Lotusblüte

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Lotusblüte
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Es gab Momente, in denen das Leben vor ihr davonrannte. Gibt es sogar immer noch.Und manchmal waren es nicht nur Momente. Blickt sie zurück, sieht sie ganze Jahre, in denen sie versuchte, ihr Leben wieder einzufangen – nicht, dass sie das damals gewusst hätte. Nein, wie wenig Leben sie hatte, fällt ihr erst jetzt auf, als sie einen freien Moment nur für sich hat.________Oder aber der Versuch, sich die Zeit totzuschlagen, indem man seine alten Fanfiction durchgeht und schaut, welche wie gut gealtert sind.Fertig gestellt 03.08.2010
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Die Lehre


 

 - Gai Maito -



Schon vom ersten Tag an wusste er, dass sein Team ein außergewöhnliches sein würde.

Das Genie, der Versager und die äußerste Präzision, die er je bei Neulingen hatte erleben dürfen. Mit der Zeit wurde es noch außergewöhnlicher, als aus einem gleich drei Genies wurden, jeder auf seine eigene Weise. Und nun sitzt er in diesem Augenblick bei einem dieser Genies – seiner Genies – am Tisch und genießt das leckerste Essen, das er seit Jahren zu sich genommen hat. Nicht nur die ganzen Kleinigkeiten, nein, vielmehr die ganze Liebe und Leidenschaft, die dahinter steckt, machen jedes Gramm zur köstlichsten Delikatesse. Am liebsten hätte er jeden Bissen seiner würdig komplimentiert, doch nach dem zweiten missbilligenden Blick seiner ehemaligen Schülerin belässt er es bei dem glücklichsten Grinsen, das er jemals zustande bringen kann.

Er ist zufrieden und begnügt sich damit, dass er hier sein kann und beteiligt sich an dem Gespräch.

Stundenlang sitzen sie an diesem Tisch, vergessen ganz und gar die Zeit und lachen einfach. Zwischendurch räumt TenTen die Teller und das Essen weg, bringt dafür kleine Häppchen, die den mit Köstlichkeiten überfüllten Magen nicht zu sehr belasten. Nach dieser Feststellung will er noch einmal bezeugen, wie sehr die schöne Blume doch vom Feuer der Jugend beseelt ist und wie sehr man das sieht, spürt und fühlt, es kribbelt nahezu in der Luft und – „Gai-sensei!“, empört sie sich und weil sie gerade noch steht, haut sie ihm auf den Hinterkopf. Es steckt keine Kraft oder Gewalt in dem Schlag. Oder viel mehr Klaps. Es ist eine rein symbolische Geste und er lächelt schuldbewusst.

„Aber TenTen, Gai-sensei hat doch Recht! Wenn du dir so viel Mühe gibst und alles noch so gut schmeckt, da muss doch ein Feuer so heiß wie die das der Jugend in dir brennen!“, unterstützt Lee ihren Lehrer, hält dabei einen Finger belehrend in die Luft und nickt dabei, als würde er einem Ge-nin einen wichtigen Vortrag über den Chakrafluss halten.

„Es ist nur Essen, Lee, und es gibt genug Menschen in diesem Dorf, die das sehr viel besser hätten machen können als ich“, rechtfertigt sie sich, seufzt dabei und noch bevor sie sich wieder setzt, zieht sie endlich ihre Schuhe aus, einer nach dem anderen, viel mehr wie sie selbst als auf die Weise, wie sie ihre Schuhe sicherlich ordentlich angezogen hat. Jetzt schiebt sie sie ohne große Rücksicht beiseite, setzt sich seitlich auf den Stuhl, damit sie sich an Nejis Schulter lehnen kann.

„Das mag durchaus sein“, erwidert Lee, noch immer in dieser belehrenden Pose, nickt weiter, während Neji  wie selbstverständlich seinen Arm um ihre Schultern legt, sich etwas anders setzt, um sein Gleichgewicht mit dem zusätzlichen Gewicht besser halten zu können. „Aber diese ganzen anderen sind nun mal nicht du“, sagt er und klingt dabei so, als wäre das Thema für ihn abgeschlossen.

„In der Tat, das stimmt wohl“, meint Neji, so ruhig und bestimmt wie immer, während TenTen nach seiner Hand greift und ihre Finger miteinander verschlingt. Jetzt widerspricht sie nicht mehr, sondern nimmt es hin. Es bringt selten etwas, gegen Nejis Logik zu argumentieren.

TenTen sagt nichts mehr dazu, wechselt das Thema und wirkt glücklich. Der Abend nimmt kein Ende und irgendwann, als es bereits weit nach Mitternacht ist, fällt TenTens Blick auf die Uhr, wohl das erste Mal für diesen Abend, so erschrocken wie sie reagiert. Lee fragt nach, was los sei, doch dann lacht sie nur.

„Ich hatte mir so einen schönen Plan für heute zurechtgelegt und jetzt hab ich die Zeit total vergessen“, lacht sie weiter und schüttelt den Kopf. „Das war’s dann wohl mit meiner schönen Zeiteinteilung“, seufzt sie mit einem schiefen Lächeln, den Blick fest auf die Uhr gerichtet.

„Was soll’s? Du brauchst keinen Zeitplan, um das Leben genießen zu können“, sagt ihr Lehrer, ausnahmsweise ernster als sonst.

„Aber ich wollte den Abend perfekt machen.“

„Ist er das nicht?“, fragt Neji und drückt wohlwollend ihre Hand, die noch immer mit der seinen verschlungen ist, denn lange ruht ihr Blick darauf, bevor sie alle nacheinander anschaut, dann lächelt und nickt. „Doch, das ist er.“

 

„Warum überhaupt die ganze Mühe? Das versteh ich nicht.“

Der Morgen bricht an, Sonnenstrahlen dringen nur schwach durch die schweren Vorhänge, doch sie haben bisher noch nicht geschlafen. Das ausgeklappte Sofa in TenTens Wohnzimmer ist nicht unbequem, die Decken und Kissen angenehm weich, und trotzdem starren sie an die Decke. Seit Stunden.

„Sie hat es selbst gesagt: Sie hatte den Abend perfekt durchgeplant, die Mission davor … drei Jo-nin ist ein bisschen zu viel des Guten, nicht?“

Gai schweigt, sagt nichts weiter. „Sie hat das Gefühl, sie hängt der Zeit hinterher, will sie festhalten und sie kontrollieren … aber warum? Das verstehe ich nicht“, wiederholt Lee sich und schüttelt den Kopf, im Liegen viel mehr ein Hin- und Herschieben des Kopfes, der kurzen schwarzen Haare auf dem weichen Kissen. „Glaubt sie, ihr entginge irgendetwas, wenn sie die Zeit nicht kontrollieren kann und ihr immer hinterherlaufen muss? Aber wenn ja, was? Warum?“

Lee versteht es wirklich nicht; er weiß, sie glaubt, etwas zu verpassen, nicht gleichauf mit der Zeit zu sein. Aber das Warum bleibt ihm verschlossen. Ebenso wie Gai. In ihren Augen gibt es nichts, was sie verpassen könnte. Gemeinsam starren sie ahnungslos an die Decke und verstehen es nicht. Verstehen nicht, wie TenTen das Gefühl haben kann, ihr entginge etwas, wenn sie doch bisher immer nur das tat, was sie wollte. Sie war und ist der absolute Herr ihres Lebens.

„Sie kann die Zeit nicht vergessen.“

Obwohl er bei TenTen im Schlafzimmer schlafen sollte, ist er an der Tür zu diesem Raum, das schwache Licht trifft auf seine hellen Klamotten und man kann ihn gut erkennen. Seine Augen, obschon sie immer deutlich hervorstehen, haben einen unbekannten Glanz.

„Endlich fertig, ihr beiden?“, neckt Lee grinsend, sehr wohl wissen, dass Neji nicht auf den Kommentar eingehen wird. Er sieht trotz der Anspielung nicht im Ansatz peinlich berührt aus.

„Sie glaubt ihrem Leben nicht gerecht zu werden, wenn sie sich keine Zeit für sich nimmt.“

„Hast du uns etwa belauscht?“ – „Hat sie dir das gesagt?“

Lee und Gai sprechen gleichzeitig, doch Neji antwortet nur Gais misstrauischer Frage und ignoriert Lees entsetzte Aussage vollkommen. „Nein, ich habe nur endlich die Augen aufgemacht“, sagt er schlicht. „Ich habe es vorher nicht gesehen, weil ich es nicht für möglich hielt, dass sich dermaßen ab vom Weg betrachtet. TenTen handelt nur nach ihrem eigenen Willen, ist eine unglaublich starke und selbstständige Persönlichkeit. Es schien unmöglich …“ Er schüttelt den Kopf. „Sie kann die Zeit nicht vergessen“, wiederholt er.

„Warum? Ihr Leben ist doch so perfekt … sie hat doch Freunde, eine Familie – uns –, ein Dach über dem Kopf.“

„Sie hat es selbst nicht gesehen. Sie hat den Abend nur für uns geplant, wollte ihn für uns perfekt machen, weil sie bei und mit uns am glücklichsten ist.“

„Und hat mit uns doch die Zeit vergessen“, schließt Gai und nickt zufrieden. Seine schöne Blume ist schon immer ein wichtiger Teil seines Lebens, seit sie zu seinem Team gehört. Die Tochter, die er niemals haben würde, das Genie, das seine kühnsten Träume übertraf. Er ist ihr ebenso wichtig, mehr als nur ein Lehrer und das macht sie glücklich. Und ihn noch viel mehr.

„Aber das hat sie doch schon so oft gemacht“, sagt Lee und klingt beinahe richtig entsetzt. „Wie oft haben wir zum Beispiel schon beim Training die Zeit vergessen? Oder überhaupt, wenn wir beisammen waren? Zusammen war uns die Zeit nie wichtig“, entrüstet er sich, schaut zu Neji, damit er ihm seine Worte bestätigt. Aber das muss er gar nicht. Er weiß, dass er Recht hat.

„Sie hat es nicht gesehen, wie sehr sie doch Herr ihrer Zeit war. Sie glaubte, die Zeit laufe ihr davon. Aber das …“ Er schüttelt den Kopf. „Selbst ich habe das bis gerade eben nicht gesehen.“

„Du meinst, als sie deinen Namen gestöhnt hat?“

Dieses Mal übergeht er Lees Kommentar nicht, seine Augen verengen sich und er sagt wütend: „Nein, als sie uns abholte. Vorhin habe ich weitaus mehr Sachen gesehen als du jemals würdest wissen wollen.“

Er schaut ihn herausfordernd an, wirkt überheblich und genervt. Nicht mehr viel und Gai würde eingreifen, ihnen Einhalt gebieten wie zwei streitenden Kindern, seinen beiden Söhnen, die diese kleinen Geschwisterstreitereien wohl nie ganz beiseite legen können würden. Obwohl er glücklich darüber ist, dass Lee und Neji niemals so schlimm waren wie die Schüler seines Kollegen und Rivalen Kakashi Hatakes und Lee weiß es besser, als Neji weiterzuärgern. Er grinst weiter, aber schweigt.

„Vielleicht“, sagt Gai in die Stille hinein, „hat sie es heute endlich besser gelernt. Und vielleicht kannst du ihr dabei helfen.“ Er schließt die Augen, macht es sich bequem, meint es nicht zweideutig, so wie Lee, sondern als Vorschlag und als Bitte.

„TenTen soll nicht dem Unglauben erlegen sein, sie versäume irgendetwas, wenn ihr Leben doch so erfüllt ist von der Liebe und der Kraft der Jugend.“ Er schüttelt den Kopf – wenn sie ihm nur hin und wieder zugehört hätte, wenn er davon sprach, wie der das Feuer der Jugend in ihr brannte. Neji antwortet ihm nicht mehr und er hört nur noch die Schritte des anderen, wie er zu ihr zurückgeht, um sie wieder in seinen Armen zu halten und dort endlich schlafen zu können. Selbst wenn es überflüssig war, TenTen hat wirklich perfekt geplant um einen Abend zu bekommen, für den sie einfach hätte fragen müssen.

„Schlaf jetzt, Lee. Wir müssen ausgeschlafen sein, wenn wir morgen weitere Herausforderungen des Lebens bestehen wollen. Wir brauchen Kraft!“

„Und … TenTen?“

Lee klingt besorgt, doch Gai macht sich nichts draus – es gibt keinen Grund dafür.

„Neji wird ihr helfen zu sehen, wird ihr zeigen zu verstehen, was sie wirklich verpasst hat“, nämlich nichts, „und wir werden das auch.“ Um seine Aussage zu bestätigen, nickt er seinem Sohn und Schüler zu, so voller Überzeugungskraft, die für den jungen Mann schon immer der Wahrheit entsprach.

„Du weißt doch, Lee: Der Lotus aus Konoha blüht zwei Mal.“

Und damit will er einschlafen. Lee würde schon verstehen – und wenn nicht, sähe er es spätestens dann, wenn die schöne Blume aus Team Gai wieder erblühen würde, da sie selbst endlich niemals mehr das Gefühl haben wird, der Zeit hinterherlaufen zu müssen.

 


 

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