
Chapter 12
Der kalte Steinboden unter seinen Füßen fühlte sich fast lebendig an, als Harry leise durch die dunklen Korridore von Hogwarts schlich. Die Fackeln an den Wänden warfen flackernde Schatten, und das leise Knarzen alter Holzbohlen hallte in der Stille wider. Es war drei Uhr morgens, und trotz der Müdigkeit trieb ihn eine unaufhörliche Unruhe voran.
Theo stand bereits vor der Wand des siebten Stocks, als Harry um die Ecke bog. Sein Umhang hing locker über seinen Schultern, und er wirkte wach – vielleicht sogar ein wenig angespannt.
„Du bist spät,“ murmelte er, während er Harry musterte.
„Ich musste sicherstellen, dass Blaise nicht bemerkt, dass ich weggehe,“ erklärte Harry leise. „Hat es bei dir jemand mitbekommen?“
Theo schüttelte den Kopf. „Crabbe schläft wie ein Stein, und Goyle ist nicht da. Also nein.“
Harry nickte und sah dann auf die kahle Wand vor ihnen. „Okay… Ich hoffe, das funktioniert.“
Langsam ging er dreimal an ihr entlang und dachte konzentriert: Wir brauchen einen sicheren Ort, um ungestört zu arbeiten. Einen Ort, an dem wir das Medaillon untersuchen können.
Ein leises Rumpeln ertönte, und plötzlich erschienen aus dem Nichts große, verzierte Doppeltüren. Theo hob beeindruckt eine Augenbraue.
„Das ist… beunruhigend praktisch.“
„Erzähl mir was Neues,“ murmelte Harry und öffnete die Tür.
Der Raum, der sich ihnen offenbarte, war groß und düster beleuchtet. Alte, hohe Bücherregale säumten die Wände, und in der Mitte stand ein massiver Holztisch mit mehreren Stühlen darum. Ein Kamin knisterte leise in der Ecke, und es roch nach Staub und altem Pergament.
Harry trat ein, zog das Medaillon unter seinem Umhang hervor und legte es vorsichtig auf den Tisch. Es lag da, unscheinbar, fast harmlos – doch Harry spürte die dunkle Magie, die von ihm ausging.
Theo musterte es mit schmalen Augen. „Also das ist es? Das Ding, das dir keine Ruhe lässt?“
Harry nickte und setzte sich. „Ich kann nicht genau erklären, warum, aber es fühlt sich… falsch an.“
Theo setzte sich ebenfalls und beugte sich näher. „Und du bist sicher, dass es nicht nur irgendein dunkles Artefakt ist?“
Harrys Magen zog sich zusammen. „Nein. Es ist mehr als das.“
Für einen Moment herrschte Stille, nur das leise Knistern des Feuers war zu hören.
„Dann sehen wir uns das Ding mal genauer an,“ sagte Theo schließlich.
Harrys Finger berührten das kalte Metall des Medaillons, und sofort spürte er eine Welle von Unbehagen durch seinen Körper strömen. Ein leiser, dunkler Flüsterton vibrierte in seinen Ohren, so undeutlich, dass er die Worte nicht verstehen konnte – doch er wusste, dass sie da waren.
„Harry?“ Theos Stimme war angespannt, sein Blick wachsam auf ihn gerichtet.
„Es… redet,“ flüsterte Harry, während er das Medaillon umdrehte. Die Schlange auf der Vorderseite schien sich unter seinen Fingern zu bewegen, als würde sie atmen.
„Redet?“ Theo musterte ihn skeptisch. „Du meinst… im übertragenen Sinne, oder?“
„Nein.“ Harrys Stimme war fester jetzt. „Ich höre es. Es flüstert.“
Theos Miene wurde nachdenklich. „Dann probier’s mit Parsel.“
Harry schluckte. Der Gedanke war ihm selbst gekommen, doch irgendetwas in ihm sträubte sich. Er wusste nicht, was passieren würde, wenn er in der Sprache der Schlangen zu diesem Ding sprach.
Aber er musste es tun. Er holte tief Luft – und zischte mit leiser Stimme:
"Öffne dich."
Das Medaillon bebte.
Harry riss erschrocken die Hand zurück, als ein tiefer, dunkler Laut aus dem Medaillon drang, fast wie ein gequälter Atemzug. Die Luft im Raum wurde schwerer, und die Kerzen flackerten unruhig.
Dann, mit einem unheilvollen Klick, sprang das Medaillon auf.
Ein kalter Windstoß fegte durch den Raum, und plötzlich war da eine Präsenz, die sich wie ein Schatten über Harrys Gedanken legte. Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen, und sein Kopf begann zu pochen. Die Dunkelheit, die aus dem Medaillon strömte, war lebendig.
Er hörte ein leises, hämisches Lachen in seinem Kopf.
Harry…
Harry keuchte und taumelte nach hinten.
„Harry!“ Theo war blitzschnell auf den Beinen, griff nach seinem Arm, um ihn zu stützen. „Was ist los?!“
„Es… es ist Voldemort,“ stieß Harry hervor. Seine Knie fühlten sich schwach an, sein Blick verschwamm. „Er ist… in dem Medaillon…“
Theo fluchte.
Harry konnte nicht antworten. Sein Kopf schmerzte zu sehr, und die dunkle Stimme in seinem Inneren wurde lauter, eindringlicher.
Du bist schwach, Harry Potter…
Sein Körper fühlte sich plötzlich fremd an, seine Gedanken wurden schwer. Die Präsenz war stärker als alles, was er je gespürt hatte, drängte sich in seinen Geist, wollte ihn verdrängen, ihn beherrschen—
Theo riss das Medaillon mit bloßen Händen vom Tisch und schleuderte es quer durch den Raum. Es krachte gegen die Steinwand, doch anstatt einfach zu Boden zu fallen, blieb es dort hängen – als würde es von unsichtbaren Kräften gehalten.
Harry japste nach Luft. Der Druck in seinem Kopf ließ etwas nach, aber die Kälte blieb.
„Wir müssen das loswerden,“ zischte Theo. „Jetzt sofort.“
Harry atmete schwer und nickte.
Harrys Herz raste noch immer, als er sich gegen die Wand des Raumes lehnte und versuchte, seinen Atem zu beruhigen. Die kalte Präsenz, die sich eben noch in seinen Gedanken festgekrallt hatte, war schwächer geworden, aber nicht verschwunden. Das Medaillon ruhte noch immer an der Wand, als würde es sie alle beobachten.
Theo trat dicht neben ihn, seine Augen wachsam auf Harry gerichtet. „Kannst du stehen?“
Harry nickte, auch wenn er sich noch immer schwach fühlte. „Ich schaff das.“
„Gut. Denn wir haben ein Problem.“ Theo deutete mit dem Kopf auf das Medaillon, das immer noch leise vibrierte. „Das Ding hat versucht, dich zu übernehmen.“
Harry fuhr sich mit einer zittrigen Hand durchs Haar. „Ja. Und ich hätte es fast nicht bemerkt…“ Er schauderte. „Es war, als würde jemand in meinen Kopf kriechen. Als wäre ich nicht mehr ich selbst.“
Theo verengte die Augen. „Wir müssen zu Snape.“
„Um diese Uhrzeit?“ Harry war sich nicht sicher, ob er sich in der Nacht ausgerechnet mit Snape herumschlagen wollte.
„Ja. Oder willst du noch eine Nacht mit diesem Miststück verbringen?“ Theo deutete auf das Medaillon.
Harry schüttelte entschieden den Kopf. „Definitiv nicht.“
Theo trat einen Schritt vor, sein Zauberstab fest in der Hand. „Okay, dann lassen wir das hier besser nicht aus den Augen. Falls es sich bewegt, rennen wir.“
Harry stieß ein trockenes Lachen aus. „Na super. Klingt nach einem Plan.“
Vorsichtig schlichen sie aus dem Raum der Wünsche und machten sich auf den Weg durch die dunklen Korridore. Hogwarts war nachts gespenstisch still, nur das entfernte Tropfen von Wasser irgendwo in den Mauern durchbrach die Stille.
Theo hielt sich dicht an Harrys Seite, sein Blick ständig wachsam. „Du denkst doch nicht ernsthaft, dass Snape überrascht sein wird, oder?“
„Wahrscheinlich nicht. Der weiß immer mehr, als er zugibt.“
Theo schnaubte. „Dann hoffen wir, dass er diesmal kooperativ ist.“
Als sie sich Snapes Büro näherten, blieb Harry abrupt stehen. Etwas zog an seinem Verstand, ein leises, kaum hörbares Flüstern…
Potter…
Harrys Atem stockte.
Theo bemerkte es sofort. „Was?“
„Es spricht wieder…“
Theo verfluchte leise. „Schneller.“
Mit jedem Schritt wurde das Flüstern lauter. Als sie Snapes Tür erreichten, hämmerte Harry gegen das dunkle Holz.
Stille.
Dann das leise Knarren eines Stuhls.
Ein Moment später wurde die Tür ruckartig geöffnet, und Snape stand vor ihnen. Sein Blick flog von Harry zu Theo, dann bemerkte er ihre angespannten Gesichter.
„Potter. Nott.“ Sein Tonfall war schneidend. „Ich hoffe für euch, dass es einen verdammt guten Grund gibt, mich mitten in der Nacht zu stören.“
Harry hob langsam den Blick. „Professor… wir haben ein Problem.“
Snape musterte die beiden einen Moment lang, bevor er schnaubte und die Tür weit aufriss. „Rein mit euch. Bevor euch noch jemand sieht.“
Harry und Theo traten in das dunkle Büro ein. Der Raum roch nach Kräutern, alten Büchern und einem Hauch von Zaubertrankdampf. Die Kerzen an den Wänden flackerten, als Snape mit einer knappen Handbewegung die Tür hinter ihnen schloss.
„Ihr seht aus, als hättet ihr einen Geist gesehen.“ Seine schwarzen Augen verengten sich. „Redet.“
Harry zögerte nur kurz, dann griff er in seine Tasche und zog das Medaillon hervor. Es fühlte sich kalt an, fast als hätte es jede Wärme aus seinen Fingern gesogen. Theo trat näher, als Harry es vorsichtig auf Snapes Schreibtisch legte.
„Das haben wir gefunden,“ begann Theo. „Und es ist… nicht normal.“
Snape schob seinen Ärmel hoch, zog seinen Zauberstab und ließ ihn knapp über dem Medaillon schweben.
„Was genau bedeutet ‚nicht normal‘?“ fragte er mit kühler Präzision.
Harry schluckte. „Es spricht zu mir.“
Snapes Hand zuckte kaum merklich. „Wie bitte?“
„Es… flüstert. Es fühlt sich an, als würde es sich in meinen Kopf schleichen. Ich habe es vorhin berührt, und plötzlich war es, als wäre ich nicht mehr ich selbst. Ich konnte meine eigenen Gedanken kaum hören.“
Snape sagte einen komplizierten Zauberspruch, den Harry nicht kannte. Ein dunkles, purpurfarbenes Leuchten umgab das Medaillon kurz, bevor es wieder erlosch. Snape starrte das Objekt an, seine Miene verfinsterte sich.
„Wo habt ihr das her?“
„Im Raum der Wünsche,“ sagte Theo. „Es lag in einer alten Kiste. Es hat Harry direkt beeinflusst.“
Snape setzte sich langsam in seinen Stuhl, seine Finger trommelten gegen die Armlehne. Seine Miene war ausdruckslos, aber Harry konnte sehen, dass sein Verstand auf Hochtouren lief.
„Professor?“ hakte Theo nach.
„Es ist verflucht,“ erklärte er schließlich, und Harry spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Irgendetwas an der Art, wie Snape es sagte, ließ ihn zweifeln.
„Verflucht?“ wiederholte Theo skeptisch.
„Ja.“ Snape sah ihn mit kühlem Blick an. „Eine dunkle Art von Zauber, die den Träger langsam beeinflusst. Alte schwarze Magie, nichts Ungewöhnliches für Artefakte aus dieser Zeit.“
Harry spürte, wie seine Finger sich unbewusst zu Fäusten ballten. Er log. Snape log.
Aber warum?
„Kann man es zerstören?“ fragte Theo.
Snape betrachtete das Medaillon noch einen Moment, dann legte er es vorsichtig auf den Tisch. „Dafür gibt es Methoden,“ sagte er vage. „Aber sie sind kompliziert und nicht ohne Risiko.“
Harry hielt es nicht mehr aus. „Professor,“ sagte er fest und trat einen Schritt vor. „Sie wissen genau, was das ist.“
Snapes Blick war schneidend, aber Harry wich nicht zurück.
„Ihr solltet euch nicht mit Dingen beschäftigen, die ihr nicht versteht, Potter,“ sagte er kalt. „Überlasst das lieber denen, die mehr Wissen darüber haben.“
Theo verschränkte die Arme. „Dann erklären Sie es uns.“
Snape schnaubte leise und fixierte ihn mit seinem dunklen Blick. „Das Medaillon ist nicht euer Problem. Und es wäre besser, wenn ihr es so schnell wie möglich vergesst.“
Harrys Wut kochte hoch. „Vergessen? Sie wissen, dass das nicht geht.“
„Es ist keine Bitte.“ Snape nahm das Medaillon wieder auf und steckte es sich in seinen Umhang. „Ich werde mich darum kümmern. Ihr werdet nicht weiter nachforschen. Und ihr werdet nicht darüber sprechen.“
Die Worte klangen wie ein Befehl, scharf wie eine schneidende Klinge.
Theo sah kurz zu Harry, dann wieder zu Snape. „Und was, wenn wir das nicht akzeptieren?“
Snape ließ ein leises, humorloses Lachen hören. „Dann werden eure Köpfe sich mit Gedanken füllen, die ihr euch nicht wünscht.“
Eine Drohung. Eine klare Warnung.
Harry spürte, wie sich eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen und der Wahrheit errichtete. Snape wusste, was das Medaillon war – aber er würde es ihnen nicht sagen.
Und das bedeutete, dass sie es selbst herausfinden mussten.