
Ein Schluck vom guten Tee
Was wäre wenn? Eine Frage die die Menschheit bereits über ihre gesamte Geschichte hinweg quält. Wie sähe die Welt aus, wenn das Schicksal andere Dinge für uns vorgesehen hätte? Welches Leben würde man führen, wenn man an den großen Abzweigungen seines Daseins einen anderen Weg eingeschlagen hätte? Was hätte man ändern können, um die schlechten Dingen, die einem zustoßen, vermeiden zu können? Doch manchmal hat man keinen Einfluss auf die Varianzen, die eine Geschichte annehmen kann. So konnte auch die Hauptperson unserer Geschichte nicht wissen, dass ihre Zukunft fast gänzlich anders verlaufen hätte können. Doch in einer Schule, in der die Mauern so dick waren, dass selbst im warmen Juli darin angenehme Kühle herrschte, traf sich das Lehrerkollegium, um auf ein weiteres erfolgreiches Jahr anzustoßen. Im Lehrerzimmer hatten sich bereits ein Großteil der Angestellten versammelt, als eine dunkle Gestalt den Raum betrat. Keiner seiner Kollegen schien seine Miene, die so mancher als pure Abneigung oder gar Hass interpretiert hätte, sonderlich zu beachten. Finster blickte er umher und stellte sich in die Nähe der Tür. Bereit die erste Möglichkeit zum Fliehen ergreifen zu können.
„Severus, steh nicht so herum, als ob man dich in deine persönliche Hölle entsendet hätte. Trink ein Glas mit uns“, kam es von einer älteren Dame. Ihre Äußeres, die strenge Frisur und die akkurate Kleidung, standen im kompletten Gegensatz zu ihrer Aussage.
„Nein, danke“, lehnte die dunkle Gestalt namens Severus Snape ab.
„Ist es nicht etwas früh dafür?“
„Ach was, Severus. Wen interessiert das? Alle Schüler sind schon lange fort, die Examina sind korrigiert und die Eulen schicke ich erst in den nächsten Wochen los.“
„Ich bevorzuge es meinen Anteil so schnell wie möglich zu erledigen. In meinem einen freien Monat möchte ich keinen einzigen Gedanken an die kleinen Biester verschwenden müssen.“
Die Lippen der Frau wurden schmal und sie wollte gerade etwas sagen, als sie von der Ankunft eines weiteren Mannes unterbrochen wurde. Der Neuankömmling personalisierte ganz das Gegenteil der dunklen Gestalt neben sich. Er war in ein knallbuntes Gewandt gehüllt und seine weißen Haare und Bart schienen zu leuchten.
„Schön Sie alle versammelt zu sehen. Ich habe nur ein paar kurze Ankündigungen zu machen, bevor ich sie alle in einen wohlverdienten Urlaub entsenden darf“, sprach er mit erhobener Stimme in den Raum und bekam dafür freudige Rückrufe. Nur die dunkle Gestalt neben ihm sah aus, als ob der alte Mann ihm auf die Zehen getreten wäre.
„Albus, du wirst uns doch sicher auf einen Schluck mit deiner Anwesenheit beehren?“, fragte die Professorin etwas eindringlicher, als es eine solche Einladung erforderte. Dies fiel wohl auch dem Alten auf, den sein Blick lag nun eindringlicher auf der Frau.
„Wir haben die Flasche von Ogdens Old Feuerwhisky, die der Bewerber für die Verteidigung gegen die dunkle Künste Stelle für uns hier gelassen hat.“
Mit einem Wink eines langen, dünnen Holzstabes flog eine Flasche und ein Glas in ihre Richtung, doch der alte Mann winkte ab.
„Ich habe noch Geschäfte im Ministerium zu erledigen und muss daher leider ablehnen. Allerdings“, fuhr er fort, bevor die Frau widersprechen konnte, „bleibe ich gerne auf eine Tasse Tee. Ich darf so frei sein?“
Ohne eine Zustimmung abzuwarten zog er ebenfalls einen Holzstab hervor. Mit einer flüssigen Bewegung erschien ein Teeservice in der Luft. Die Kanne füllte sich selbst mit Wasser und begann kurz darauf zu pfeifen. Aus einer kleinen Kiste auf dem Sideboard flogen zwei Teebeutel, die sich in zwei Tassen legten und mit Wasser übergossen wurden, bevor die Kanne wieder ins Nichts verschwand.
„Severus?“, fragte der alte Mann beiläufig und mit einem kleinen Wink, flog eine der beiden Tassen in die Richtung der dunklen Gestalt. Bevor Snape ablehnen konnte, schien der Tasse wieder einzufallen, dass sie den Gesetzen der Natur gehorchen musste und begann in Richtung Boden zu fallen. Dank der schnellen Reflexe von Professor Snape konnte er jedoch verhindern, dass die geschmacklos mit Blumen bemalte Tasse auf dem Boden zerschellte. Mit einem leisen Plop verschwand der Teebeutel und kündigte damit an, getrunken werden zu können. Ihm stieg der Duft des frischgebrühten Tees in die Nase und er gab sich geschlagen. Den triumphalen Blick seiner Kollegin erwiderte er nur finster, als er sich auf den nächstmöglichen freien Platz gleiten ließ. Nachdem sich Professor Minerva McGonagall erneut aus der Flasche mit Feuerwhiskey bedient hatte und sie an die restlichen Anwesenden weiter schweben lies, zog sie einen Bündel von Briefen aus ihrem Umhang, ließ sich auf einen bequemen Sessel neben ihm sinken und legte das Bündel mit einem versöhnlichen Lächeln zwischen sie. Der Mann nickte ihr zu. Als dankbar oder freundlich hätte man seine Miene nicht bezeichnen können, aber immerhin sah er nicht mehr aus, als ob er sofort jemanden ermorden wollte.
„Erneut haben wir eine Veränderung im Lehrerkollegium“, begann der Schulleiter, als ihn genügend seiner Kollegen erwartungsvoll anstarrten. „Professor Higgs wird uns nach einem hoffentlich lehrreichen Jahr verlassen, um sich wieder ihrer Karriere im Ministerium zuzuwenden.“ Die Tasse des alten Schulleiters, die immer noch vor ihm schwebte neigte sich einer jungen Frau zu, als ob sie einen Toast ausbringen würde. Mrs. Higgs lief kaum merklich rot an, als auch ihre anderen Kollegen eher wiederwillig ihre Gläser erhoben und nickte hastig zum Dank.
„Ich war dieses Jahr in der außerordentlich seltenen Situation, für die offene Stelle zwischen zwei Bewerbern auswählen zu können. Einer davon hat sich bereits schon im Lehrerkollegium mit seinem großzügigen Geschenken bekannt gemacht, wie ich sehe.“ Seine Augen funkelten in die Runde und nicht nur ein besorgter Blick begegnete ihm. „Allerdings ist die Auswahl für qualitative Pausenunterhaltung leider kein ausschlaggebendes Einstellungskriterium gewesen. Ich hoffe einige unter euch sind davon nicht zu sehr enttäuscht.“ Er funkelte in Richtung Professor McGonagall, die ganz und gar nicht enttäuscht darüber aussah, den nervtötenden Bewerber namens Gilderoy Lockhart hoffentlich nie wieder zu sehen zu bekommen, selbst wenn er den besten und teuersten Whiskey in jeder Pause verteilen würde. „Deshalb kann ich nun auch mit Freuden berichten, dass ein altes Gesicht bald wieder zurück kehren und Professor Higgs Position übernehmen wird. Quirinus Quirrell, ehemalig Professor für Muggelkunde, der dieses Jahr zur Forschung durch Albanien reiste, wird im September wieder zu uns zurück kehren und Verteidigung gegen die dunklen Künste unterrichten. Charity Burbage, unsere fabelhafte Vertretung für ihn in Muggelkunde, hat sich bereit erklärt dauerhaft bei uns zu bleiben.“
Die Teetasse machte wieder eine kleine Verbeugung und anschließend einen kleinen Purzelbaum, von dem sich die Flüssigkeit darin jedoch nicht beeinflussen ließ. Herzliche Glückwünsche wurden ausgesprochen. Mrs. Higgs sah aus, als ob sie auf eine Zitrone gebissen hätte.
Weiter ging es mit der Beaufsichtigung der Gewächshäuser, der Aufstockung der Vorräte für die Klassen und den Krankenflügel und sonstigen Kleinigkeiten. Kaum hatte der Schulleiter das Treffen beendet, wandte sich Professor McGonagall an ihn.
„Ein Wort mit dir Albus, bitte.“
„Natürlich, Meine Liebe. Um was geht es.“
Er führte seine Teetasse zu seinen Lippen und seufzte wohlig, Snape tat es ihm gleich. Eigentlich hatte er geplant nach der obligatorischen Ansprache sofort mit seinen Briefen zu verschwinden, doch der Tee wärmte ihn von innen und eine Woge der Entspannung breitete sich in ihm aus. Er beschloss ihn nicht zu verschwenden und blieb wo er war.
„Ich habe die Briefe für die Erstklässler bereits für Severus fertiggestellt, damit er seinen Anteil gleich heute besuchen kann. Dabei ist mir etwas ungewöhnliches aufgefallen.“ Sie zog einen Brief aus dem Stapel und reichte ihn dem Schulleiter. Dieser blickte durch seine Halbmondbrille besorgt auf die Anschrift.
„Ah, ungewöhnlich tatsächlich.“
„Ich meine nur, Albus. Im Schrank unter der Treppe. Das scheint mir kaum ein geeigneter Schlafplatz für einen kleinen Jungen.“
Severus Snape spannte sich unmerklich an. Seine Kollegen bemerkten es nicht und er nahm einen weiteren Schluck aus seiner Tasse, um nicht zu deutlich zu machen, dass er zuhörte. Im nächsten Jahr würde er wohl wieder mal einen Schüler intensiver im Auge behalten müssen. Er schrieb bereits zusätzliche Zaubertränke auf seine mentale Liste, die er über die Sommerferien brauen würde. Wenn er sich wirklich eingeredet hatte, dass er einen Monat lang mal nur an sich denken würde, wurde ihm spätestens jetzt klar, dass er solange er an dieser Schule tätig war nie wieder einen einzigen Tag nur für sich ganz alleine geben würde. Sicher konnte man alle notwendigen Tränke für seine besonderen Schützlinge auch fertig kaufen, jedoch gab es dafür weder genug Budget, noch wurde die Einmischung in Familienangelegenheiten sonderlich geschätzt – besonders in seinem Haus. Deshalb ging er solche Angelegenheiten lieber diskret an, als gar nicht. In den letzten Jahren hatte er auch in Madam Pomfrey eine starke Verbündete gefunden. Doch ihn überraschte es, dass seine Gryffindor Kollegin auf einen solchen Fall aufmerksam wurde. Sie besaß zwar ein weiches Herz, aber sie vertrat doch eine Gryffindor typische Herangehensweise, die sie häufig mit ihren Schützlingen teilte. Man konnte es wohl am besten mit Augen zu und durch beschreiben.
„Minerva, ich versichere dir, dass wir uns keine Sorgen machen müssen. Die Feder schreibt den letzten Schlafplatzes des Kindes auf, wie du weißt. Unser kleiner Harry hier ist vermutlich einfach beim Spielen eingeschlafen.“
Da war er wieder. Der Name jenes Kindes, den Severus so verabscheute. Bereits in den letzten Monaten war auffällig häufig von ihm die Rede gewesen, obwohl der Bälger noch nicht einmal seinen Fuß über die Schwelle von Hogwarts getan hatte. Kein Wunder also, dass Minerva von ihrer üblichen Haltung abwich. Wenn es um den Prinzen des Lichts ging fühlte sie sich natürlich verantwortlich.
„Nichts desto trotz - Nachdem diese Briefe versandt wurden, können wir die Feder erneut konsultieren und die Anschrift überprüfen.“
Der Schulleiter lächelte freundlich.
„Aber Albus bist du dir sicher, dass der Brief genügt? Sind die Muggel bei denen er lebt mit unserer Welt denn vertraut genug, um ihm alles zu erklären und mit ihm die Besorgungen für das nächste Schuljahr zu erledigen?“, fragte McGonagall.
Severus Snape nahm erneut einen großen Schluck Tee, um ein Lächeln zu verbergen. Er konnte seiner Kollegin ansehen, dass sie so einiges dafür gegeben hätte den kleinen Potter Bengel in die Winkelgasse begleiten zu dürfen.
„Meine Liebe, ich kann dir versichern, dass seine Tante Petunia sich sehr wohl über unsere Welt im klaren ist.“
Der dunkel gekleidete Mann bildete sich sehr viel auf seine Selbstbeherrschung ein, welche ihn in schon manch brenzliger Situation das Leben gerettet hatte. Deshalb war von ihm auch nur ein kurzes, unterdrücktes Räuspern zu hören, als er genau in diesem Moment erneut einen Schluck tun wollte und die Flüssigkeit vor Überraschung einsog. Hätte er nicht Jahre seines Lebens damit verbracht diese Selbstbeherrschung zu perfektionieren, hätte er seinen Schock wohl nicht so gut verbergen können. Und doch hatte der kleine Laut ausgereicht, um den Schulleiter auf ihn aufmerksam zu machen.
„Severus, du und Petunia kennt euch aus eurer Kindheit, nicht wahr?“
Er nickte knapp. Immer noch damit beschäftigt die Flüssigkeit wortlos aus seinen Atemwegen verschwinden zu lassen. McGonagall sah ihn überrascht an.
„Wie es der Zufall will bist du heute ja sowieso schon unterwegs, dann sollte es keinen großen zusätzlichen Aufwand bedeuten auch bei Mr. Potter vorbei zu sehen – als alter Freund der Familie. Eigentlich wollte Hagrid diese Ehre für sich, aber vielleicht sind seine Tante und Onkel besser auf ein bekanntes Gesicht zu sprechen.“
Severus hätte gehen sollen. Er hätte den Tee ignorieren und einfach gehen sollen. Er ließ sich nichts anmerken. Im Gegensatz zu seiner Kollegin. Der Schock nicht nur einmal, sondern gleich zweimal übergangen worden zu sein stand Professor McGonagall deutlich ins Gesicht geschrieben.
„Ich kann darauf vertrauen, dass du Mr. Potter weder aufgrund seines Vaters noch seiner Mutter anders behandeln wirst als jeden andern Schüler?“
„Ich lasse Minerva gerne den Vortritt, ich denke nicht, dass es einen Unterschied macht, wer bei Petunia auftaucht.“
Heimlich dachte er sich, dass wohl jeder andere Mensch freudiger empfangen werden würde, als er. Vielleicht sogar Hagrid.
„Unsinn mein Junge. Nehme Harry bitte auch gleich in deine Gruppe für die Winkelgasse mit auf. Ich werde dir sofort alles dafür zukommen lassen“, sang der Schulleiter, sprang auf und klatschte in die Hände. Beide Teetassen verschwanden.
„Da jetzt alles geklärt ist, habt einen prächtigen Sommer.“
Und weg war er. Die zwei Professoren sahen sich unglücklich an. Professor Snape hatte seine Hand noch immer leicht erhoben, bevor er merkte, dass die Tasse darin verschwunden war. Jetzt war der wundervolle Tee doch verschwendet worden und er durfte Babysitter spielen.
„Herzlichen Dank dafür“, sagte er.
Stumm vor sich hin grollend rief die Professorin die Flasche Feuerwhiskey zu sich, die direkt aus den Händen der protestierenden Ministeriumsangestellten zu ihnen flog. Sie füllte zwei Gläser und schob eines davon ihrem Kollegen zu, der jetzt doch zugriff.
„Hagrid…“, grummelte sie nur fassungslos.
„Ist ihm eigentlich bewusst, wie viel Aufmerksamkeit es auf uns ziehen wird, wenn ausgerechnet ich mit Potter in der Winkelgasse auftauche?“
Seine Kollegin gab nur einen abfälligen Laut von sich.
„Ich habe das Gefühl, dass genau das der Plan von Albus ist.“