
1)
Matt kannte Foggy seit zwei Jahren, somit war es wohl die längste Freundschaft, die er je in seinem Leben gehabt hatte. Es war auch die beste, aber wenn man den ersten Punkt betrachtete, schien das nicht sonderlich aussagekräftig zu sein.
Auf der anderen Seite hatte er Foggy noch nicht besonders lang gekannt, als er schon die Dinge gewusst hatte, die wichtig gewesen waren. Er schien ein guter Mensch zu sein, war einer seiner ersten Gedanken über den anderen gewesen. Nett, hilfsbereit, ehrlich.
Gut, meistens ehrlich.
Aber wenn er es nicht war, dann waren es Kleinigkeiten. Wie, wenn er ihn fragte, ob er den letzten Joghurt in ihrem Minikühlschrank gegessen hatte nein, der war abgelaufen oder ob er beim Einkaufen an die sauren Drops gedacht hatte sorry, Kumpel, waren ausverkauft. Nichts Weltbewegendes. Nichts, für das er nicht sogar ein Schmunzeln übrig hatte. Außer …
Matt seufzte und drehte sich zu Foggy um, der auf seinem Bett saß und in einer Zeitschrift blätterte, er konnte die Seiten hören, neben seinem ruhigen Herzschlag. Als er Foggys Herz das erste Mal gehört hatte, war es deutlich schneller gewesen. Matt hatte sofort gewusst, woran es lag, und ja zugegeben, es war auch nicht das erste Mal, dass er diese Reaktion bekam, wenn auch eher bei Frauen, als bei Männern. Foggy fand ihn attraktiv, was er auch recht schlecht verstecken konnte, wahrscheinlich sogar selbst für Menschen ohne seine Fähigkeit. Doch je besser sie sich verstanden, je näher sie sich kamen, desto besser wurde Foggy darin, es zu überspielen. Sein Herz schlug trotzdem schneller, wenn sie im selben Raum waren. Auch das wurde besser, wenn Matt nicht gerade nur mit einem Handtuch um den Hüften aus dem Bad kam, auch wenn er versuchte, dies meist zu vermeiden, eben weil er wusste, was der andere empfand. Empfinden; das war das schwierige daran, denn Matt wusste, dass aus der Schwärmerei vom Anfang mehr geworden war. Er wusste aber ebenso, dass Foggy das niemals zugeben würde.
„Kann es sein, dass du Hilfe brauchst?“
Matt zuckte leicht zusammen. Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er nicht einmal bemerkt hatte, dass das Blättern der Zeitung aufgehört hatte und er selbst seit sicher fünf Minuten damit beschäftigt war, an den Manschettenknöpfen an seinen Anzug zu fummeln. Etwas, was er auch mit seinen Sinnen nicht besonders gut hinbekam. „Kann sein.“, antwortete er deshalb wahrheitsgemäß, erntete ein kurzes Schnauben und Foggy stand auf, kam auf ihn zu und zog ihn vorsichtig an seinem Handgelenk näher zu sich, befestigte die Manschettenknöpfe stumm, während sein Herz begann, schneller zu schlagen und Matt nichts gegen das kurze Zucken seines Mundwinkels tun konnte.
„Und, nimmst du mich so mit zu der schnöden Party?“, fragte er leise und wusste, dass Foggy ihn ansah. „Was?“, wollte er leicht heiser wissen, obwohl Matt sich relativ sicher war, dass er die Frage verstanden hatte. „Bin ich dir heiß genug, um dich mit mir blicken zu lassen?“, fragte er, vielleicht etwas offensiver als er eigentlich vorgehabt hatte, weshalb sich die Stille über einige Sekunden streckte, nur unterbrochen von Foggys rasendem Herzschlag.
Dann ein kurzes Schlucken und ein gefaktes Grinsen. „Keine Ahnung, Alter, das wirst du wohl die Ladys fragen müssen.“
Alles daran schrie Lüge, aber Matt beließ es dabei.
Er nahm an, dass Foggy ihre Freundschaft nicht gefährden wollte und deshalb nichts sagte. Wenn es so war, dann würde Matt sein Spiel einfach mitspielen. Wenn etwas gab, dass er vorher noch weniger gehabt hatte als Freundschaften, waren Beziehungen. Und er wollte das alles hier genau so wenig gefährden wie Foggy.
2)
Matt verstand nicht, und würde nie verstehen, was Foggy an Marci fand.
Als Foggy ihm das erste Mal erzählt hatte, dass er eine Freundin hatte, hatte er erwartet, dass er sich für ihn freuen würde. Tat er nicht. Nicht wirklich. Vielleicht freute sich ein Teil von ihm, weil er wollte, dass Foggy glücklich war. Ein anderer Teil … war verletzt gewesen. Und ein letzter Teil war etwas gewesen, das er nicht benennen, nicht einmal identifizieren konnte. Was er versuchte, so gut es ging zu ignorieren.
Alle Teile schrien entsetzt auf, als er Marci kennenlernte.
Warum verdammt denn sie? Warum eine Frau, die über Leichen gehen würde, wenn es ihr in den Kram passte? Warum eine Frau, die Foggy nicht behandelte, wie er es verdiente? Und er verdiente nur das Beste; eine Frau, die das sah, die das wusste, die erkannte, dass Foggy alles war, was man brauchte, um glücklich zu sein.
Es erleichterte ihn fast ein wenig, dass Marci ihn ebenso wenig ausstehen konnte, wie er sie. Irgendwie machte es das Ganze viel leichter und sehr viel weniger kompliziert und anstrengend. Und zumindest sprach es für Marci, dass sie es Foggy zuliebe mit ihm in einem Raum aushielt, ohne, dass sie sich gegenseitig an die Kehle gingen. Ein Pluspunkt auf einer sehr langen Liste voller Minuspunkte. Minuspunkte sammelte sie auch jetzt gerade, auch, wenn sie nichts anderes tat, als neben Foggy auf dessen Bett zu sitzen, während sie sich irgendeine Serie auf dem Laptop ansahen. Aber er konnte spüren, wie sie ihn immer wieder anstarrte, während er versuchte, sich auf das Buch in seinem Schoß zu konzentrieren, auch, wenn seine Finger jetzt bereits zum dritten Mal über den gleichen Absatz gestrichen waren.
„Ehrlich? Niemals?“
Matt verdrehte genervt die Augen. Dass Marci tatsächlich glaubte, er würde sie nicht hören, nur weil sie flüsterte, war fast lächerlich. Selbst dann, wenn er ein ganz normales Hörvermögen hätte. Was erwartete sie, ihr Studentenzimmer war winzig.
Foggy wusste das, weshalb er lediglich ein gepresstes „Nein“ hervorbrachte. Doch Marci wäre nicht Marci, wenn sie sofort klein bei geben würde. „Du hast einen der heißesten Typen des Kampus als Zimmernachbarn und hast nichts versucht?“, hakte sie nach und Matt wusste, dass Foggy mit den Augen rollte. „Nein, hab ich nicht. Werd ich nicht. Und er kann uns hören.“
Marci schnaubte. „Na und? Er weiß, dass er heiß ist. Auch, ohne in einen Spiegel gucken zu können. Und er weiß, dass alle es wissen. Und er weiß, dass ich ihn nicht ausstehen kann, weshalb mir egal ist, ob er heiß ist oder nicht. Aber du magst ihn. Warum auch immer. Und du hast Augen im Kopf. Also, sieh dir den Trauerkloß, der auf seinem Bett hockt und so tut, als würde er lesen an, und sag mir, dass du in keinster Weise auf ihn stehst.“
Foggys Herz begann zu rasen und Matt wünschte, er hätte sich mit seinem Buch in die Bibliothek gesetzt, wie er es ursprünglich vorgehabt hatte.
„Nein, tu ich nicht.“, antwortete Foggy schließlich, immer noch mit wild klopfendem Herzen, das Matt eindeutig sagte, dass er log. Dennoch tat er weiterhin so, als würde er lesen, auch wenn seine Finger viel zu fest auf die Seite gepresst waren, um wie Buchstaben wirklich spüren zu können.
3)
Matt hatte nicht nur keine Erfahrung in Sachen Freundschaft gehabt, sondern auch keine in Sachen Familie. Beides hatte Foggy ihn gelehrt. Ohne Anstrengung, ohne die Absicht, es überhaupt richtig zu versuchen und ohne auch nur die geringste Gegenleistung zu erwarten.
Das erste Thanksgiving war noch seltsam gewesen. Foggy hatte ihn einfach mitgenommen, zu seiner Familie, als er mitbekommen hatte, dass Matt über die Feiertage an der Uni bleiben wollte. Einfach, weil er nichts hatte, wohin er gehen konnte.
Weihnachten war leichter gewesen. Und seitdem war es keine Frage mehr, dass Foggy Matt mitbrachte, wenn er nach Hause fuhr, und Matt bekam eine andere Vorstellung davon was Zuhause und Familie überhaupt bedeutete, und ja, beides war Foggy. Aber auch seine Familie, besonders seine Mutter, denn Matt hatte durch sie gelernt, was es hieß, von einer Mutter in den Arm genommen zu werden oder mütterliche Liebe zu spüren.
Er war gern hier, liebte es hier, liebte die Menschen, die in diesem Haus lebten, liebte Anna Nelson, liebte … Liebte Foggy. Mehr, als er je würde ausdrücken können.
Und ja, vielleicht hatte er Marci tatsächlich nicht ausstehen können, weil die Eifersucht so tief gesessen hatte, dass es wehgetan hatte. Auch, wenn er Jahre gebraucht hatte, um es zu verstehen. Oder sich zumindest einzugestehen. Hier, in diesem Haus kam ihm das alles irgendwie einfach vor. Zumindest bis jetzt.
Er hatte sich in der Küche nur etwas zu trinken holen wollen, blieb aber in der Tür stehen. Er wollte nicht lauschen, wirklich nicht. Zugegeben, manchmal ließ sich das nicht einmal vermeiden. Er konnte nichts dafür, dass er seine Nachbarn hören könnte, oder im College die Gespräche der anderen Studenten, es war ja nicht so, als könne er einfach aufhören zu hören, aber bewusst stehen zu bleiben und zu lauschen, war etwas vollkommen anderes. Und eigentlich so gar nicht seine Art. Besonders nicht bei Foggy, erst recht nicht bei seiner Mom, also am allerwenigsten bei einem Gespräch zwischen den beiden, aber … er konnte nicht anders. Dieses Mal nicht.
Und es lag nicht einmal daran, dass er seinen Namen gehört hatte. Es war Foggys Herzschlag, der ihn vor der Tür hatte inne halten lassen. Er wusste, wie es klang, wenn Foggy traurig war; schwer und langsam. So wie jetzt. Und auch, wenn seine Mutter den Herzschlag ihres Sohnes nicht hören konnte, war sie dennoch seine Mutter. Sie spürte solche Dinge auf andere Art und Weise.
Er hörte leises Rascheln und wusste, dass es ihre Finger waren, die durch seine Haare strichen. „Denkst du wirklich, ich sehe nicht, wie dein Blick sich verändert, wenn du ihn ansiehst?“
„Da ändert sich gar nichts, wenn ich ihn ansehe.“, gab Foggy zurück, und auch wenn Matt seinen Herzschlag nicht würde hören können, würde er wissen, dass er log. Seine Mutter ging ebenfalls nicht wirklich darauf ein. „Was wäre so schlimm daran, ihm die Wahrheit zu sagen, mein Schatz? Ich bin mir sicher -“
„Mom, es gibt nichts, was ich Matt sagen muss. Egal, was du glaubst zu sehen, oder zu wissen, es ist nicht da. Matt ist mein bester Freund. Nicht weniger. Nicht mehr. Ende der Geschichte.“
Der Stuhl kratzte über den Boden, als Foggy aufstand, sein Herz schrie Lügner und das Seufzen seiner Mutter sagte deutlich, dass sie ihm nicht glaubte und alles andere als glücklich mit dem Ausgang des Gespräches war.
Matt wich leise zwei Schritte zurück, als Foggy aus der Küche stürmte, wie erwartet zu aufgewühlt, um überhaupt zu bemerken, dass er dastand, auf direktem Weg zur Treppe, um nach oben zu kommen.
Matt blieb seufzend stehen und schloss einen Moment die Augen. Foggy war feige. In dieser Hinsicht. Aber er war es auch.
4)
Die Luft schmeckte nach Salz. Matt wusste, es lag an ihm, er wusste aber auch, es lag nicht nur an ihm.
Ein Teil von ihm hatte immer gewollt, dass Foggy es wusste.
Er wollte keine Geheimnisse vor dem anderen haben, und irgendwie wäre es auch schön gewesen, jemanden zu haben, dem er erzählen konnte, wenn seine Nacht wieder besonders beschissen gewesen war. Jemanden, zu dem er gehen konnte, um nicht allein seine Wunden lecken zu müssen.
Es hatte Momente gegeben, in denen er es fast getan hätte.
Foggy von Daredevil zu erzählen.
Er hatte es nicht fertig gebracht.
Weil es bedeutet hätte, Foggy in etwas hinein zu ziehen, von dem er nicht wollte, dass er mit drin steckte. Eine dunkle Seite in Foggys Leben zu lassen, war das Letzte, das er wollte, denn in Foggys Leben gehörte keine Dunkelheit.
Und es hätte ihn in Gefahr gebracht. Ein potentielles Opfer für jeden, der an Daredevil herankommen wollte, und Matt würde lieber sterben, als Foggy das anzutun.
Jetzt war es dennoch passiert. Und das auch noch auf die so ziemlich schlimmste Art und Weise, die Matt sich vorstellen konnte.
Jetzt hockte er hier auf seinem Sofa, konnte sich kaum rühren, weil so ziemlich alles schmerzte, und sein bester Freund – mehr als das – stand vor ihm, und Matt konnte in der Luft nicht nur seine, sondern auch Foggys Tränen schmecken, konnte spüren, wie Foggys ganzer Körper zitterte und er konnte sich nicht erinnern, dass Foggys Herz je so heftig in seiner Brust gehämmert hatte.
„Foggy -”, begann er, ohne wirklich zu wissen, was er sagen sollte, doch Foggys heftiges Kopfschütteln hielt ihn ohnehin davon ab, weiterzusprechen. „Ich hätte dir so etwas nie angetan.”, sagte er dann leise und Matt schluckte. „Das kannst du nicht wissen.”, erwiderte er ebenso leise, und hoffte fast, der andere hätte ihn nicht gehört. Hatte er aber offensichtlich, denn er schnaubte und schüttelte abermals den Kopf. „Doch, das weiß ich. Es geht mir nicht darum, was du jede Nacht da draußen machst. Ich finde es vielleicht nicht gut, vielleicht verstehe ich es auch nicht, aber darum geht es im Moment nicht. Auch nicht darum, dass ich nachts nie wieder so gut schlafen werde, wie bisher, dass jedes Mal mein Herz anfängt zu rasen, wenn du mal wieder nicht an dein Handy gehst, oder mitten in der Nacht meins klingelt. Auch nicht um die Panik davor, dass ich irgendwann deine Leiche identifizieren muss. Das ist alles scheiße. Es sind alles Dinge, über die ich erst mal nachdenken muss und für die ich dich sicher noch mehr als einmal anschreien werde. Aber, Matt, worum es mir gerade geht, was mich gerade so fertig macht, ist die Tatsache, dass du gelogen hast. Ich weiß nicht, ob dir das verzeihen kann. Du hast mich jeden Tag, den wir uns kennen, angelogen. Und das ist es, was ich dir niemals angetan hätte.”
Matt presste seine Lippen zusammen, um sich einen Kommentar dazu zu verkneifen, doch Foggy schien seine Reaktion zu merken, denn er hörte ein kurzes Schnauben. „Was? Kommst du mir jetzt mit den Lügen, die ich dir über die Jahre erzählt habe, und die du mit deiner Welt aus Feuer und deinen Superohren mitbekommen hast? Lügen darüber, wo der Joghurt im Kühlschrank ist, oder warum ein Mädchen, dass ich eingeladen hab, mich hat abblitzen lassen? Willst du das allen ernstes vergleichen?”
Nein. Nein, das wollte er nicht. Doch er wagte nicht, etwas anderes zu sagen. Foggy war zu aufgebracht, und sein Herz raste ohnehin schon, es war unmöglich zu sagen, ob er log oder nicht. Bewusst log. Oder ob er sich dessen gar nicht bewusst war.
Matt schluckte heftig, wagte aber nicht, zu widersprechen. Es würde nichts bringen. Wenn überhaupt möglich, würde es das Ganze wohl nur noch schlimmer machen. Es würde nicht nur Foggys Lüge entlarven. Sondern auch seine eigene.
5)
„Gott, Matt …”
Foggy schien nicht zu wissen, was er sonst noch sagen sollte, und Matt konnte es ihm nicht verübeln. Es war nicht so, dass er wirklich hatte herkommen wollen, aber es war auch nicht so, dass er wirklich eine andere Wahl gehabt hatte.
Abgesehen davon hatte er es Foggy versprochen. Versprochen, zu ihm zu kommen, wenn er es aus einer seiner Missionen nicht ganz unbeschadet heraus geschafft hatte.
Er hatte schon schlimmer ausgesehen, wenn ein Abend nicht so glatt gelaufen war, wie er es geplant hatte, aber es war auch mehr als ein Kratzer oder blauer Fleck. Die Stichwunde blutete noch leicht, brannte wie die Hölle und eine seine Rippen war angeknackst. Nicht gebrochen, das hätte er gehört.
Foggy seufzte, sagte sonst aber nichts und Matt spürte, wie der andere erst systematisch die Blutung stoppte, dann die Wunde erst reinigte, dann desinfizierte und schließlich verband. Er wollte gerade etwas sagen, als Foggy ihm zuvor kam. „Er muss abgerutscht sein. Die Wundränder sind nicht ganz glatt, deshalb kann ich es nicht nähen.”
Es klang routiniert. Obwohl Matt hören konnte, dass Foggy mehrmals hatte schlucken müssen und sein Herz schneller schlug als normal. Ein leichter Geruch von Schweiß lag in der Luft, aber Foggys Hände waren ruhig, auch wenn seine Stimme leicht gepresst klang. Matt nickte, als Zeichen, dass er ihn verstanden hatte und seufzte. „Du machst das hier zu oft.”, sagte er dann leise und konnte fast spüren, wie der andere eine Augenbraue hob. „Wie kommst du darauf?”, wollte er wissen. Matt zuckte leicht mit den Schultern. „Es wird zur Routine für dich.”, sagte er und erntete ein Schnauben. „Ist das so?”
„Deine Hände sind ruhig, du weißt genau was du tust.”
„Ich weiß genau, was ich tue, weil ich einen Kurs gemacht habe.”
Und das … war so sehr nicht das, was er erwartet hatte, dass er keine Ahnung hatte, was er dazu sagen sollte. „Was?”, fragte er stattdessen leicht dümmlich und Foggy schnaubte abermals. „Was hast du erwartet, Matt?”
„Ich … Gar nichts. Foggy, ich … Wann?”
Ein Schulterzucken. „Keine Ahnung, ein paar Tage, nachdem ich dich blutend in deiner Wohnung gefunden und rausgefunden hab, dass du nachts böse Buben jagst.”
„Ein paar … haben wir da schon wieder miteinander gesprochen?”
Ein Seufzen. „Nein.”
Matt schluckte. „Du … hast einen Kurs gemacht, in dem man dir zeigt, wie man Leute wieder zusammenflickt. Wir haben zu der Zeit nicht miteinander gesprochen, aber du hast einen Kurs gemacht.”
Es waren Feststellungen, keine Fragen, die ihm ein weiteres Seufzen einbrachten und Foggy langsam die Sachen zusammenpackten. „Wir haben nicht miteinander gesprochen, weil du ein Arsch warst und ich so sauer, wie noch nie in meinem Leben. Ich wusste aber tragischerweise, dass ich dir verzeihen werde und dass du mir wirst versprechen müssen, dich bei mir zu melden, bevor ich irgendwann deine Leiche identifizieren muss, und damit ich nachts schlafen kann, in dem Wissen, dass du anrufen wirst, bevor das passiert und ich dir helfen kann. Und damit ich es kann, hab ich einen Kurs gemacht. Genau genommen hab ich sieben Kurse gemacht. Wunden, Wiederbelebung, erste Hilfe Maßnahmen, die ganze Palette.”
Matt war vollkommen sprachlos. Die Kurse an sich waren schon eine Tatsache, die so bezeichnend für Foggy waren, dass es ihm die Kehle zuschnürte, aber das er es getan hatte, obwohl er ihn in dem Moment gehasst haben musste, ließ seine Augen brennen und er sah in Foggys Richtung, sah in an, und …
„Warum?”, wollte er dann heiser wissen und hörte, wie Foggy in seinen Bewegungen inne hielt. Sein Herz schlug schneller und er schluckte. „Weil du mein Freund bist, Matt.”, sagte er dann schließlich, und Matt wusste, es war nicht vollkommen gelogen. Aber die ganze Wahrheit war es auch nicht.
+1.
Matt konnte spüren, dass er aufwachte, noch bevor Foggy die Augen öffnete. Sogar noch vor dem ersten schmerzhaften Stöhnen und seine Finger schlossen sich fester um die des anderen. „Ich bin hier.“, ließ er ihn wissen, noch bevor Foggy realisieren konnte, wo er war, sich erinnern konnte, was passiert war, wollte ihm die Angst nehmen, noch bevor sie überhaupt wirklich aufkommen konnte.
Er versuchte, nur auf Foggys Herzschlag zu hören, dabei das Piepen des Monitors zu ignorieren, welcher diesen zwar wiedergab, aber anders, verfälscht und so fremd.
Und ja, da war dieser kurze, panische Aussetzer seines Herzschlages, ehe es viel zu schnell weiter schlug, und ja, das war das schmerzhafte Stocken in seiner Brust, als sein Körper versuchte, tief Luft zu holen, aber noch davor, noch bevor Foggy überhaupt richtig wach war, war da dieses Wispern nach seinem Namen und Matt spürte, wie seine Augen brannte, sein Griff um die Hand des anderen fester werdend, ehe er seine freie Hand nach dem anderen ausstreckte und aus einem Impuls heraus durch seine Haare strich. „Foggy, alles okay, du bist im Krankenhaus, alles ist gut, ich bin hier.“
Er hörte Foggy schwer schlucken, sein Herzschlag abermals schneller werdend, ehe er den Kopf in seine Richtung drehte und Matt sich sicher war, dass er seine Augen langsam öffnete und ihn ansah.
Er hatte mit vielem gerechnet. Damit, dass Foggy als erstes einen dummen Witz machte. Darüber, dass Matt den anderen sehen sollte oder er sich fühlte, wie von einem Laster überfahren worden zu sein. Vielleicht auch damit, dass Foggy ihm sagte, dass er sich in seinem Leben noch nie so beschissen gefühlt hatte, aber nicht … nicht damit. „Geht … es dir gut?“
Seine Stimme klang rau und nur leise, aber auch so verdammt besorgt und Matt wusste nicht, ob er in Tränen ausbrechen oder dem anderen eine reinhauen sollte. Vielleicht … auch einfach beides.
„Das fragst du mich?“, brachte er ungläubig hervor und Foggy schluckte abermals. „Er hat … auf dich geschossen.“, erwiderte er, als würde das alles erklären und Matt nickte. „Ja. Und dich getroffen. Was hast du dir nur dabei gedacht?“
„Oh, ich wollte bloß … ausweichen. Du hast nur … im Weg gestanden.“
Matt wusste, dass Foggy ein Grinsen versuchte, doch er konnte absolut nichts Witziges an der Situation sehen. Die Kugel hätte nur etwas weiter links einschlagen müssen, dann hätte sie sein Herz getroffen. Er hätte ihn verloren, und er hatte ohnehin schon geglaubt, er würde das, als er Foggy im Arm gehalten und gehört hatte, wie schwerfällig sein Herz gegen das Sterben hatte ankämpfen müssen.
„Lass die dummen Sprüche.“, gab er also zurück, denn das war eines der letzten Dinge, die er jetzt ertragen konnte.
„Warum?“, fügte er leise hinzu und hörte Foggy leise seufzen. „Ich hab nicht drüber nachgedacht.“, sagte er leise. „Und selbst wenn. Man … passt doch auf seinen besten Freund auf. Oder nicht?“
„Deshalb hast du es gemacht? Eine Kugel für mich abgefangen? Weil ich dein bester Freund bin?“
„Sicher. Was sonst?“
Er hörte es. Wie er es immer hörte. Schnell, nervös, Lüge.
Nein, dieses Mal nicht.
Nicht, nachdem er ihn fast verloren hätte. Nicht, nachdem er schon geglaubt hatte, immer und immer wieder den größten Fehler seines Lebens gemacht zu haben, indem er geschwiegen hatte. Also schüttelte er den Kopf. „Das ist es nicht. Ich weiß, dass es das nicht ist. Nicht nur.“
„Was willst du von mir hören, Matt?“
„Die Wahrheit. Dieses Mal, Foggy. Dieses eine Mal lass ich dich nicht damit davonkommen. Das hab ich schon viel zu oft getan. Jedes Mal.“
„Wenn du die Wahrheit weißt, was soll ich dann noch sagen?“
„Foggy -“
„Ich liebe dich, okay? Ich hab es schon auf dem College getan und mir war an dem Abend, als ich dein anderes Ich entdeckt habe klar, dass du es weißt. Immer gewusst hast. Ein Teil von mir hat gehofft, dass du es ansprichst, der andere war erleichtert, dass du es nicht getan hast.
Matt konnte hören, wie sehr ihn das Sprechen anstrengte, wie sehr allein das Atmen schmerzte, aber er konnte nicht aufhören, konnte es nicht lassen. Er spürte seine Augen brennen und wusste, er würde die Tränen nicht stoppen können. „Ja, ich hab es gewusst. Von Anfang an. Und ich hab nichts gesagt. Weil du jedes Mal, wenn die Sprache darauf kam, gelogen hast. Weil du es selbst nicht zulassen wollte. Und weil alles in mir Scheißkerl geschrien hat, wenn ich doch was sagen wollte. Weil du etwas besseres verdient hast. Weil ich eine ständige Gefahr bin, und du dir jetzt schon ständig sorgen machst. Weil es egal ist, dass mir, bevor ich dich kannte, nicht klar war, wie sehr man einen anderen Menschen lieben kann.“
Er atmete schnell, spürte Tränen auf seinen Wangen und schmeckte den Geschmack von Salz in der Luft, der mit ihm selbst nichts zu tun hatte. „Das was passiert ist, zeigt mir, das ich recht hab. Und das ich tatsächlich ein Scheißkerl bin, denn ich will, dass du es weißt. Und ich will, dass ich es weiß. Nicht, weil ich merke, wenn du lügst, sondern, weil du es mir sagst. Und ich will …“
Er stoppte, als er eine Hand an seiner Wange spürte und Foggy mit seinem Daumen über seine Wange strich, wahrscheinlich, um die Tränen wegzuwischen. „Es tut mit leid.“, brachte er hervor, hörte, wie Foggy sich in seinem Bett bewegte, zur Seite rutschte und Matt brauchte nicht einmal eine Aufforderung, um sich neben ihn zu legen, auch, wenn der Platz kaum ausreichte und er die Kante der Matratze spüren konnte, aber Foggy war zu schwach und hatte zu große Schmerzen, um weiter zu rutschen, aber der Platz war Matt egal.
Er spürte, wie Foggy ihre Finger miteinander verflocht und ein warmer Atemzug streifte seinen Hals, als er seinen Kopf an seine Schulter legte. Dem langsamer werden seines Herzschlages nach zu urteilen, driftete er wieder in den Schlaf und Matt ließ ihn. Er wusste, sie würde über das hier sprechen müssen, und er wusste, dass sie dieses Mal beide ehrlich sein würden.
Er wusste noch nicht, was daraus werden würde, aber er war gewillt, es herauszufinden.