
Mutter
Draco erwachte auf einem kalten, steinernen Boden. Die eisige Kälte kroch in jede Faser seines Körpers und ließ ihn zittern, als er sich langsam und mühsam aufrichtete. Sein Atem ging schwer, und jeder Muskel in seinem Körper schrie vor Schmerz. Vor ihm stand ein großgewachsener Mann mit langen, grauen Haaren, deren Strähnen ihm wie Fäden aus Nebel über die Schultern fielen. Sein Gesicht war von tiefen Furchen durchzogen, und seine ruhige, prüfende Ausstrahlung ließ keinen Zweifel daran, dass er ein Heiler sein musste.
Draco schloss kurz die Augen und versuchte, die Situation zu erfassen. Er war am Leben. Es musste dieser Mann gewesen sein, der ihn vor dem Tod bewahrt hatte. Doch warum? Und zu welchem Preis?
„Es wäre klüger, wenn Ihr Euren Körper noch etwas schont, junger Herr“, sagte der alte Heiler mit einer Mischung aus Ernst und Sorge in der Stimme. Seine grauen Augen musterten Draco mit einer Intensität, die ihn unruhig machte.
Draco ignorierte den Hinweis und kämpfte sich unbeirrt auf die Beine. Sein Körper schwankte, und er biss die Zähne zusammen, um sich nicht die Schwäche anmerken zu lassen.
Der Heiler seufzte hörbar, seine Geduld schien am Ende. Er wandte sich schließlich ab und sprach mit einer leisen, aber befehlenden Stimme zu einer Hauselfe, die sich hinter ihm in den Schatten verbarg. „Bring ihn auf sein Zimmer und sorge dafür, dass er sich ausruht. Lass ihn nicht wieder aufstehen, bis ich es erlaube.“
Die kleine Kreatur verbeugte sich tief, murmelte ein gehorsames „Ja, Meister“ und eilte zu Draco. Ihre großen, schimmernden Augen huschten nervös über ihn hinweg, während sie ihn vorsichtig stützte und hinausführte.
Nur wenige Augenblicke später fand sich Draco in einem kargen Raum wieder. Die kahlen Wände schienen die Kälte, die ihn schon am Boden umgeben hatte, in sich zu tragen. Ein Bett mit groben Decken, ein großer Schreibtisch und mehrere Regale, die von schweren, staubigen Büchern überquollen – das war alles, was das Zimmer enthielt.
Es war ein trostloser Anblick. Draco erinnerte sich an sein Kinderzimmer in seiner ursprünglichen Welt: warm, behaglich, gefüllt mit Büchern, kleinen Spielsachen und Bildern, die seine Mutter dort liebevoll platziert hatte. Hier gab es nichts dergleichen. Nichts, das Narzissas Hand erkennen ließ.
Die Hauselfe, die ihn hereingeführt hatte, stand unsicher an der Tür und wrang nervös ihre Hände. „Hier wären wir, junger Herr. Bitte ruht euch nun aus, wie es der Doktor angewiesen hat“, flüsterte sie hastig.
Draco musterte sie genauer. Etwas an ihrer Haltung irritierte ihn. Warum wirkte sie so angespannt? Er richtete sich ein wenig auf und fragte mit erschöpfter Stimme: „Was ist los? Warum bist du so nervös?“
Die Elfe zuckte bei seinen Worten zusammen, als hätte er sie geschlagen. Ihre großen Augen wurden noch größer, und sie wagte es kaum, ihn anzusehen. Schließlich sprach sie zögernd: „Der Master... der Master hat uns verboten, euch zu helfen, junger Herr. Wenn er erfährt, dass ich hier bin... dann werde ich schwer bestraft. Und auch ihr...“
Ihre Stimme brach, und ein leises Schluchzen entkam ihrer Kehle. „Ihr seid dem Tode nur knapp entkommen. Aber wenn ihr euch jetzt überanstrengt oder ich gegen seine Befehle handle, dann...“
Draco fühlte eine kalte Wut in sich aufsteigen. Der junge Draco, dessen Körper er jetzt bewohnte, musste ein grausames Leben geführt haben, so viel war sicher. Er kniff die Augen zusammen, als die Elfe weitersprach: „Seit dem Tod der Lady hat der Master jegliche Kontrolle verloren. Früher war er hart, aber die Lady... sie war anders. Sie war gütig. Sie hat euch immer beschützt.“
Dracos Herz stockte. Der Tod der Lady? Meinte sie... seine Mutter?
Es fühlte sich an, als hätte ihm jemand die Luft aus den Lungen geschlagen. Narzissa war tot. Hier in dieser fremden Welt, die ohnehin schon so kalt und fremd war, hatte er gehofft, zumindest eine Konstante zu finden. Doch diese Hoffnung wurde nun brutal zerschmettert.
Mit einem müden Flüstern entließ er die Elfe. „Du kannst gehen.“
Sie zögerte kurz, verbeugte sich dann tief und verschwand geräuschlos durch die Tür. Draco sank auf das Bett, das sich so hart und kalt anfühlte wie der Boden, auf dem er erwacht war. Die Dunkelheit des Raumes schien ihn zu verschlucken, und die Stille lastete wie ein bleierner Mantel auf seinen Schultern.
Seine Gedanken rasten. In seiner ursprünglichen Welt war seine Mutter immer sein sicherer Hafen gewesen. Sie hatte ihn mit Liebe und Fürsorge überschüttet, auch wenn sein Vater ihn streng und oft grausam behandelte. Doch hier? Hier gab es keine Narzissa, die die Dunkelheit erhellte.
Draco schloss die Augen, doch der Schlaf wollte nicht kommen. Schließlich stand er auf und ging zu einem der Regale. Die Bücher waren alt, ihre Einbände fleckig und brüchig. Er zog eines heraus, dessen Titel in goldenen Lettern leuchtete: Die Geschichte der reinblütigen Häuser.
Ein bitteres Lächeln huschte über sein Gesicht. Natürlich, dachte er, das war alles, was Lucius interessierte: Macht und Blut.
Plötzlich öffnete sich die Tür einen Spalt. Draco wirbelte herum, doch es war nur die Hauselfe. Sie trug ein Tablett mit dampfendem Tee und einem Stück Brot darauf.
„Ich weiß, ich darf das nicht“, flüsterte sie und hielt das Tablett zitternd in den Händen. „Aber ich konnte nicht zulassen, dass ihr hungrig bleibt.“
Draco nahm ihr das Tablett ab und trank einen Schluck Tee. Die Wärme breitete sich in seiner Kehle aus, und für einen Moment fühlte er sich fast menschlich.
„Wie heißt du?“ fragte er schließlich.
„Dobby, junger Herr“, antwortete sie leise.
Draco erstarrte. Der Name rief Erinnerungen wach, doch er verdrängte sie schnell. Dies war eine andere Welt, ein anderes Leben. Aber vielleicht...
„Danke, Dobby“, sagte er schließlich. „Ich werde dich nicht in Schwierigkeiten bringen.“
Die Elfe lächelte schüchtern, verneigte sich tief und verschwand.
Draco legte sich wieder hin, doch in seinem Kopf formte sich ein Entschluss. Diese Welt war trostlos, aber er war nicht bereit, sie so zu akzeptieren. Es musste einen Weg geben, etwas zu ändern – für sich, für diesen jungen Draco, und vielleicht sogar für die Menschen, die ihm hier begegnen würden.