dir besonders.“ Sie legte ihre Hand auf Evas Wange, ihre Finger glitten leicht über die Haut. „Du bist wirklich eine wunderschöne Frau. Meine Frau.“ Ihre Stimme sank zu einem Flüstern, bevor sie Eva vorsichtig küsste.
Der Kuss vertiefte sich schnell, ihre Bewegungen wurden fordernder, während ihre Hände sanft über die Körper der anderen glitten. Für einen Moment schien die Welt um sie herum stillzustehen.
Später saßen sie gemeinsam auf dem Sofa, ihre Beine ineinander verschlungen. „Diese neue Kollegin ist wirklich merkwürdig“, begann Eva schließlich und brach die Stille. „Erst regt sie sich über das Toilettenpapier auf, und dann steht sie plötzlich vor mir und starrt mich an, als hätte ich zwei Köpfe. Sie meint, wir kennen uns. Aber ich kenne diese Frau nicht.“ Eva schüttelte den Kopf. „Ich hab lange nicht in Berlin gearbeitet – und in Köln auch nicht. Vielleicht gibt es ja wirklich zwei von mir.“
Uli verzog dramatisch das Gesicht. „Oh Gott! Zwei Eisfeen? Die armen Menschen!“ Sie lachte, ihre Augen glitzerten vor Belustigung.
„Ich schwöre, ich kenne diese Frau nicht“, wiederholte Eva und lehnte sich zurück. „Blond, tätowiert, gepierct – sie sieht nicht aus wie jemand, den ich je getroffen habe.“
„Tätowiert und gepierct?“ Uli hob eine Augenbraue und nickte dann zufrieden. „Keine Konkurrenz.“
Eva prustete los, lehnte sich vor und küsste sie auf die Stirn.