Le Mondial

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Le Mondial
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Die Rechte an den Figuren dieser Geschichte liegen beim ZDF und der Neuen Deutschen Filmgesellschaft. Die Geschichte bzw. die Handlungen sind mein Eigentum.
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Kapitel 24

Nach einer gefühlten Ewigkeit in Evas Armen löst Uli sich aus der Umarmung. Sie wischt sich über das Gesicht und atmet tief aus.

"Bist du in Ordnung?", fragt Eva besorgt.

"Ja, ja, mir geht’s gut…" antwortet Uli abwesend, während sie beginnt, ihre Kleidung aufzusammeln und sich anzuziehen.

"Bist du sicher?", hakt Eva nach.

Harscher als beabsichtigt erwidert Uli "Ja, Eva, ich bin sicher! Ich muss nur gerade mal meinen Kopf sortieren, geht das?"

Irritiert durch Ulis Reaktion zieht Eva sich zurück, zuckt mit den Schultern und holt das Frühstück, das noch im Gang steht. Sie fängt an, die Teller und Schüsseln auf dem Esstisch zu drapieren, als Uli kurze Zeit später wortlos im Bad verschwindet, kurz darauf zurückkehrt und sich auf das Sofa fallen lässt.

"Weißt du schon, was du jetzt tun wirst?", fragt Eva nach einigen Minuten des Schweigens vorsichtig.

"Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Ich muss das alles mal sacken lassen." Uli schließt die Augen und lässt sich gegen die Rückenlehne sinken. "Ich bin froh, dass du vorhin da warst", fügt sie leise, fast unhörbar hinzu. "Natürlich bin ich da", entgegnet Eva. "Aber trotzdem solltest du dir überlegen, die du das mit Jeremy und Ivy in Zukunft regelst."

"'Regeln'?", echot Uli und setzt sich auf. "Was denn 'regeln'?"

"Naja zum Beispiel den Umgang von Jeremy mit Ivy…"

An dieser Stelle unterbricht Uli sie auch schon. "Was soll das heißen? Willst du, dass ich meiner Tochter den Vater wegnehme oder was?"

Eva, die mit einer solch heftigen Reaktion nicht gerechnet hat, hebt abwehrend die Hände. "Nein, natürlich nicht. Aber ich würde mich schon fragen, ob er auch so reagiert, wenn er mit Ivy zusammen ist…"

"Wie 'so'?" fragt Uli schärfer als beabsichtigt. "Glaubst du, er würde unsere gemeinsame Tochter schlagen? Sie anschreien? Du kennst ihn doch überhaupt nicht!"

Mit jedem Wort war ihre Stimme lauter geworden und sie spürt, wie eine Ader auf ihrer Stirn pulsiert. Sie ist wütend auf Eva, obwohl sie genau weiß, dass diese nicht Schuld an der Situation ist. Die Anspannung nach der Auseinandersetzung vorhin, Jeremy, Ivy und Eva, all das beschäftigt sie seit Tagen. Schon mehrfach hatte sie sich den Kopf darüber zerbrochen, wie sie damit umgehen und die Situation für alle Beteiligten halbwegs zufriedenstellend lösen konnte – hatte aber nie wirklich eine Idee gehabt. Auch hatte sie nie mit Eva darüber gesprochen, was in ihrem Kopf vorging. Das bereut sie jetzt. All die unbeantworteten Fragen, der Druck, die Frustration, katalysieren sich in ihr zur Wut, die in erster Linie gegen sie selbst gerichtet ist. Aber das weiß Eva natürlich nicht. Uli will das Gesagte zurücknehmen, weil sie damit eine Grenze überschritten hat. Aber es ist zu spät.

"Nein, ich kenne ihn natürlich nicht!", antwortet Eva nun mit ebenfalls erhobener Stimme, triefend vor Sarkasmus. "Ich war nur zufällig drei Mal dabei, wie er dich entweder angeschrien, beleidigt oder körperlich angegriffen hat, aber nein, natürlich kenne ich deinen Mann keineswegs!" Sie steht auf und rauft sich die blonden Haare, während sie mit großen Schritten auf und ab geht.

Ulis Puls beschleunigt sich erneut, schließlich trifft Eva mit dieser Aussage Ulis wunden Punkt genau. "Ja, natürlich kennst du ihn nicht! Du weißt nicht, wie sehr er Ivy liebt und wie sehr sie in ihren Papa vernarrt ist! Nichts weißt du! Und deshalb brauchst du dir auch nicht anzumaßen, hier in IRGEND einer Form mitzureden!"

Der letzte Satz, der Uli schon leidtut, bevor sie ihn vollendet, trifft Eva ins Mark. Tief in ihrem Innern weiß sie natürlich, dass sie als Geliebte (oder Partnerin?) von Uli keineswegs ein Mitspracherecht in dieser Situation verlangen konnte. Aber trotzdem tut es ihr weh, dass Uli ihr das Gefühl gibt, überhaupt keine Rolle in ihrem und dem Leben ihrer Familie zu spielen. Eva weiß, dass sie nie ein Verhältnis zu Ivy aufbauen kann, wie es Jeremy als Vater hatte – das will sie auch gar nicht. Sie hofft jedoch, zumindest irgendwann mit Ivy eine vernünftige und angemessene Beziehung aufzubauen. Aktuell jedoch rückt diese Vorstellung in sehr weite Ferne und Eva tut sich schwer damit, ihre Wut unter Kontrolle zu halten.

"Ich weiß das, Uli", faucht sie die schwarzhaarige Frau an, die noch immer auf dem Sofa sitzt. "Aber, wenn du glaubst, dass ich es zulasse, dass du dich von diesem Mann weiter kontrollieren und ausnutzen lässt, hast du dich geschnitten!"

Uli weiß, dass das Evas Wut und Geschrei nicht so gemeint ist und eigentlich nur Ausdruck ihrer tiefen Sorge ist. Dennoch schafft sie es nicht, sich zu beherrschen und ihre Diskussion wieder auf eine rationale und vernünftige Ebene zu lenken. Sie sieht rot.

"Und wenn DU glaubst, dass ich DICH als Babysitterin brauche, weil ich mein eigenes Leben alleine nicht auf die Reihe kriege, dann hast DU dich geschnitten!" Und mit diesen Worten steht sie auf, nimmt ihre Tasche und macht Anstalten, das Zimmer zu verlassen.

"Ach was, du gehst jetzt einfach? Na großartig, richtig erwachsen von dir!", ruft Eva ihr sarkastisch hinterher. "Wirklich, grandios!"

Uli ignoriert sie kurzerhand und verlässt die Suite, nicht ohne die schwere Holztür mit aller Kraft hinter sich zuzuziehen. Die darin verbaute Bremse, die lautes Türenknallen verhindern soll, kommt an ihre Belastungsgrenze und schafft es nicht, den Knall vollständig abzudämpfen. Mit einem dumpfen Knall fällt die Tür ins Schloss. Zurück bleibt eine wütende Eva, die in der Suite auf und ab tigert bevor sie sich dem fertigen Frühstück zuwendet, das auf dem Esstisch steht.

Uli geht mit großen Schritten über den Flur, noch immer mit Evas Stimme im Ohr. Sie spürt, dass ihr Herz noch immer viel zu schnell schlägt. Ihr ist warm und sie wischt sich ein paar lose Haarsträhnen aus dem Gesicht, während sie auf das Treppenhaus für das Personal zusteuert, das vom 'Gäste-Treppenhaus' separat ist.

 

In ihrer Wut und Frustration bemerkt sie jedoch nicht, dass am anderen Ende des Flurs gerade Raik König auftaucht, um eine Champagnerbestellung in eines der anderen Zimmer zu liefern. Er kommt gerade um die Ecke als er sieht, wie Uli mit grimmigem Gesicht eine Zimmertür heftig hinter sich zuzieht und den Gang schnellen Schrittes durchquert. Ihn irritieren mehrere Dinge. Zum einen die Tatsache, dass Uli Kersting an einem Samstagmorgen auf dem Hotelflur im vierten Stock unterwegs ist, zum anderen, dass sie offensichtlich gerade ein Hotelzimmer nicht im Guten verlassen hat – gemessen daran, wie sie die Tür regelrecht zu gezerrt hatte. Nachdem er die Champagnerbestellung abgeliefert und ein Trinkgeld erhalten hat, verlässt er das Zimmer mit der Nummer 422 und will gerade den Rückweg zur Rezeption antreten, wo aktuell Lara die Stellung hält, als es ihm wie Schuppen von den Augen fällt: Uli war aus der Suite mit der Nummer 412 gekommen! Der Suite, in der die Hotelchefin seit Antritt ihrer Position wohnte. Er runzelt die Stirn. Was die beiden wohl um diese Zeit miteinander zu besprechen hatten?

Mit einem leichten Schaudern erinnert er sich an das gestrige Meeting in Evas Konferenzraum, das zu Beginn konstruktiv gewesen, dann aber in einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Küchenchefin und Hotelchefin geendet war, bevor Eva sie allesamt aus ihrem Büro komplimentiert hatte. Er selbst ist jemand, der nie den offenen Konflikt gesucht hatte – weder als Kind, noch später dann in der Ausbildung und auch jetzt, in seiner Position als Concierge versucht er, Konflikten vorzubeugen und, falls sie dennoch auftreten, sie auf konstruktive Weise zu lösen. Niemals würde er sich in eine solche heftige verbale Auseinandersetzung ziehen lassen, wie sie gestern zwischen Eva de Vries und Uli vorgefallen war.

'Vielleicht haben sie sich ausgesprochen', überlegt er, während er den Flur durchquert und den Blick kontrollierend über die Wandlampen schweifen lässt. Das hofft Raik jedenfalls – er kann und will sich nicht vorstellen, wie sich die weitere Zusammenarbeit im Zuge der neuen Entwicklungen des Mondial gestalten würde, wenn die Hotelchefin und die Chefin des Restaurants, das untrennbar mit der Bedeutung und dem guten Ruf des Hotels verbunden ist, nicht mehr miteinander auskommen. Er verscheucht die Gedanken aus seinem Kopf und tritt wenig später hinter die Rezeption. Er löst dort Lara ab, die bereits seit dem vergangenen Abend ihren Dienst tut und die er dann in ihren verdienten Feierabend entlässt.

 

In der Küche des Mondial steht Uli mittlerweile an der metallenen Arbeitsplatte und geht den Menü-Plan für den heutigen Tag durch. Bei der geplanten Tagessuppe, einer Minestrone, kommt sie ins Grübeln und spielt mit dem Gedanken, sie durch eine andere Suppe zu ersetzen. Die Minestrone an sich ist ihr ein bisschen zu einfach – ihr steht der Sinn heute nach etwas Abwechslung. Allerdings ist ihr auch bewusst, dass diese, ihre Minestrone unter den Gästen der Renner ist. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf entscheidet sie, nachdem sie die Vorräte im Kühlhaus inspiziert hat, neben der klassischen Minestrone auch eine etwas 'überarbeitete' Version zu servieren, die asiatisch angehaucht ist. Sie vermerkt dies entsprechend mit Kreide auf der großen Tafel an der Wand und beginnt, das Gemüse zu schneiden.

Noch herrscht in der Hotelküche eine fast meditative Ruhe – das Frühstück im Hotelrestaurant ist beendet und das restliche Personal wendet sich in geordneter Betriebsamkeit den Vorbereitungen des Mittagessens zu. Niemand von den Küchenhilfen, die so gut eingespielt sind, dass sie Ulis Planänderung ohne Kommentar hinnehmen und ihre Arbeitsabläufe entsprechend anpassen, traut sich, Uli anzusprechen. Sie haben mittlerweile gelernt, die Gesichtsausdrücke ihrer Chefin zu deuten und heute signalisierte so ziemlich alles in deren Gesicht, dass man sie besser in Ruhe lässt.

Während Ulis Hände wie von selbst und automatisch unterschiedliches Gemüse kleinschneiden, kreisen ihre Gedanken noch um den Streit mit Eva und darum, wie sich ihre Zukunft – sowohl die mit Eva, als auch die mit ihrer Familie – gestalten würde. Sie will nicht, dass Ivy ihren Vater verliert, so viel steht fest. Genauso wenig kann sie sich allerdings vorstellen, mit ihm ein freundschaftliches Verhältnis aufzubauen. Nicht nach dem, was zwischen ihnen vorgefallen war, ganz zu schweigen davon, wie er sich Eva gegenüber verhalten hatte.

An dieser Stelle ist sie sich mit Eva einig – diese hatte schon mehrfach gesagt, dass sie eine Annäherung zwischen Uli und Jeremy nicht wirklich gutheißen würde. Nicht allein deswegen, weil sie befürchtete, dass die beiden sich wieder annähern und gar wieder zusammen kommen würden, sondern vielmehr, weil sie nach dem, was sie gesehen und erlebt hatte, Angst um ihre Partnerin hatte. Das hatte sie mehrfach betont und Uli hatte das verstanden. Sie will selbst nicht wieder mit Jeremy zusammen sein, alleine die Vorstellung, mit dem Mann, der sie körperlich angegriffen und sie sowie ihre Partnerin beleidigt und bedroht hatte, wieder eine Wohnung oder gar ein Bett zu teilen, widert sie an. Dennoch ist sie in einem entscheidenden Punkt anderer Meinung als Eva: sie ist sich sicher, dass Jeremy nie, wirklich niemals, Ivy etwas antun würde. Dafür liebt er sie viel zu sehr. Uli geht davon aus, dass er weiß, dass der kleinste Fehltritt dazu führen würde, dass sie mit Evas Unterstützung dafür sorgen würde, dass man ihm das Sorgerecht entziehen und ihm den Umgang mit seiner Tochter verbieten würde.

An dieser Stelle durchfährt sie die Erinnerung an den Streit mit Eva wie ein Stich und sie zuckt ungewollt zusammen. Kurz darauf durchfährt sie ein stechender Schmerz, der dieses Mal jedoch nicht aus ihren Gedanken, sondern von ihrer linken Hand kommt. Sie schaut nach unten und stellt fest, dass sie wohl mit dem Messer abgerutscht sein muss – das Schneidbrett, auf dem sie einen Weißkohl geschnitten hatte, ist rötlich verfärbt.

Uli flucht leise, wirft das Messer auf die Arbeitsplatte und begutachtet den lädierten Finger. Der Schnitt muss relativ tief sein, bei der Menge an Blut. Sie kann den Finger jedoch ohne Probleme bewegen, sodass sie davon ausgeht, dass Sehnen und Muskeln in Ordnung sind. Sie steckt sich, noch immer fluchend, den Daumen in den Mund und macht sich auf den Weg zum Waschbecken. Den Daumen unter das kalte Wasser haltend beobachtet sie die roten Schlieren, die in den Abfluss gespült werden. Der Schnitt brennt höllisch, als sie ein Papiertuch aus dem Spender reißt, es um den Daumen wickelt und versucht, mit einer Hand den Erste Hilfe Kasten zu öffnen, in dem immer ein Jahresvorrat an Verbandsmitteln gelagert war. Der Verschluss des Kastens lässt sich jedoch mit einer Hand nicht so leicht öffnen und schließlich verliert Uli die Nerven und schlägt mit der gesunden Hand und einem genervten "Jetzt mach doch einfach deinen scheiß Job, du dämliches Teil" gegen die Metallbox. Mit dem Ergebnis, dass ihr jetzt auch die rechte Hand wehtut und der Kasten nach wie vor stumm und verschlossen an der Wand hängt. Sie verdreht die Augen und will gerade in Richtung Umkleide gehen, um zu schauen ob dort noch Pflaster im Schrank liegen, als ihr von hinten ein "Was hat dir denn der arme Kasten getan? Dich persönlich beleidigt?" entgegenschallt.

Hinter ihr steht ein breit grinsender Pit, der scheinbar gerade zum Arbeitsantritt gekommen ist – er trägt zwar schon seine weiße Kochkleidung, allerdings hat er die schwarze Schürze noch nicht umgebunden und hält sie lässig in einer Hand. Uli verdreht die Augen, muss aber gegen ihren Willen trotzdem grinsen.

"Och Pit, bitte hilf mir einfach. Ich krieg das Ding nicht auf und ich blute wie Sau."

"Na, na, Frau Kersting, ich muss schon sagen, diese vulgäre Sprache schon am ruhigen Vormittag… Wie wird's wohl später sein, wenn hier die Hütte brennt?"
Noch immer breit grinsend macht er sich dann am Erste Hilfe Kasten zu schaffen und wenig später ist Ulis Daumen mit einem dicken Pflaster umwickelt und mit einem wasserfesten Fingerschutz überzogen. Sie boxt ihn freundschaftlich an die Schulter und bedankt sich bei ihm dafür, dass er als 'Ersthelfer' zur Stelle war. Wenige Augenblicke später steht sie wieder an der Arbeitsplatte – mit einem frischen Schneidbrett, einem sauberen Messer und einem neuen Kopf Weißkohl. Der alte hatte leider eine rötliche Färbung angenommen, als sie mit dem Messer abgerutscht war und bereits seinen Weg in die Biotonne angetreten.

Mit Pit in der Küche verändert sich die Stimmung unmittelbar. Er scherzt und kabbelt sich mit den anderen Angestellten, macht seine Späße und schafft es gleichzeitig, seine Arbeit mit einer Genauigkeit und Geschwindigkeit auszuführen, dass Uli sich nicht zum ersten Mal fragt, wie sein Gehirn und seine Hände miteinander verbunden sind, damit das funktioniert. Der Weißkohl auf ihrem Brett verschwindet und macht kurzerhand den Platz frei für Karotten, die sie ebenfalls schält und kleinschneidet. Während sie, zumindest für ihre Verhältnisse, recht schweigsam vor sich hinarbeitet, spürt sie, wie sich ihre Anspannung löst. In ihrem Kopf reift ein Plan heran.

Heute Abend, nach Feierabend, wird sie sich bei Eva entschuldigen. Das muss sie tun – schließlich war sie diejenige gewesen, die ihr alle möglichen Anschuldigungen an den Kopf geworfen und dann im Streit das Zimmer verlassen hatte. Und das, obwohl sie wusste, wie sehr Eva so ein Verhalten hasste. Uli mag diese Seite an sich selbst nicht, sie bemüht sich auch immer wieder aktiv darum, Konflikten nicht aus dem Weg zu gehen, sondern sie auszutragen, aber manchmal kann sie diese Angewohnheit eben nicht unterdrücken. Eva muss vor Zorn gekocht haben, nachdem sie allein in ihrem Zimmer geblieben war. Sie hält es für am besten, sich an einem 'neutralen' Ort zu treffen, um das Gespräch leichter zu machen. Das Hotel und ihre Wohnung fallen deshalb als Treffpunkt aus – also beschließt sie, Eva zu bitten, sich am Abend mit ihr an dem Waldparkplatz zu treffen, von dem aus sie ihre erste Wanderung durch die Heide gestartet hatten. Uli macht sich schon im Kopf eine Liste, was sie alles an Essen mitnehmen würde – sie plant, mit ihrem VW-Bus dorthin zu fahren und Eva mit einem Picknick zu überraschen. Da sie jedoch weiß, wie sehr Eva Überraschungen (auch die schönen) verabscheut, muss sie das ganze vorher mit ihr abstimmen. 'Das ist sowieso besser', denkt sie sich, während sie geistesabwesend die Karotten schält. 'Ansonsten überfahre ich sie damit nur. Ich schreibe ihr nachher.' Mit der Vorstellung, dass sie am Abend mit Eva reden und vielleicht sogar ihre gemeinsame Zukunft planen könnte, löst sich der letzte Rest Anspannung in ihrem Körper und sie fühlt sich endlich wieder wohl in ihrer Küche.

 

Unterdessen steht Raik König an der Rezeption des Mondial und hat gerade einem Gast die Zimmerkarte in die Hand gedrückt, als er hört wie Linh, die vor einigen Minuten ihre Schicht angetreten hatte, ihrem Kollegen Paolo, der an der Bar des Mondial arbeitet, vom gestrigen Meeting in Evas Konferenzraum erzählt.

"…gegen Ende wurde das Ganze dann doch noch recht spannend", erzählt Linh gerade halblaut und gibt dann detailliert wieder, wie sich die Hotelchefin und die Chefin des Restaurants in einen verbalen Schlagabtausch gesteigert hatten und Letztere schließlich kleinbeigegeben hatte. Paolo hört mit großen Augen zu, aber bevor er seine Frage stellen kann, die ihm so offensichtlich ins Gesicht geschrieben steht, dass sogar Raik es wahrnimmt, unterbricht dieser die Konversation.

"Frau Thuy, würden Sie bitte das Tool zur Zimmerbelegung überprüfen, ich glaube, da funktioniert etwas mit der Aktualisierung nicht richtig."

"Ich komme sofort, Herr König". Linh, pflichtbewusst wie immer, lässt mit diesen Worten den etwas verdutzten Paolo einfach stehen und geht zügig in Richtung Tresen, um sich den Computer genauer anzuschauen.

Raik ist erleichtert. Die Software zur Zimmerbelegung funktioniert einwandfrei, aber er mag es nicht, wenn getratscht wird. Ihm ist bewusst, dass natürlich die Mitarbeitenden auch über ihre Vorgesetzten redeten, aber das musste nicht auch noch sein, wenn er es mitbekam. Außerdem, dessen ist er sich sicher, würde es früher oder später zumindest der Küchenchefin zu Ohren kommen, dass über sie und Eva de Vries geredet wurde und die Reaktion will Raik sich lieber gar nicht vorstellen. Schon allein deswegen nimmt er sich vor, jedes Gespräch, das in diese Richtung abdriftet, zu unterbinden. Er lässt Linh hinter der Rezeption zurück und macht sich auf den Weg zum Büro des Hausmeisters Eddie.

 

In eben dem Büro, das einige Minuten vorher noch Gesprächsthema in der Lobby des Mondial gewesen war, sitzt Eva de Vries mit gerunzelter Stirn hinter ihrem Schreibtisch. Auf dem Bildschirm vor ihr ist das Mailprogramm geöffnet, darin mindestens 35 ungelesene Mails, die sie eigentlich dringend beantworten muss. Aber stattdessen wippt sie auf ihrem Drehstuhl hin und her, während die Gedanken in ihrem Kopf kreisen. Immer wieder denkt sie an die Situation am Morgen zurück, an den Streit mit Uli. Auch wenn sie sich nach Ulis Abgang extrem geärgert hatte, weil sie es hasst, wenn jemand Konflikte nicht zu Ende bringen kann, tut ihr ihre eigene Reaktion jetzt schon wieder mehr als leid. Sie hatte überreagiert und Uli unter Druck gesetzt, sich von ihrem Noch-Ehemann loszusagen und ihre Tochter mit in den ganzen Schlamassel hineingezogen. Das hatte Uli berechtigterweise zur Weißglut getrieben.

Seit diese ihre Suite verlassen hatte, war Evas Wut stündlich weniger geworden, bis sie schließlich ganz verraucht war. Nachdem sie das reichhaltige Frühstück in einem Anfall von Frust ganz alleine aufgegessen und mit fast einer ganzen Kanne Kaffee heruntergespült hatte, hatte sie sich mit ihrem Laptop in ihrem Büro verschanzt und begonnen, das Konzept für die Neugestaltung des Mondial weiterzuentwickeln. Sie hatte mit der Reitschule telefoniert und ausgemacht, dass eine oder mehrere ihrer Mitarbeitenden gerne zu einem Proberitt vorbeikommen könnten. Beim Gedanken daran, wie Linh wohl darauf reagieren würde, lächelt Eva. Die junge Frau hatte sich in den vergangenen Wochen zu einer ihren wichtigsten und zuverlässigsten Mitarbeiterinnen entwickelt und übte ihren Job mit Leidenschaft aus. Da hatte sie sich die Möglichkeit, das neue 'Eventprogramm' des Mondial auszutesten, redlich verdient.

Immer wieder jedoch driften Evas Gedanken zu Uli, sie spielt mit ihrem Handy und aktiviert wieder und wieder den Sperrbildschirm, in der Hoffnung, dass sie eine Nachricht von Uli vielleicht übersehen haben könnte.

Und gerade so, als ob ihre Gedanken dazu mächtig wären, die Geschehnisse um sie herum zu beeinflussen, vibriert ihr Handy. Obwohl sie es erwartet, ja geradezu gehofft hatte, zuckt Eva ob des lauten Brummens kurz zusammen. Dann starrt sie auf das Display.

>> Uli – 1 neue Nachricht <<

Sie lächelt und entsperrt ihr Telefon. >> Eva, es tut mir leid. Ich habe überreagiert. Bitte, lass uns noch einmal reden. Heute Abend? Um 18 Uhr am Waldparkplatz. Kommst du? <<

Ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken oder in ihren Kalender zu schauen – es ist zwar Samstag, es wäre nicht das erste Mal, dass Eva an einem Wochenende eine Abendveranstaltung besuchen müsste – schreibt sie zurück.

>> Ich werde da sein. <<

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