
Chapter 4
Remus wachte mit einem steifen Nacken auf. Er hatte sich in der Küche einen Tee gemacht, und war dann am Küchentisch mit dem Kopf auf seinen verschränkten Armen eingeschlafen. Jetzt fühlte er sich eingerostet und viel zu alt.
Die vergangene Nacht ging ihm nicht so richtig aus dem Kopf. Severus war ganz anders, als er ihn in Erinnerung hatte. Dieselbe Leere, die er selbst seit ein paar Wochen mit sich herumschleppte, wohnte nun auch in ihm. Er hatte ihm fast geglaubt, als Severus beteuerte, dass es ihm leidtat.
Doch am Ende waren es die Wörter, die Severus im Schlaf sprach, die ihn von dessen Aufrichtigkeit überzeugten. Der andere Zauberer schreckte immer wieder aufgewühlt hoch und murmelte Unverständliches. Doch dazwischen waren auch Dinge, die Remus sehr gut verstand.
Scheinbar flehte Severus den Dunklen Lord an, die Potters zu verschonen. Dann wieder schluchzte er, und seine Züge verzerrten sich in etwas Wildes und Untröstliches. Am Ende wiederholte er immer wieder, dass er nicht mehr kann, wieder, und wieder, und wieder, bis er endlich vom Schlaf verschluckt wurde und nichts weiter mehr verriet.
An dem Punkt hatte Remus den Keller verlassen, doch zuvor hatte er den ehemaligen Slytherin noch vorsichtig zugedeckt. Er war sich nicht ganz sicher, ob das Zittern von den vielen Flüchen, die ihn offensichtlich übel zu schaffen machten, oder von der Kälte kam.
Der Winter war längst da, mit gefrorenen Fensterscheiben und frostigem Gras am Morgen und Schneeflocken im Laternenlicht.
Mühsam erhob er sich und trank den nun längst kalten Tee. Dann rollte er seine Schultern, und machte sich wieder auf den Weg zum Keller. Dabei griff er neben der Haustür noch nach dem Gehstock, den er nach manchen Vollmondnächten selbst benötigte.
Severus schlief noch, doch als Remus den Keller betrat, erwachte er jäh.
„Albus Dumbledore wird jeden Moment kommen“, sagte Remus.
Das Gesicht des anderen Zauberers versteinerte und jegliche Emotion war aus seinen Zügen verschwunden.
„Ich verstehe“, erwiderte er kühl.
Remus reichte ihm den Gehstock und verwirrt schaute Severus ihn an.
„In der Küche ist es etwas gemütlicher“, erklärte Remus.
Severus brauchte ein paar Versuche, bevor seine Beine ihm gehorchten, und langsam kletterte er die schmalen Stufen hinauf. Remus ging hinter ihm, und ließ die schwere Tür zum Keller laut ins Schloss fallen.
Oben in seiner Küche nahm Severus schnaufend auf dem Stuhl am Fenster Platz. Er lehnte sich an der Wand an und fuhr sich mit beiden Händen durch die verfilzten Haare. Remus konnte das nicht länger mit ansehen und verpasste ihm einen Haarwäsche-Zauber. Überrascht blickte Severus auf.
„Du siehst furchtbar aus“, sagte Remus.
Severus verzog das Gesicht.
„Das bringt es leider so mit sich, wenn man in Todesser-Kreisen in Ungunst fällt“, sagte er bitter.
Aber seine Hände wirkten schon ruhiger als noch gestern Nacht. Und auch seine Augen waren nicht mehr ganz so eingefallen.
In dem Moment klopfte es ungeduldig und Remus verließ eilig die Küche.
Draußen stand Albus Dumbledore und neben ihm eine leicht bedröppelt wirkende Minerva McGonagall. Ihr Dutt war hastig hochgesteckt worden, und ein paar Strähnen standen wirr ab. Streng schaute sie Remus an.
„Hoffentlich hat er Ihnen, anders als mir, wenigstens den Besuch angekündigt“, sagte sie und Remus lächelte kurz.
„Wir hatten gestern Nacht schon das Vergnügen“, erwiderte er, bevor er beiden voran zur Küche zurückstieg.
Die kalte Winterluft wehte mit ihnen ins Haus, und eine Thermoskanne mit Kaffee ragte aus Professor McGonagalls Tasche hervor.
Auf der Schwelle zu seiner beschaulichen Küche blieben beide abrupt stehen. Professor McGonagalls Augen verengten sich gefährlich, als sie Severus erblickte.
„Mr. Snape“, sagte sie frostig.
Severus sank ein wenig auf seinem Stuhl zusammen, und starrte an den beiden Professoren vorbei in den Flur.
Albus schaute Remus fragend an.
„Ich konnte ihn schlecht den ganzen Tag im Keller einsperren“, sagte dieser nur, und machte sich daran, mehr Tee zuzubereiten.
Er trug alle Vorräte zusammen und schließlich gab es ein kleines Frühstück, das aus Keksen, ein paar Tomaten, einem Stück Gurke, und einem bereits harten Käse bestand. Minerva stellte die Thermoskanne mit heißem Kaffee wortlos auf dem Tisch ab.
Für eine Weile aßen sie schweigend. Minerva warf Severus immer wieder verstohlene Blicke zu, die dieser gleichgültig ignorierte. Er rührte in seinem Tee herum und sah sie alle nicht an.
„Severus“, sagte Albus schließlich, und noch immer blickte jener nicht auf.
„Ich soll euch alles erzählen und dann schickt ihr mich nach Azkaban“, sagte er nur tonlos. Er schien sich damit abgefunden zu haben.
Albus rückte sich die halbmondförmigen Gläser zurecht.
„Ich befürchte, eine andere Möglichkeit gibt es nicht und ich habe Alastor versprochen, Dich wieder wohlbehalten ins Ministerium zurückzubringen“, sagte er bedauernd.
Severus zuckte die Schultern. Die Worte gingen an ihm vorbei, und sein Blick war glasig, als er endlich aufsah.
„Wohlbehalten? Er gehört nach St. Mungos und nicht in einen düsteren Keller“, fuhr Remus wütend dazwischen.
Es stieß ihm immer noch übel auf, in was für einem Zustand Severus gestern bei ihm angekommen war. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, die Schnitte zu heilen, die er sich unzweifelhaft dabei zugezogen hatte, sich gegen den Cruciatus-Fluch zu verteidigen und währenddessen wild um sich zu schlagen. Er zitterte immer noch und Remus schloss die Augen, als er das schiefe Gesicht mit den dunklen Schwellungen wieder vor sich sah. Er blinzelte, und dann war da nur noch das Morgenlicht, welches durch das Fenster in die Küche strömte.
„Gestern ging alles sehr schnell“, sagte Albus, aber Severus räusperte sich und sie sahen wieder alle zu ihm.
„Es gibt nicht viel zu erzählen“, begann er, während Minerva klirrend ihre Kaffeetasse absetzte.
„Ich wusste nicht, was das alles bedeutet, und ich habe mir auch nie viel aus Wahrsagerei gemacht, da es eine äußerst schwammige Wissenschaft ist“, sagte Severus und schluckte einmal.
Seine Stimme klang noch immer rau und heiser, und Remus schob ihm die halbvolle Teekanne hinüber. Er schenkte sich nach und nahm einen Schluck, bevor er fortfuhr.
Albus nickte verständnisvoll.
„Ich hätte nie gedacht, dass der Dunkle Lord es so wichtig nimmt, und als er dann plötzlich von den Potters erzählte, ist mir kalt geworden“, flüsterte Severus.
„Du hättest uns warnen können“, warf Albus ein.
Severus verbarg sein Gesicht in den Händen.
„Alles ging viel zu schnell, die Potters waren ihm schon lange ein Dorn im Auge und er sagte etwas davon, dass sie ihren Geheimniswahrer haben, und dann war er auch schon in der Nacht verschwunden“, widersprach Severus leise.
Nur wenige Stunden später hatten ihm Todesser aufgelauert und ihm die Schuld für den Tod des Dunklen Lords gegeben. Zuvor befand er sich in Gesellschaft von Narcissa und Bellatrix, die ein Auge auf ihn haben sollten, da es dem Dunklen Lord missfiel, Widerworte entgegenzunehmen. Sein Flehen um die Verschonung von Lily war diesem übel aufgestoßen.
„Ich wollte das alles schon lange nicht mehr“, sagte Severus, und drehte sich wieder dem Fenster zu.
Albus seufzte, und Minerva sah mitfühlend zu ihrem ehemaligen Schüler hinüber.
„Hat er etwas davon gesagt, wer der Geheimniswahrer war?“, fragte Albus zögernd.
Misstrauisch blickte Remus auf. Die Frage hatte er so nicht erwartet, sie alle wussten, wer seine besten Freunde an jenem Abend verraten hatte. Aber Severus schüttelte nur den Kopf.
„Er hat seine Geheimnisse schon immer gut gepflegt“, sagte er bitter.
Remus fuhr sich durchs Haar. Was für ein Durcheinander, und das ausgerechnet so kurz vor dem Vollmond! Er spürte die Müdigkeit, und die Schwere, und er brauchte jetzt viel Schlaf und keine komplizierten Ordens-Angelegenheiten.
Aber Albus ließ nicht locker.
„War er immer noch von der Unsterblichkeit besessen?“, fragte er.
Severus lachte bitter auf.
„Er hat einen Weg gefunden, den Tod zu besiegen, das hat er zumindest vor Jahren schon verkündet, aber er hat nie gesagt, wie er das geschafft hat und offensichtlich war es nicht so erfolgreich, wenn er bis jetzt nicht wieder aufgetaucht ist“, erwiderte er.
Albus nickte, und sah ein wenig so aus, als ob eine Vermutung von ihm bestätigt worden wäre.
Draußen stürmte es, und die Blätter der Bäume des angrenzenden Waldes rauschten im hindurcheilenden Wind. Eine Eule tauchte verloren am Horizont auf und flog unbeholfen gegen das schlechte Wetter an. Sie taumelte, und sackte ab, aber am Ende befand sie sich zerzaust auf dem Küchentisch und Remus band vorsichtig den Brief, den sie trug, ab.
Es war nur eine flüchtig hingekritzelte Notiz.
„Albus, ich konnte sie nicht aufhalten, es tut mir Leid!“, stand dort in Moodys verschlungener Handschrift.
Erschrocken sah Minerva auf.
„Was bedeutet das?“, fragte sie.
Der verzog das Gesicht.
„Es war ein kleines bisschen gegen das Gesetz, dass wir ihn uns ausgeborgt haben, aber Alastor meinte, dass er uns den Rücken deckt“, sagte er.
Remus schaute seine ehemaligen Professoren ungläubig an.
„Er hat euch gerade geholfen und ihr wollt ihn einfach so den Dementoren überlassen?“, fuhr er sie an.
Aber Severus hob beschwichtigend die Hände, die immer noch leicht zitterten. Aus einem Ärmel ragte das verblasste Dunkle Mal hervor.
„Ich habe keine Angst vor Azkaban“, sagte er.
Das beruhigte Remus kein bisschen. Es klang resigniert und verzweifelt und so leer, wie er sich fühlte.
„Auf Dich wartet dort der Kuss des Dementors“, platzte es wütend aus ihm heraus.
Severus wurde grün im Gesicht und Minerva legte ihm mitfühlend die Hand auf den Arm.
„Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um das zu verhindern“, versprach sie.
In dem Moment klopfte es ungeduldig an der Haustür. Remus öffnete diese wenig später voller Argwohn, während die anderen drei schweigend am Küchentisch saßen und auf den Wald hinausschauten. Es war viel zu spät, um noch zu fliehen.
Zwei Auroren drängelten sich an ihm vorbei und die enge Treppe hinauf. Als sie wieder herabkamen, zerrten sie einen ausgemergelten, erschöpften Severus mit sich hinunter. Sie stützten ihn und er stolperte zwischen ihnen dahin.
„Severus“, sagte Remus, aber Severus schaute ihn nicht mal an.
Seine Haare verbargen sein Gesicht und er drehte sich für einen Moment zu dem angrenzenden Wald. Der Wind fuhr ihm durch die Haare und er reckte sein Gesicht den grauen Wolken entgegen. Er lächelte und in Remus Magen verklumpte sich etwas Dunkles und Kaltes.
Er blieb lange im Flur stehen, nachdem die Haustür ins Schloss gefallen war, und lauschte dem Heulen des Sturms.