
„Ich wurde noch nie von meinen Eltern beim Sex erwischt.“
Mit einem Augenrollen nahmen Leo und Pia einen Schluck aus ihrem Glas. Sie hatten sich heute eigentlich nur zum Grillen und ein, zwei Bier bei Leo getroffen, um die Lösung ihres neuen Falles zu feiern. Allerdings waren es dann schnell mehr als ein, zwei Bier geworden und irgendwann hatte Pia doch tatsächlich vorgeschlagen „Never have I ever“ zu spielen, damit sie sich endlich mal etwas besser kennenlernten. Nachdem sich Esther mit ironischem Unterton beschwert hatte, dass sie trotz ihrer Zusammenarbeit kaum etwas von Leo und Adam wusste, außer über deren verkorkste Vergangenheit. Leo hatte zugegeben, dass es tatsächlich schönere Dinge über sie zu wissen gab und dass so ein kleines Spiel ja vielleicht gar nicht schlecht fürs Teambuilding sein könnte. Selbst Adam hatte schließlich mit einem zynischen „Toll. Zusammen saufen – die Älteste Teambuilding-Maßnahme der Welt“ zugestimmt. Und jetzt saßen sie doch tatsächlich alle vier im Kreis auf Leos Wohnzimmer Boden, mit dem alkoholischen Getränk ihrer Wahl in der Hand und starrten aufgeregt auf Pias Handy, denn natürlich gab es mittlerweile eine App für so was. Warum ausgerechnet Pia diese auf ihrem Smartphone hatte – und dann auch noch in der Ü18 Version – das wollte Leo lieber gar nicht wissen.
„Ich hab noch nie Flaschendrehen gespielt.“, las Pia als nächstes vor. Leo, Pia und Esther griffen zu ihrem Glas, während Adam nur mit den Schultern zuckte. „9. Klasse. Geburtstagsparty meines damaligen Schwarms. Ich hab so gehofft, dass ich ihn küssen muss.“, seufzte Pia und griff in die Schüssel mit Erdnüssen, die in der Mitte stand. „Adam, du hast echt noch nie Flaschendrehen gespielt?“, fragte Esther. „Ich hatte halt keine Jugend, in der mein größtes Problem war, ob mein Schwarm mich mag oder nicht.“, murmelte er bissig und kaute auf den Erdnüssen herum, die er sich gerade in den Mund geschoben hatte. Esther zog die Augenbrauen nach oben, verkniff sich aber einen Kommentar. Sie wusste mittlerweile, dass das einfach manchmal Adams Art war, wenn er sich bedrängt fühlte. „No judgement. Haben wir doch ausgemacht.“, sagte Pia und stupste Esther leicht mit dem Ellenbogen an. „Ja ja, dann mach weiter jetzt.“, erwiderte diese. „Ich hab noch nie gestrippt.“ Gespannt schaute sie in die Runde und sah wie Leo, Esther und Adam jeweils einen Schluck tranken. „Oh jetzt wird’s interessant.“, grinste sie. „Noch nie Strippoker gespielt?“, fragte Adam provokant. „Aha, der Schürk spielt also gerne Strippoker“, stichelte Esther. „Weißt du Baumann, mir fällt da was für dich ein: Ich hab noch nie das Trikot eines Fußballvereins getragen.“, erwiderte Adam nur und grinste. „Ey, das zählt nicht…“, wollte Esther protestieren, doch die anderen schüttelten nur lachend den Kopf. „Doch, doch. Das zählt.“, sagte Leo und beobachtete, wie Esther vor sich hin murrend einen weiteren Schluck aus ihrem Glas nahm. „Dann darf ich jetzt aber auch!“, verkündete sie, „Ich hab noch nie geraucht. Nimm das Schürk.“
„Wow Baumann, ganz böse Rache.“, erwiderte Adam und trank. Auch Pia nahm einen Schluck und erklärte dann: „Hab früher öfter mal Schischa geraucht.“
„Okay next“, sagte Leo und drückte auf das „Weiter“ Symbol auf dem Handybildschirm.
„Ich hab mich noch nie geschminkt.“
Pia und Esther verdrehten die Augen und schauten überrascht zu Adam, als der ebenfalls sein Glas hob „Cheers Ladys.“, grinste er. Leo sah ihn fragend an. „Mein Mitbewohner aus Berlin, Vincent… sagen wir’s so, Vincent hält nichts von Geschlechterstereotypen. Wir sind öfter zusammen feiern gegangen und irgendwann hat Vincent mich halt auch mal geschminkt und ich muss sagen, so ein bisschen Eyeliner sieht gar nicht so schlecht aus.“, triumphierend nahm er die anerkennenden Blicke seiner Kolleginnen wahr. Leo hingegen musste schlucken. Unweigerlich schoben sich Bilder in seinen Kopf: Adam mit seinen blauen Augen, umrahmt von schwarzem, leicht verwischtem Kajal, vielleicht sogar ein bisschen verschwitzt vom Tanzen, aber wunderschön und sexy im bunten Licht der Tanzfläche. Er machte sich eine mentale Notiz, dass er und Adam unbedingt mal gemeinsam ausgehen mussten, als ihn Esthers Stimme aus den Gedanken riss.
„Okay, kommt jetzt legt hier mal einen Zahn zu.“, sie nahm ihm das Handy aus der Hand. „Ich hab noch nie jemand anderen beim Sex erwischt.“, verkündete sie.
„Ughh.“, stöhnte Adam und trank, „Hab’s auf die harte Tour lernen müssen, dass man in einer WG lieber immer anklopfen sollte.“, erzählte er. „Haha same.“, lachte Pia und streckte Adam die Hand zum High-Five entgegen, in das dieser doch tatsächlich grinsend einschlug. Vielleicht hatte das Spiel in Sachen Teambuilding doch schon mehr erreicht, als er sich das hatte vorstellen können, dachte Leo amüsiert.
„Ich hab noch nie einen Dreier gehabt.“
„Oh jetzt wird’s spannend.“, sagte Leo und sein Blick glitt direkt zu Adam. Was sein Sexleben und seine Interessen anging, konnte er Adam wirklich nicht einschätzen. Er hatte immer gedacht damals als Jugendliche, da war irgendwas zwischen ihnen gewesen, das mehr als Freundschaft gewesen war. Aber ob es seinem besten Freund genauso gegangen war, das wusste er bis heute nicht sicher. Auf jeden Fall fühlte er diese alten Gefühle wieder mehr und mehr aufflammen, seit Adam zurück war. Er hatte gedacht, er wäre über Adam hinweg, bis dieser auf einmal wieder vor ihm gestanden hatte. Drüber hinweg, am Arsch. Es war, als hätte jemand all die Jahre einfach nur auf Pause gedrückt – plötzlich war alles wieder da. Natürlich hatten sie sich nach 15 Jahren erst mal wieder neu kennenlernen müssen, doch mit jedem Detail, das er über Adam erfuhr, mit jeder alten und neuen Angewohnheit, die er entdeckte, fühlte er sich nur noch mehr zu dem anderen Mann hingezogen. Denn Adam war immer noch so Adam. Sein sarkastischer, manchmal unvernünftiger und hinter der harten Schale trotzdem so verletzlicher Adam. Adam, der so viel durchgemacht und es irgendwie trotzdem geschafft hatte, Mensch zu bleiben. Adam, der im Schneidersitz auf seinem Bürotisch saß und ihn angrinste, während er eine Akte las. Adam in seiner blauen Jeans, kombiniert mit seiner Jeansjacke (wer verdammt nochmal trug Denim auf Denim und sah darin auch noch so unwiderstehlich aus?!) Adam, der ihn manchmal mit einem gepflegten aber fast schon liebevollen „Halt die Fresse Leo.“, zum Schweigen brachte, wenn er ihm mal wieder einen Vortrag darüber hielt, dass getrocknete Nudeln aus einer fünf Minuten Terrine keine ausgewogene Mahlzeit darstellten, und ihn dabei mit einem Grinsen ansah, das verriet, dass er eigentlich gar nicht so genervt von Leos Sorge um ihn war wie er tat. Und hatte er seine Gefühle mit 15 noch als jugendliche Schwärmerei abtun können, musste er sich jetzt eingestehen, dass er den anderen Mann wollte. Gott, er wollte ihn so sehr in seinem Leben. Und genau deswegen tat es auch so weh, wenn Adam ihn aus seinem Leben ausschloss, ihm Dinge verschwieg oder wieder alles nur mit sich selbst ausmachte. Weil er so viel mehr für diesen Mann sein wollte als nur ein guter Kumpel.
Er war so auf Adam fixiert gewesen, dass er gar nicht bemerkt hatte, dass Pia als einzige aus der Runde getrunken hatte. Erst als Adam anerkennend Pfiff und Pia zuzwinkerte, schaute er überrascht zu seiner Kollegin. „Was? Hab mich halt ausprobiert…“, nuschelte sie und wurde leicht rot unter den Blicken ihrer Kolleg*innen. „No judgement.“, sagte Esther gleich und legte der anderen Frau beschwichtigend ihre Hand auf den Oberschenkel.
„Ich hab noch nie einen Blowjob gegeben.“, spuckte die App als nächstes aus.
Für einen Moment geschah nichts, dann rief Adam überschwänglich „Prost!“, und nahm einen großen Schluck von seinem Getränk. Pia zuckte mit den Schultern: „Ich finde, man sollte alles mal ausprobieren.“, sagte sie und prostete Adam zu, was wohl ihre Art war ihm zu vermitteln, dass sie kein Problem damit hatte. Der verschluckte sich fast an seinem Getränk, als Leo plötzlich ebenfalls sein Glas wie selbstverständlich hob und trank. Er konnte nichts dagegen tun, dass in seinem Kopf plötzlich Bilder auftauchten von Leo, wie der vor ihm kniete und mit seinen grau-grünen Augen zu ihm aufsah. Fuck. Fuck. Fuck. Das hier war definitiv nicht der richtige Rahmen für solche Gedanken. Automatisch wurde er etwas rot, als er Leos Blick auffing, der ihn interessiert musterte und hoffte inständig, dass der ihm nicht hatte ansehen können, was sich gerade in seinem Kopf abgespielt hatte.
„Okay Leute, wenn wir schon dabei sind…“, kam es von Esther, die als einzige nicht getrunken hatte, „Ich hatte noch nie was mit dem anderen Geschlecht!“
Pia rollte mit den Augen „Das ist Bi-Diskriminierung.“, grinste sie und stupste Esther spielerisch an, bevor sie ihr Glas leerte und dann nach der Cola-Flasche griff um es erneut mit Jackie-Cola zu füllen. Adam starrte die beiden nur an. Hatten sich seine Kolleginnen gerade vor ihnen geoutet?
Er schielte zu Leo hinüber, der ebenfalls getrunken hatte. „Adam?“, fragte Esther neugierig. Er schüttelte den Kopf. „Sorry Baumann, da muss ich dich enttäuschen.“, etwas nervös glitt sein Blick in die Runde. Auch wenn er wusste, dass seine Kolleg*innen wahrscheinlich kein Problem damit haben würden, dass er schwul war – vor allem nicht nach den Erkenntnissen dieser Runde – irgendwie war da trotzdem jedes Mal diese Anspannung, wenn man sich outete und die Angst, dass doch jemand negativ reagieren könnte. Doch seine Sorge war unbegründet, denn im gleichen Moment streckte Esther ihm doch tatsächlich ihre Hand hin und verkündete: „Cool. Lesbian and Gay solidarity!“ Adam grinste verlegen, bevor er in ihre Hand einschlug. Er hatte das Gefühl, das damit endlich ein kleines Stück der Mauer, die sonst zwischen ihnen war, angefangen hatte zu bröckeln. Er blickte zu Leo, der ihn nur mit einer Mischung aus Stolz und Neugier anlächelte. Und dieser Blick, das war irgendwie so Leo, das es Adam ganz warm ums Herz wurde. Er hatte mit Leo noch nie über seine Sexualität gesprochen. Wann auch? Als Jugendlicher hatte er dieses Gefühl noch nicht so richtig einordnen können. Er konnte sich nicht einmal mehr erinnern, wann genau seine Gefühle für Leo plötzlich von Freundschaft zu so viel mehr geworden waren. Hatte sich nie getraut, etwas zu sagen oder gar zu fragen, was dies bedeutete. Sein Vater schien es allerdings auch so gewusst zu haben, dass sein Sohn nicht „normal“ war, immerhin hatte er ihn oft genug dafür verprügelt; hatte ihn „verweichlicht“, „Schwuchtel“ und andere Dinge genannt. Es war ihm nicht leichtgefallen, zu sich selbst zu stehen. Lange Zeit hatte er nicht einmal aussprechen können, dass er schwul war. Bis Vincent ihn tatsächlich mal zum CSD in Berlin geschleppt hatte. „Wir zeigen’s deinem Alten jetzt.“, hatte er gesagt und zum ersten Mal war Adam sich in der bunten Menge nicht abnormal vorgekommen. Damals hatte Adam erfahren, wie befreiend es sein konnte, offen zu sich und seiner Sexualität zu stehen. Der Button mit „Schwul und stolz drauf“, lag heute noch irgendwo in seiner Schublade. Er fragte sich, ob Leo wohl etwas ähnliches durchgemacht hatte, immerhin ließ das zumindest seine Antwort in Sachen Blowjob vermuten. Auf einmal wollte Adam es genau wissen.
„Ich war noch nie hetero!“, rief er und grinste. Die anderen lachten auf, keiner von ihnen griff zum Glas. „Gut, dann wäre das ja geklärt.“, sagte Esther schließlich trocken, „Darauf stoßen wir an. Cheers queers!“, verkündete sie und hob ihr Glas, die anderen taten ihr es grinsend gleich. Langsam vermutete Adam, dass es da an Esther eine Seite gab, die sie bisher vor ihnen geheim gehalten hatte – genauso wie ihre Fußball Leidenschaft – oder wo kamen all diese coolen Sprüche plötzlich her? So hätte er seine Kollegin ganz sicher nicht eingeschätzt. „Also Chef, jetzt mal raus mit der Sprache… auch bi? Oder pan? Oder…“, fragte Pia, der man mittlerweile den Alkohol schon etwas anmerkte. „Mir ist das Geschlecht eigentlich egal.“, sagte er locker, „Ich mag einfach den Menschen, den ich mag.“ Wie automatisch blieb sein Blick dabei an Adam hängen, dem das Herz bis zum Hals schlug. Es hatte schon früher so Momente gegeben, in denen Adam gedacht hatte, dass Leo ebenfalls Interesse an ihm haben könnte. Und seit er wieder zurück war, hatte er manchmal das Gefühl, dass da eine Spannung zwischen ihnen war, die sich keiner von ihnen traute anzusprechen. Und manchmal sah ihn Leo so an, so verdammt liebevoll, dass ihm die Knie weich wurden und er sich echt zusammenreißen musste, um nicht etwas saublödes zu machen, wie ihn einfach zu küssen zum Beispiel. Und dann war da noch der Moment gewesen, als Leo ihn von der JVA abgeholt hatte und Adam hätte schwören können, dass Leos Blick kurz zu seinen Lippen gewandert war, bevor er ihn in seine Arme gezogen hatte. Aber vielleicht war das auch nur Wunschdenken gepaart mit den Schmerzmitteln gewesen… Und dann sagte Leo auch immer so Sachen, wie „Ich kann aber besser schlafen, wenn ich weiß, dass dir nichts passiert.“ Oder „Ich würde mit dir bis ans Ende der Welt gehen“, als wenn Adam es verdient hätte, als wenn er Leo verdient hätte. Genau deswegen hatte Adam ihn von sich gestoßen, hatte ein paar Dinge zu Leo gesagt, die er jetzt tief bereute. Er kam einfach nicht damit klar, dass Leo so selbstverständlich für ihn da sein wollte, trotz allem, was der andere Mann schon wegen ihm hatte durchmachen müssen. Er erinnerte sich noch genau an den Schmerz in Leos Augen, als er das Geld in Adams Sporttasche gefunden hatte und verdammt, er war ja so ein Idiot gewesen.
„Ich war noch nie in einer Beziehung, die länger als ein Jahr gehalten hat.“, las Pia den nächsten Slide aus der App vor. Alle tranken, alle außer Adam. Leo wusste nicht, ob ihn diese Tatsache erleichtern oder traurig machen sollte. Er konnte sich vorstellen, dass es Adam schwerfiel, sich wirklich voll und ganz auf jemanden einzulassen. Nicht, dass er selbst jetzt der Experte dafür war. Er hatte zwar längere Beziehungen gehabt, aber irgendwann waren sie alle in die Brüche gegangen. Da wäre was an ihm, ein Teil den er zurückhielt, etwas worüber er nicht sprechen wollte oder er war nicht „zu 100% in der Beziehung gewesen“, was auch immer das bedeuten mochte. Ihm eigentlich auch scheißegal jetzt. Vielleicht hatte es ihn deswegen nicht überrascht, dass Adam ihm die Sache mit dem Geld verschwiegen hatte. Weh getan hatte es trotzdem, vielleicht gerade deswegen, weil er bis zum letzten Moment gehofft hatte, er würde sich irren. Mittlerweile hatte Adam das Geld der Polizei übergeben. Er wusste bis heute nicht, warum. Sie hatten sich so heftig gestritten wie noch nie an diesem Abend. Leo hatte versucht Adam begreiflich zu machen, dass sie alles zusammen schafften, aber dass Adam dazu mit ihm reden und ihm vertrauen musste. Adam hatte abgeblockt und darauf bestanden, dass er niemanden brauchte, der ihn „rettet“ und dass er Leo schon in genug Scheiße hineingezogen hatte. Irgendwann hatte Leo sich nur wortlos umgedreht und war gegangen. Am nächsten Tag hatte er erfahren, dass Adam das Geld abgegeben hatte und sie hatten nie wieder davon gesprochen. Er seufzte, sie mussten wirklich irgendwann mal reden.
„Hey, Erde an Leo.“, hörte er Adams Stimme leise neben sich. „Alles okay?“, fragte er. „Mhm. Ja alles gut.“, antwortete Leo. Adam sah ihn an, als ob er nicht so recht wusste, ob er Leo glauben sollte oder nicht.
„Ich hab noch nie Sexspielzeug verwendet.“, las Esther in diesem Moment vor. Alle nahmen ihr Glas und tranken, doch Leo spürte immer noch Adams fragenden Blick auf sich. Er räusperte sich.
„Ich hab noch nie eine Person, die mir sehr wichtig war, belogen.“, sagte er dann und wich bewusst Adams Blick aus, denn der konnte immerhin eins und eins zusammen zählen und wusste ganz genau, worauf Leo anspielte. Verdammt, war er eigentlich bescheuert, das Ganze ausgerechnet jetzt anzusprechen? Auch die Blicke ihrer Kolleg*innen wanderten zwischen den beiden hin und her – ihnen war nicht entgangen, dass in den letzten Wochen irgendetwas zwischen Leo und Adam gestanden hatte, obwohl die beiden zusammen arbeiteten wie immer. Adam schluckte, dann griff er zu seinem Glas. „Leo?“, fragte er dann, wartete, bis der andere ihn ansah. Leo machte sich schon innerlich darauf gefasst, dass Adam jetzt entweder sauer werden oder vielleicht sogar abhauen würde. Aber nichts davon geschah. „Ich wünschte, ich könnte es rückgängig machen. Ich wollte dich nicht verletzen.“, sagte Adam nur ruhig und kaute dabei nervös auf seiner Unterlippe. Leo seufzte erleichtert, wusste aber nicht, was er antworten sollte, denn das hatte er definitiv nicht erwartet. Schon gar nicht vor Esther und Pia.
„Du musst mir vertrauen Adam… sonst funktioniert das nicht…“, sagte er dann.
„Ich vertrau dir. Leo, ich vertraue dir mehr als irgendwem sonst in meinem Leben.“, erwiderte Adam ehrlich.
„Dann mach nicht immer alles mit dir alleine aus…“, erwiderte Leo mit belegter Stimme. Er hatte erwartet, dass Adam ihm jetzt widersprechen und ihm wieder erzählen würde, dass er ihn ja schon in genug Scheiße reingezogen hatte. Doch stattdessen nickte Adam. „Okay. Ich versuch’s ja?“, sagte er leise und sah Leo an, als würde er hoffen, dass das Antwort genug war. Für eine Weile sahen sie sich nur an.
„Meine Güte jetzt umarmt euch endlich, ist ja nicht auszuhalten“, kam es von Pia.
Etwas verlegen schauten die beiden Männer zu ihren Kolleg*innen. „Fresse da drüben.“, schoss Adam schnippisch zurück, dann wandte er sich sofort wieder Leo zu und sah ihn fragend, fast ein bisschen verlegen an. Ein Lächeln breitete sich über Leos Gesicht aus und er öffnete die Arme. Vorsichtig rutschte Adam näher und schlang ebenfalls die Arme um seinen besten Freund. Fuck, hatte er das vermisst. Leo nah sein. Von Leo berührt zu werden, auch wenn es nur freundschaftlich war. Mit einem Seufzen lehnte er sich noch etwas in die Umarmung, sog den Duft von Leos Aftershave und einfach nur Leo auf. Die Umarmung war viel zu kurz und trotzdem fühlte Adam sich wahnsinnig erleichtert. Vielleicht war so ein bisschen reden manchmal doch gar nicht so schlecht. Er konnte nicht glauben, dass es für diese Erkenntnis wirklich ein Spiel von „Never have I ever“ gebraucht hatte. Er sah Leo immer noch ein wenig verlegen an, doch der zwinkerte ihm zu und legte ihm sanft seine Hand aufs Knie, so als wollte er sagen „Ist okay.“ Zwar fragte Leo sich, ob er Adam vielleicht zu schnell vergeben hatte, aber irgendwas sagte ihm, dass es Adam schon schwer genug gefallen war, das Thema überhaupt anzusprechen. Überhaupt so ehrlich zuzugeben, dass es ihm leidtat. Und es hatte ihn überrascht, dass Adam ihm nicht widersprochen hatte, sondern es tatsächlich ernst zu meinen schien, in Zukunft nichts mehr vor Leo geheim halten zu wollen. Natürlich war mit einem Versprechen allein noch nicht alles getan, aber fürs Erste war Leo einfach nur froh, dass Adam von sich aus über seine Gefühle sprach. Und bei dem Gedanken löste sich auch endlich der Knoten in seinem Bauch, der ihn seit ihrem Streit begleitet und daran gehindert hatte, Adam so nah zu kommen wie sonst. Dabei liebte er es, wie sehr der Blonde seine Nähe genoss, sich ab und zu sogar in seine Berührungen schmiegte. Manchmal erinnerte Adam ihn fast an eine streunende Katze, scheu gegenüber anderen Menschen aber überraschend verkuschelt, wenn er sich wohlfühlte. Dass er als einziger Adam näherkommen, ihn umarmen und festhalten durfte, ließ sein Herz stolz anschwellen. Er würde Adam gerne noch so viel mehr Nähe geben, wenn dieser das nur auch wollte.
„Na endlich. Dann können wir ja jetzt weiterspielen.“, kam es von Esther, die wohl der Meinung war, dass die beiden Männer jetzt genug Zeit für sich gehabt hatten. Das Spiel hatten die beiden jedenfalls schon fast vergessen. Sie räusperten sich und rutschten wieder etwas auseinander, wenn auch nur so weit, dass Adams Knie immer noch Leos Oberschenkel berührte und Leos Handflächen mit einem Schlag zu schwitzen begannen. Hastig wischte er sie an seinem Hosenbein ab, und fing dabei Adams Blick auf, der hektisch zur Seite sah. Doch auch die Bierflasche, die Adam zu seinem Mund führte, konnte sein breites Grinsen nicht verstecken. Der Anblick ließ Leos Herz aufgeregt flattern.
„Okay…“, sagte Pia und hielt das Handy in die Mitte, „Ich hab noch nie sexy Bilder verschickt.“
Ein Stöhnen ging durch die Runde, als sie alle ihr Glas in die Hand nahmen und tranken. „Das Ding soll sich mal bisschen mehr Mühe geben, ist ja langweilig.“, murrte Adam scherzhaft, auch wenn es ihm beim Gedanken daran, dass tatsächlich sexy Bilder von Leo existierten, schon wieder ganz heiß wurde. Verstohlen schielte er zu Leo hinüber, der plötzlich nervös auf seinem Platz hin und her rutschte. „Na dann… Ich hab noch nie meine Diensthandschellen im Schlafzimmer benutzt.“, hörte Adam ihn sagen. Leo sprach so schnell, dass er sich fast an den Worten verschluckte.
„Schuldig!“, grinsten Esther und Pia. „Jaja Baumann und Heinrich tun immer nur so unschuldig…“, stichelte Adam.
„Also Schürk ich bin ja vieles aber sicher nicht unschuldig.“, konterte Esther, „Ich hab noch nie BDSM ausprobiert.“, sagte sie dann provokant und griff zu ihrem Glas. Adam fragte sich, ob es wohl am Alkohol lag, dass seine Kollegin plötzlich so offen war. „Du weißt aber schon, dass der Sinn des Spiels ist, selbst nicht trinken zu müssen?“, erwiderte er belustigt. „Na und? Cheers Spätzchen.“, sagte sie und stieß mit Pia an. „Okaayy.“, sagte Adam langgezogen, da sah er aus dem Augenwinkel wie Leo ebenfalls zu seinem Drink griff. Fuck. Irgendwann mussten sie da echt mal drüber sprechen, was Leo noch alles für versteckte Seiten hatte. Er würde lügen, wenn er behaupten würde, dass es ihn nicht reizen würde, mehr darüber herauszufinden.
„Oh, stille Wasser sind tief“, kam es fast verblüfft von Esther.
„Kein Kommentar.“, grinste Leo und nahm triumphierend wahr, wie Adam ihn interessiert anstarrte und irgendwie löste das ein aufgeregtes Kribbeln in seinem Körper aus. Schnell griff er nach dem Handy.
„Ich hatte noch nie Sex an einem öffentlichen Ort.“, las er vor.
Alle vier hoben die Gläser und brachen in Lachen aus.
„Also bei mir war’s im Club und bei euch so?“, fragte Leo, der vermutlich auch durch den Alkoholeinfluss, langsam mutiger wurde.
„Strand.“, sagte Adam.
„Büro.“, kam es gleichzeitig von Esther und Pia.
Geschockt starrten die beiden Männer ihre Kolleginnen an.
„Ihr meint jetzt aber nicht unser Büro?“, fragte Leo.
„Kein Kommentar.“, antwortete Esther.
„Ich glaube, ich habe in dieser Nacht mehr über euch erfahren als ich je wissen wollte.“, scherzte Adam.
„Na, dann machen wir doch am besten weiter, damit wir von euch auch noch was erfahren.“, ulkte Pia und tippte auf ihr Handy.
„Ich hab noch nie meinem ersten Schwarm meine Gefühle gestanden.“
„Pah, wer hat das schon. Ich musste erst Mal klarkriegen, dass ich mich überhaupt in ein Mädchen verknallt hatte.“, kam es von Esther und schob sich ein paar Erdnüsse in den Mund.
„Beim ersten Mal ist man doch eh voll überfordert.“, pflichtete Pia bei, „Ich war 14 und er war in der Klasse über mir und hatte so wahnsinnig schöne braune Augen. Aber der wusste wahrscheinlich nicht mal, dass ich existiere. Ich hab ihn immer nur auf dem Pausenhof still angehimmelt.“, erzählte sie belustigt.
„Und ihr so?“, fragte Esther, als sie bemerkt hatte das auch ihre beiden Kollegen nicht getrunken hatten.
„Ähmm…“, Leo räusperte sich, um etwas Zeit zu gewinnen. Sollte er wirklich? Er hätte ja auch einfach lügen können, sich weiß Gott was ausdenken können, um der Frage zu entgehen. Andererseits er trug das schon so lange mit sich rum… und was war schon dabei. Er musste ja nicht erwähnen, dass sich seine Gefühle bis heute kaum verändert hatten.
„Also ich war 15“, begann er, „Und er hat mich vor ein paar Klassenkameraden verteidigt, die auf mich losgehen wollten. Da war es um mich geschehen. Aber gesagt hab ich’s ihm nie, weil... keine Ahnung. Ich war irgendwie überfordert und hab mich nie getraut.“, erzählte er und warf einen schnellen Blick zu Adam. Der sah ihn verblüfft an. Er erinnerte sich noch als wäre es gestern gewesen, als er diesem verdammten Angeber von Tobias eins auf die Fresse gehauen hatte, weil der sich schon immer gern die Schwächeren rausgesucht hatte, nur um selbst cooler dazustehen. Dann hatte er Leo hoch geholfen und seitdem waren sie eigentlich unzertrennlich gewesen. Das hieß ja… Leo war… Er war Leos erster Schwarm gewesen… Adam fühlte, wie sein Mund schlagartig trocken wurde. Fahrig leckte er sich über die Lippen und tat, als würde er mit höchster Konzentration am Bieretikett knibbeln. Die Stille zwischen ihm und Leo war wie elektrisiert und was ihm wie Minuten erschien, waren nur wenige Sekunden. Scheiße verdammte, er holte Luft, hob den Kopf und sah mit festem Blick in die Runde. Wenn Leo schon so ehrlich gewesen war, würde er das jetzt auch schaffen.
„Ich war auch 15 und na ja… er war einer dieser süßen Streber-Typen, der immer alles wusste und immer gute Noten hatte und irgendwann hat er mir Mathe-Nachhilfe gegeben und die hätte vermutlich sogar was gebracht, wenn…“, er schluckte und sah zu Leo. „– wenn ich nicht jedes Mal so verdammt nervös gewesen wäre, weil er so nah neben mir saß… Gesagt hab ich nie was. Ich glaube, so richtig klar geworden, was das war, ist mir auch erst viel später.“
„Awww, wusste gar nicht, dass du so sentimental sein kannst…“, neckte Pia, doch Adam hatte gerade nur Augen für Leo. Der lächelte verträumt vor sich hin, während sich die Szene Detail für Detail vor seinem inneren Auge abspielte. Adam und er, wie sie im Baumhaus lang ausgestreckt auf dem Bauch gelegen und ihre Nasen in Leos Mathebuch gesteckt hatten. Leo war plötzlich, als könnte er noch ganz genau spüren, wie Adam eine Seite umgeblättert und sein kleiner Finger dabei zufällig Leos Handrücken gestreift hatte.
Oh Gott, Adam hatte tatsächlich gesagt, dass er ihn süß gefunden hatte. Süß…das war eigentlich ein Wort, das so gar nicht in Adam Schürks Wortschatz vorkam und gerade deswegen ließ es Leos Herz einen Hüpfer machen. All die Jahre hatte er sich gefragt, ob Adam wohl jemals seine Gefühle erwidert hatte und jetzt… Ja, und jetzt? Leo war froh, dass ihre beiden Kolleginnen nicht wussten, dass sie gerade voneinander erzählt hatten. Auch wenn das natürlich nicht heißen musste, dass Adam immer noch genauso hoffnungslos verliebt war wie Leo. Aber vielleicht… Vielleicht war es doch Zeit ein bisschen mutiger gegenüber Adam zu werden.
Bevor er noch weiter darüber nachdenken konnte, machte Esther allerdings mit der nächsten Runde weiter.
„Ich hab noch nie einen Liebesbrief geschrieben und ihn nicht abgesendet.“
Pia trank, doch Leos Blick glitt sofort zu Adam.
„Zählen Postkarten?“, fragte der plötzlich. Die beiden Frauen nickten. „Dann bestimmt hundert.“, murmelte der Blonde und trank. Er bemerkte Leos Blick und musste an die vielen Postkarten denken, die er an all den Orten, an denen er die letzten 15 Jahre gewesen war, gekauft und niemals abgeschickt hatte. Dass all diese Karten noch irgendwo in einer Kiste unter seinem Bett lagen, musste ja wirklich niemand wissen.
Seine Kolleginnen pfiffen anerkennend, immerhin hatte wahrscheinlich keine von ihnen ihm überhaupt zu getraut, auch nur einen Liebesbrief zu schreiben, und begannen dann lautstark darüber zu diskutieren, dass Frauen nach ihrer Erfahrung ja sowieso die besseren Liebesbriefe schrieben. Aber Adam hätte sich gerade nicht weniger dafür interessieren können.
Plötzlich spürte er wie Leos Hand sanft gegen seine Finger stieß. „Für mich?“, flüsterte Leo, so leise neben Adam, dass nur sie beide es hören konnten und Adam musste fast schnauben. „Für wen denn sonst, Leo.“, flüsterte er zurück und sein Herz begann schneller zu schlagen, als Leo ihn mit funkelnden Augen anstrahlte. Wären die anderen nicht gewesen, hätte Adam in diesem Moment nur zu gern die Hand ausgestreckt und Leo zu sich gezogen. Jetzt begnügte er sich damit, scherzhaft die Augen zu verdrehen: „Du denkst doch nicht ernsthaft, ich würde um jemand anderen so ‘nen Aufstand machen?“ Adam sah, wie Leo bei diesen Worten die Röte ins Gesicht schoss und konnte sich ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen.
Esther und Pia hatten ihre Unterhaltung mittlerweile wohl beendet, denn Pia hatte schon wieder ihr Handy in der Hand und verkündete:
„Ich hab noch nie nicht kapiert, wenn jemand mit mir geflirtet hat.“
„Würde mir nie passieren.“, kommentierte Adam, als er Pia und Leo trinken sah.
Bevor Leo es verhindern konnte, verließ ein belustigtes Schnauben seinen Mund.
„Was?“, fragte Adam empört und zog die Augenbrauen nach oben.
„Du checkst es ja nicht mal wenn du selbst flirtest… Tiger.“, grinste er nur frech, was ihm ein Kichern von seinen Kolleginnen einbrachte.
„Ich… Was?“, verwirrt blickte Adam ihn an. Hieß das etwa, Leo flirtete mit ihm? Flirtete er mit Leo? Wenn er so darüber nachdachte, flirtete er vielleicht wirklich manchmal mit Leo. Aber eigentlich nur, weil es so süß war, wenn er Leo dadurch aus dem Konzept bringen konnte. Und ihre Freundschaft war generell immer schon irgendwie flirty gewesen… Oder?
„Wenn dich einer zu Netflix and Chill einläd, liegst du wahrscheinlich auf der Couch und isst Chips.“, scherzte Leo weiter.
„Für Snacks geht der eh überall mit hin.“, kicherte Pia, was ihr einen Lacher von Esther einbrachte.
„Alter, wollt ihr mich verarschen?“, Adam sah sie an, als hätten sie den Verstand verloren und zog fast beleidigt seine Hand aus der Schüssel mit Erdnüssen zurück, so als wollte er Pias Snack Hypothese nicht auch noch unterstreichen.
„Ein bisschen…“, erwiderte Leo schmunzelnd und linste unauffällig zu den beiden Frauen hinüber, „Aber im Ernst, wenn ich jedes Mal, wenn du jemanden auf der Straße das Herz brichst ‘n Euro kriegen würde, wäre ich stinkreich.“ Er erinnerte sich an einige Male, als sie Zeug*innen befragt hatten und diese Adam – zumindest seiner Meinung nach – schamlos angeflirtet hatten. Dass Adam keinerlei Notiz davon genommen hatte, hatte nur geringfügig etwas daran geändert, dass Leo ihnen am liebsten die Hälse umgedreht hätte.
„Quatsch nicht“, wehrte Adam ab, so als wäre es für ihn unvorstellbar, dass er für irgendjemand Wildfremden auf der Straße einfach so attraktiv sein könnte. Leo schüttelte nur amüsiert den Kopf und nahm einen Schluck von seinem Drink, bevor er sich wieder Adam zuwandte. „Dir ist echt nicht klar, was für ‘ne Wirkung du auf andere haben kannst, was?“ Der forschende Blick, mit dem Leo ihn musterte, ging Adam durch und durch. Am liebsten hätte er gefragt „Welche Wirkung soll das schon sein, verglichen mit dir?“, aber alles, was er fertigbrachte, war ein zögerndes Kopfschütteln.
„Du bist manchmal echt nicht zu fassen, Adam“, lachte Leo und sah ihn dabei mit so offener Zuneigung an, dass Adam ganz schwindelig wurde. „War mir honestly immer ziemlich egal“, antwortete er und biss sich auf die Zunge, um nicht ein unüberlegtes „Weil ich eh nur Augen für dich habe“ hinzuzufügen. So wie Leo ihn gerade ansah, konnte er sowieso nur beten, dass seine Stimme in Wirklichkeit nicht ganz so rauchig geklungen hatte wie in seinen Ohren.
„Schade eigentlich, da entgeht dir was“, sagte Leo wie beiläufig, zwinkerte Adam noch einmal zu und schnappte sich Pias Handy, um die nächste Runde zu eröffnen:
„Ich hatte noch nie Sex im Auto“
„Nicht zu empfehlen.“, grinste Esther und hob ihr Glas, „Hab mir fast sonst was verrenkt.“
„Macht man auch nur einmal.“, stimmte Adam zu und trank ebenfalls.
„Ich hatte in meiner Zeit bei der Streife mal das Vergnügen, ein Pärchen beim Sex im Auto zu erwischen.“, erzählte Leo belustigt. „Lass euch gesagt sein, im Auto denkt man vielleicht nicht, dass es auffällt, aber alle drum rum wissen genau, was ihr da macht. Ich sag nur beschlagene Scheiben.“ Er lachte.
„Ich hab noch nie sexy texts an die falsche Person geschickt.“, lautete die nächste Frage, die die App ausspuckte.
Während Pia seufzend zu ihrem Glas griff und irgendwas von „Super peinlich“ murmelte, dachte Leo daran, wie froh er war, dass ihm das noch nie passiert war. Abgesehen davon, dass es schon lange niemanden mehr gab, dem er überhaupt Nachrichten in der Richtung hätte schreiben können, war er äußerst penibel, was NSFW betraf. Spätestens, seit er in einer von Kollege Rainers Rundmails mit Urlaubsgrüßen von Bali nicht nur die obligatorischen Landschafts- und Hotelfotos im Anhang entdeckt hatte, sondern auch eine Nahaufnahme seines nackten „von der Sonne geküssten“ Hinterns. Leo schmunzelte bei dem Gedanken daran, was Adam beim Anblick dieses… Prachtexemplars vom Stapel gelassen hätte. Und plötzlich fragte Leo sich, fast unweigerlich, ob Adams Reaktion wohl… anders ausfallen würde, wenn Leo ihm solche Bilder – oder eben sexy texts schicken – würde. In Leos wildesten Fantasien ließ Adam sich darauf ein und entlockte Leo bis ins kleinste Detail, was der am liebsten alles mit ihm anstellen würde. Und Adam würde… er würde ihn mit jeder Nachricht immer weiter mit sich reißen und– „Jetzt reiß dich mal zusammen“, schallt Leo sich selbst. Immerhin saß er hier gerade direkt neben Adam. Der grinste ihn so betont unschuldig an, dass Leo sich wie ertappt fühlte und mit hochrotem Kopf auf den Boden starrte.
„Ich hab noch nie meine Gefühle für jemanden geheim gehalten.“ Die kurze Erleichterung, die Leo beim Klang von Esthers Stimme verspürt hatte, endete mit heftigem Herzklopfen und dem Gefühl, nach Luft schnappen zu müssen. Leo war froh, dass auch die anderen tranken, da sie so wenigstens nicht auf seinen leicht gequälten Gesichtsausdruck achten konnten.
Aber wenn Leo glaubte, das wäre schon alles gwesen, hatte er die Rechnung ohne die verfluchte App gemacht. Ernsthaft, wieso gab es so was? Hätten sie das Ganze ganz old school gespielt, wäre er mit Sicherheit noch nicht ansatzweise so angetrunken wie jetzt.
„Ich war noch nie in Therapie.“
„Ähm lame...“, kam es von Esther, „Die Frage sollte ehr heißen Wer sollte in Therapie sein? Los trink, Schürk!“
„Witzig Baumann, witzig.“, sagte Adam mit purem Sarkasmus.
„Esther-“, kam es von Leo, der wohl schon angesetzt hatte, seinen Freund zu verteidigen, doch Adam unterbrach ihn.
„Ist schon gut Leo.“, sagte er, „Und damit ihr’s wisst…“, er atmete nochmal tief durch. „Ich hab in zwei Wochen ein Erstgespräch.“
Erstaunt sah ihn der Rest des Teams an, selbst Leo schien nichts von Adams Vorhaben gewusst zu haben.
„Respekt. Wie kam’s zu der Erkenntnis?“, fragte Esther tatsächlich anerkennend.
„Ich hab gemerkt, dass ich doch ein paar Dinge anpacken muss, wenn das was werden soll…“, das „Mit uns“ ließ er weg, aber er hoffte, Leo würde es auch so irgendwie verstehen. Es war nicht so, dass er nur wegen Leo eine Therapie machen wollte. Viel mehr hatte er endlich genug davon, immer davon zu laufen. Er wollte Leo vertrauen, wollte ein guter Freund (und vielleicht auch mehr) für ihn sein. Wollte endlich ein paar Dinge wieder gut machen die er vor 15 Jahren verbockt hatte. Und nicht zuletzt wollte er, dass sein Vater endlich keine Macht mehr über ihn hatte. Immer wenn er aus einem seiner Albträume aufschreckte, war es als würde ihn sein Vater selbst aus seinem Grab noch quälen und sein Leben beeinflussen. Er würde nicht zu lassen, dass er ihm das, was er jetzt hatte, das wozu er jetzt endlich die Chance hatte, kaputt machte.
Leo sah ihn mit einer Mischung aus Überraschung und Rührung an. „Ich krieg das hin. Für dich, für mich, für uns.“, hätte Adam am liebsten versprochen, doch die Worte blieben ihm auf der Zunge kleben. Außerdem war das sowieso nicht der richtige Zeitpunkt. Doch Leo schien auch so zu verstehen. „Ich bin stolz auf dich.“, sagte er und drückte für einen Moment sanft Adams Hand. Adam wurde rot, ihm war nicht bewusst gewesen, wie sehr er das hatte hören müssen. Dass jemand stolz auf ihn war. Dass Leo stolz auf ihn war. Anscheinend hatte er endlich mal etwas richtig gemacht. Ein bisschen verlegen räusperte er sich. „Okay… können wir dann mal wieder über unsere Sex Leben reden?“, scherzte er und griff nach Pias Handy.
„Ich bin noch nie ohne Unterwäsche zur Arbeit gegangen.“, las er vor.
„Upps“, sogleich griff er nach seinem Glas und trank während die anderen ihn einfach nur anstarrten.
„Ernsthaft – ohne Unterwäsche ins Büro? Und zum Tatort?“, fragte Pia, als ob sie sich das selbst niemals vorstellen konnte.
„Das sagt ausgerechnet die, die vorhin verkündet hat, dass sie sogar Sex im Büro hatte.“, konterte Adam und fing Leos Blick auf. Bildete er sich das ein oder waren Leos Augen gerade etwas dunkler geworden als er ihn angesehen hatte? Adams Herz pochte aufgeregt in seiner Brust.
„Touché“, antworte Pia und tippte erneut auf den Handybildschirm.
„Ich habe noch nie darüber nachgedacht, eine Person in diesem Raum zu küssen.“
Fuck.
Leo blickte zu Adam und der starrte zurück. Für einem Moment wusste keiner von ihnen wie sie reagieren sollten. Sahen sich nur geschockt an. Diese verdammte App! Und dann bemerkte Leo wie Adams Blick langsam, fast ein bisschen schüchtern zu seinen Lippen wanderte und in dem Moment machte irgendwas in Leo klick und er war plötzlich ganz ruhig. Ein verschmitztes Lächeln huschte über sein Gesicht, als er erneut Adams nervösen Blick auffing. „Ist okay.“, flüsterte er. Mehr als okay, fügte er im Gedanken hinzu. Dann überwand er die letzten Zweifel, hob, ohne die Augen von Adam zu lassen, sein Glas an die Lippen und trank.
Und Adam der hatte für einen Moment das Gefühl, die Zeit würde stillstehen. Er war wie gefesselt von Leos Blick und dem was der andere Mann gerade impliziert hatte. Fuck. Leo hatte daran gedacht ihn zu küssen. Leo wollte ihn küssen. Leo wollte-
„Und was ist mit dir?“, fragte Leo auffordernd. Verdammt, wo nahm der nur dieses plötzliche Selbstbewusstsein her, während Adam das Gefühl hatte, auf einmal wieder fünfzehn zu sein.
Langsam, ohne den Blick von Leo zu lassen griff auch er nach seinem Glas. Jetzt oder nie. „Leo, ich schwör dir, wenn du jetzt Baumann oder Heinrich küssen wolltest bring ich dich um.“, dann leerte er sein Glas mit einem Zug.
„Keine Sorge…“, lächelte Leo und fuhr sich schnell durchs Haar, um nicht völlig unbedarft nach Adams Hand zu greifen und sie nie wieder loszulassen. Wie konnte eine einzige Runde Never Have I ever einen nur so glücklich machen?
„Die viel interessantere Frage ist doch, ob wir’s dann auch gemacht haben“, unterbrach Esther und nahm ebenfalls einen großen Schluck.
„Wie?“, erst jetzt gelang es Adam seinen Blick von Leo loszureißen.
„Jetzt guck nicht wie ‘n Auto Schürk“, Esther spitzte die Lippen, dann prostete sie Pia zu. Die verdrehte mit einem Grinsen die Augen – und trank.
„Ihr zwei?“, fragte Adam mit einem halben Lächeln im Mundwinkel.
„Wieso überrascht mich das nicht… Moment mal!“ Plötzlich wurden seine Augen groß und er deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger zwischen den beiden hin und her.
„Oh Gott. Ihr beide! Sex im Büro? Im Büro?!“
„Mensch muss auch mal was wagen… solltet ihr auch mal versuchen…“, sagte sie mit einem vielsagenden Blick zu Leo. Ihrem aufmerksamen Blick war das veränderte Verhalten ihres Chefs nicht entgangen. Weder die leuchtenden Augen, mit denen er Adam fast schon anhimmelte, noch die geröteten Wangen, die definitiv nicht nur vom Alkohol herrührten.
„Im Gegensatz zu euch können wir uns zusammen reißen…“, erwiderte Leo cool, als hätte er nicht gerade impliziert, dass zwischen ihm und Adam etwas lief und als würde ihm genau deswegen nicht gerade das Herz bis zum Hals schlagen.
„Schauen wir mal wie lange noch…“, grinste Pia frech und deutete mit einem Kopfnicken auf Adam, der ihrer Meinung nach gerade viel zu auffällig unauffällig an seinem T-Shirt herum zupfte. Leo hatte schon Angst mit dem Spruch zu weit gegangen zu sein, doch da konterte Adam auch schon: „Wenn’s passiert, seid ihr die ersten, die’s erfahrt“ Oh Gott, dieser Typ würde ihm irgendwann noch den letzten Nerv rauben. So oder… anders.
„Nee bitte keine Details.“, hörte er Esther noch erwidern und damit schien das Thema glücklicherweise erst mal erledigt zu sein. Besser war es, sonst würde er seinen beiden Kolleginnen bald wirklich nicht mehr ins Gesicht schauen können, nicht bei dem was ihm gerade durch den Kopf ging. Zum Beispiel wie er Adam lüstern über seinen Schreibtisch beugte und- Er fing Adams Blick auf der frech die Augenbrauen nach oben zog und ihm zu zwinkerte, fast als hätte er erraten, woran sein bester Freund gerade gedacht hatte. Erneut schoss ihm die Röte ins Gesicht, was Adam nur noch mehr grinsen ließ. Sie spielten noch ein paar Runden weiter, doch mit jeder Runde spürte Leo, wie er unruhiger wurde. Er wollte jetzt endlich mit Adam allein sein. Und wenn er Adams Blick richtig deutet, schien es dem nicht anders zu gehen. Den beiden Frauen blieb das nicht verborgen und spätestens als Adam völlig hibbelig auf Pias Smartphone herum tippte und es dabei fast in sein Glas fallen ließ, erklärte Esther das Spiel für beendet.
Als die beiden Frauen endlich kichernd zur Tür heraus verschwunden waren, sahen Adam und Leo sich für einen Moment nur an, bis Adam sich räusperte und anfing, erneut ihre Gläser zu füllen.
„Spielst du noch ne Runde mit mir?“, fragte er schelmisch und versuchte, nicht so auszusehen, als würde ihm nicht gerade das Herz in die Hose rutschen.
Leo nickte und griff nach dem Glas, das Adam ihm hinhielt.
„Ich war noch nie in meinen besten Freund verliebt.“, sagte Adam grinsend und trank.
Leo konnte nicht anders als zu lächeln, als er ebenfalls sein Glas hob. Es tat so gut endlich reinen Tisch zu machen, Adam endlich zu zeigen, was er für ihn empfand vor allem wenn der ihn dabei so anstrahlte.
„Und bist du’s immer noch?“, fragte er.
Adam verdrehte die Augen und machte einen Schritt auf ihn zu.
„Leo“, seufzte er und nahm ihm das Glas aus der Hand, bevor er es zusammen mit seinem eigenen auf den Wohnzimmer Tisch abstellte.
Dann zog er Leo sanft zu sich.
„Ich liebe dich seit ich 15 bin. Natürlich immer noch.“, sagte er dann und blickte direkt in die Augen des anderen Mannes.
„Fuck. Adam.“, entwich es Leo, er hatte einfach nicht damit gerechnet, dass Adam ihm einfach so seine Liebe gestehen würde.
"Man Leo was glaubst du eigentlich warum ich dich aus allem raushalten wollte? Ich wollte dich beschützen, vor meinem beschissenen Vater und Onkel Boris und… und vor mir… du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben ich könnte es mir nie verzeihen, wenn dir was passiert, nur weil ich mein Leben nicht auf die Reihe kriege.“
Leo musste schlucken. Er hatte Adam noch nie so viel an einem Stück sagen hören und schon gar nicht über seine Gefühle.
„Du bist so ein Idiot weißt du das?“, er wollte wütend klingen, doch er konnte es nicht, nicht wenn er dabei Adam ansah, der vor ihm stand und ihn so hoffnungsvoll und auch ein bisschen ängstlich ansah. So, als könnte Leo ihn mit nur einem Wort entweder überglücklich machen oder für immer zerstören.
„Was glaubst du warum ich mich eben nicht raushalten konnte? Man Adam ich häng’ da doch schon längst mit drin. Ich häng’ da seit über 15 Jahren mit drin und ich will es auch nicht anders. Man Adam… ich will dich, ich will, dass du mich überall mit reinziehst, weil du mir wichtig bist, weil wir das nur zusammen schaffen. Und komm mir jetzt ja nicht damit, dass es besser für mich wäre, wenn du nicht in meinem Leben wärst. Bullshit. Ich kann selbst entscheiden was gut für mich ist. Die Jahre ohne dich waren die Hölle, verstehst du? Allein darüber nachzudenken, warum du einfach abgehauen bist oder sogar, dass du tot bist, war die Hölle. Und ich will dich jetzt endlich in meinem Leben haben, ohne Angst haben zu müssen, dass du wieder verschwindest. Weil ich dich verdammt nochmal auch liebe, okay?“
„Okay.“, kam es mit belegter Stimme von Adam.
Für einen Moment sahen sie sich an, waren sich so nah und trauten sich dennoch nicht, den letzten Schritt zu gehen. Leo spürte wie Adam vorsichtig nach seiner Hand griff und ihn schüchtern näher zog, spürte die Wärme, die von dem anderen Mann ausging. Langsam ließ er seine Hand an Adams Seite hinauf wandern, genoss es ihn endlich berühren zu können. „Leo?“, blaue Augen blickten ihn aufrichtig an und Leo wollte sich in ihnen verlieren. „Ich geh nicht wieder weg. Versprochen.“ Ein kleines Lächeln schlich sich auf Leos Gesicht und etwas löste sich in seiner Brust, ihm war nicht bewusst gewesen, wie sehr er sich danach gesehnt hatte diese Worte von Adam zu hören.
„Ich würde dich jetzt gerne küssen.“, sagte er, weil es in diesem Moment wirklich nichts gab, was er lieber tun würde.
„Dann mach doch…“, raunte Adam und musste schlucken, weil Leo ihn so durchdringend ansah. Als würde er alles tun, würde Adam ihn nur darum bitten.
Vorsichtig, fast als wäre Adam aus Glas legte Leo seine Hände an Adams Gesicht. Dann zog er ihn zu sich heran, so dass sie Stirn an Stirn dastanden. Ein letztes Mal trafen sich ihre Blicke. Adam wagte es nicht zu atmen. Hatte nur Augen für den anderen Mann, erlaubte sich endlich, ihn ohne Zurückhaltung und mit all der Liebe anzuschauen, die er empfand. Er spürte den Atem des anderen Mannes auf seiner Haut, reckte sich ihm etwas entgegen. Und dann küsste Leo ihn. Ganz langsam bewegte er seine Lippen auf Adams, als wollte er jeden Moment davon auskosten. So verdammt zärtlich, dass Adam die Knie weich wurden und er sich fast ein bisschen Halt suchend an Leo klammern musste, bevor er anfing den Kuss zu erwidern. Leo umschlang ihn nur noch fester und vertiefte den Kuss und Adam hatte das Gefühl, dass sein ganzer Körper gleich in einem riesigen Feuerwerk explodieren würde. „Fuck, Leo.“, seufzte er.
„Gerne, wenn du magst.“, grinste Leo frech, der wohl ganz genau gemerkt hatte welche Wirkung sein Kuss auf Adam gehabt hatte.
„Was-“, erst jetzt kapierte Adam was Leo gemeint hatte, „Du bist so doof!“, erwiderte er und schlug spielerisch gegen Leos Oberarm. Leo lachte nur: „Weißt du…“, raunte er verführerisch und strich Adam eine Haarsträhne aus der Stirn, „Ich hab noch nie mit meinem besten Freund hemmungslos auf meiner Couch rum geknutscht.“
„Ist das so?“, erwiderte Adam provokant.
„Na das müssen wir dringend ändern, Herr Hölzer.“, sagte er dann und drängte seinen Freund nach hinten zur Couch, während er ihn schon längst wieder in einen leidenschaftlichen Kuss gezogen hatte.