
Chapter 2
Ein markerschütternder Schrei hallte durch den Raum, als Pit und Uli angelaufen kamen. „Was ist passiert?“ fragte Pit atemlos, während er sich neben Eva kniete. Seine Augen musterten sie voller Sorge.
„Umgeknickt“, presste Eva hervor und hielt ihren schmerzenden Fuß fest. Ihre Augen glänzten vor Tränen, doch sie versuchte, die Fassung zu wahren.
Uli schüttelte den Kopf und deutete auf Evas Schuhe. „Vielleicht sollten Sie erstmal die hohen Dinger ausziehen.“
Eva zögerte, ihre Blicke wanderten zwischen den beiden hin und her, bevor sie schließlich widerwillig die Schuhe abstreifte. Der Schmerz zog ihr durch den Körper, als sie ihren Fuß leicht bewegte.
„Können Sie ihn bewegen?“ fragte Pit eindringlich.
Eva biss die Zähne zusammen und bewegte den Fuß unter sichtlichen Schmerzen. „Scheint nicht gebrochen zu sein“, murmelte Pit, seine Stimme ein wenig erleichtert, doch der besorgte Ausdruck in seinen Augen blieb.
„Kann dieser Tag einfach vorbei sein?“ flüsterte Eva verzweifelt. Ihre Stimme zitterte, und sie legte ihren Kopf kurz in ihre Hände. „Ich will nicht mehr.“
Pit und Uli tauschten einen schnellen Blick, ihr Mitgefühl lag schwer in der Luft.
„Man kann nicht alles retten“, sagte Uli nachdenklich und ließ sich neben Eva nieder. „Vielleicht müssen Sie das sinkende Schiff loslassen. Es ist nicht Ihres. Sie können nicht die ganze Welt retten.“
Evas Kopf ruckte hoch. Ihr Blick war eine Mischung aus Schock und Trotz. „Wissen Sie eigentlich, wie viele Jobs daran hängen? Wie viele Existenzen?“ Ihre Stimme war nun fest, fast trotzig. „Ich kann vielleicht nicht die Welt retten, aber ich kann verdammt nochmal diese Arbeitsplätze retten.“
Pit nickte langsam, seine Augen voller Bewunderung für ihren unbeugsamen Willen. Uli reichte ihr schließlich die Hand, und Eva zögerte kurz, bevor sie sie annahm.
„Langsam“, murmelte Uli, als Eva sich aufsetzte. Doch als sie versuchte, aufzustehen, schoss ein stechender Schmerz durch ihren Knöchel, und ihr Kreislauf geriet ins Wanken. Ihre Finger gruben sich unbewusst tief in Ulis Hand, fast so, als würde sie sich an ihr festklammern.
„Geht es?“ fragte Uli leise, ihre Unsicherheit kaum zu überhören. „Oder soll ich jemanden rufen, der Sie zum Arzt fährt?“
Eva schüttelte schwach den Kopf. „Das geht schon“, sagte sie, doch ihre Stimme klang brüchig. „Ich muss jetzt meine Sachen packen. Und dann … in meine Wohnung. Dort geht der Stress weiter.“ Ihre Augen blitzten kurz auf, und sie wandte sich zu Uli. „Vergessen Sie nicht meine Bestellung.“
Mit mühsamen, humpelnden Schritten schleppte sie sich in Richtung Aufzug, ihre Hand tastete nach Halt an der Wand. Pit und Uli sahen ihr nach, beide offensichtlich nicht überzeugt von ihrer Standhaftigkeit.
Als sich die Aufzugstüren vor ihr schlossen, lehnte Eva sich erschöpft zurück. Ein leises Seufzen entwich ihr. „Bitte, lass die Wohnung fertig sein“, murmelte sie kaum hörbar. „Ich will einfach nur ankommen. Auspacken. Und endlich … endlich entspannen.“
Eva stand in ihrem Zimmer, umgeben von der Leere, die bald auch in ihr Leben einziehen würde. Sie öffnete den Koffer. Es war nicht viel, was sie besaß. Kleidung, ein paar Bücher, Notizbücher voller Gedanken. Wenigstens, dachte sie, macht das Packen so weniger stressig. Mit geübten Handgriffen schloss sie den letzten Koffer, ließ ihn für einen Moment auf dem Bett stehen und blickte sich um.
„Das war’s dann wohl“, murmelte sie leise zu sich selbst.
Doch es gab noch mehr zu tun. Im Lagerraum suchte sie nach Handtüchern, Bettwäsche und den kleinen Dingen, die den Start in einer neuen Wohnung erträglicher machen würden. Die Pflanzen – ihre geliebten Grünlinge, die ihr oft Trost gespendet hatten – mussten warten. Sie würde sie die Tage holen, aber jetzt zählte nur das Nötigste.
Als sie schließlich alles im Aufzug verstaut hatte, atmete sie tief durch. Der Gedanke, alles ins Auto zu bekommen, lastete schwer auf ihr, aber zum Glück hatte sie einen größeren Wagen. Auf dem Weg nach unten fiel ihr Blick auf die bereitstehende Bestellung von Uli. Ein kurzes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Wenigstens das lief reibungslos.
An der Rezeption hielt sie inne, atmete tief ein und aus. Der Tag war ein Marathon, aber er musste weitergehen.
„Herr König,“ begann sie, ihre Stimme fest, aber erschöpft, „wenn die Handwerker und die letzten Gäste weg sind, schließen Sie bitte ab. Ich muss mich um den restlichen Kram kümmern – und um meine Wohnung.“ Sie hielt einen Moment inne und blickte in die Runde. „Der Kapitän verlässt zwar zuletzt das Schiff, aber ich kann nicht mehr. Und das Schiff ist noch nicht gesunken!“ Ihre Stimme gewann an Kraft. „Wir sehen uns morgen. Dann sieht die Welt hoffentlich wieder besser aus.“
Mit einem letzten Blick verabschiedete sie sich von allen und verschwand durch die Tür.
Kaum war sie draußen, begann das Gemurmel unter den Angestellten. „Wo sie wohl hinzieht?“ fragte eine leise Stimme.
„In ein anderes Hotel?“ überlegte jemand.
„Oder eine Wohnung?“
Währenddessen war Uli in der Küche beschäftigt. Sie räumte die übrig gebliebenen Lebensmittel, die verderben könnten, zusammen und verstaute sie sorgfältig. Mit einem zufriedenen Nicken schloss sie die Küchentür ab. In einem anderen Teil des Hotels schleppten Jeremy und die anderen Angestellten die durchnässten Möbel aus den vier beschädigten Zimmern. Es war ein harter Tag, aber immerhin gab es Fortschritte: Der Strom war fast überall wieder da, außer in der Küche.
Eva parkte ihren Wagen vor der neuen Wohnung. Der Tag hatte sie zermürbt, aber als sie den Parkplatz direkt vor der Tür entdeckte, schlich sich ein schwaches Lächeln auf ihre Lippen. „Immerhin etwas.“
Sie stieg aus und begann, die Koffer und Kisten aus dem Auto zu laden. Noch während sie sich über die Menge wunderte, kamen einige ihrer Kollegen aus dem Hotel.
„Lassen sie uns helfen“, sagte er mit einem aufmunternden Lächeln.
Gemeinsam trugen sie die Sachen in die Wohnung. Der Raum war leer, aber Eva sah ihn mit anderen Augen. Er war nicht nur leer – er war ein Neuanfang.
Als die Mitarbeiter sich verabschiedeten und Feierabend machten, blieb Eva allein zurück. Sie ließ sich auf eine der Kisten sinken und blickte sich um. Es war still. Für einen Moment schloss sie die Augen, atmete tief ein und aus.
„Das ist mein Neustart“, flüsterte sie leise. „Kein Schiff, das sinkt. Nur ich – und ein neuer Anfang.“
Eva stand in der Mitte der fremden Wohnung. Die Räume wirkten leer und kalt, als gehörten sie jemand anderem. Jede Ecke schien ihr fremd, jeder Schatten ein stummer Fremder. Sie schüttelte den Kopf, schnappte sich die Handtücher aus dem Hotel und begann, das Bett zu beziehen.
Die vertrauten Stoffe fühlten sich an wie ein Stück Heimat, ein kleiner Anker in diesem Ozean der Kälte. Als sie im Badezimmer die Handtücher aufhängte, fiel ihr Blick aus dem kleinen Fenster hinaus ins Grüne. Ein Spielplatz. Kinder tobten zwischen den Klettergerüsten. „Kinder …“, murmelte Eva und schnaubte leise. „Na, hoffentlich sind die nicht zu laut.“
Sie schlenderte ins Wohnzimmer, wo das Sofa aus dem Hotel stand. Es war eines der wenigen Möbelstücke, die sie mitgenommen hatte, und es fühlte sich wie eine seltsame Verbindung zu ihrem alten Leben an. Sie ließ sich auf das weiche Polster sinken, bemerkte den Fernseher und musste lachen. „Wow, haben die den auch noch aus dem Hotel geklaut?“ Ihre Stimme hallte durch den leeren Raum. „Na gut, geliehen ist geliehen.“
Die Küche war klein, aber funktional. Eva öffnete die Kühlschranktür und räumte die Lebensmittel ein, die Uli ihr zusammengestellt hatte. Das Obst schien übertrieben – wer sollte das alles essen? Sie schüttelte den Kopf, als sie die Getränke einsortierte. „Immerhin Bier“, murmelte sie. Wasser und Softdrinks waren auch dabei, aber der Gedanke an ein kühles Bier wirkte tröstend.
Sie sah auf die Uhr. 21Uhr. Und der Tag war noch lange nicht vorbei.
„Ich kann nicht mehr“, flüsterte sie und ließ sich auf den Stuhl am Küchentisch fallen. Schließlich bestellte sie sich Pizza, weil sie keine Energie mehr hatte, irgendetwas anderes zu tun. Während sie auf die Lieferung wartete, räumte sie langsam die Kisten aus.
In der Zwischenzeit war auch für die restlichen Hotelangestellten der Feierabend angebrochen. Uli und Jeremy waren inzwischen zu Hause. Uli stand in ihrer kleinen Küche und kochte mit den Lebensmitteln, die sie aus dem Hotel mitgenommen hatte. Doch ihre Gedanken blieben im Hotel zurück. Sie wusste, dass ihre Zukunft von den anstehenden Reparaturen abhing. Bis das alles abgeschlossen war, hatte sie keinen Job. Und als Hauptverdienerin ihrer Familie war das ein Gewicht, das schwer auf ihr lastete. Morgen, beschloss sie, würde sie mit Eva reden. Sie musste wissen, wie es weitergeht.
Doch was machte Eva gerade?
Eva saß auf ihrem Sofa, die Pizza dampfte vor ihr auf dem Tisch. Mit einem Glas Wasser in der Hand und ihrem iPad auf dem Schoß scrollte sie durch Online-Shops. Nebenbei lief leise Musik, die sie beruhigen sollte. Sie bestellte all die Dinge, die ihr noch fehlten: Töpfe, die sie wahrscheinlich niemals benutzen würde, einen Kaffeevollautomaten, Geschirr und noch vieles mehr. „Der Paketbote wird sich freuen“, murmelte sie und biss in die Pizza.
Später, frisch geduscht, lag Eva in ihrem Bett. Der Raum war trostlos, viel zu clean für ihren Geschmack. Sie mochte Ordnung, aber das hier war etwas anderes. Es fühlte sich leblos an. Sie kuschelte sich an ihr kleines Stoffschweinchen, das einzige persönliche Stück in diesem Raum, und schloss die Augen.
Doch die Gedanken ließen sie nicht los. Das Hotel. Die Reparaturen. . Und morgen … morgen würde alles weitergehen.
Langsam glitt sie in den Schlaf, während die Kälte der Wohnung sie weiterhin umgab. Doch irgendwo, inmitten der Dunkelheit, wuchs leise die Hoffnung auf einen Neuanfang.
Der schrille Ton des Weckers riss Eva aus einem unruhigen Schlaf. Mit einem Seufzen setzte sie sich auf die Bettkante, der gestrige Tag steckte ihr noch in den Knochen. Schnell machte sie sich fertig. Sie entschied sich für eine Jeans und eine schlichte Bluse – praktisch und bequem. Auf den Anzug konnte sie auf einer Baustelle gut verzichten. Da ihr Fuß inzwischen blau und geschwollen war, waren hohe Schuhe keine Option. Selbst Turnschuhe taten weh. Widerwillig schlüpfte sie in ihre Birkenstocks. „Sehr seriös“, murmelte sie trocken und zog einen Mundwinkel hoch. „Aber egal.“
Kurze Zeit später schloss sie die schwere Eingangstür des Hotels auf. Die Kühle des Morgens lag in der Luft, und der große, leere Raum war in völlige Stille getaucht. Eva blieb stehen, schloss für einen Moment die Augen und atmete tief ein. „Diese Ruhe … das erlebt man selten.“
„Guten Morgen“, ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihr. Eva zuckte zusammen und drehte sich um.
„Frau Kersting“, begrüßte sie die Küchenchefin und versuchte, ihre Überraschung zu verbergen. Uli stand neben ihr und musterte sie. Ihr Blick blieb an Evas ungewohnt lässigem Outfit hängen – vor allem an den Birkenstocks, aus denen kleine, rot lackierte Zehen hervorschauten.
„Ich muss mit Ihnen sprechen“, begann Uli und stellte sich neben Eva. Ihr Blick wanderte durch den Raum, genau wie Evas.
„Sie müssen nicht mit mir sprechen, Frau Kersting“, unterbrach Eva und sah Uli an. Ihre Stimme war ruhig, aber bestimmt. „Sie behalten Ihren Job. Und Ihr Gehalt wird selbstverständlich weitergezahlt.“ Uli hob überrascht eine Augenbraue, doch Eva fuhr fort: „In der Zwischenzeit könnten Sie sich nützlich machen. Vielleicht für die Handwerker und die Mitarbeiter kochen? Allerdings haben wir keine Kühlung, das heißt, alles müsste frisch eingekauft und sofort verarbeitet werden.“
Uli überlegte kurz. „Am besten Fingerfood? Weil wir in der Küche ja auch keinen Strom haben.“
Eva runzelte die Stirn. „Aber Sie kochen doch mit Gas, oder?“
„Das stimmt“, bestätigte Uli. „Aber die Küchengeräte laufen alle elektrisch.“
Eva nickte, während Uli weiter sprach: „Ich lasse mir etwas einfallen. Suppen oder Eintöpfe wären eine gute Alternative. Die halten warm und brauchen keine Kühlung.“
„Gute Idee“, sagte Eva leise. Ihre Augen wanderten durch den Raum, der sich mehr wie eine Baustelle anfühlte als ein Hotel. Sie erinnerte sich an die Worte der Chefs, als sie ihr das Haus anboten. „Der Laden ist top in Schuss“, hatten sie gesagt. Jetzt aber stand sie inmitten von nassen Wänden, einem defekten Stromsystem und kaputten Zimmern.
„Der Preis für dieses Gebäude sinkt immer mehr“, murmelte sie gedankenverloren. „Und wenn jetzt noch Schimmel durch die Feuchtigkeit hinzukommt … dann war es das.“
Uli beobachtete Eva, die völlig in ihren Gedanken versunken schien. Es war, als hätte sie Mauern um sich gebaut, die langsam begannen, einzustürzen.
Plötzlich hob Eva den Kopf. „Ich habe eine Idee“, sagte sie und drehte sich zu Uli. „Danke!“ Mit einem schnellen, humpelnden Schritt eilte sie ins Backoffice, ohne Uli weitere Erklärungen zu geben.
Uli sah ihr nach, schüttelte den Kopf und machte sich daran, Essen für die Mitarbeiter und Handwerker zu organisieren. Sie erstellte eine Einkaufsliste und fuhr in den Großhandel, während Eva tief in ihre Arbeit eintauchte.
Im Hotel begann der Tag. Raik König war mittlerweile angekommen und kümmerte sich um die Handwerker, die sofort mit der Arbeit starteten. Der Lärm von Werkzeugen hallte durch die Gänge, doch Eva bekam davon nichts mit. Seit Stunden saß sie vor dem Computer im Backoffice, ihre Augen auf den Bildschirm fixiert, während ihre Finger wie von selbst über die Tastatur flogen.
Uli, die inzwischen vom Einkaufen zurück war, stellte ihr einen Espresso auf den Schreibtisch. Wortlos. Sie wusste, dass Eva kaum merken würde, dass sie da war, und ging zurück in die Küche.
Immerhin funktionierte der Strom an der Bar, sodass Uli einige Getränke kaltstellen konnte. Mit konzentrierter Ruhe bereitete sie das Essen vor und trommelte gegen Mittag die Mitarbeiter und Handwerker zusammen.
Im großen Konferenzraum war alles hergerichtet: Tische, Stühle, Essen und kalte Getränke. Es war ein kleiner Moment der Normalität inmitten des Chaos.
Eva saß noch immer im Backoffice, vertieft in ihre Arbeit. Aber draußen begann das Hotel, langsam wieder zu atmen.
Raik, Linh und Lara standen in der Nähe der Getränke und unterhielten sich leise, während sie auf ihre Pause warteten. „Hast du gesehen, wie die de Vries den ganzen Morgen vor diesem Computer sitzt?“, sagte Linh. „Nicht einmal zur Toilette ist sie gegangen“, fügte Raik hinzu. „Wie ein Roboter.“
„Stimmt“, scherzte Lara, „als ob sie sich in diesem Raum festgefahren hat. Ich meine, sie ist hier, als ob sie nie etwas anderes tun würde.“
Uli, die das Gespräch mit einem leicht irritierten Blick belauscht hatte, schüttelte den Kopf. Sie griff nach einem Plastik-Teller, füllte etwas von der Suppe hinein, nahm Brot, eine Cola und eine Fanta und machte sich auf den Weg zu Eva.
Während sich die Handwerker weiterhin über die Situation lustig machten, schlich sich Uli unauffällig zu Eva ins Büro. Sie klopfte leise, aber es kam keine Reaktion. Sie trat näher, stellte die Flaschen und den Teller auf den Tisch und legte ihre Hand sanft auf Evas Schulter.
Eva zuckte zusammen und drehte sich abrupt um, ihre Augen weit aufgerissen vor Überraschung. Sie musterte Uli für einen Moment – lang genug, um alles an ihr zu sehen: die Müdigkeit in ihrem Blick, das Anzeichen von Besorgnis.
„Sie müssen essen und trinken“, sagte Uli ruhig, fast einfühlsam, und hielt ihr den Teller mit der Suppe hin.
Eva hob eine Augenbraue und starrte auf den Plastik-Teller, dann auf Uli. „Ist echtes Geschirr ausgegangen?“ Ihre Stimme klang scharf, fast spöttisch, doch tief in ihrem Ton war auch eine spürbare Erschöpfung.
Uli setzte sich auf einen der Bürostühle, öffnete die Fanta und nahm einen Schluck. „Nein“, sagte sie mit einem kurzen Lächeln. „Aber ich spüle nicht alle Teller, und Wasser haben wir ja bekanntlich auch nicht.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin ja froh, dass der Toilettenwagen draußen wenigstens Wasser hat.“
Eva drückte eine Taste auf der Tastatur und starrte auf den Bildschirm. „Fertig“, seufzte sie und lehnte sich zurück, ihre Aufmerksamkeit immer noch zu einem Großteil auf die Arbeit gerichtet.
Sie überschlug das Bein und drehte sich dann zu Uli. „Was hab ich verpasst? Läuft alles oder hat sich jemand beschwert?“ Ihre Stimme war ruhig, aber Uli bemerkte, wie sie nervös mit den Füßen wippte, als wollte sie ihre Gedanken in Bewegung halten.
Uli beugte sich vor und betrachtete Evas Füße, die jetzt im schmerzhaften Gegensatz zur restlichen Körperhaltung standen. „Oh“, sagte sie und starrte auf Evas blauen Fuß. „Ihr Fuß ist aber sehr blau.“
Eva hob das Bein vorsichtig höher, betrachtete es mit einem leisen Hauch von Ungläubigkeit. Der Fuß war dick und geschwollen, die Zehen waren sogar blau. „Es ist schlimmer, als ich dachte“, flüsterte sie, während sie den Fuß betrachtete. Ihre Stimme klang nach einer Mischung aus Frustration und Akzeptanz.
Uli spürte, wie der Raum zwischen ihnen plötzlich dichte und schwerer wurde. Der Moment zwischen den beiden war mehr als nur ein Gespräch über einen Fuß – es war, als hätten die Worte, die sie nicht sagten, den Raum gefüllt.
„Sie können gleich Feierabend machen, wenn Sie möchten“, sagte Eva , während sie auf den leeren Tisch starrte. „Es gibt nichts zu tun hier für uns. Die Handwerker machen ihren Job, und wir können nur hoffen, dass alles funktioniert.“
Eva nickte und lehnte sich mit einem Seufzen zurück. „Ich muss jetzt auch nach … Hause“, zögerte sie. „Meine Pakete sollten ankommen.“
Uli hob eine Augenbraue. „Das scheint Ihnen ja nicht leicht über die Lippen zu kommen. Also, Ihr Zuhause, wenn Sie so zögern, es auszusprechen.“
Eva stockte, als sie das hörte. Sie hatte zu viel von sich preisgegeben, mehr, als sie wollte. Sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. „Ich bevorzuge das Hotel-Leben“, erklärte sie schließlich, während sie hastig ihre Handtasche packte. Die Cola hatte sie inzwischen in einem Zug ausgetrunken. Humpelnd ging sie in Richtung Ausgang. „Bis morgen“, rief sie, bevor sie endgültig die Tür hinter sich schloss.
Zu Hause angekommen, war es eine völlig andere Welt. Eva wartete auf die Pakete, die bald geliefert werden sollten, während sie mit einem leisen Seufzer die Wohnung betrat. Es fühlte sich fast wie Weihnachten an, als die Lieferung eintraf. Sie begann sofort, alles aus den Kisten zu holen. Geschirr, Töpfe – alles wurde sorgfältig verstaut. Die Kaffeemaschine schloss sie an, und beim Aufbau der Badezimmermöbel fühlte sie sich für einen Moment fast wie in einem Traum.
„Ich glaube, du bist das Wichtigste hier im Haus“, murmelte sie und strich lächelnd über die Kaffeemaschine. Ein kleines Stück Normalität, das sie sich inmitten des Chaos geschaffen hatte.
Mit ein paar Kissen auf dem Sofa und einer Decke fühlte sich der Raum plötzlich heimeliger an. Eva machte einen Schritt zurück und betrachtete den Raum, der langsam von der Unpersönlichkeit befreit wurde.
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und öffnete ihre E-Mails. Ihre Augen leuchteten auf, als sie die Bestätigung von der Versicherung las. Es würde alles klappen. Die Kostenübernahme war bereits bestätigt.
„Endlich“, flüsterte sie, aber trotz des Erfolgs blieb eine leere Stelle in ihr, die nichts ausfüllen konnte. Der Raum um sie herum war hell erleuchtet, aber in ihrem Inneren herrschte Dunkelheit. Es war das erste Mal seit Monaten, dass sie sich so allein fühlte.
Im Hotel war es nie still gewesen. Es war immer etwas los gewesen, immer Menschen um sie. Hier in Schwerin kannte sie niemanden, niemand wusste, wer sie war. Ein Gefühl von Einsamkeit überkam sie.
Sie nahm ihr Handy in die Hand und scrollte durch ihre Fotos. Ihr Herz zog sich zusammen, als sie das Bild von Zoe sah. Die Erinnerung an sie war noch immer so präsent auf ihrem iPhone, als ob sie nie ganz fort gewesen wäre. Eva schloss die Augen, atmete tief durch und traf schließlich eine Entscheidung.
Mit einem schnellen Wisch löschte sie alle Bilder, die sie noch von Zoe hatte. Es war schwer, doch gleichzeitig fühlte es sich richtig an. Diese Frau war Geschichte. Die Erinnerungen, so schön sie auch waren, gehörten der Vergangenheit an. Es war Zeit für ein neues Kapitel in ihrem Leben.
Eva starrte auf das leere Display ihres Handys und fühlte, wie die Entscheidung in ihr wuchs. Ein neuer Anfang war da, und sie war bereit, ihn zu gehen – auch wenn sie sich noch so alleine fühlte.
Die Spülmaschine piept laut, und Eva zuckt zusammen, als sie wieder in die Realität geholt wird. Sie atmet tief durch, schließt für einen Moment die Augen und steht dann auf, um das Geschirr einzuräumen. Die Küche, klein und überladen mit Pappe, macht ihr nichts aus. Sie kocht eh nicht viel, aber ein bisschen Ordnung muss sein. Sie packt Kartons, stapelt sie und macht sich auf den Weg zum Hinterhof, um den Müll wegzubringen. Es ist dunkel und irgendwie unheimlich, der Hinterhof wirkt verlassen und still.
„Hab ich alles?“ fragt sie sich leise, während sie in ihre Tasche tastet und nach dem Schlüssel und ihrem Handy sucht, bevor sie die zweite Ladung Kartons runterbringen möchte.
Gerade als sie die Türe zum Hinterhof öffnen will, hört sie Schritte und jemand öffnet ihr freundlich die Tür. Sie blickt auf und lässt im nächsten Moment alle Kartons fallen. „Was machst du denn hier?“ fragt sie erschrocken.