
Chapter 4
Gewächshaus drei ist dunkel, nur das fahle Licht des Mondes fällt durch die großen Glasfenster und wirft unheimliche Schatten über die Pflanzen. Harry öffnet vorsichtig die Tür, sie quietscht leise. Er schlüpft hinein – und bleibt abrupt stehen.
Theodore lehnt mit verschränkten Armen an einem der Holztische, die sonst für den Kräuterkunde-Unterricht benutzt werden. Seine dunklen Augen funkeln im schwachen Licht.
Theodore lacht trocken. „Du hast dir Zeit gelassen.“
Harry schnaubt. „Draco hat mich fast erwischt.“
Amüsiert hebt Theo eine Braue. „Natürlich hat er das.“ Er schüttelt leicht den Kopf und deutet mit dem Kinn auf den Stuhl gegenüber. „Setz dich.“
Harry tut es, streckt die Hände auf der Tischplatte aus. Der Raum riecht nach feuchter Erde und den bitteren Blättern der Alraunen.
„Warum bin ich hier, Theo?“
Sein Blick wird ernster, sein Ton leiser. „Umbridge.“
Das Wort hängt schwer in der Luft. Harrys Augen verengen sich. Theodore lehnt sich nach vorne, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Sie durchsucht Briefe. Offiziell heißt es ‘Sicherheitsmaßnahmen’, aber ich habe gesehen, wie sie Pansy und Draco letzte Woche beobachtet hat. Sie misstraut allen. Auch uns.“
Harry verengt die Augen. „Und was willst du tun?“
Kalt und mit einem schiefen Lächeln erwidert der Slytherin: „Slytherin sein. Und überleben.“ dann, leiser: „Und dir helfen.“
Harry blinzelt überrascht. Theodore Nott war nie jemand, der sich offen in Dinge einmischte, aber wenn er sich entschied, Partei zu ergreifen, dann aus Berechnung. Das bedeutete, dass er einen Plan hatte.
„Warum? Warum sollte ich dir trauen?“
Theodore lehnt sich zurück, sein Blick gleitet durch das düstere Gewächshaus. Dann trifft er Harrys Augen, ernst und durchdringend.
Theodore flüstert leise, mit einem Hauch von Zynismus: „Weil ich nicht will, dass Hogwarts zu einem Gefängnis wird. Und weil ich sehen will, ob du es wert bist, dass man sich auf deine Seite stellt.“
Harry schluckt. Da war es wieder – dieser Slytherin-Test. Aber dieses Mal? Dieses Mal war es nicht Malfoy, der ihn prüfte. Es war Theodore Nott. Und das machte die Sache nicht weniger gefährlich. Dennoch hatte Nott recht, das wusste Harry. Ihm war es ebenfalls nicht entgangen, wie Umbridge sich in der Schule breit machte.
Sie mag vielleicht glauben, dass sie die Kontrolle hat. Dass ihre Methoden Harry zum Schweigen bringen würden. Aber sie vergisst eines – Slytherins spielen das Spiel nicht, um zu verlieren.
Harry stand am nächsten Abend vor der Bürotür von Professor Umbridge und spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Der Schulflur war leer, die anderen Schüler waren längst beim Abendessen oder zurück in ihren Gemeinschaftsräumen. Er atmete tief durch, klopfte dann an die Tür.
„Herein.“
Er drückte die Klinke herunter und betrat den Raum. Das Büro war genauso widerlich, wie er es erwartet hatte – rosa Tapeten, Porzellanteller mit schnurrenden Kätzchen, ein starker Duft nach süßlichem Tee. Es war die Art von Raum, die jemanden mit einem empfindlichen Magen in Sekunden zum Würgen bringen konnte.
Professor Umbridge saß an ihrem Schreibtisch und lächelte ihn an – ein Lächeln, das so falsch war wie die Spitzenkragen an ihrem Pullover. „Ah, Mr. Potter. Pünktlich. Sehr schön.“
Harry blieb stehen. „Ich wusste nicht, dass ich eine Wahl hatte.“
„Oh, aber natürlich haben Sie immer eine Wahl, mein lieber Junge.“ Sie faltete langsam die Hände auf ihrem Schreibtisch. „Zum Beispiel die Wahl, sich wie ein anständiger Schüler zu verhalten oder wie… ein aufmüpfiger kleiner Junge, der meint, die Regeln beträfen ihn nicht.“
Harry erwiderte ihren Blick kühl. „Wenn Sie sagen, dass es keine Dunklen Künste mehr gibt, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis jemand stirbt, weil er sich nicht verteidigen kann.“
Ihr Lächeln wurde starrer. „Diese Art von Lügen hat Sie genau hierhergebracht, Mr. Potter. Und nun werden wir dafür sorgen, dass Sie lernen, sich respektvoll zu verhalten.“
Sie drehte sich ein wenig zur Seite und zog eine Feder aus einer feinen, geschnitzten Schachtel. Sie legte sie sorgfältig auf das Pergament vor ihm.
„Sie werden eine einfache Zeile schreiben: Ich darf keine Lügen erzählen.“
Harry sah auf das Pergament. Keine Tintenflasche. Sein Magen zog sich erneut zusammen.
„Wo ist die Tinte?“ fragte er, obwohl er die Antwort bereits ahnte.
Ihr Lächeln wurde noch süßer. „Oh, Sie brauchen keine.“
Harry setzte sich langsam hin, nahm die Feder und setzte sie an.
Kaum hatte er die ersten Buchstaben geschrieben, spürte er es.
Ein stechender, brennender Schmerz zog sich über seinen Handrücken. Er sah hinunter – dort, wo er geschrieben hatte, ritzte sich derselbe Satz in seine Haut ein. Das Blut sickerte sofort aus den feinen Linien, nur um bei der nächsten Bewegung von selbst wieder zu verschwinden.
Er biss die Zähne zusammen, während der Schmerz durch seine Finger fuhr.
Er wusste, dass sie ihn beobachtete. Dass sie darauf wartete, dass er zusammenzuckte oder sich beschwerte.
Also tat er nichts dergleichen.
Er schrieb den Satz erneut.
Und wieder.
Und wieder.
Mit jedem Mal grub sich die Schrift tiefer ein, die Wunde riss immer wieder auf, heilte und öffnete sich von Neuem. Der Schmerz war scharf, pulsierend.
Nach fast einer Stunde legte Umbridge ihre Hände aufeinander. „Das reicht für heute, Mr. Potter. Sie dürfen gehen.“
Harry legte die Feder zur Seite, stand auf, ohne ihr auch nur einen Blick zu schenken, und marschierte aus dem Raum.
Erst als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, sog er scharf die Luft ein.
Seine Hand brannte. Vielleicht fand er irgendwo noch eine kleine Phiole Dittany Essenz.
Er bog gerade um eine Ecke, als plötzlich eine vertraute Stimme ihn aufhalten ließ.
„Harry!“
Hermine stand vor ihm, die Arme verschränkt, ihre Stirn besorgt gerunzelt. Direkt neben ihr stand Ron, der ihn ansah, als wäre er ein besonders schlechter Scherz der Weasley-Zwillinge. Das war außergewöhnlich. Es war bereits Nachtruhe und normalerweise würde man Hermine niemals um diese Uhrzeit in den Gängen antreffen. Normalerweise.
Harry seufzte. „Lasst mich raten. Ihr wollt wissen, ob ich inzwischen grün-silberne Roben besitze?“
Ron starrte ihn an. „Ich will wissen, ob du komplett den Verstand verloren hast! Slytherin? Slytherin?! Wie konntest du das nur zulassen?!“
Harry schnaubte. „Ja, klar. Weil ich so viel Kontrolle über das Ministerium und Umbridge habe, oder?“
Hermine sah ihn durchdringend an. „Harry, es ist nicht nur das. Es ist…“ Sie zögerte. „Es ist, wie du dich seitdem verhältst. Du hättest Einspruch erheben können, du hättest mit Dumbledore reden können—“
„Oh, ja, weil Dumbledore in letzter Zeit ja so wahnsinnig hilfreich war,“ unterbrach Harry sarkastisch.
Ron fuchtelte mit den Armen. „Also was? Du findest das jetzt einfach okay? Sitzt mit Malfoy und seinen Kumpanen rum, trinkst Kürbissaft und planst, wie du uns alle verrätst?“
Harry riss die Augen auf. „Oh, absolut. Ich hab schon mein Bewerbungsschreiben für Voldemorts inneren Kreis abgeschickt. Warte nur, bis ich meine offizielle ‘Ich bin jetzt böse’-Plakette bekomme.“
Ron wurde rot im Gesicht. „Das ist nicht lustig, Harry!“ Harry fand das überhaupt nicht lustig. Ganz im Gegenteil. Außerdem schmerzte seine Hand.
Hermine hob die Hände. „Hör zu, wir sind nicht hier, um dich anzugreifen. Wir machen uns einfach Sorgen.“
Harry sah sie beide an und seufzte dann. „Ich verstehe das. Wirklich. Aber…“ Er zögerte kurz, bevor er weitersprach. „Ich weiß nicht. Vielleicht ist es nicht so schlimm, dort zu sein.“
Ron blinzelte ungläubig. „Nicht so schlimm?!“
„Ich meine, ja, Malfoy ist ein Albtraum, aber er ist nicht der Einzige in Slytherin. Ich habe Leute kennengelernt, die… na ja, die gar nicht so schrecklich sind.“
Ron schnaufte. „Nicht so schrecklich? Wer genau? Crabbe? Goyle? Oder ist es etwa Blaise Zabini, der dich mit seiner Arroganz beeindruckt hat?“
„Theodore Nott, eigentlich,“ entgegnete Harry ruhig.
Hermine runzelte die Stirn. „Nott? Aber sein Vater ist ein Todesser.“
„Und mein Vater war ein Gryffindor. Und?“ Harry kreuzte die Arme. „Ich dachte, wir hätten längst gelernt, dass das Haus nicht immer bestimmt, wer man ist.“
Ron schüttelte den Kopf. „Das kann doch nicht dein Ernst sein. Willst du uns echt sagen, dass du dich da wohlfühlst?“
Harry öffnete den Mund, dann schloss er ihn wieder. War das falsch? Durfte er sich in Slytherin überhaupt wohl fühlen?
„Ich weiß es nicht,“ gab er ehrlich zu. „Aber es ist anders, als ich dachte. Und… vielleicht ist das gar nicht so schlecht.“
Hermine beobachtete ihn nachdenklich, während Ron den Kopf schüttelte. „Na schön. Aber wenn du anfängst, schwarze Roben zu tragen und Snape ‘Meister’ zu nennen, sag uns bitte Bescheid.“
Harry grinste schief. „Mach ich. Versprochen.“
Hermine seufzte. „Pass einfach auf dich auf, Harry. Bitte.“
Er nickte. „Das tue ich.“
Dann drehte er sich um und verschwand in den Kerker.
Hinter ihm sahen Ron und Hermine sich an.
„Er verändert sich,“ murmelte Hermine.
Ron verzog das Gesicht. „Und das macht mir verdammt nochmal Angst.“
Der Slytherin-Gemeinschaftsraum lag in grünlichem Dämmerlicht, das von den Unterwasserschatten des Schwarzen Sees in Wellen über die Wände glitt. Der Raum war ruhig. Ein paar Schüler saßen in Sesseln, vertieft in Bücher oder leise Gespräche. Malfoy und seine Freunde hatten sich in eine Ecke verzogen, Pansy kicherte über etwas, das Blaise gesagt hatte. Seine Hand pochte noch immer ein wenig aber es war erträglich.
Harry saß auf einem der dunklen Ledersofas, den Blick auf das flackernde Kaminfeuer gerichtet. Aber sein Kopf war nicht hier – er war noch im Kerkerflur, bei Ron und Hermine, bei ihren enttäuschten Gesichtern.
„Du siehst aus, als hättest du den fast Kopflosen Nick gesehen.“
Harry blinzelte und wandte den Kopf. Theodore Nott hatte sich in den Sessel neben ihm fallen lassen, ein Buch achtlos auf dem Schoß. Seine dunklen Augen musterten Harry mit der üblichen ruhigen, aber scharfsinnigen Neugier.
Harry zuckte mit den Schultern. „Eher zwei.“
„Lass mich raten… Weasley und Granger?“
„Treffer.“
Theodore nickte, als wäre das wenig überraschend. Er lehnte sich zurück, das Feuer spiegelte sich in seinen hellbraunen Augen. „Sie sind nicht gerade begeistert, oder?“
„Das ist noch milde ausgedrückt.“ Harry rieb sich die Schläfe. „Ron war außer sich. Und Hermine… sie war mehr besorgt als wütend.“
Theodore betrachtete ihn einen Moment lang schweigend. Dann sagte er: „Und du? Stört es dich?“
Harry seufzte. „Ich weiß es nicht. Alles fühlt sich einfach… seltsam an. Ich habe mein halbes Leben gedacht, dass hier nur angehende Todesser rumlaufen.“ Theodore lachte leise. „Ja, das hören wir öfter.“
„Aber jetzt bin ich hier, und… keine Ahnung. Es ist nicht so schlimm, wie ich dachte. Ich meine, Malfoy geht mir immer noch auf die Nerven, aber—“
„Das tut er uns allen,“ warf Theodore trocken ein.
Harry schmunzelte kurz. „Aber du bist… okay. Blaise ist okay. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mit irgendwem hier unterhalten kann, ohne einen Fluch abzukriegen.“
Theodore legte den Kopf schief. „Und trotzdem sitzt du hier und redest mit mir.“
„Tja, du hast mich noch nicht verflucht.“
„Noch nicht.“ Theodore grinste schief.
Harry lehnte sich zurück und fuhr sich durch die Haare. „Ich weiß nicht, was ich Ron und Hermine sagen soll. Ich bin kein anderer Mensch, nur weil ich jetzt in Slytherin bin. Aber für sie fühlt es sich so an.“
Theodore betrachtete ihn einen Moment nachdenklich. Dann sagte er leise: „Du wirst nie ganz einer von uns sein, weißt du?“
Harry sah ihn verwundert an.
„Aber du bist auch kein Gryffindor mehr. Zumindest nicht für sie.“
Harry spürte, wie sich etwas in seiner Brust zusammenzog. „Also gehöre ich jetzt nirgendwo mehr richtig hin.“
Theodore zuckte die Schultern. „Oder du gehörst überall ein bisschen hin.“
Ein Moment der Stille. Nur das Knistern des Feuers war zu hören. Dann grinste Theodore plötzlich. „Aber wenn du Malfoy das nächste Mal eine verbale Ohrfeige verpasst, gehörst du offiziell zu uns.“
Harry lachte leise. „Dann bin ich wohl auf dem besten Weg.“
Theodore musterte ihn noch einen Moment, dann klappte er sein Buch auf. „Mach dir nicht zu viele Gedanken. Sie werden sich irgendwann damit abfinden.“