Eine Slytherin-Harry-Geschichte: Die Kammer des Schreckens

Harry Potter - J. K. Rowling
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Eine Slytherin-Harry-Geschichte: Die Kammer des Schreckens
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In dem Colin Creeveys Zustand ein Geheimnis bleibt, noch, Harry Draco von Dobby berichtet, die vier Freunde mit ihrem Latein eher am Ende sind und ausgerechnet Severus einen unfreiwilligen Hinweis liefert

Harry und seine drei Freunde zogen sich den Sonntag über lang zurück. Früh genug würden sie sicherlich wieder im Mittelpunkt unangenehmer Aufmerksamkeit landen. Doch für den Moment waren zum Glück noch das Spiel und die folgenden möglichen Ergebnisse in dieser Quidditch-Saison die Hauptthemen der Gespräche ihrer Mitschüler. Es schien fast, die Versteinerung von Mrs. Norris wäre bereits mehr oder weniger in Vergessenheit geraten. Obwohl zumindest Filch ganz sicher immer noch nach den Übeltätern suchte. Seine Katze war schließlich seine aufmerksame Gesellschaft bei der Kontrolle von Gängen und Räumen. Und möglicherweise das einzige Wesen, zu dem er echte Zuneigung empfand. Unabhängig jedenfalls von den Gefühlen des Hausmeisters ließen die Ereignisse nicht sportlicher Natur die meisten Schüler am Sonntag kalt. Ausgezählt wurden stattdessen Wettgewinne und Schulden, mehr oder weniger verborgen vor den Blicken der Lehrer, während die besonders fleißigen Verwalter der Wetten begannen neue Prognosen zu stellen und sich auf das nächste Spiel vorzubereiten. Der freie Tag gab außerdem vielen Zeit sich ganz ihren Hobbys oder drängenden Aufgaben hinzugeben (Ersteres mehr als Letzteres).

Für Harry war der Sonntag die Ruhe vor dem Sturm und er fühlte, dass er diese kurze Auszeit vor der nächsten allgemeinen Verunsicherung dringend benötigte. Und er war sicher, dass es seinen drei Freunden ähnlich erging. (Obwohl. Bei Millicent konnte er das nicht wirklich einschätzen. Sie schien nichts wirklich richtig nervös zu machen.)

Nach dem Frühstück suchten sie erst ihre jeweiligen Schlafsäle auf, um ihre Schreibmaterialien zu holen (Draco und Harry begegneten Theodore, der sich in seinem Bett mit Zeitschriften verkrochen hatte und sie müde anblinzelte und Crabbe und Goyle, die sie angrummelten und händeweise Essen vom Frühstück mitgenommen hatten), und gingen dann gemeinsam in die Bibliothek an ihren Stammplatz. Dort berichtete Harry Draco leise von Colin, während Hermine einen Bogen Pergament hervorholte. Sie waren an diesem Tag die einzigen in der Bibliothek. Abgesehen von Madam Pince, die ihre heiligen Hallen selten verließ.

Draußen schien die Sonne und es war seit Tagen wieder einmal warm und trocken. Das Wetter war zu schön und die Stimmung zu gut, um zu Lernen. Selbst die eifrigsten der eifrigsten hatten entweder besseres zu tun oder verrichteten ihre Schularbeiten zumindest draußen oder in ihren Gemeinschaftsräumen.

Es war gar nicht so einfach, den Platz zum Schreiben zu schaffen, da sich inzwischen auf ihrem Stammtisch mehrere Bücher stapelten, was natürlich vor allem Hermines Verdienst war. Madam Pince musste aufgegeben haben, sie davon abzuhalten Wälzer zu horten, die offenbar von keinem anderem vermisst wurden. Wie ein Hamster häufte Hermine Bücher zu scheinbar allem und jedem an. Bei dem Tempo, das die Gryffindorschülerin bei ihrer Lektüre zudem an den Tag legte, war es möglich, dass sie es schaffte die Bibliothek bis zu ihrem Schulabgang, wenn nicht sogar eher, auszulesen. Harry fürchtete den Tag, an dem Hermine in verzweifelter Langeweile neues Lesefutter suchen müsste. Nun jedenfalls, vielleicht billigte Madam Pince also Hermines scheinbare Lesewut und beließ den Bücherstapel deshalb unerwähnt. Harry war sich nicht ganz sicher. Die Bibliothekarin schien im Grunde vor allem Wert auf Ruhe und Sauberkeit zu legen (und darauf, dass niemand Hand an die Bücher legte, die ihm oder ihr verboten waren), sich ansonsten aber aus den Angelegenheiten von Schülern wie Lehrern herauszuhalten.

Bevor sie damit begannen, sich dem Thema zuzuwenden, dass Harry nun, da Colin versteinert worden war, umso mehr beschäftigte, bestand Hermine darauf, dass Harry und Draco ihre bis zur nächsten Woche fälligen Hausarbeiten erledigten.

„Wie kannst du an Schule denken“, klagte Draco mit theatralischer Stimme, „wenn es so viel Wichtigeres gibt?“ Mit großen Gesten hob er die Arme, schüttelte den Kopf und gab seinem Gesicht einen, wie er wohl hoffte, leidtragenden Ausdruck. Manchmal war Harry sich nicht sicher, ob sich der Blonde gerade ernst nahm, oder selbstironischer Stimmung war.

Millicent, die Draco gegenüber saß, rollte die Augen und schenkte Harry einen Blick, der sagte: Es ist immer wieder das Gleiche. Sie selbst protestierte nicht, aber zumindest Harry war klar, dass von ihnen allen Millicent die geringste Motivation besaß, wenn es um Hausarbeiten und Schule im Allgemeinen ging. Wie sie es dennoch meist schaffte, alles recht gut zu erledigen, war genauso ein Mysterium wie die Frage, woher ihre Zuneigung zum Großen, Haarigem und Tödlichem kam. Und wie sie diese nicht immer gesunde Vorliebe seltener in Gefahr brachte, als Harrys Neigung zu Zu- und Unfällen unglücklicher Natur.

Hermine indessen fiel es sichtlich schwer, Draco nicht sofort zu widersprechen. Harry wusste, ihre Freundin nahm die Lage ernst, aber es fiel ihr nicht leicht, Schule als weniger wichtig zu erachten als irgendetwas sonst. Es brachte deswegen, wie eigentlich immer, letztlich nichts, mit ihr zu diskutieren, auch wenn Draco es natürlich versuchte. Harry wusste nicht, wie viele der Proteste er einfach nur deswegen äußerte, weil er im recht sein wollte.

Sie gingen also die Aufgaben durch. Zauberkunst erwies sich zum Glück als relativ einfach, auch wenn Hermine krittelte, dass sie den Großteil nur leicht umformuliert aus ihrem Buch abschrieben. Der Trennzauber war außerdem wirklich kein besonders spannender oder aufregender Zauber. Es bot sich nicht viel dazu zu schreiben an. Aus gutem Willen ergänzte Harry aber zumindest noch eine Alternative, die Remus manchmal verwendete (der Zauber war nicht sehr gebräuchlich, weil er nur für Papier und Pergament genutzt werden konnte). Er hatte das Gefühl, dass sein Aufsatz wohl kaum mehr tat, als den Anforderungen zu genügen. Aber Professor Flitwick war ja nicht so streng in seiner Bewertung.

Danach machten sie sich an Verwandlung. Den Anfang hatte Harry schon fast vergessen, ihm kam es vor, als wäre viel passiert, seitdem er mit dieser Hausarbeit begonnen hatte. War es auch erst wenige Tage her, dass er die ersten Sätze geschrieben hatte. Fünf weitere Fuß ergänzte er, während Draco Kommentare dazu abgab, dass er es unsinnig fand, Insekten und ähnliche Lebewesen in irgendetwas zu verwandeln. „Könnt ihr euch vorstellen Käferknöpfe zu tragen und Tausendfüßlerstifte zu benutzen? Das ist doch einfach nur eklig.“

Millicent brummte etwas, das wohl bedeutete, dass auch Insektenartige es verdienten, gut behandelt zu werden. Auch wenn sie freilich mehrere Stufen unter Katzen und Monsterhunden standen.

„Einen Tausendfüßler in einen funktionierenden Stift zu verwandeln ist beinahe unmöglich, zwischen den beiden gibt es zu viele Unterschiede.“, verbesserte Hermine. „Wenn du das Kapitel in Verwandlung für Anfänger über die allgemeinen Regeln der Verwandlung von lebender Materie ordentlich gelesen hättest, wüsstest du, dass selbst wenn es gelingen würde, der Nutzen in diesem Fall die Kosten zu sehr übersteigen würde.“

Harry baute einen Teil von Hermines Kommentaren in den letzten Sätzen ein und beendete dann den letzten Fuß Pergament mehr schlecht als recht, weil ihm wirklich nichts mehr einfallen wollte. Professor McGonagall erwartete seiner Meinung nach einfach zu viel von ihren Schülern. Von einigen Enthusiasten, und Hermine, einmal abgesehen, genügte sicher keiner ihren Ansprüchen. Man musste ihr allerdings zu Gute halten, dass sie bei ihrer Bewertung zumindest unparteiisch war. Welchem Haus man angehörte, oder welcher Familie, hatte eine sehr viel geringere Bedeutung gegenüber dem, was man leisten konnte.

Die Aufgabe für Zaubertränke zu bearbeiten war hingegen für Severus' Verhältnisse beinahe zu leicht. Irgendwie war Harry so, als müsse es etwas geben, das er übersah. Eine Art Fangfrage. Severus' Verhalten in letzter Zeit war merkwürdig, aber es passte nun wirklich nicht zu ihm, es seinen Schülern leichter zu machen als nötig. Eigentlich war doch eher das Gegenteil für ihn üblich. Es war eine von Severus' Grundphilosophien, dass man jedem so viel abverlangen sollte, wie ihm möglich sein konnte und am besten noch ein wenig mehr. Wie sonst sollte „aus dem traurigen Haufen, dem man ihm aufgebürdet hatte“ eine Gruppe „halbwegs akzeptabler, nicht ganz so katastrophaler“ Schüler werden? Es war im Übrigen nicht so, dass er nicht ebenso strikt mit sich selbst war. Harry wusste, dass die Fehler von anderen Severus reizten, ihn seine eigenen jedoch noch viel mehr ärgerten.

Harry hätte aber auch nicht gewusst, welchen Grund er hätte haben sollen, sich darüber zu beschweren, dass eine ihrer Hausarbeiten einfach war. Immerhin schafften er, Draco und Millicent es so, zügig fertig zu werden. Hermine hatte ihre Hausaufgaben schon am Samstag erledigt. Die Gryffindorschülerin erbarmte sich sogar und kontrollierte die Aufsätze der drei anderen, wobei sie leise vor sich hinmurmelte und die Stirn in Falten legte, so dass Harry sicher war, dass seine eigene Einschätzung in etwa der seiner Freundin entsprach.

Erst als Hermine mehr oder weniger zufrieden war, begannen sie mit dem Versuch den fast leeren Pergamentbogen zu befüllen.

„Was wissen wir?“, sagte Hermine und fuhr sogleich selbst fort: „Also. Erstens: Beide Angriffe geschahen wahrscheinlich spät und zu Zeiten, als die meisten Schüler und Lehrer nicht in der Schule unterwegs waren.“

„Na, ich denke mal nicht, dass der Erbe von Slytherin mal eben mit seinem Monster durch die Korridore laufen würde, wenn er wüsste, dass man ihn sehen könnte...“, murmelte Draco.

„Nun, es sagt uns doch immerhin, dass der Verantwortliche erstens weiß, wann und wo er zuschlagen kann -“

„Wer hat denn bitte schön nicht gewusst, wann das Halloweenfest stattfand oder wann die Nachtruhe einsetzt...“

„- und zweitens ziemlich sicher nicht gesehen werden will, woraus sich schließen lässt, dass er oder sie...“

„Oder es...“, brummte Millicent.

Hermine zwinkerte irritierte, weil ihr nun auch noch ihre beste Freundin ins Wort fiel, fuhr aber fort: „Oder meinetwegen „es“ wahrscheinlich auffällt oder sich doch zumindest nicht leicht verbergen kann.“

„Prima. Also hat er, sie oder es zumindest vermutlich keinen Tarnumhang...“

„Ehrlich gesagt, weiß ich von keinem als von meinem eigenem...“, murmelte Harry leise.

„Nun, wir können es nicht ausschließen, aber es ist nicht komplett unmöglich, dass noch jemand im Schloss einen Tarnumhang hat.“ Und Harry musste an ihren leicht undurchschaubaren Schulleiter denken, der nicht nur immer mehr zu wissen schien als alle anderen, sondern auch die Fähigkeit besaß fast unbemerkt in Erscheinung zu treten. Wirklich ein seltsamer Mann.

„Dann wären da die Brandflecken...“, sagte Hermine. Sie biss sich auf die Lippe. „Dazu die Sache mit dem Fotoapparat. Nachdem, was du gehört hast, Harry, ist zumindest ein Teil des Apparates geschmolzen. Wir können mutmaßen, dass die Ursachen für die Hitze, die dazu nötig war, eng mit dem Täter zusammenhängt. Wenn wir doch nur wüssten, wo Colin genau versteinert wurde... Ich würde zu gern nachsehen, ob sich auch dort irgendwelche Spuren finden lassen.“

„Fragen können wir schlecht. Und eine Botschaft gibt es diesmal nicht. Was ich übrigens nicht kapiere, wozu erst eine Ankündigung machen und dann beim nächsten mal nichts tun?“

„Vielleicht hat der Täter angenommen, dass er keine weitere Botschaft braucht.“, mutmaßte Harry, „Wenn die Sache mit Colin bekannt wird, werden alle ihre Schlüsse ziehen, auch ohne Nachricht...“

„Wenn wir davon ausgehen, dass der Schuldige wirklich der Erbe von Slytherin ist und dass er dabei Hilfe vom Monster von Slytherin hatte, das in der Kammer des Schreckens oder doch zumindest in einem anderen verborgenen Raum im Schloss lebt...“, spann Hermine ihren Faden weiter.

„Das wäre ja noch schöner wenn es noch ein weiteres Monsterversteck gäbe.“

„...bin ich immer noch der Überzeugung, dass wir mehr Anhaltspunkte finden müssten...“, sagte die Gryffindorschülerin und sah, nach einem neuerlichen Seitenblick zu Draco, der sie schon wieder unterbrochen hatte, auf das recht leere Pergament. An der Seite hatte sie ein paar Notizen zu Büchern gemacht, die sie zu Rate gezogen hatte. Bisher erfolglos. Für sie war es beinahe undenkbar, dass Bücher ihnen nicht weiterhalfen. „Ich frage mich, ob wir irgendetwas übersehen...“

Harry beschäftigte aber noch etwas anderes, während er an einem der benachbarten Tische eine Ausgabe von Pansys erster (und bisher einziger) Schülerzeitung stirnrunzelnd betrachtete. Auch wenn sich die Aufregung gelegt hatte, wurde die Zeitung noch von einigen regelmäßig gelesen. Wem immer aber auch diese Ausgabe gehörte, er hatte sie entweder vergessen oder wohl doch keinen Gebrauch mehr für sie. Die Titelseite schien Harry fast vorwurfsvoll anzusehen. Das größte Bild war eins der Fotos von Colin. An den Erstklässler zu denken, drehte ihm erneut den Magen um. Das Wort Slytherin war unter den Schlagzeilen besonders hervorgehoben.

Harry dachte daran, wie er zum ersten Mal wirklich von den Häusern gehört hatte. Remus und Severus hatten selten über Unterschiede gesprochen. Remus war allgemein ein Mann, der wenig urteilte und eher beobachtete und Severus mochte gegenüber Slytherin bisweilen parteiisch sein (und sich über Professor McGonagall und unvernünftige Gryffindors beschweren), hatte aber Harry nie dahin gehend erzogen. Deswegen gehörte er zu den Schülern, die zwar aus Zaubererhaushalten kamen, aber wenige Vorurteile in Bezug auf Hogwarts' Häuser durch sie mitbekamen. Im Allgemeinen hatten jedoch die meisten Schüler aus Zaubererfamilien schon vor ihrer Schulzeit erzählt bekommen, dass es besser war zu diesem oder jenem Haus zu gehören. Ganz zu schweigen von dem Wunsch, die Kinder mögen das Haus der Eltern teilen.

Harry wusste, dass viele der Familien, die gerne betonten, dass sie Reinblüter seien, Slytherin bevorzugten, während viele andere das Haus gerade dafür verurteilten. Er wusste, dass Gryffindor als heldenhaft doch übermütig, Ravenclaw als schlau aber zurückhaltend und Huffelpuff als durchschnittlich galten. Auch wenn er sofort ein paar Gegenbeispiele hätte.

„Das Monster von Slytherin, die Kammer des Schreckens von Slytherin, der Erbe von Slytherin, das Böse in Slytherin... warum können nicht auch mal die anderen Gründer etwas getan haben, das alle „böse“ nennen? Ich habe es so satt, dass nur wir einfach immer wieder in diese Schublade gesteckt werden.“, sagte er leicht genervt in das Schweigen hinein.

Wäre ihre Lage besser, wenn er damals, als ihm der Hut eine Entscheidung gegeben hatte, nicht nach Slytherin gegangen wäre? War seine Entscheidung richtig gewesen, oder ein Fehler?

Andererseits wurde schließlich auch Hermine verdächtigt.

„Mh...“, machte Millicent. Draco nickte zustimmend.

„Naja“, meinte Hermine, die Harrys Kommentar von ihren fruchtlosen Bemühungen, etwas mehr aus ihren wenigen Notizen zu machen, ablenkte, „Mich betrifft es zwar nicht, aber ich finde es auch irgendwie nicht ganz richtig. Es scheint mir nur wie ein Weg, es sich leichter zu machen, in dem man ein Haus immer als schuldig abstempelt. Und einige Dinge, die die anderen Gründer und ihre jeweiligen Häuser betreffen, werden recht gesprochen und unter den Teppich gekehrt.“

„Ich glaube ja, dass auch die anderen Gründer ein paar Geheimnisse haben.“, meinte Millicent. Und Harry war sich zwar nicht sicher, ob sie recht hatte, aber er fand zumindest, dass man die Möglichkeit nicht ausschließen sollte.

Sie schwiegen und Hermine sah das Pergament vor sich nun wieder beinahe ärgerlich an, so als gebe sie ihm die Schuld daran, dass sie keine Fortschritte machten. Harry konnte es ihr nachfühlen. Er überlegte, ob er vielleicht doch seinen Paten um Rat fragen könnte. Aber er wollte ihm keine Sorgen bereiten. Außerdem stand in zwei Tagen der nächste Vollmond an. In der Vollmondwoche war Remus meist ohnehin ein wenig angeschlagen. Harry wollte diese Zeit nicht verschlimmern. Dennoch sollte er ihm vielleicht einfach so mal wieder schreiben. Er könnte ja vom Spiel erzählen. Und vom Unterricht.

Von Polly hatte er auch noch einen Brief, den er in der Hektik bisher nicht beantwortet hatte. Er hatte den Wunsch etwas zu tun, das nichts mit seinen Sorgen im Zusammenhang stand. Vielleicht sollte er wirklich nachher ein paar Stunden einfach ein wenig abschalten und es ihren anderen Mitschülern gleich tun und einfach nur den Tag genießen.

Draco riss ihn aus seinen Gedanken, indem er ihn vollkommen überraschte, als er auf einmal losprustete: „Das Gewächshaus des Todes mit dem Monster von Hufflepuff.“

Sie alle blickten ihn irritiert an, aber ihn schien das nicht zu stören.

„Das ist ein ernstes Thema.“, sagte Hermine, doch der blonde Slytherin winkte nur ab und lachte leise. „Und der Erbe...der Erbe von Hufflepuff... ist Ron Weasley.“

Madam Pince, die Bibliothekarin, die ein paar Meter entfernt saß und ihn hörte, sah ärgerlich zu ihrem Tisch herüber. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie. Die Frage war freilich rein rhetorisch.

„Nein, nein.“, lachte Draco. „Ich habe nur das Bild vom Monster von Hufflepuff vor Augen. Und den Erben von Hufflepuff.“ und lachte dann weiter. Bis er wohl doch verstand, dass Madam Pince ihn eigentlich darauf hinzuweisen versucht hatte, dass er leise sein solle und sich beruhigte, woraufhin die Bibliothekarin den Kopf schüttelte und sich wieder dem Buch vor sich zuwandte.

„Manchmal wünsche ich mir, ich hätte deine Vorstellungskraft.“, meinte Harry, überlegte aber, dass gerade jetzt nicht der Augenblick für solche Scherze war, und Millicent sagte trocken: „Du vielleicht, ich mir nicht...“

„Jungs.“, sagte Hermine und schüttelte gespielt den Kopf. Was Draco erst dazu brachte, sie verwundert anzusehen und dann gleich erneut zu lachen.

„Merlin, klang das seltsam...“, brachte er heraus, ahmte Hermines Geste nach und wiederholte erst mit verstellter Stimme, dann wieder in seinem normalen Tonfall, weil er sich nicht einkriegen konnte: „Jungs. Jungs... Ich werd' nicht mehr...“

Bevor aber Madam Pince nun laut protestieren konnte, nahm Hermine das Buch, das vor ihr lag, und schlug es ihm gegen den Kopf. Wenn auch nur ganz leicht. Wobei das wohl eher daran lag, dass sie das Buch nicht beschädigen wollte. „Das ist eine ernste Angelegenheit. Reiß dich zusammen. Außerdem solltest du nicht so laut sein. Das hier ist immer noch eine Bibliothek.“

Millicent nickte. Sie machte sich zwar sicher keine Sorgen darum, dass sie hinausgeworfen werden könnten, doch die Versteinerungen hatten auch sie beunruhigt. „Es ist schlimm genug, dass Mrs Norris versteinert wurde. Ich mache mir Sorgen um die anderen Katzen im Schloss. Aber dass nun auch Schüler angegriffen wurden...“

Nachdem Draco sich wieder beruhigt hatte und Hermine gemurmelt hatte „Und ohnehin ist Ron ja nicht mal in Hufflepuff-“ - „Wer sagt, dass ein Erbe von Slytherin in Slytherin ist?“, versuchten sie noch mehr zusammenzutragen.

Aber sie blieben leider weiterhin nicht so erfolgreich, wie sie es sich wohl alle gewünscht hätten. Ja, die Hausaufgaben waren fertig und ja, sie wussten immerhin noch ein paar Dinge durch ihre ersten Nachforschungen und ein wenig durch das, was Harry in der Nacht beobachtet hatte, aber im Grunde blieb das Pergament eben doch sehr leer.

 

Schließlich mussten sie wohl oder übel auch schon zum Abendessen, da die Zeit ihnen durch die Finger geronnen war, und dann waren sie bevor sie es sich versahen schon in ihren Schlafsälen. Der Sonntag war alles in allem irgendwie leicht enttäuschend.

Harry kam außerdem nicht dazu, mit Draco wirklich über die Sache mit Dobby zu reden. Der Blonde war entweder damit beschäftigt hin und wieder leise zu fluchen, nachdem er sich von Gedanken an Ron Weasley und das Gewächshaus des Todes erholt hatte, oder aber unverhältnismäßig viel zu schweigen. Irgendwie fühlte es sich, bis sie sich schließlich schlafen gingen, nie richtig an, das Thema zur Sprache zu bringen. Und im Schlafsaal waren dann natürlich auch die anderen und es gelang Harry erst recht nicht einen guten Moment zu finden.

 

Trotz seiner Sorgen und der Ungewissheit brachte die Erschöpfung der letzten Tage Harry jedoch immerhin einen ruhigen, schnellen, fast traumlosen Schlaf. Dobby allerdings war doch noch in Harrys Unterbewusstsein und ermahnte ihn kurz vor dem Aufwachen daran, dass er noch mit Draco reden wollte. Im Übrigen war der Hauself ziemlich gut darin selbst im Traum zu irritieren. Nicht dass es Harry verwunderte.

Als sie am nächsten Morgen aufstanden, zog Harry seinen Freund also vor dem Frühstück schnell noch für einen Moment beiseite. Leise berichtete er ihm endlich von dem neuerlichen Besuch des Hauselfen und bemühte sich möglichst genau wiederzugeben, was der Elf getan und gesagt hatte.

„Dobby hat den Klatscher verhext?“, fragte Draco, als Harry geendet hatte. Er war weiß um die Nase geworden und sah ernst aus. Genau wie Harry selbst hatte er mit Dobbys Beitun an Harrys Krankenflügelaufenthalt nicht gerechnet. „Mein Vater...“

„Nein“, sagte Harry schnell, „ich glaube nicht, dass dein Vater etwas damit zu tun hatte. Also nicht direkt. Dobby wollte mir helfen. Denke ich. Er stellt sich nicht wirklich gut dabei an. Aber er hat sich dafür bestraft, den Klatscher verhext zu haben und in den Krankensaal gekommen zu sein.“

„Ich verstehe einfach nicht, was in seinem Kopf vorgegangen ist.“, murmelte Draco. „Dobby ist schon so lange bei uns wie ich mich erinnern kann. Und er ist vielleicht manchmal ein wenig ungewöhnlich, aber ich hätte mir nicht vorstellen können, dass er aus eigenem Antrieb einem Zauberer absichtlich Schaden zufügt. Oder überhaupt irgendwem.“

Und er ergänzte, bevor Harry ihn unterbrechen konnte: „Auch wenn seinen Kopf zu malträtieren sicher nicht gesund für ihn sein kann, denke ich doch, dass er eigentlich vernünftig ist. Also muss er einen wirklich triftigen Grund gehabt haben.“ Der Blonde runzelte die Brauen. „Ich wette, es hat etwas mit Vater zu tun. Dobby muss etwas wissen, das wir nicht wissen. Etwas, das ihn soweit gebracht hat, sich in irgendeiner Weise dadurch gegen Vater zu widersetzen indem er dich dazu zu bringen versucht hat, Hogwarts zu verlassen.“

„Meinst du dein Vater weiß etwas über die Kammer?“, überlegte Harry und sah Draco besorgt an. Da war etwas Dunkles in seinen Augen, als er von seinem Vater sprach. Er musste an Dracos Eigenheiten in letzter Zeit denken. Eigentlich schon seit Beginn des Schuljahres. Harry war sich fast sicher, dass zwischen ihm und seinen Eltern gerade nicht alles im Reinen war. Länger schon. Und er wusste nicht, ob er seinem Freund irgendwie helfen konnte.

Draco schüttelte verärgert den Kopf. Nickte. Seufzte. Er wandte die Augen von Harry ab, als er weitersprach. „Wer weiß. Vater hält gerade nicht viel von... naja, er ist nicht gut auf mich zu sprechen. Und auch sonst erzählt er mir meist nichts. Glaubt wohl, dass ich ein paar Sachen besser nicht weiß. Das war zwar schon immer so, aber diesen Sommer... Und Mutter hat sicher keine Ahnung. Sie mischt sich kaum ein. Hat sie noch nie. Und Dobby kann ich nicht fragen. Wenn er etwas mitbekommen hat, dann ist es ihm ziemlich unmöglich mir darüber Bescheid zu geben. Sich so sehr gegen Vater zu widersetzen. Ich kann ihn nicht dazu zwingen, allein schon weil ich nicht weiß, ob er das überleben würde.“

Er sah zu Boden und meinte dann: „Kannst du mir ein wenig Zeit geben? Ich meine jetzt. Also, du könntest ja schon mal vorgehen. Mir ein wenig von der Kürbispastete auftun. Sonst bleibt sicher keine mehr. Ich... brauche einen Augenblick.“

Harry nickte und Draco ergänzte: „Und in dieser Angelegenheit. Gib mir auch in dieser Angelegenheit ein wenig Zeit.“ Seine Stimme war ungewohnt leise. „Ich möchte erst einmal allein versuchen zu verstehen, inwiefern meine Familie vielleicht in... nun ja einige Dinge, die hier vorgehen, involviert ist. Oder sein könnte.“

 

Fast bereute es Harry Draco von Dobbys Besuch erzählt zu haben. Selten hatte er seinen Freund so bedrückt und ernst gesehen. Er wusste nicht, was er tun konnte, um ihn aufzuheitern. Aber er wollte seine Bitte respektieren. Also ging er wortlos und schloss sich einigen anderen Spätkommern an.

Theo lief schließlich neben ihm so schweigend wie er selbst, bis sie in der Großen Halle ankamen und Harry sich zu Hermine und Millicent gesellte. Die beiden fragten nicht, wo Draco war, oder warum Harry selbst länger gebraucht hatte. Sie machten auch keine Anmerkungen, als der Blonde dann ein paar Minuten später als Letzter zu ihnen stieß. Harry war nicht zum ersten Mal dankbar dafür, dass die beiden Mädchen manchmal einfach zu spüren schienen, wenn Worte nicht weiterhalfen.

Das Frühstück war unruhig, aber noch war es nur die Unruhe eines teilweise quasi freien Unterrichtstages. Um sie herum planten die anderen Slytherins, wie sie die Zeit nutzen konnten und diejenigen, die den ganzen Tag lang regulären Unterricht hatten, neideten es ihnen, zum Teil mehr im Scherz, zum Teil doch recht jammervoll. Auch an den Tischen der Ravenclaws, Hufflepuffs und Gryffindors ging es lauter zu. Nun, vielleicht nicht ganz so sehr bei den Gryffindors. An dem Tisch war es immer ein wenig belebter und es mochte durchaus bei ihnen keinen merkbaren Unterschied geben. Auch eher ruhigere Schüler gaben Kommentare ab, oder schienen auf ihren Plätzen angespannt und aufgeregt.

Die vier Freunde jedoch blieben still. Und still war es auch am Lehrertisch, zu dem Harry hinauf sah, nur um zu bemerken, dass Severus, Professor McGonagall und Professor Flitwick nicht anwesend waren. Vermutlich hatten sie schon gegessen und waren bereits beschäftigt, womit auch immer sie Dumbledore beauftragt hatte. Kein anderer war ja wohl für ihre Abwesenheit im Unterricht verantwortlich. Der Schulleiter wusste sicher wieder einmal mehr als der Rest der Schule und musste seine eigenen Gedanken und Überlegungen haben. Harry bezweifelte, dass irgendwer diesen Mann und seine Motive gänzlich verstand.

Als sie den Saal verließen, wusste Harry nicht einmal zu sagen, was er eigentlich an diesem Morgen zu sich genommen hatte. Nur dass er sicher war, etwas gegessen und getrunken zu haben. Zumindest knurrte ihm auf dem Weg zu den Gewächshäusern nicht der Magen.

In Kräuterkunde teilten sich Draco und Harry mehr zu dritt als zu viert erneut eine Arbeitsbank mit Terry Boot. Millicent, die mit ihm zusammenarbeiten sollte, legte ihren Kopf auf die Platte und schaffte es, bis zum Ende des Unterrichts nicht von Professor Sprout dafür ermahnt zu werden. Statt mit den anderen die Alraunen zu pflegen brachte sie die Zeit im Halbschlaf zu. Terry schien zwar verärgert über das Verhalten der Slytherinschülerin, doch er hatte, wie sie alle drei wussten, keinen Bedarf Millicent möglicherweise zu reizen, indem er sie zur Mitarbeit aufforderte.

Der Unterricht mit den Ravenclaws war im allgemeinen angenehm. Zwischen den beiden Häusern gab es selten Streitigkeiten, jedoch eine Art stille andauernde Rivalität. Terry Boot war zwar nicht wirklich mit Harry und Draco befreundet, aber weil sie oft zusammenarbeiteten, kamen sie ganz gut miteinander aus. Auch in diesem Unterrichtsblock nutzten sie die Zeit während dem Begutachten der Stängel und Blätter der Alraunen und schließlich der Untersuchung der Erde auf die richtige Konsistenz und Feuchtigkeit zum Gespräch.

Terry gratulierte Draco und Harry zu Beginn zu ihrem Sieg, wies sie jedoch darauf hin, dass ihre Flugfähigkeiten nicht dazu ausreichen würden, das Team der Ravenclaws im Frühjahr zu besiegen. Der Ravenclaw ließ sie wissen, dass ihm bekannt war, dass die Mannschaft seines Hauses in diesem Jahr in bester Form sei und dies sicher schon bald im Spiel gegen Hufflepuff beweisen würde. Fünf Galleonen wollte er im Januar auf sein Haus setzen. Und würde sie seiner Meinung nach doppelt zurückbekommen.

Über Quidditch zu reden, lockerte die angespannte Atmosphäre. Und Draco versicherte Terry im Gegenzug, dass Slytherin zwar sicher sowohl Hufflepuff als auch Ravenclaw platt machen würde, doch dass Ravenclaw freilich gute Chancen bei den Spielen gegen die beiden anderen Häuser haben würde. Das Team von Ravenclaw könne immerhin die zweitbeste Mannschaft werden. Doch gewinnen würden in diesem Jahr die Slytherins. Schließlich hatte ihr Team jetzt immerhin Draco höchstselbst zum Jäger. Einmal mehr bewunderte Harry die Selbstverständlichkeit, mit der sein Freund sich selbst zu loben im Stand war (und war sich im klaren darüber, dass seine Eltern dazu beigetragen hatten). Vor allem aber merkte er, dass das Gespräch seinem besten Freund sehr gut tat. Draco war nicht mehr so blass und seine Augen schienen stolz und fast schelmisch, als er Terry Schritt für Schritt erläuterte, warum und in welchen Punkten das Slytherin-Team jedem anderem überlegen war (seine eigene Unfehlbarkeit war natürlich einer der wichtigsten Gründe).

In sehr viel besserer Stimmung stiegen Harry und Draco nach Kräuterkunde hinab in die Kerker. Millicent folgte ihnen schweigend und mit festen Schritten, die klar machten, dass auch sie guter Laune war. Vermutlich. Ein paar der Schüler überlegten laut, ob sie denn wirklich in die Kerker gehen müssten, wo doch der Lehrer für Zaubertränke gar nicht anwesend sein würde. Aber letztlich fanden sich alle Zweitklässler der Slytherins und Gryffindors pünktlich ein. Keiner traute sich herauszufinden, ob ihr Lehrer nicht eine Möglichkeit hatte genau zu wissen, wer seinen Unterricht versäumt hatte. Harry traute das Severus im Übrigen durchaus ohne Weiteres zu.

Zu dritt gesellten sich die Freunde zu Hermine an ihre vertrauten Plätze. Wie sooft lag vor der Gryffindorschülerin ein neues dickes aufgeschlagenes Buch, dessen Seiten gelb-stichig waren und den Eindruck erweckten schon mindestens ein paar hundert Jahre alt zu sein.

Auf jedem ihrer Plätze lag außerdem ein einzelner Bogen Pergament mit einer Tabelle. Ein Blick auf die Tafel machte klar, dass sie die Unterrichtszeit nutzen sollten, um eine einfache kleine Testreihe mit verschiedenen gebräuchlichen Zaubertrankzutaten zu machen. Die anderen Schüler schenkten ihnen keine Aufmerksamkeit, deswegen war es leicht miteinander zu reden. „Das ist eine gute Gelegenheit“, sagte Hermine und sah nur kurz zu ihnen auf, bevor sie damit fortfuhr die Worte vor sich zu überfliegen und während dem Umblättern weiter redete.

„Ich denke, wir sollten die Aufgaben schnell erledigt haben und da wir gehen können, solange wir dies getan haben, wird uns das ein wenig zusätzliche Zeit geben.“

„Ah... ja.“, meinte Draco und schielte auf das Buch, „Sag mal, was genau liest du da eigentlich?“

„Das? Oh, ich hatte vorhin noch einmal überlegt. Was wir brauchen, das ist ein wenig mehr Wissen über das Schloss und ein paar bessere Möglichkeiten nachzuforschen. Seht ihr, bisher habe ich wenig über eine geheime Kammer finden können, nicht einmal in „Eine Geschichte von Hogwarts“, ich vermute mal, dass man versucht hat, die Kammer, nun ja, eben geheim zu halten.“

„Deswegen heißt es ja auch die Kammer des Schreckens sei eine geheime Kammer...“

„Mir kam aber in den Sinn, dass ich vielleicht mehr Erfolg in einem etwas älteren Buch haben könnte.“, fuhr Hermine mit einem ärgerlichen Blick auf den blonden Slytherin fort, „Das hier ist zwar eindeutig leicht überarbeitet, aber es ist eine sehr frühe Ausgabe von „Gründerzeiten“. Ich habe gehofft, das sich hier doch etwas finden könnte. Seht ihr, die erste Ausgabe ist fünfunddreißig Jahre nach der Gründung von Hogwarts geschrieben worden, was sich nach viel anhören mag, aber im Vergleich doch sehr viel verlässlicher ist. Es ist ein wirklich interessantes Buch, muss ich sagen...“

Sie brach ab, als mit dem Klingeln zum Unterricht eine leuchtend grüne Uhr vorne neben der Tafel in der Luft erschien. Eindeutig ein Zauber von Severus, um seine Schüler zu gemahnen die Stunde zu beginnen.

„Oh.“, sagte Hermine aus ihrem Redeschwall gerissen, fasste sich aber sofort und verstaute ihren dicken Wälzer. Die anderen drei warteten höflich, dann begannen sie gemeinsam die Aufgabe durchzugehen.

„Wir brauchen Gänseblumenwurzeln, Stachelschweinstacheln, zerriebene Granatapfelkerne und ein wenig Quarzsand.“, stellte Hermine fest.

Draco runzelte die Stirn. „Granatapfelkerne und Quarzsand sind ziemlich ungewöhnlich dafür, dass in der Aufgabenstellung etwas von gebräuchlichen Zutaten steht. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir eins von beidem je verwendet haben.“

Harry zuckte nur mit den Schultern. „Ich hol die Sachen.“, sagte er und stand auf, um zu den Zutatenschränken zu gehen, zu denen sich nun auch ein paar der anderen Schüler begaben.

Offenbar hatten immer je vier Schüler eine eigenes Quartett aus zu untersuchenden Zutaten. Wahrscheinlich, weil Severus nicht wollte, dass sie den Zutatenschrank zu sehr plünderten, während er nicht da war, um zu kontrollieren, dass sie nicht zu viel aus den verschiedenen Gläsern, Fläschchen und Flaschen verwendeten.

Harry hatte den Vorteil, dass er sich ganz gut auskannte und so nicht lange suchen musste, ein paar der anderen hatten jedoch nicht das Glück.

„Blutegel...“, murmelte Theo und sah nicht begeistert aus. Harry wies zu dem Gefäß ganz unten rechts im äußersten Regal und der andere Slytherin bedankte sich, wirkte aber nichtsdestotrotz verdrossen. Theo beklagte sich selten, aber Harry erinnerte sich, dass der er schon einmal geäußert hatte, dass er nicht gerne mit Blutegeln arbeitete. „Eklige Dinger.“, hatte er sie genannt. Weil Theo sich einen Tisch mit Neville, Dean Thomas und Pansy teilte, mutmaßte Harry, dass der andere Slytherin es wahrscheinlich dennoch für klüger hielt, die Verantwortung für das Suchen der Zutaten und die meisten Arbeitsvorgänge selbst zu übernehmen. Die anderen drei waren nicht wirklich die besten in dem Fach. Auch wenn das bei Neville wohl vor allem damit zu tun hatte, dass ihn Severus sooft verschreckte, während Pansy und Thomas sich schlichtweg einfach keine Mühe gaben.

Harry drückte Theo innerlich die Daumen und kehrte dann zu seinen drei Freunden zurück.

Sie begannen still zu arbeiten und die anderen taten es ihnen gleich. Bald waren im Klassenraum nur die blubbernden Kessel, das Schaben und Schneiden der Zutaten und ab und zu das Knirschen der Marmormörser zu hören. Nur dann und wann unterbrach sie der stille Austausch einer Gruppe an einem der Arbeitstische. Dafür, dass kein Lehrer anwesend war, ging es erstaunlich ruhig zu und Harry merkte, wie gut es ihm tat, sich allein auf die Zutaten und ihre Verarbeitung zu konzentrieren.

Sie waren als erste Gruppe fertig, worüber vor allem Hermine sichtlich zufrieden war. Sie räumten leise auf, dann legten sie ihre vier ausgefüllten Tabellen in eine Ablage auf dem Lehrertisch, die Severus bereitgestellt hatte. Daneben war ein Pergament mit der Aufforderung ihre Hausarbeiten darauf zu legen. Und Harry war nun doch recht froh über Hermines Beharren am Sonntag die Schularbeiten der Woche zu erledigen, während er Dean Thomas neben sich fluchen hörte, als auch dieser das Pergament bemerkte. Der Gryffindor hatte ganz offensichtlich darauf vertraut, dass er noch bis zu nächsten Stunde Zeit haben würde. Während sie ihre Sachen zusammenrafften und hinausgingen, hörte Harry noch wie Dean sich an einen der anderen Gryffindors wandte, um schnell noch ein paar Zeilen abzuschreiben. Sicher, dass es ihm mit all der Zeit möglich sein würde, dieses Problem leicht zu lösen, ließ er ihn und ihre Mitschüler zurück und schloss hinter sich und seinen Freunden die Tür.

„Lasst uns noch einmal den Ort besichtigen, an dem Mrs. Norris versteinert wurde.“, forderte Hermine sie leise auf, als sie im Gang vor dem Klassenzimmer standen, „Vielleicht können wir noch irgendetwas herausfinden. Mit etwas Glück ist gerade niemand in dem Korridor unterwegs.“

Also machten sie sich auf den Weg in den zweiten Stock. Nur um festzustellen, dass ihr Plan den Korridor erneut zu besichtigen ins Wasser fallen musste (sogar fast buchstäblich, da die Maulende Myrte den Gang überschwemmt hatte). Nicht jedoch wegen der glitschigen Steine unter ihren Füßen. Sondern weil die große dunkle Gestalt Severus' ihnen entgegenkam, kaum dass sie in den Korridor eingebogen waren.

Harry sah den Eingang zum Mädchenklo, in dem Myrte spukte, nur wenige Schritte entfernt. Immer noch stand neben der Tür der Schemel, auf dem Filch mehrfach Platz genommen hatte, um alle zu beobachten, die sich dem Bereich näherten. Harry argwöhnte, dass der Hausmeister seinen Sitzplatz auch immer noch in und wieder benutzt. Und er wusste vor allem, dass sie heute nicht daran vorbeigehen würden.

„Es ist nicht vernünftig von euch hierher zu kommen.“, sagte Severus, während er sich mit schnellen Schritten näherte. „Ihr könnt froh sein, dass ich damit gerechnet habe, dass ihr glauben würdet, jetzt sei ein guter Zeitpunkt, um herumzuschnüffeln. Argus hat erst vorhin noch den Korridor besichtigt, wegen diesem dummen Geist. Nichts als Ärger macht dieses Mädchen... und ihr seid zurzeit nicht besser.“

Er blieb vor ihnen stehen und sah Harry scharf an. „Vor allem du musst es besser wissen. Ich habe sehr wohl bemerkt, dass du nicht geschlafen hast, als du im Krankensaal lagst. Und ich wette...“, er ließ den Blick über Draco, Hermine und Millicent wandern, „...auch ihr wisst, was ich damit meine.“

Harry duckte sich unter seinem Blick. Severus' Laune hatte sich sichtlich nicht gesteigert.

„Sir“, fragte Hermine, „Wenn Sie hier sind, heißt das, dass Sie und die anderen tatsächlich eine Auszeit genommen haben, um Nachforschungen anzustellen? Heißt dass, das es wirklich eine Kammer gibt und dass Sie sie nun suchen?“

„Wir wollen wirklich nur wissen, was eigentlich passiert ist.“, ergänzte Draco. „Und unsere Unschuld beweisen. Das ist doch sicher nachvollziehbar...“

„Wir wollen keinen Ärger machen.“, fügte Harry hinzu und neben ihm nickte Millicent zustimmend.

Erst glaubte Harry, dass sie jetzt zu weit gegangen waren und es sich nun wirklich mit Severus verscherzt hatten. Er glaubte, er würde ihnen gleich Strafarbeiten erteilen oder ihnen zumindest ein paar Punkte für ihr Verhalten abziehen und sie mit einem wütenden Blick fortschicken. Dann aber senkte der Lehrer den Kopf und rieb sich die Stirn. Auf einmal sah er ungewöhnlich müde aus.

„Was soll ich nur mit euch machen?“, sagte er fast mehr zu sich selbst und klang wie jemand, der genug eigene Sorgen hatte, auch ohne sich um ein paar Schüler kümmern zu müssen, die dazu neigten in Schwierigkeiten zu geraten.

Vielleicht bemerkte er sein ihm untypisches Verhalten, denn er hob schnell den Kopf, streckte sich, setzte eine ärgerliche Mine auf und fuhr mit schnarrendem Ton fort: „Dafür, dass ihr eigentlich nicht dumm seid, neigt ihr viel zu sehr dazu, euch dort einzumischen, wo es euch nur schaden kann und euch viel zu leicht erwischen zu lassen. Daran hindern kann ich euch offenkundig kaum, aber euch helfen dabei in noch mehr Schwierigkeit zu kommen, werde ich auch nicht. Glaubt übrigens nicht, dass ich vergessen hätte, dass wir uns noch wegen der Angelegenheiten der letzten Zeit sprechen müssen. Wenn der Schulleiter es nicht für angebracht gehalten hätte, mich vom Unterricht mit dieser Unsinnigkeit abzuhalten...“

Er brach ab und ergänzte dann murmelnd: „Wenigstens war er vernünftig genug, den geschätzten Kollegen „Wunderknabe“ dazu zu bemühen uns nicht ins Handwerk zu pfuschen. Das einzige, was er bisher geleistet hat, ist mehr Chaos zu stiften und von seinen Heldentaten zu erzählen. Nicht dass wir ohne ihn mit dieser Aktion mehr Erfolg haben, die früheren Lehrer haben schon beim letzten Mal...“

Er stockte und die vier Schüler sahen ihn verwundert an. Ausgerechnet Severus, der immer aufmerksam war und sich nie ausfragen lassen würde, hatte sich verplappert. Und sie alle hatten es bemerkt. Harry hatte beinahe den spontanen Impuls zu prüfen, ob sein Hauslehrer krank war. Er fragte sich, ob er Remus vielleicht wirklich einen Brief schreiben sollte. Nicht der Kammer und der Vorkommnisse wegen, sondern um zu fragen, ob er wisse, was mit Severus vor sich ging, dass er sich so merkwürdig verhielt. Der Blick der sie jetzt traf, war jedoch der ihm wohlbekannte und war fast eine Beruhigung, wäre er nicht ein solche Drohung gewesen.

„Geht jetzt.“, zischte Severus, „Und hofft, dass ich euch heute nicht mehr sehe. Stellt euch darauf ein, dass ich euch noch diese Woche sprechen werde. Und ich behalte euch im Auge.“

Sie waren so verblüfft, dass sie sich jedoch nicht vom Fleck rührten.

„Braucht ihr vielleicht eine zusätzliche Aufforderung oder wollt ihr doch noch ein paar Strafarbeiten oder einen Punktabzug bekommen? Glaubt mir, wenn es euch wenigstens eine Lehre ist, bin ich durchaus bereit, meinem eigenem Haus Punkte abzuziehen und ich bin sicher, dass Professor McGonagall mir darin zustimmen würde. Geht!“

Das brachte sie wieder in Bewegung und schnell verließen sie die zweite Etage. Harry spürte jedoch deutlich Severus' Augen in seinem Nacken.

„Verdammt.“, sagte Draco, als sie im ersten Stock ankamen, „Ich glaube, wir haben gerade dafür gesorgt, dass Sev endlich doch jemanden umbringt... und die Leiche hinterher nicht versteckt...“ Harry überlegte, dass es vielleicht eine Chance gab, eine hoffnungsvolle naive Chance, dass Lockhart derjenige sein würde, an dem Severus seinen Ärger ausließ. Ihn würde er nicht vermissen...

Doch Hermine winkte ab. „Er sagte beim letzten Mal.“, sprudelte sie aufgeregt hervor, sobald sie außer Hörweite waren, „Natürlich, es ist ein wenig unglücklich, dass wir ihm gerade begegnet sind, wo er selbst in dem Korridor war und dass er ohnehin schon verärgert war... aber das ist so ein guter Anhaltspunkt, versteht ihr nicht? Wenn es ein letztes Mal gab und wenn er davon wusste, dann glaube ich nicht, dass dieses letzte Mal all zu lange her ist.“

Sie deutete auf ein Klassenzimmer, von dem sie wussten, dass es zu dieser Zeit leer und nie abgeschlossen war und ging hinein, wo sie zu einem der Tische ging, das Pergament aus ihrer Tasche zog und ihre Feder hervorholte, und auf den Tisch legte, um zu ergänzen: „Die Kammer wurde schon einmal geöffnet. Und das wahrscheinlich vor nicht allzu langer Zeit.“

„Was wir herausfinden müssen“, sagte sie, „Ist, wann sie geöffnet wurde, und was zu dieser Zeit geschehen ist. Ob es Verdächtige gab. Wer noch davon weiß, von wo oder wem wir mehr erfahren.“

„Ich glaube“, sagte Harry, der sich an die Worte und die Reaktionen des Schulleiters erinnerte, „Dumbledore war beim letzten Mal anwesend. Erinnert ihr euch, was er gesagt hat? Er meinte, dass die Kammer wirklich wieder geöffnet worden sei. Es macht Sinn, wenn er nicht zum ersten Mal solche Versteinerungen sieht. Ich frage mich nur... wenn sie beim letzten Mal keine Kammer gefunden haben, warum lässt er dann McGonagall, Flitwick und Severus danach suchen, und das ist es doch, was sie tun... denke ich.“

„Na, Dumbledore können wir schlecht befragen. Ich glaube kaum, dass man von ihm irgendetwas erzählt bekommt, was er nicht erzählen will. Keine Ahnung, ob es irgendjemand gibt, der weiß, wie der eigentlich tickt. Und was die drei angeht“, meinte Draco, „Ich denke vielleicht sollen sie nicht die Kammer suchen, sondern Schutzzauber oder so wirken. Klar, Dumbledore ist sicherlich recht eigen und, wie gesagt, schwer verständlich, aber ich vermute, er würde sich schon um die Sicherheit der Schüler sorgen... Er ist dafür verantwortlich, dass wir am Leben bleiben. Oder nicht?“

„Wer weiß. Wir sollten es hoffen. Mir kommt es zumindest immer so vor, als läge ihm letztlich das Wohl der Schule am Herzen.“

„Obwohl er Riesenhunde und Fallen in ihr unterbringt.“, murmelte Hermine und nickte.

„Nichts gegen Riesenhunde.“

„Na, Riesenhunde hin oder her, und ich bin übrigens froh, dass ich weiß, dass zumindest dieses Monster nicht mehr hier ist. Ja also, wie dem auch sei, selbst wenn Sev mithilft, denke ich, dass Schutzzauber nicht helfen.“, erklärte Draco, „Nicht solange nicht einmal irgendwem klar ist, wogegen wir geschützt werden sollen. Ich meine, klar, es gibt ein paar Sprüche, die für Sicherheit sorgen, aber es ist nicht so, dass es echte Universalzauber gegen alles und jeden gibt. Sonst würde irgendwer die ja garantiert bereits verwenden.“

„Mich beschäftigt da noch etwas anderes“, sagte Hermine, „Wenn die Kammer schon einmal geöffnet wurde, muss sie irgendwie auch wieder geschlossen worden sein. Vor allem muss es Versteinerungen gegeben haben, wie die von Mrs. Norris und Colin, ich kann mir nicht vorstellen, dass keiner der jetzigen Schüler davon weiß... Müsste es nicht zumindest ein paar Eltern geben, die sich daran erinnern?“

Harry dachte an Dumbledores verschlossene Art. War der Mann damals schon Schulleiter von Hogwarts gewesen? Oder nur einer der Lehrer? Und wenn jemand anders die Schule geleitet hatte, was hätte er getan? „Sie müssen es vertuscht haben.“, stellte er fest.

„Dann werden wir versuchen müssen etwas zu finden, das sie dabei übersehen haben. Ein loses Ende.“

„Guter Gedanke, aber wo?“

Hermine runzelte die Stirn. Dann seufzte sie.

„Ich fürchte, ich habe keine Ahnung. Und ich fürchte auch, dass ich mich in diesem Fall nicht wundern muss, wenn ich tatsächlich mit der Suche nach einer Antwort in Büchern erfolglos bleibe.“

Dazu ließ sich nun wirklich nichts mehr sagen.

Aber, so überlegte Harry, Hermine musste recht haben, wenn sie sagte, dass sie nicht alles vertuscht haben konnten. Zeit sich außerhalb von Büchern umzusehen.

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