
Chapter 1
Seit einigen Monaten arbeitet Eva nun im Mondial. Sie hat sich nicht nur eingearbeitet, sie hat das Hotel auf links gedreht. Alte Strukturen aufgebrochen, Prozesse optimiert, ein neues Konzept entwickelt. Doch der Preis dafür ist hoch: Sie arbeitet wie besessen, ruht kaum, schläft nur, um danach wieder zu schuften. Selbst die Mitarbeiter, die mittlerweile kaum noch mitkommen, denken sich: Schläft die Frau überhaupt?
Doch Eva spürt, wie sich die Erschöpfung an ihre Nerven frisst. Hunger ignoriert sie, Müdigkeit verdrängt sie – alles nur, um das Ziel zu erreichen: endlich schwarze Zahlen schreiben. Sie will das Mondial von einer grauen, mittelmäßigen Unterkunft in ein nachhaltiges, modernes Vorzeigehotel verwandeln. Aber der Weg dahin ist ein steiniger.
Ständig steht jemand aus der Chefetage hinter ihr, überwacht jede Entscheidung, hinterfragt jede Ausgabe. Sie hat das Hotel schon hundert Mal in Gedanken umstrukturiert, doch die Herren im Vorstand bremsen sie aus. Investieren? Nein, wozu? Schwerin ist doch keine Metropole! Es ist ein kleines Hotel in einer Kleinstadt, mehr nicht. Für Eva ist diese Haltung unerträglich.
„Ökologisch nachhaltig und bezahlbar“, denkt sie. Das ist der Schlüssel. Und es könnte funktionieren – wenn ihr nicht ständig neue Hindernisse in den Weg gestellt würden. Da sind die Mitarbeiter, die sie um Sonderaufträge bitten, die mit dem Hotelgeschäft nichts zu tun haben. Da ist der ständige Ärger um Diebstahl oder um Angestellte, die das Hotel als ihre private Unterkunft betrachten, weil sie sich keine Wohnung leisten können.
Jeden Tag wird ihre Geduld mehr auf die Probe gestellt. Bis sie vor ein paar Tagen endgültig gerissen ist.
Rückblick
Uli hatte Eva gerade die Menüauswahl der Woche gezeigt. Vorsichtig, fast stolz, stellte sie Teller um Teller vor Evas Nase. Eva probierte alles, nickte zufrieden. Für einen Moment war sie tatsächlich bei der Sache, ließ sich von den Aromen ablenken. Doch dann vibrierte ihr Handy auf dem Tisch. Eine Nachricht von der Chefetage.
Evas Gesicht verfinsterte sich, die Anspannung kehrte zurück. Diese Nachrichten – immer voller Kritik, voller Misstrauen. Wie eine Praktikantin fühlte sie sich behandelt, nicht wie die Managerin, die das Hotel aus dem Sumpf ziehen sollte.
„Was denken die eigentlich, wer sie sind?!“ fuhr sie plötzlich los, ihre Stimme vibrierte vor Wut. „Meinen die, sie können mit mir machen, was sie wollen?“ Ihre Hand zitterte, als sie das Handy auf den Tisch knallte. „Ich habe keine Lust mehr auf diesen ganzen Scheiß! Ich reiße mir den Arsch auf – und wofür? Damit ich mir wieder Vorwürfe anhören darf?“
Dann geschah es. Ein Teller rutschte aus ihrer Hand, klirrte auf den Boden und zerbrach in unzählige Scherben. Die Luft im Raum war mit einem Schlag geladen.
Uli erstarrte, sah Eva mit erschrockenem Blick an, kniete sich dann wortlos hin, um die Scherben aufzusammeln.
„Lassen Sie das liegen!“ schrie Eva, ihre Stimme voller Wut. Uli zuckte zusammen, hielt inne.
„Ich kann das selbst machen! Oder denken Sie, ich bin nicht mal dazu fähig?“ Evas Augen funkelten, Wut und Verzweiflung lagen darin, wie ein Sturm, der nicht zur Ruhe kommen wollte.
Uli hob langsam den Blick, versuchte ruhig zu bleiben. „Ich wollte nur helfen“, sagte sie leise.
Aber Eva hörte nicht zu, sah nur die Wut in ihrem eigenen Spiegelbild, gespiegelt in Ulis Augen.
„Also gut“, sagte Uli schließlich, ihre Stimme kontrolliert, aber kühl. „Ich denke, ich habe hier alles erledigt.“ Sie stand auf, wandte sich um, und die Tür fiel mit einem lauten Knall hinter ihr ins Schloss.
Eva blieb zurück. Sie sah hinunter auf die Scherben, die über den Boden verstreut lagen – ein Bild, das sie nicht mehr losließ.
Rückblick Ende
Seit diesem Tag hatten Eva und Uli nicht mehr miteinander gesprochen. Eva hatte sich in ihr Büro zurückgezogen, wie in eine Festung, und sich erneut in die Arbeit gestürzt. Tag um Tag, Stunde um Stunde. Die innere Unruhe trieb sie an, ließ sie nicht innehalten.
„Das Hotel braucht eine neue Struktur. Ein neues Konzept“, murmelte sie immer wieder vor sich hin, wie ein Mantra.
Doch plötzlich riss ein dringender Anruf sie aus ihrem Tunnel. „Frau de Vries, wir brauchen Sie im Lager in der zweiten Etage. Es ist wichtig.“
Widerwillig legte sie den Stift weg, schob die Pläne beiseite und eilte die Treppen hinauf.
Die zweite Etage – ein kaum genutzter Bereich im Lager. Der Lagerraum war voll mit altem Krempel: Weihnachtsdekoration, verstaubte Kisten mit vergessenen Dingen, die niemand mehr brauchte. Ein Raum, der genauso viel Vergangenheit in sich trug wie sie selbst.
Als sie die Tür erreichte, standen Jeremy und Herr König bereits dort. Jeremy wirkte nervös, Herr König eher angespannt. Eva trat in die Mitte zwischen die beiden und sah sie nacheinander an.
„Was ist hier los?“ fragte sie, die Anspannung in ihrer Stimme deutlich.
Doch ihre Frage blieb unbeantwortet. Stattdessen lag ein unheilvolles Schweigen im Raum, das schwerer wog als die Luft voller Staub und Vergangenheit.
„Was zur Hölle ist das für eine Scheiße?“ fluchte Eva laut, als sie ins Lager trat. Ihre Schuhe standen im Wasser, und es hörte nicht auf. Die Pfützen wuchsen, während sich einige Mitarbeiter verzweifelt bemühten, die Rohre abzudichten. Tücher wurden gegen die undichten Stellen gedrückt, aber es brachte nichts – das Wasser strömte unaufhörlich weiter.
Jeremy und Raik halfen so gut sie konnten, doch ihre Blicke waren unruhig, fast panisch. Jeremy sah Eva an und rief ungehalten: „Ist ein Klempner gerufen?“
„hoffentlich!“ bellte Jeremy. „Stehen Sie nicht so rum, machen Sie endlich was!“
Evas Blick verhärtete sich. Schon wieder ließ sie sich von einem Mann anfahren. Sie wollte etwas entgegnen, doch sie biss sich auf die Zunge. Stattdessen griff sie nach weiteren Tüchern und schickte andere Mitarbeiter los, um die Lage in den Griff zu bekommen.
Nass bis auf die Haut drückte sie sich gegen das lecke Rohr, während ihr Telefon wieder klingelte. Sie griff danach, stöhnte genervt, und bevor sie abnahm, hörte sie schon die nächste Katastrophe: „In der ersten Etage läuft Wasser von der Decke!“
„Verdammter Mist!“ schrie sie und schnappte sich Herrn König. „Gehen Sie sofort nach unten und sehen Sie nach, was da los ist!“
Kaum hatte sie den nächsten Befehl erteilt, klingelte das Handy erneut. Mit einem lauten Seufzen ließ sie es fallen, atmete tief ein, dann explodierte sie.
„DAS IST EIN VERDAMMTER SCHEIßLADEN!“ schrie sie in den Raum. Alle hielten inne, starrten sie an. Ohne ein weiteres Wort stapfte sie, triefend vor Nässe, die Treppe hinunter in die Küche. Dort tropfte das Wasser bereits von der Decke, während die Mitarbeiter ratlos mit den Schultern zuckten.
Uli war dort und sah Eva an, doch sie sagte nichts. Es war, als spürte sie, dass jede Bemerkung die Situation nur noch verschlimmern würde. Da ertönte plötzlich ein lautes Knallen.
Eva riss den Kopf herum. „Was war das?“ rief sie.
Die Mitarbeiter zuckten mit den Schultern, alle gleichermaßen ratlos.
„Es kommt nicht von hier“, sagte Uli ruhig, während sie sich in der Küche umsah.
Dann hörten sie Pit aus dem Lager rufen: „CHEFIN! Kommen Sie schnell!“
Eva und Uli eilten ins Lager. Dort stand Pit und deutete auf die Kühlkammer. „Die Kühlung ist ausgefallen.“
Eva starrte ihn an, bevor sie langsam die Augen verdrehte. Sie atmete tief ein, um sich zu beruhigen, doch es brachte nichts.
„Was für eine Scheiße!“ brüllte sie, ihre Stimme bebend vor Wut. Sie griff nach der ersten Sache, die sie finden konnte, und schleuderte sie durch den Raum. Dann noch etwas, und noch etwas. Tücher, Kartons, leere Flaschen – alles flog durch die Luft.
Während Eva tobte, übernahm Uli ruhig das Kommando. Sie schloss das Restaurant und sorgte dafür, dass die Gäste nichts von der Katastrophe mitbekamen.
Zurück im Lager schüttelte Eva den Kopf. Ihre Hände zitterten, und sie wusste nicht mehr, wohin mit all ihrer Frustration. „Was soll das alles? Wer hasst mich so sehr, dass alles auf einmal passiert?“ Die Worte kamen laut heraus, obwohl sie sie nur denken wollte.
Die Mitarbeiter schauten betreten zu Boden oder zuckten mit den Schultern. Niemand wusste, was sie sagen sollten.
Eva atmete schwer. „Okay“, begann sie schließlich und rang sich zu einem klaren Gedanken durch. „Das Wasser abstellen. Sofort. Und den Strom in der Küche abschalten.“
Pit trat zögerlich einen Schritt nach vorne. „Und dann?“ fragte er leise.
Eva sah ihn an, dann zuckte sie mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung“, murmelte sie erschöpft. „Kümmern Sie sich um einen Elektriker und dann melden wir das alles der Versicherung. Vielleicht finden wir irgendeine Lösung.“
Sie fuhr sich mit der Hand durch die nassen Haare, während die Situation sie zu überwältigen drohte.
Uli trat leise näher. „Was machen wir, bis alles wieder normal läuft?“ fragte sie vorsichtig.
Eva sah sie an, doch sie hatte keine Antwort. Nicht jetzt. Nicht, während sie nach wie vor in nassen Klamotten dastand, umgeben von Chaos. Sie senkte den Kopf, dann holte sie tief Luft.
„Wir machen weiter“, sagte sie schließlich, ihre Stimme leise, aber fest. „Irgendwie.“
Eva schloss kurz die Augen, ihre Schultern sanken herab. Resignation machte sich breit. „Wir werden schon eine Lösung finden“, murmelte sie mehr zu sich selbst als zu den anderen. „Ich muss jetzt erstmal alles klären.“
Ihr Blick schweifte durch das Chaos, doch ihre Gedanken waren längst woanders. Der Klempner müsste jetzt endlich da sein. Ich sollte mich umziehen. Kann das Hotel überhaupt weiterlaufen? Was ist mit dem Schaden? Was passiert mit der Küche?
Die Fragen rasten durch ihren Kopf, wie Autos auf einer Autobahn, jedes schneller und lauter als das andere. Sie schüttelte den Kopf und stapfte schließlich aus der Küche, während ihre nassen Schuhe ein leises Quietschen auf dem Boden hinterließen.
Kaum hatte sie den Raum verlassen, atmeten die Mitarbeiter erleichtert aus.
„Die Frau hat echt zu viel um die Ohren“, murmelte Pit und verschränkte die Arme. „Aber ehrlich gesagt hat sie auch keine Ahnung, was sie tut.“
Uli, die gegen einen Schrank gelehnt stand, ließ ihren Blick über die verwüstete Küche schweifen. Pfützen bedeckten den Boden, und das Lager war nicht besser dran. Die Kühlkammer lag im Dunkeln, die Luft darin immer wärmer.
„Die ganzen Lebensmittel laufen weg“, fluchte Uli leise, während sie die Augen schloss. Für einen kurzen Moment versuchte sie, das Chaos auszublenden, das Gefühl von Überforderung abzuschütteln. Doch es war nur eine Sekunde, bevor die Realität sie wieder einholte.
„Wir müssen die Kühlung leerräumen“, sagte Pit schließlich. Uli nickte. „Aber was dann? Was machen wir mit all den Lebensmitteln? Wegwerfen?“
Uli biss sich auf die Lippe. „Ich frag die Chefin, ob wir noch irgendwas draus machen können“, sagte sie zögerlich, obwohl sie wusste, dass das Gespräch alles andere als angenehm werden würde. Eva und sie hatten nicht gerade die beste Beziehung.
Währenddessen stand Eva in der zweiten Etage mit dem Klempner vor den geplatzten Rohren. Das Wasser war mittlerweile im gesamten Hotel abgestellt worden, doch die Schäden waren verheerend. Der Klempner schüttelte den Kopf, während er die Rohre begutachtete.
„Das wird dauern“, sagte er schließlich mit ernster Miene. „Rechnen Sie mit mindestens einem Monat, vielleicht sogar zwei. Wir müssen alles neu verlegen. Vorher läuft hier kein Wasser mehr.“
Eva starrte ihn entsetzt an. „Zwei Monate?!“ Ihre Stimme klang fast heiser vor Schock. Das darf doch nicht wahr sein.
Der Klempner zuckte nur mit den Schultern. „Ich fange sofort an, aber Wunder kann ich keine versprechen.“
„Tun Sie, was Sie können“, presste Eva hervor, ihre Kehle war wie zugeschnürt.
Als sie sich ins Büro zurückzog, fühlte sie sich wie in einem Nebel. Ihre Kleidung war immer noch nass, und sie spürte das unangenehme Kratzen auf ihrer Haut, doch sie ignorierte es. Sie griff nach dem Telefon und wählte die Nummer der Versicherung.
„Ich brauche Unterstützung“, sagte sie in den Hörer, ihre Stimme angespannt. „Das ganze Hotel steht still. Wasserleitung geplatzt. Stromausfall in der Küche. Die Kühlkammer… ja, die ist auch betroffen.“
Während sie sprach, spürte sie, wie ihre Beine langsam nachgaben. Sie ließ sich in den Bürostuhl fallen, ihre Hände krallten sich ins Telefon.
Als sie auflegte, blieb sie einfach sitzen. Ihr Blick fiel auf den Schreibtisch, doch ihre Gedanken waren woanders.
Kein Wasser. Kein Strom. Keine Küche.
Die Worte hallten in ihrem Kopf wider. Sie wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Oder ob es überhaupt weitergehen konnte.
Unten in der Küche räumten Uli und Pit die Kühlkammer aus. Die Lebensmittel waren größtenteils aufgetaut , und das Bewusstsein darüber fraß sich in Uli wie eine Klinge.
„Wie lange dauert das mit dem Strom?“ fragte Pit, der den nächsten Karton heraustrug.
„Zwei Wochen, mindestens“, murmelte Uli und schüttelte den Kopf. „Die Kabel sind komplett hinüber. Alles muss neu verlegt werden.“
Pit fluchte leise. „Wenn das so weitergeht, können wir den Laden hier dichtmachen.“
Uli schwieg. Sie wusste, dass er recht hatte, wollte es aber nicht aussprechen.
Eva saß immer noch in ihrem Büro, als eine Nachricht von Uli einging:
„Die Kühlkammer ist leer. Was machen wir mit den Lebensmitteln?“
Sie las die Worte, starrte auf den Bildschirm ihres Handys, doch ihre Gedanken waren leer. Sie wusste es nicht. Sie wusste einfach nichts mehr.
Eva saß reglos in ihrem Büro, die Hände auf der Tastatur ihres iPads, doch ihre Gedanken rasten. Verdammt, entfuhr es ihr plötzlich, als eine neue Erkenntnis sie traf. Sie wohnte ja selbst im Hotel. Wenn hier nichts mehr lief, bedeutete das, dass sie nicht nur keinen Arbeitsplatz mehr hatte, sondern auch kein Zuhause.
Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie hatte seit über zehn Jahren keine eigene Wohnung mehr gehabt. Ihr Leben war ein permanentes Pendeln zwischen Hotels, zwischen Städten und Ländern gewesen. Sesshaftigkeit war für sie ein Fremdwort – bis jetzt.
„Scheiß drauf“, murmelte sie, öffnete eine App und begann hektisch nach Wohnungen zu suchen. „Sofort verfügbar“, dachte sie, während sie eine Liste durchging und wahllos Nummern anrief. Ein Termin. Zwei. Drei. Alles ausgebucht oder mit Wartezeiten verbunden.
Dann fand sie sie: eine kleine Wohnung, verfügbar ab sofort. Sie griff zum Handy, rief an und sagte zu, ohne sie auch nur gesehen zu haben. Es war ihr egal. Hauptsache, ein Dach über dem Kopf.
Kaum hatte sie aufgelegt, war das nächste Problem dran. Die Gäste. Eva holte die Gästeliste hervor und begann, Buchungen zu stornieren und die Gäste umzubuchen. Jeder Name auf der Liste war ein weiterer Stich in ihr ohnehin schon angespanntes Nervenkostüm.
Ein leises Klopfen ertönte an der Bürotür, doch bevor Eva reagieren konnte, trat Uli ein.
„Was gibt es jetzt?“ fragte Eva, ohne von ihrem Bildschirm aufzusehen, ihre Stimme gereizt.
Uli trat näher und hielt inne, ihre Hände auf den Bauch gestützt. „Die Lebensmittel aus der Kühlkammer“, begann sie vorsichtig. „Die laufen ab. Soll ich etwas daraus kochen? Spenden? Oder… mitnehmen?“
Eva hob den Kopf und starrte Uli an, als hätte sie gerade einen Geist gesehen.
„Meinen Sie ernsthaft, dass ich gerade Zeit habe, mich um… um Scheiß Lebensmittel zu kümmern?“ Evas Stimme wurde lauter, während sie aufsprang. „Ich muss hier alles regeln! Die ganzen Schäden, den Betrieb, die Gäste… und dann auch noch meinen Umzug!“
Uli wich einen Schritt zurück, ließ sich jedoch nicht einschüchtern. „Und trotzdem verfaulen die Sachen da unten“, erwiderte sie ruhig, ihre Stimme nur minimal zitternd. „Ich wollte nur sicherstellen, dass ich das Richtige tue, bevor ich handle.“
Evas Augen funkelten vor Wut, aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass Uli recht hatte. Sie atmete schwer, schloss für einen Moment die Augen und stützte sich dann auf den Schreibtisch, genau wie Uli es tat.
„Machen Sie, was Sie wollen“, sagte sie schließlich mit tonloser Stimme. „Kochen, spenden, meinetwegen auch verteilen. Aber bitte… lassen Sie mich mit solchen Kleinigkeiten in Ruhe.“
Uli blieb noch einen Moment stehen, musterte Eva mit einem durchdringenden Blick, bevor sie leise sagte: „Das war keine Kleinigkeit. Aber wie Sie meinen.“
Uli sah Eva einen Moment lang an, bevor sie ohne ein weiteres Wort das Büro verließ. Ihre Schritte verhallten im Flur, und Eva saß wieder allein da, mit einem Gefühl, als würde alles über ihr zusammenbrechen. Das ist wirklich das größte Chaos meines Lebens, dachte sie und zwang sich, zurück an die Arbeit zu gehen. Die Liste der Gäste wartete. Umbuchungen. Stornierungen. Ein endloser Albtraum.
Ein Klopfen riss sie aus ihrem Trott. Jeremy trat ein, und Eva sah kurz von ihrem Bildschirm auf.
„Wir haben die Möbel ins Lager gestellt und die Matratzen in andere Zimmer zum Trocknen gebracht,“ berichtete er ruhig.
Eva nickte dankbar. Dann zögerte sie, bevor sie ihn direkt ansah. „Haben wir eigentlich noch ein Bett übrig? Matratzen? Ich muss hier ausziehen und… ich habe nichts. Keine Möbel.“
Jeremy musterte sie mitfühlend, seine Stirn in Falten. „Ich kümmer mich drum“, sagte er schließlich. „Ich lass ein Bett und ein paar Möbel in einen der Transporter packen. Vielleicht finden wir auch ein Sofa, einen Tisch, ein paar Stühle. Zumindest das Nötigste.“
Eva atmete tief ein, die Anspannung wich einen Moment aus ihren Schultern. „Vielen Dank für Ihr Engagement“, sagte sie leise, fast schüchtern, und wandte sich wieder ihrem Computer zu.
Nach Stunden intensiver Arbeit war die Gästeliste endlich durch. Eva hatte alle Gäste umgebucht und den Rest storniert. Jetzt kam das Gespräch, vor dem sie sich den ganzen Tag gefürchtet hatte. Ihre Chefs.
Das Telefonat dauerte keine zehn Minuten. Die Anweisung war klar – und brutal: „Das Hotel muss weg. Verkaufen Sie es. Mit dem Wasserschaden wird es zwar schwerer, aber es ist jetzt Ihre Aufgabe.“
Eva legte auf und starrte leer auf den Schreibtisch. Das war’s? Nach allem, was ich hier reingesteckt habe?
Sie sah auf die Uhr. Es war 16 Uhr. Zeit, zur neuen Wohnung zu fahren, den Vertrag zu unterschreiben und die Schlüssel abzuholen. Sie zog sich frische, aber ungebügelte Kleidung an – mehr Zeit war nicht – und fuhr los.
Die Wohnung lag nur fünf Minuten vom Hotel entfernt. Die Umgebung war… akzeptabel. Kein Vergleich zur Aussicht vom Hotelzimmer, dachte Eva, als sie das Gebäude betrat. Es war eine kleine Wohnung in der ersten Etage mit zwei Schlafzimmern. Das zweite würde wohl ein Arbeitszimmer werden.
Die Küche war winzig, und Eva wusste, dass sie sie kaum nutzen würde. Das Wohnzimmer war groß, aber kahl. Der Balkon ging in den Hinterhof – zumindest ein bisschen Privatsphäre. Doch als sie das Badezimmer sah, seufzte sie laut. Keine Badewanne. Da fällt die einzige Möglichkeit weg, mich nach einem anstrengenden Tag zu entspannen.
Sie unterschrieb den Vertrag, nahm die Schlüssel und fuhr zurück zum Hotel. Dort drückte sie die Schlüssel einem Mitarbeiter in die Hand.
„Bringen Sie alles in die Wohnung. Bauen Sie das Bett auf – einfach in einem der Zimmer.“
„Natürlich, Chefin.“
Eva nickte. Hauptsache, ein Bett, dachte sie. Alles andere war ihr im Moment egal.
Zurück im Hotel ging sie in die Küche. Uli hatte die verderblichen Lebensmittel auf die Mitarbeiter verteilt, die gerade noch dabei waren, alles einzupacken.
Eva blieb stehen, sah Uli an und murmelte: „Entschuldigung… für meinen Ton vorhin. Ich habe einfach viel zu tun.“
Uli wischte sich die Hände an einem Tuch ab und nickte. „Schon gut.“
„Könnten Sie mir… Lebensmittel zusammenstellen? Für jemanden, der nicht kocht, aber irgendwie überleben muss? Ich brauche auch Getränke. Ich schaffe es nicht mehr, einkaufen zu fahren.“
Uli hob überrascht die Augenbrauen. „Klar, mach ich.“
„Ich ziehe aus“, warf Eva beiläufig ein, bevor sie schon wieder auf dem Weg zur Tür war.
„Alles klar, ich stell was zusammen“, rief Uli ihr nach.
Eva seufzte, während sie den Flur entlangging. Lass diesen Tag einfach vorbei sein, dachte sie. Ihre Gedanken überschlugen sich, sie versuchte, die Baustellen in ihrem Kopf zu sortieren. Doch plötzlich knickte sie mit dem Fuß um.
Ein scharfer Schmerz durchzog ihren Knöchel, und ein lautes „Ahhh!“ hallte durch den Flur. Sie landete unsanft auf dem Boden, blieb kurz reglos sitzen, während ihr für einen Moment schwarz vor Augen wurde. Übelkeit stieg in ihr auf.
Sie schüttelte den Kopf und flüsterte zu sich selbst: „Ich glaube, ich soll diesen Tag nicht überleben.“