Ad infinitum

Harry Potter - J. K. Rowling
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Ad infinitum
Summary
Ein kleines Missgeschick ändert die bekannte Geschichte.Was passiert, wenn Dumbledore beschließt, dass ausgerechnet Severus Snape der Richtige ist, um Harry Potter in die Zaubererwelt einzuführen. Geheimnisse werden aufgedeckt, die anderenfalls vielleicht immer verborgen geblieben wären.
Note
Hey :)Schön, dass du da bist! Ich wünsche dir ganz viel Spaß beim Lesen.Ich versuche die Geschichte jeden Freitag zu updaten.Lasst mir gerne Lob, Kritik oder Wünsche in den Kommentaren. :)
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Ein Fenster in die Vergangenheit

Severus fühlte sich grausam. Er hatte es bis in sein Quartier geschafft, nahm sich eine Flasche Wein und brach dann auf seinem Lesesessel zusammen. Dumbledore hatte einige Mauern in seinem Kopf eingerissen, die dort schon lange Zeit aufgebaut waren. Der plötzliche Schwall an Emotionen drohte ihn zu überwältigen. Er öffnete die Flasche mit seinem Zauberstab und nahm einen Schluck. Der abgestandene Atem nach Bier stieg ihm in die Nase.

Nein, hör auf damit. Lass Mami in Ruhe.

Ein Kind schrie. Das Kind war er. Er drängte die Erinnerungen hinter eine neue Mauer, doch er konnte sie nicht greifen. Die Bilder rannen durch seine Finger. Wurden flüssig. Wurden zu neuen Schemen. Ein Kind lugte durch die Lüftungsgitter eines Schrankes. Nein, das waren nicht seine Erinnerungen. Ein Kind drückte sich an eine Tür. Es war dunkel, nur durch den Spalt zwischen Boden und Tür drang etwas Licht. Aber hier konnte man auch die Schreie hören. Nein. Die nächste Wand. Er nahm einen weiteren Schluck. Er zitterte so stark, dass er etwas davon verschüttete. Erbärmlich. Noch ein Schluck, eine weitere Mauer. Ein grüner Lichtblitz. Ein weiterer Schluck. Wieder grünes Licht. Aus seinem eigenen Zauberstab. Lachen und das unbändige Gefühl unbesiegbar zu sein. Die Flasche war leer. Eine weitere Mauer. Eine weitere Flasche. So ging es weiter bis sich erneut die gnadenlose Stille in Severus Kopf ausgebreitet hatte. Er ließ sich in sein Bett fallen. Ihm war kalt, doch er hatte nicht die Kraft sich zu zudecken. Stille. Er schlief.

Grünes Licht und rote Haarsträhnen zogen sich durch Severus Träume. Er hatte das unbändige Verlangen etwas zu verfolgen, doch er konnte es nicht greifen. Severus. Tu das nicht. Er blickte an seinem Zauberstab entlang auf sie hinab. Lily kniete vor ihm. Grünes Licht flammte auf. Lily schrie. Ein Baby weinte. Severus erwachte Schweiß gebadet. Wieder dieser Traum. Er hatte ihn eine lange Zeit jede Nacht begleitet. Doch das letzte Mal war schon eine ganze Weile her. Potters Erinnerungen schienen seiner Fantasie jedoch neuen Stoff geliefert zu haben. Ihre Schreie. Er rieb sich die Augen und tastete nach seinem Zauberstab.

„Tempus“, krächzte er.

Gerade Mal fünf Uhr morgens. Sein Kopf dröhnte. Kam das von dem Wein, oder der schlampigen Okklumentikarbeit? Er tastete einige Barrieren ab. In seinem Kopf herrschte Chaos. Für seine alten Mauern hatte er ein komplettes Leben Zeit gehabt. Seit seiner Jugend hatte er sorgsam sein Labyrinth gepflegt, bis sie Albus einfach wie Dominosteine zum Einsturz gebracht hatte. Er stöhnte. Es hatte keinen Sinn weiter zu schlafen. Vielleicht würde ihm etwas Schmerzmittel Linderungen verschaffen. Von seinem Zaubertrankvorrat griff er sich auch eine Viole mit dem Trunk des Friedens, den er in der Prüfungsphase für seine Schüler immer parat hatte. Er war es nicht gewohnt sich nicht auf seine Barrieren verlassen zu können und einen weiteren Zusammenbruch konnte er sich nicht leisten. Er ließ die Überreste des gestrigen Abends mit seinem Zauberstab verschwinden, setzte sich auf seinen Lesesessel und wartete, bis die Wirkung einsetzte. Er versuchte seinen Kopf zu leeren. Sein Herzschlag verlangsamte sich, doch er musste feststellen, dass irgendetwas fehlte. Er schaffte es nicht sich komplett zurück zu ziehen. Dabei kam das normal so natürlich zu ihm, wie atmen. Irgendetwas stimmte mit ihm nicht. Severus versuchte den Gedanken ziehen zu lassen, doch er war hartnäckig und tauchte immer wieder vor ihm auf. Also tat Severus das, was er schon immer gemacht hatte. Er baute eine Mauer um seine Angst. Als es still genug war, begann Severus das Chaos anzugehen. Er würde im Kern seines Labyrinthes anfangen müssen. Erinnerungen, die schon sehr lange vergraben lagen. Er stellte zufrieden fest, dass der Kern größten Teils in Takt war. Seine Kindheitserinnerungen waren hier. Weil das Labyrinth eben einen Anfang gebraucht hatte. Doch es gab im Herzen des Labyrinths auch die Erinnerungen, die so weit wie nur Möglich von der Oberfläche versteckt sein sollten. Hier verwahrte er seine kostbarsten und gefährlichsten Schätze. Hier lebte Lily. In seiner neu gewonnenen Ruhe stelle Severus fest, dass Albus keineswegs alle seine Barrieren eingerissen hatte. Er war lediglich hier her vorgedrungen und hatte auf dem Weg ein Feld der Verwüstung hinterlassen. Er tastete die Mauern um seine Kindheitserinnerungen ab. Sie hatten nur wenige Lücken. Albus hatte sich nicht dafür interessiert, als er merkte, was sich dahinter befand. Severus nahm sich die Zeit und reparierte sie sorgsam. Es waren dicke Wände. Dann schob er die wenigen Erinnerungen, die gestern an die Oberfläche gekommen waren dahinter. Zu viele Mauern waren nicht gut. Er brauchte seine Ordnung und wenn er ständig zahlreiche kleinen Räume umgehen musste, in der er einzelne Gedanken einsperrte, konnte er nicht klar denken. Nächster Raum. Er ging an Lily vorbei. Dafür war er noch nicht bereit. Seine Tage als Todesser als nächstes. Dies war kein einzelner Raum, eher eine Ansammlung. Manche hatten Türen, manche leicht zugänglich, manche schwer. Er hatte für Albus oder den dunklen Lord manchmal auf solche Erinnerungen zugreifen müssen. Es war leichter sie so zu organisieren. So wusste er, wie er sie finden konnte. Es nahm wesentlich mehr Zeit in Anspruch. Er nahm Erinnerung, um Erinnerung, prüfte sie flüchtig und baute ihr einen neuen Raum aus den Ruinen, oder sortierte sie zu anderen. Er hinterließ keine Türen. Wenn er sie jemals wieder brauchen würde, würde er die Mauern einreißen müssen. Doch seine Kraft reichte nicht für mehr. Außerdem verschwanden sie ja nicht einfach aus Severus Gedächtnis. Er konnte sich trotzdem noch daran erinnern. Doch er hatte Abstand zu ihnen. Konnte sie rational betrachten. Die verbundenen Emotionen waren von ihm getrennt. Auf der anderen Seite einer Mauer. Außerdem konnten Angreifer sie so nicht finden. Zumindest hatte Severus das bis gestern gedacht. Der dunkle Lord hatte es ganz selten geschafft einige Barrieren einzureisen, doch noch nie in das Labyrinth vorzudringen. Severus hatte auch immer genug Kontrolle gehabt, um neue Barrien zu errichten und Gedanken auszutauschen, wenn der dunkle Lord in seine Gedanken vordrang. Er war übermüdet, als er die letzten Steine am Eingang seines Labyrinths setzte. Er wusste, dass ganz im Inneren ein Kartenhaus auf ihn wartete. Wackelige Barrieren um Lily. Doch er hatte heute nicht mehr die Kraft sich damit zu beschäftigen. Würde er jemals die Kraft dazu haben? Langsam ließ er sich in die Realität zurück gleiten. Wenn er so lange Zeit in seinen Gedanken verbracht hatte, wirkte das echte Leben oft surreal. Doch er stellte zu seiner Zufriedenheit fest, dass er sich wieder fast normal fühlte. Völlig erschöpft, aber er konnte wieder klarer denken. Er testete, ob er sich erneut abschirmen konnte. Es passierte augenblicklich. Sein Kopf war leer. Er ließ die Barriere wieder fallen und streckte sich zufrieden. Er musste sich ausruhen. Eine komplette Abschirmung brachte sowieso meist nichts. Es vernebelte das Denken und jeder gute Legilimentiker wusste, dass vor ihm etwas verborgen wurde. Aber er erwartete so schnell keinen weitern Angriff des Schulleiters. Zumindest nicht vor nächster Woche. Dann würde er ihn in Stücke reisen und die Fetzen an die Dementoren übergeben. Er konnte nur die Hoffnung haben, dass es schnell gehen würde. Er würde Albus keine zufriedenstellende Erklärung liefern können. Eine Woche Schonfrist, um seine Angelegenheiten zu klären. In seinem Zimmer war auf einmal zu wenig Luft. Er konnte nicht mehr richtig atmen. Ohne nach zu denken stürmte er hinaus. Er lief durch die verlassenen Gänge des Kerkers und fand sich vor den Eingangstoren wieder. Wo wollte er hin? Was wollte er tun? Er stieß sie auf und sog die Luft gierig ein. Die Sonne war bereits wieder am untergehen. Severus stand einfach dort und beobachtete, wie die Schatten immer länger wurden. Weit in der Ferne konnte er Hagrid sehen, wie er wild gestikulierte.

„Severus“, sagte eine Stimme hinter ihm.

Er fuhr zusammen.

„Minerva“, sagte er,  als er seine Kollegin erkannte.

Sie stellte sich neben ihn und blickte in Richtung Hagrid.

„Dir geht es nicht gut“, stellte sie fest.

Severus konnte es schlecht bestreiten. Er war keine schreckhafte Person und schon gar keine, die wehmütig in den Sonnenuntergang blickte. Trotzdem stand er hier. Er verstand es selbst nicht. Waren das seine Reaktion auf sein baldiges Ableben? Ging er dazu über die kitschigen Romanzen nachzustellen, die Lily so gerne gelesen hatte. Wurde er jetzt sentimental? Nein, er wusste, dass es durch die Ritzen des Kartenhaus in seinen Inneren drang. Erinnerungen, die er nur weg gesperrt hatte. Die Wunde hinter seinen Mauern war noch so frisch wie an Samhain vor zehn Jahren. Severus hatte ihr nie Zeit gegeben zu heilen und jetzt würde er keine Zeit mehr dafür haben.

„Wir trinken einen Whiskey zusammen.“

Es war keine Frage. Severus dankte seiner Kollegin im Stillen für die Ablenkung und folgte ihr in den Gryffindor Turm. Er nahm ein Glas Whiskey entgegen und ihm fiel auf, dass sie ihn aus ihrer besten Flasche bedient hatte. In diesen Geschmack war er noch nie gekommen. Sie nahm sich ebenfalls und sah aus dem Fenster.

„Albus sieht häufig nur schwarz und weiß“, sagte Minerva und sah aus dem Fenster. Sie vermied seinen Blick. Als Legilimentiker kannte er die Anzeichen. Sie wollte nicht, dass er etwas aus ihren Augen lesen konnte. Er wartete ab.

„Du weißt, dass ich meine Vorbehalte hatte, als du die Professur angenommen hast. Du weißt auch, dass ich mit der Zeit den Grund deiner Entscheidungen verstanden habe. Aber ich kann dir nicht dafür vergeben. Das kann keiner außer dir. Aber ich werde dir auch keine Vorwürfe machen.“

Severus atmete scharf ein. Seitdem er begonnen hatte an der Schule zu unterrichten gab es viele Abende wie diesen. Ihre Trinkfestigkeit hatte sie irgendwie zusammen gebracht und der Alkohol hatte dafür gesorgt, dass sie schwere und belastende Themen besprochen hatten. Im Schuljahr gab es nur wenige Gelegenheit für Freizeit und noch weniger geeignete Gesprächspartner im Schloss. Severus wusste, was Minerva von ihm hielt. Sie hatten keine Freundschaft, keine engere Bindung, die Vertrauen geschaffen hatte. Nur den Respekt für den Intellekt und die Einstellung zum Leben des Gegenübers.

„Ich würde dich unter anderen Umständen nicht um Informationen bitten, aber es geht um Harry.“

„Albus hat dich darauf angesetzt?“

„Nein, ich bin sehr wohl in der Lage zu verstehen wie Blutmagie funktioniert und das sie nicht auf Intention basiert, wie Albus uns weismachen wollte.“

Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. Ihre Augen funkelten wütend. Severus gab einen überraschten Laut von sich.

„Nicht schwarz und weiß“, sagte sie wieder ruhiger.

Severus wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Er nahm einen Schluck des Whiskeys. Er brannte in seiner Kehle und Severus genoss es.

„Und was schließt du daraus?“, fragte Severus schließlich.

Er war es leid um die unausgesprochenen Anschuldigungen und Fragen herum zu manövrieren. Minerva nahm ebenfalls einen Schluck, bevor sie antwortete.

„Du bist der Vater von Harry.“

Ihre Worte hingen in der Luft. Severus schwieg.

„Ich weiß es geht mich nichts an, aber wie ist das möglich? Lily hat sich für James entschieden und du warst zu der Zeit loyal gegenüber Voldemort. Welche Erklärung hast du Albus gegeben, dass du jetzt noch hier im Schloss bist?“

Die letzten Worte waren fast flehend.

„Ich habe keine Erklärung“, sagte Severus.

Er sah, wie Minervas Schultern hinunter sackten.

„Ich habe keine Erinnerung an irgendein Ereignis, das dazu hätte führen können. Kein Ritual, kein Zauber und sowieso keinen… Akt. Ich habe Lily nach Hogwarts nicht mehr gesehen. Nach allem was ich weiß, ist es wahrscheinlicher, dass ich der Bruder von James Potter bin.“

„Ich verstehe“, sagte Minerva und klang dabei weniger angespannt als zuvor.

Beide verfielen wieder in Schweigen. Als die Stille unerträglich wurde, begann Severus all die Gedanken, die er seit dem gestrigen Abend verdrängt hatte auszusprechen. Er wusste nicht was ihn dazu brachte. War es die mentale Belastung oder der Alkohol? Er konnte sie einfach nicht mehr für sich behalten.

„Aber was ist, wenn ich es getan habe, Minerva? Was ist, wenn ich… Was, wenn ich sie mir einfach genommen habe und dann nicht damit leben konnte? Was ist wenn ich mich selbst obliviiert habe, weil ich es nicht ertragen habe?“

Severus Stimme brach. Ihm war es noch nie so schwer gefallen etwas auszusprechen. Vielleicht weil er es nicht gewohnt war sich so intensiv mit seinen Ängsten auseinander zu setzen. Doch dieses Mal hatte er nicht die Option eine Mauer um sie herum zu errichten.

„Glaubst du das wirklich?“, fragte Minerva und sah ihm endlich in die Augen.

„Ich weiß es nicht, aber für euch scheint es ja die naheliegendste Erklärung zu sein. Und ganz ehrlich, ich weiß nicht, was ich damals alles getan hätte. Ich habe sie begehrt.“

„Du hast sie geliebt.“

Severus nickte. Er hatte sie immer geliebt. Schon als Junge. Aber zu diesem Zeitpunkt? Als er dem dunklen Lord diente war sein Leben ein einziger Rausch aus schwarzer Magie, Macht und Drogen. Hatte er damals etwas anderes empfinden können, als Hass und dem Bedürfnis nach mehr Macht und Anerkennung?

„Severus“, sagte Minerva und legte sanft eine Hand auf seine Schulter.

„Wenn du so etwas getan hättest, dann hättest du heute noch die Erinnerungen daran. Ich bin nur ungern die Überbringerin schlechter Nachrichten, aber du hast einen überwältigenden Hang zur Selbstzerstörung, Severus. Du hättest die Erinnerung dich dein restliches Leben lang quälen lassen.“

Severus würde es niemals aussprechen, aber bei Minervas Worten merkte er, wie sich der Knoten in seiner Brust etwas lockerte. Sie hatte recht. Severus hatte viele schreckliche Dinge getan. Er hatte nichts davon vergessen. Er durchlebte einiges davon in seinen Träumen, wenn die Okklumentikbarrieren nach einen langen Tag geschwächt waren. Er durchlebte es immer und immer wieder. Severus hatte nie etwas dagegen getan, obwohl es gekonnt hätte. Nein, er hatte seiner besten Freundin so etwas niemals antun können. Dennoch blieb die Frage im Raum schweben, wieso der Zauber so gewirkt hatte. Severus hatte eine Woche Zeit um es heraus zu finden und er würde nicht noch einen Tag verschwenden. Vielleicht gab es ja eine ganz einfache Erklärung, die nicht beinhalten musste, dass er mit dem Ebenbild seines Kindheitsfeindes verwandt ist. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Als er Potter das erste Mal gesehen hatte fand er es absurd, wie ähnlich er seinem Vater war. Er schob den Gedanken davon und nahm einen großen Schluck Whiskey. Vielleicht würden ihm mit Minerva gemeinsam noch andere Ideen kommen. Nach weiteren drei Gläsern und einigen Stunden waren jedoch beide Kollegen zu dem Schluss gekommen, dass keine der anderen Theorien viel Sinn ergab. Minerva versprach ihm aber Nachforschungen anzustellen, als sie sich ins Bett verabschiedete.

Auch in dieser Nacht schlief Severus schlecht. Seine Träume waren gefüllt von Lily, die ihn zu sich rief. Doch er konnte sie nicht finden. Er hörte ihre Stimme, sah ihr Haar aufblitzen, doch dann erwachte er, nur um im nächsten Augenblick wieder in einen unruhigen Schlaf zu gleiten.

 

~ ~ ~

 

Als Severus am nächsten Morgen erwachte, fühlte er sich unausgeschlafen und schwach. Es dauerte einige Zeit bis er bemerkte, dass er am Vortag nichts anderes als Whiskey zu sich genommen hatte und er rief einen Hauselfen zu sich, um ihm Frühstück zu bringen. Während er Porridge aß plante er seinen Tag. Er würde das Denkarium nutzen, um alle möglichen Theorien zu überprüfen. Vielleicht übersah er eine Erinnerung. Vielleicht wurde er wirklich obliviiert. Doch selbst dann würde er Hinweise auf die verschütteten Erinnerungen finden können. Mit genug Kraft konnte man eine solche Barriere auch durchbrechen, wenn man wusste, wo sie sich befand. Selbst wenn Severus es nicht schaffen würde, würde Albus ihm sicher eine helfende Hand anbieten.

Zunächst würde er sich auf die einfacheren Ideen beschränken. Themen die ihm nicht wichtig vorgekommen waren. Lily, die ihm im Spaß ihr ersten Kind versprach und sie versehentlich einen bindenden Vertrag eingingen, weshalb Potters Kind nun offiziell seines war. Abwegig, aber nicht unmöglich. Er hatte mit Minerva eine ganze Liste an solchen Situationen erarbeitet. Vom Ritual zum Zeugen eines Erben bis hin zu einem Leimutterschaftszauber, den schwule Paare nutzen konnten, um ein biologisches Kind zu zeugen. Ihm schauderte bei dem Gedanken, wie amüsant es Minerva gefunden hatte, dass er vielleicht sogar mit James Potter ein Kind hätte zeugen wollen. Lächerlich. Und dennoch ging er die Liste durch. Erst sehr spezifisch, dann allgemeiner. Er stoß auf einige Unterhaltungen mit Lily. Nach einer Unterhaltung über ihren ersten Kuss am See, die er sich im Denkarium angesehen hatte, öffnete er eine neue Flasche Wein. Severus warf einen neuen Faden silbriger Erinnerung in das Denkarium. Er hatte eine kurze Unterhaltung über den Neffen einer Schulfreundin Lilys im Kopf.

 

„Und der Kleine ist so niedlich. Emma hat erzählt, dass er zu seinem ersten Geburtstag einen kleinen Besen bekommt. Kannst du dir das vorstellen?“

Sie saßen in der Bibliothek. In ihrem gewohnten Eck. Die Köpfe verschwörerisch zusammen gesteckt.

„Ein Jahr alt und er darf schon fliegen. Wenn ich mir vorstelle, wie ich mich letztes Jahr damit angestellt habe. Aber James meint, dass manche Kinder da einfach ein natürliches Talent haben.“

Lily warf einen Blick aus dem Fenster.

„Willst du irgendwann mal Kinder?“, fragte sie Severus.

„Auf jeden Fall. Viele. Aber erstmal will ich ganz viel Lernen und die Welt sehen. Ich verstehe nicht, weshalb so viele Zauberer und Hexen so jung Kinder kriegen. Wir haben doch viel länger Zeit für sowas. Und du?“

Severus nickte scheu.

„Ja, ich auch.“

Severus wollte nie Kinder. Auch damals nicht. Aber er wollte Lily gefallen. Die Bibliothekarin ermahnte sie streng. Lily wandte sich kichernd ihrem Buch zu und der junge Severus tat es ihr nach kurzer Zeit gleich.

 

Severus tauchte aus dem Denkarium auf. Wieder keine neuen Informationen. Seine Liste wurde immer kürzer und seine Weinflasche leerer. Wenn er so weiter machte würde er bis zum Ende der Woche durch den Vorrat für das gesamte nächste Schuljahr durch sein. Jetzt blieb ihm nur noch eine Art von Szenario auf der Liste. Sex. Banal, aber Severus hatte gehofft, dass er etwas anderes finden würde. Denn nun würde er nach einer Erinnerung suchen, die aus seinem Kopf obliviiert wurde. Das war schließlich kein Ereignis, was man einfach mal so vergaß. Er hatte immer gehofft, dass zwischen Lily und ihm einmal mehr werden könnte. Als Teenager davon geträumt mit ihr das Bett zu teilen. Zum Ende ihres vierten Jahres hatte er sogar die ersten vorsichtigen Schritte gemacht und Lily schien nicht abgeneigt zu sein. Doch über den Sommer passierte dann das mit seiner Familie und im fünften Jahr war ihre Beziehung nicht mehr die selbe. Dass er sie Schlammblut genannt hatte, war nur ein letzter Stoß gewesen, den sie gebraucht hatte, um ihn fallen zu lassen. Er konnte es ihr nicht verübeln.

Severus lehnte sich zurück und versuchte sich auf das kommende vorzubereiten. Er atmete ruhig, schloss seine Augen und leerte seine Gedanken. Er würde es allgemein halten müssen. Er war sich sicher, dass er keine ganze Erinnerung finden würde. Er würde auf kleine Fetzen achten müssen. Severus versuchte sich zu entspannen und versuchte das Gefühl von sexueller Lust in sich herauf zu beschwören. Er ließ seine Gedanken aufsteigen und oberflächlich vorbei wehen. Nur Bruchteile der tatsächlichen Erinnerungen erreichten sein Bewusstsein. Eine fackelbeschienene Nische in den Verließen von Hogwarts. Das Badezimmer des Slytherin Jungenschlafsaals. Ein Mann in einem dunklen Umhang, grölendes Lachen und ein Schrei. Severus‘ erste Reaktion war es sofort seine Okklumentik-Barriere aufzubauen, wie er es immer tat, wenn diese Art von Bildern aus seiner Vergangenheit vor seinen Augen auftauchten. Er kämpfte gegen den Drang an. Scham drohte ihn zu überrollen. Er hatte sich immer über dieser Art von Todesser gesehen und war ihren Einladungen nie gefolgt – war nicht mal verlockt es zu tun. Er wollte sich gerade wieder aus seinen Gedanken zurück ziehen, um mit seiner Flasche Wein sein letztes bisschen Würde zu ertränken, da sah er es in den nächsten Bildern. Eine Woge rotes Haar. Nur flüchtig, bevor es durch andere Bilder verdrängt wurde. Rasch zog er seinen Zauberstab, verfolgte den mentalen Pfad zurück und zog die Erinnerung als silbrigen Faden aus seiner Schläfe. Snape schlug die Augen auf. Der Gedankenfaden schwang unruhig durch das schwache Beben seiner Hände. Er begann tief und langsam zu atmen. Achtsam baute er seine Schilde auf. Seine Hand führte den Zauberstab über das Denkarium und ließ den Gedanken hinein fallen. Er lehnte sich nach vorne. Sein Kopf stoß erneut durch die Oberfläche seiner eigenen Vergangenheit.

Schon in dem Moment als seine Füße auf dem Boden aufkamen wusste er, dass er hier falsch war. Die Frau, die er in der Erinnerung mit seinem jüngeren Ich im Bett vorfand, war nicht Lily. Ihr Haar war ebenfalls rot, allerdings näher an blond, als dem dunklen rot Lilys.

Es hatte etwas perverses an sich sein jüngeres Selbst dabei zu beobachten, wie er sich leise grunzend abmühte. Etwas angewidert wollte er bereits wieder die Szene verlassen, doch etwas störte ihn. Er erinnerte sich an den Abend. Einige Todesser und er waren durch die üblichen Bars gezogen. Er hatte zu viel getrunken und im drei Besen mit dieser Frau angebändelt. Er kannte sie nicht und es war ihm damals egal gewesen, wer sie war. Sie dagegen hatte sich bei dem dunklen, mysteriösen Mann wohl mehr erhofft, als die unerfahrenen Versuche eines Mannes, der gerade mal dem Teenageralter entwachsen war. Sie stöhnte und verdrehte genervt die Augen, als dies sein jüngeres Selbst nur noch mehr anspornte. Eigentlich überraschend wie lange er durchhielt. Die wenige Privatsphäre in Hogwarts und das Fehlen an sexuellem Kontakt hatte nicht gerade zu seiner Ausdauer beigetragen, wie er bei seinen ersten peinlichen Versuchen feststellen musste. Doch das war es nicht, was ihn verunsicherte. Bedacht tastete er die Gefühle ab, die sich in der Erinnerung versteckten. Eine Woge wohligen Dunstes überflutete ihn – Alkohol. Wesentlich mehr als er erwartet hatte. Darunter verborgen war das Gefühl der Erregung, dem er hier her gefolgt war, doch auch etwas anders. Verzweiflung und Angst.

In diesem Moment flog die Tür zu dem kleinen Gästezimmer der drei Besen auf und drei dunkel gekleidete Männer traten hindurch. Er sah sich selbst zu, wie er sich vor Schreck von der Frau wegriss, vom Bett taumelte und in einem verzweifelten Versuch würdevoll auszusehen vor den Eindringlingen aufbaute. Die Tatsache, dass er dabei splitterfasernackt war und vom Alkohol leicht schwankte schmälerte den Eindruck den er machen wollte gewaltig. Zwei der Männer begannen bei dem Anblick zu Grölen und sein jüngeres Selbst entspannte sich, als er merkte, wer da in seine Privatsphäre geplatzt war.

„Lucius“, schnarrte er, seine Zunge schwer.

„Ich bin gerade etwas beschäftigt.“

Er fuchtelte bedeutsam in Richtung der Frau, die nun mit großen Augen im Bett saß, die Decke hastig über ihren nackten Körper gezogen. Etwas verwirrt blickte sein jüngeres Ich auf seinen Zauberstab, den er in seiner Hektik vom Nachttisch neben das Bett gefegt hatte.

„Das kann ich sehen“, kam die scharfen Worte des älteren Zauberers.

Er hatte bei seiner Ankunft nicht gelacht und warf ihm einen verächtlichen Blick zu, als Snape sich leicht schwankend hinunter bückte, um seinen Zauberstab aufzuheben. Crabbe und Mulciber hingegen brachen erneut in Lachen aus, bis die Tür hinter ihnen durch einen Schwung von Lucius Zauberstab in die Angeln klickte. Die Privatsphäresprüche bauten sich erneut auf, unterdrückten die dumpfen Stimmen aus der Schanke im Erdgeschoss und hinterließen eine unnatürliche Stille.

„Ach, Lucius. Warum immer so ernst?“, fragte Crabbe lallend, was auch ihm einen scharfen Blick seines Gegenübers einbrachte.

„Wir sind ja nicht hier, um uns über unseren guten Severus lustig zu machen“, sagte Mulicber. Seine Miene noch immer zu einem grotesken Lachen verzogen. In freudiger Erwartung, wie Snape nun wusste.

„Aber vielleicht sollten wir ihm eine kleine Lektion erteilen, was seine Vorliebe für kleine, dreckige Schlammblüter angeht.“

Er schob sich langsam weiter aus den Schatten von Lucius. Plötzlich wogte in ihm das Gefühl von Angst auf, so stark, dass es ihm den Atem abschnürte. Es brauchte einen Moment bis er bemerkte, dass er noch immer emotional an die Erinnerung gebunden war. Statt die Verbindung zu kappen, tastete er nach. Er wusste was als nächste passieren würde und dass er gehen sollte, doch da war noch etwas anderes hinter der Angst. Plötzlich wurde ihm klar, dass er es verdient hatte gequält zu werden. Weil er so dumm gewesen war. Doch was? Was hatte er getan? Er fühlte eine Woge an Verwirrung über sich fluten und hörte sein junges Ich antworten.

„Es ist wohl kaum eine Vorliebe sich das nächste Schlammbut zu nehmen. Dann könnte ich dir ja so einige Vorlieben zuschreiben, Mulciber“, spottete er.

„Du wagst es…“

„Es geht hier nicht darum, was man sich nimmt. Es geht um den feinen Unterschied dazwischen sich etwas zu erfragen und seinem Recht es sich einfach zu nehmen“, unterbrach ihn Lucius in seinem bedrohlichen Tonfall.

„So wie du die Sache angehst Severus, könnte man glatt glauben, dass dir Schlammblüter am Herzen liegen. Oder bei deiner zweifelhaften Auswahl..“, er machte eine kurze Pause und warf der Frau auf dem Bett einen kurzen abschätzigen Blick zu, „jemand ganz bestimmtes.“

Eine kaum merkliche Warnung schwang in seinen Worten mit, als in den aristokratischen Zügen seines Freundes nun deutliche Abscheu zu lesen war.

„Am Herz liegen?“, spuckte Snape zurück, drehte sich um und ohne einen Moment des Zögerns hob er seinen Zauberstab.

„Crucio!“

Die Frau im Bett, nur wenige Augenblicke davon entfernt ihren eigenen Zauberstab zu erreichen, bäumte sich auf, als sie der Zauber in die Brust traf. Mulcibers und Crabbes grausames Lachen hallte in seinen Ohren und ihm wurde klar, dass das alles wegen eines Fehler passieren musste. Er hatte diese Frau heute in seinem Bett gebraucht. Er hatte sich absichtlich eine Frau gesucht, die mit ihm mitgehen wollte, obwohl er wusste, dass er sie damit in Gefahr brachte. Und diese hier war perfekt gewesen. Mit ihren roten Haaren. Snape schloss die Augen und zog sich aus der Erinnerung zurück. Doch selbst als er wieder in Hogwarts saß, ließ ihn das Reuegefühl, dass ihn in der Erinnerung überkommen hatte, nicht los. Es waren seine Entscheidungen gewesen, die zur Folter dieser unschuldigen Frau geführt hatten und anders als er bisher dachte, war es weder der Alkohol oder die falschen Bekanntschaften gewesen, sondern allein seine eigene kalkulierte Vorgehensweise. Was hatte er sich edel gefühlt, dass er um Erlaubnis gefragt hatte und auch nach der Szene nicht zuließ, dass ihr noch mehr als sein eigener Cruciatus zustieß. Dabei war er kein bisschen besser gewesen. Unterbewusst wusste er natürlich schon jetzt, weshalb er es damals für notwendig empfunden hatte. Weshalb er dazu im Stande gewesen war. Aber er gestand es sich noch nicht ein. Nicht, bevor er sich selbst beweisen konnte, dass er wirklich eine ganz ähnliche Zusammenkunft mit Lily vor sich selbst verbarg und jeden Weg zu dieser Erinnerung abschneiden oder umlenken musste, so dass jeder Fetzen, der davon übrig geblieben war zu dieser Tarnerinnerung führen würde. Er leerte seine Gedanken, er wollte seine nächsten Schritte nicht planen. Er starrte einfach ins Nichts.

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