
Kapitel 1
Es hatte eine Weile gedauert, bis Harry es begriffen hatte.
Zuerst hatte er gedacht, es handele sich einfach um gewöhnliche Scham. Harry hatte genug Beziehungserfahrung, um zu wissen, dass sich nicht jeder so wohl in seiner Haut fühlte wie er, dass manche Liebhaber ein wenig Überredung brauchten, um sich im wörtlichen und übertragenen Sinne zu entblößen. Und da die Beziehung zwischen ihm und Severus damals noch in den Kinderschuhen steckte, hatte er angenommen, dass er es mit freundlichen Worten und sanften Ermutigungen hinbekommen würde.
Wenn es allerdings nur zwei Dinge auf der Welt gab, die Severus verachtete, dann waren es freundliche Worte und sanfte Ermutigungen. Und so hatte Severus, als Harry ihn vorsichtig und behutsam berührt hatte, ihn mit seiner schroffen Art angeknurrt und Harry in die Lippe gebissen, so dass er einen blauen Fleck bekam.
Nein, Severus war nicht schüchtern, wenn es um seinen Körper oder dessen Funktionen ging - manchmal vorsichtig und gelegentlich ein wenig prüde (was Harry recht amüsant fand), aber keineswegs schüchtern.
Was Harry zu seiner nächsten unbedachten Vermutung führte, dass er Severus' Vorlieben vielleicht falsch interpretiert hatte.
Harry hatte so viele Partner gehabt, dass er sich ziemlich sicher war, zu erkennen, was ein Liebhaber wollte, welche Rolle er am liebsten spielen würde, und er war sich ziemlich sicher gewesen, dass Severus - mit der geschmeidigen Art, wie er die Hüften kreisen ließ, der Neigung seines Nackens, wenn er das Kinn über eine knochige Schulter streckte, dem feurigen dunklen Blick unter den peschschwarzen Wimpern, der wie glühende Kohlen loderte-
Severus wollte genommen werden. Harry war sich dessen sicher gewesen.
Und doch, jedes Mal, wenn Harry sich zwischen die langen, weißen Beine des Mannes begeben hatte, jedes Mal, wenn er seine Hände in die dunkle Furche zwischen den glatten Lenden geschoben hatte, hatte sich Severus' Körper angespannt, der Kiefer verkrampft und die sauber geschnittenen Fingernägel hatten sich warnend in Harrys Schultern gebohrt.
Bei jedem anderen hätte Harry es für Erregung gehalten, aber in den sieben Monaten, in denen sie nun schon zusammen waren, war er mit Severus' eigentümlicher Körpersprache vertraut geworden, hatte die versteckten Bedeutungen hinter den angespannten Schultern und den nach unten gezogenen Lippen, den geballten Händen und den geblähten Nasenlöchern erkannt.
Es war keine Erregung, es war ein einfaches und schlichtes Nein.
Harry begann sich zu fragen, ob seine Sinne ihn im Stich gelassen hatten. Obwohl er sich so sicher gewesen war, so überzeugt von seiner Vermutung... vielleicht hatte er Severus ja doch falsch eingeschätzt.
Und so hatte er sich, obwohl es nicht wirklich seine Vorliebe war, auf Händen und Knien vor Severus niedergelassen und sich selbst - sauber und glitschig und offen - angeboten
(Harry denkt nicht gern an das, was dann geschah - an die starre, mechanische Art, wie Severus ihn gepackt hatte, an die langwierige Mühsal, in der sie beide von kaltem Schweiß klebten und um eine Erlösung rangen, die keiner von ihnen gefunden hatte. Als Harry sich endlich auf seine Brust sinken ließ, Schweiß oder vielleicht auch Tränen in den Augen, war Severus aus ihm herausgeglitten und leise im Badezimmer verschwunden, und er hatte zwei Wochen lang kein Wort mit Harry gesprochen.
Als Harry ihn schließlich dazu brachte, einem erneuten Treffen zuzustimmen, lagen sie zusammen auf Harrys grünen Seidenlaken, Harry liebkoste Severus durch seine Hose hindurch, während der Mann etwas vor sich hin stammelte, was einer Entschuldigung näher kam, als alles was Harry bisher von ihm gehört hatte. Harry hatte ihn mit einem sanften Kuss zum Schweigen gebracht und Severus' Unterlippe in seinen Mund gezogen und seine eigene Entschuldigung mit der Zungenspitze ausgesprochen).
Danach ging es ähnlich weiter wie zuvor. Severus war nicht ganz so erregbar, wie Harry es zu sein pflegte, er hungerte nicht so sehr nach Befriedigung, aber sie kamen einander recht weit entgegen und ergänzten sich auch sonst sehr gut.
Und tatsächlich hatte Harry den Sex so, wie er war, sehr genossen. Das Spiel der Zungen und Zähne, die Hände, die über die feuchte Haut glitten, das lustvolle sich aneinander schmiegen, oder lange, zärtliche Streicheleinheiten, bei denen sich die Zehen kräuselten.
Und so hatte Harry das Mysterium beiseite geschoben und einfach Severus' eigenwilliger Art und seine rauen Seiten genossen, die alles andere als perfekte Art und Weise, wie jedes schroffe Stückchen von ihm zu Harry zu passen schien, wie ein lange verlorener Schlüssel, der in ein verrostetes Schloss einrastet.
Das heißt, bis vor zwei Wochen.
Sie hatten zusammen gelegen, sich aneinander gerieben, die Körper glitschig von dem nach Zimt duftenden Gleitmittel, das Severus gebraut hatte, und Harry war von einem fürchterlichen Tag aufgewühlt gewesen.
(Alexia Wood hatte Cassius Flint in seinem 2. Schuljahr Gryffindor/Slytherin als "Todesser-Abschaum" bezeichnet - ungeachtet der Tatsache, dass die Flints auffallend selten in Voldemorts Reihen zu finden waren und Cassius Flint selbst einer der nettesten Schüler war, die Harry das Vergnügen gehabt hatte, zu unterrichten, und eher nach Hufflepuff als nach Slytherin passte. Harry hatte versucht, es Alexia begreiflich zu machen, aber sie hielt an ihrem Irrglauben fest, was Severus bissig als "wahre Gryffindor-Manier" bezeichnet hatte.)
Severus hatte Recht gehabt, wie immer, und Harry war enttäuscht und wütend zugleich gewesen - auf sich selbst, auf sein Haus und auf den Krieg, der auch nach all den Jahren noch nicht ganz zu Ende war.
Er hatte sich umgedreht, sich zwischen Severus' herrlichen Schenkeln niedergelassen und sich fast schmerzhaft fest gegen den Mann unter ihm gepresst. Severus hatte es mit einer hochgezogenen Augenbraue zugelassen, und Harry hatte sie beide mit rauen Bewegungen seiner glitschigen Hand zum Höhepunkt gebracht, rasch und heftig.
Und in dem Augenblick, als er gekommen war, waren die Enttäuschung und der Zorn etwas anderem gewichen: einem ernsthaften, dringenden Bedürfnis zu verstehen, zu sehen - und im Gegenzug gesehen und verstanden zu werden.
In diesem Augenblick hatte ein unbeabsichtigter Hauch von Legilimenz Harry das verlockende Bild von Severus gezeigt, wie er sich in der großen Halle über den Lehrer-Tisch beugte und Harry wie wild von hinten in ihn eindrang und ihn zu einem wahnsinnigen Höhepunkt brachte, während seine langen, schlanken Finger Kelche und Besteck zu Boden warfen.
Es war eine reizvolle Fantasie - eine, die Harry sich inzwischen zu eigen gemacht hatte -, aber in dem Moment, in dem Harry sie gesehen hatte, hatte sich Severus aus dem Griff von Harrys Armen gewunden und war auf zitternden Beinen davongestürmt.
Harry hatte ihn gewähren lassen, da er schon früh gelernt hatte, dass Severus in einem Wutanfall unnachgiebig wie ein Felsen war, und hatte sich schweigend auf die schweißnassen Laken gelegt, während die Zeugnisse von Severus' Lust zwischen den Haaren auf seiner Brust trockneten.
Severus hatte es genossen, von Harrys Gewicht niedergedrückt und mit ein wenig mehr Druck angefasst zu werden. Mehr noch, in dem Moment, als er gekommen war, zuckend und zitternd in Harrys Händen, hatte er sich etwas vorgestellt, das so ziemlich dem entsprach, von dem Harry vermutet hatte, dass er es vor all den Monaten bereits gewollt hatte.
Und doch, wann immer Harry versucht hatte, es ihm zu geben, dieses unausgesprochene Verlangen zu stillen, von dem Harry nun definitiv wusste, dass es da war, hatte Severus sich verschlossen, sich abgekapselt, war durch Harrys Finger geglitten wie Rauchschwaden.
……………………
Es hat eine Weile gedauert, bis Harry alles zusammengefügt hatte, aber er glaubt, dass er es jetzt verstanden hat.
Severus ist zwar sanfter und warmherziger zu Harry, als zu anderen, aber er ist immer noch ein widerspenstiger Sturkopf mit merkwürdigen, fast unerklärlichen Angewohnheiten, die Harry erst jetzt wirklich zu verstehen beginnt.
(Severus schläft mit dem Rücken an der kalten Steinwand seines Kerkerquartiers und neigt dazu, beim kleinsten Geräusch oder der kleinsten Luftveränderung blitzschnell und alarmbereit aufzuwachen.)
(Wenn er nicht badet oder schläft, trägt er stets seine schlichten schwarzen Roben, die vom Nabel bis zum Hals zugeknöpft und mit Zaubersprüchen geschützt sind, von denen Harry noch nie gehört hat.)
(Er schreibt keine Briefe oder Notizen, führt keinen Terminkalender oder ein Tagebuch und spricht niemals ohne nachzudenken - jedes Wort ist abgemessen und präzise, als wäre es aus einem rauchenden Schmelztiegel in eine Form gegossen worden.)
(Er misstraut Geschenken, verabscheut Überraschungen und wird geradezu mörderisch, wenn er unvorbereitet überrumpelt wird - in den äußerst seltenen Fällen, in denen so etwas überhaupt möglich ist).
(Er bewahrt hinten in seinem Kleiderschrank einen Koffer auf, der etwa die Größe einer durchschnittlichen Aktentasche hat und mit einem Zauber versehen ist, von dem Harry annimmt, dass es sich um einen modifizierten unaufspürbaren Ausdehnungszauber handelt. Harry ist sich nicht sicher, was sich darin befindet, aber immer wenn er ihn sieht, muss er an die kleine Perlentasche denken, die Hermine bei sich trug während ihres sogenannten siebten Jahres).
Im Rückblick fragt sich Harry, warum er es nicht früher erkannt hat.
Hermine hatte nach dem Krieg mehrere Jahre lang einen Therapeuten aufgesucht und - wie es sich für Hermine gehört - Harry und Ron mit den Informationen überschwemmt, die sie gelernt hatte. Harry hatte das meiste davon vergessen; so sehr Hermine auch von der "heilenden Kraft der Katharsis" geschwärmt hatte, war Harry doch zufrieden damit gewesen, einfach weiterzumachen und sich in einem Leben vorwärts zu bewegen, das endlich frei von dem Wahnsinnigen war, der es zu beenden versucht hatte.
Wenn er jetzt daran zurückdenkt - an die Fülle von Vokabeln und Abkürzungen mit vier Buchstaben, die Hermine von sich gegeben hatte -, dann wird ihm bewusst, dass, so taub seine Ohren auch gewesen waren, die von Severus es vielleicht nicht sein würden.
……………………………..
Harry liegt quer auf dem Bett und seine Finger kraulen untätig die glatten Haare auf seinem Bauch.
Seine Augen sind halb geschlossen, schwer von den Nachwehen seines Orgasmus, aber er hält sie offen und beobachtet, wie Severus seine Unterhose wieder anzieht und dann in seinen Schlafanzug schlüpft.
Harry hat lange und intensiv über diese Angelegenheit nachgedacht. Er hat alle Szenarien in seinem Kopf durchgespielt, um herauszufinden, wie er das Thema am besten ansprechen kann. Ein subtiler Ansatz ist wahrscheinlich am besten, etwas Harmloses und Unverfängliches, damit Severus nicht gereizt ist.
Natürlich ist Subtilität nicht gerade Harrys Ding, und Severus ist immer gereizt, also-
"Vertraust du mir?" fragt Harry und beobachtet, wie Severus in die ergraute Strickjacke schlüpft, in der er schläft.
Severus ist wie immer äußerst vorsichtig. "In welcher Hinsicht?"
Harry zuckt leicht zusammen und versucht vergeblich, sich das nicht anmerken zu lassen. "Hier", murmelt er und macht eine vage Geste mit der Hand - unnötigerweise, denn Severus steht ihm abgewendet.
"Hier", wiederholt Severus tonlos.
"In diesem Zimmer", stellt Harry klar, obwohl er das Gefühl hat, dass Severus es bereits verstanden hat. "In diesem Bett. Mit dir ... Vertraust du mir?"
Severus stößt einen Seufzer aus, sein Rücken wölbt sich, während sich seine Schultern nach vorne beugen. Seine Wirbelsäule zerknittert den Stoff an seinem Hals und bildet kleine Wellen, die seinen halben Rücken hinunterlaufen.
"Es ist keine Frage von Vertrauen, Potter."
Harry stößt ein bitteres Lachen aus. "Ist es nicht?"
Severus antwortet nicht darauf, sondern fährt sich mit den Fingern durch die Haare, um ein paar Knoten zu entwirren und sie für die Nacht zurückzubinden.
"Du bist... tolerant", sagt er leise, "was meine Eigenarten angeht..."
Harry rollt mit den Augen und stützt sich auf die Ellbogen. Ich liebe dich", sagt er und kann sich gerade noch zurückhalten, "du Idiot" hinzuzufügen.
Severus hält kurz inne - so wie er es immer tut, wenn Harry diese Worte sagt, obwohl er sie inzwischen schon tausendmal gehört haben muss.
"Ja, das", sagt er und dreht sich zur Seite. Sein Gesicht ist scharf im Profil, die Kurven seiner Nase und seiner Wangenknochen seltsam und streng. Wunderschön, denkt Harry, wenngleich er es besser weiß, als das auszusprechen.
"Aber", fährt Severus fort, "es gibt Aspekte meines Charakters, die... nicht geändert werden können."
Harry runzelt die Stirn, presst seine Handflächen flach auf die Matratze und richtet sich auf, bis er mit dem Rücken an der Kopfseite sitzt.
"Ich will dich nicht ändern", entgegnet er, dann zuckt er mit der Schulter. "Und selbst wenn ich es wollte, könnte ich es nicht."
Severus wendet den Kopf zu Harry, hält aber seinen Blick gesenkt. "Was du nicht tust."
Harry nickt. "Was ich nicht tue, richtig."
Severus schweigt einen Moment lang, steht zwei Schritte von der Bettkante entfernt wie ein Stein, die Arme fest vor der Brust verschränkt.
Harry hat ihn immer für eine Art Statue gehalten - groß und schlank, mit strengen und scharfen Zügen, als hätte ihn ein verbissener Bildhauer gemeißelt. Aber da es gibt auch eine schwache Art von Schönheit, die harten Kanten, die von den Elementen aufgeweicht wurden - windgepeitscht und erodiert.
Harry stößt einen Seufzer aus. "Ich will dich nicht ändern", murmelt er wieder. "Ich... ich möchte dir etwas geben." Er hält inne und blickt zu Severus' markanten Profil auf. "Etwas, von dem ich weiß, dass du es willst."
Severus stößt einen müden Seufzer aus, die Schultern sinken tief, und Harry weiß, dass er verstanden worden ist. "Es war eine beiläufige Vorstellung, Potter, nichts weiter..."
"Lüg mich nicht an", unterbricht Harry in einem schärferen Ton, als er es beabsichtigt hatte. Er schüttelt den Kopf und lässt sein Kinn auf die Brust sinken. "Bitte", sagt er zu seinen Händen, die sich in seinem Schoß zu Fäusten ballen. "Du magst mir vielleicht nicht trauen, aber... Aber ich vertraue dir. Also bitte... lüg mich nicht an."
Severus schweigt einen kurzen, angespannten Moment lang. Dann senkt er sein Kinn und wendet sich Harry zu, wobei er seinen Blick gesenkt hält.
"Ich habe nicht gesagt", erklärt er, "dass ich dir nicht vertraue."
Harrys Kiefer krampft sich zusammen, aber er behält seine Stimme im Zaum. " Das musstest du auch nicht."
"Potter-." Severus stößt einen frustrierten Seufzer aus und presst seine Arme noch enger an seine Brust. "Es liegt nicht an dir, es ist-"
"Das weiß ich", flüstert Harry. Und er weiß es tatsächlich - jetzt, wo er sich die Zeit genommen hat, das alles zu enträtseln. Er weiß, dass Severus ihn schätzt - vielleicht liebt er ihn sogar, auf seine eigene Art. Harry weiß, dass der Kampf, den Severus kämpft - das Trauma, das ihn vor Anspannung erstarren lässt, das ihn daran hindert, auch nur einen Zentimeter nachzugeben, selbst wenn Harry weiß, dass er es möchte -, in ihm selbst tobt.
"Du blinzelst nicht oft", sagt Harry in die schwere Stille hinein. "Das hast du noch nie getan, seit ich dich kenne."
Ein Muskel in Severus' Kiefer zuckt, und endlich begegnet er Harrys Blick.
Es sind ungewöhnliche Augen - das hat Harry schon immer gedacht -, verschleiert und weit auseinanderliegend, in einem tiefen, matten Schwarz, das das Licht aufzusaugen scheint, das unter den schweren Brauen und dem Schwung der nachtschwarzen Wimpern noch mehr Schatten wirft. Sie haben etwas betörend Mystisches an sich, etwas Undurchsichtiges und Unergründliches - nicht anders als der Mann selbst.
"Ich ziehe es vor, meine Augen offen zu halten", sagt Severus schlicht und wendet sich dann dem Kamin zu.
Er erreicht ihn mit drei Schritten und entzündet mit einer Hand die geschwärzten Holzscheite auf dem Rost, und Harrys Blick wandert über die lang gezogene Linie seines Rückens, die breiten, knochigen Schultern, die sich um den vernarbten Hals zusammenziehen.
Harry hat sich immer gefragt, warum der Mann nicht einfach etwas braut, um die Narbe verschwinden zu lassen. Da Nagini tot und das Gift neutralisiert ist, unterscheidet sich die Narbe kaum von den Schrammen und Kratzern, die sich die Schüler ständig zuziehen - sie ließe sich leicht mit den Heiltränken wegzaubern, die Severus für Poppy braut. Und Harry weiß, dass der Mann sie verabscheut; er trägt hochgeschlossene Roben, um sie vor neugierigen Blicken zu verbergen, und er berührt sie niemals - er scheint es sogar zu vermeiden, sie anzuschauen, bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen Harry ihn in einen Spiegel hat schauen sehen.
Andererseits ist Harry klar geworden, dass Severus noch zahlreiche Altlasten aus dem Krieg in sich trägt, die er noch nicht überwunden hat.
Harry seufzt und lässt die Schultern tief hängen, als er murmelt: "Es ist jetzt zehn Jahre her."
Severus schnaubt ein trockenes Lachen und reckt sein Kinn über seine Schulter. "Ja. Und du bist jung genug, um das für eine lange Zeit zu halten."
Harry beisst die Zähne zusammen, vermeidet gerade so, auf die Provokation einzugehen und entgegnet milde: "Es ist länger als ein Wimpernschlag."
Severus schweigt einen Moment lang, dann brummt er leise und wendet sich wieder dem Feuer zu.
Harry hatte schon früh gelernt, dass Severus nicht wirklich über so etwas wie einen Aus-Schalter verfügt. Obwohl der Mann privat sanfter ist, zurückhaltender als seine übliche mürrische Persönlichkeit (so wie er jetzt zum Beispiel steht: im flackernden Feuerschein, die hageren Wangen rötlich im Nachglühen), ist diese nie ganz verschwunden. Er ist nie abgelenkt oder zerstreut, nie unaufmerksam. Er schweift nicht ab, ist nie in Gedanken oder Empfindungen versunken. Selbst im tiefsten, traumlosen Schlaf bleibt sein mildes Stirnrunzeln bestehen, seine feinknochigen Hände sind zu Krallen gekrümmt.
"Der Krieg ist vorbei", sagt Harry, obwohl er weiß, dass dies zumindest für Severus eine Lüge ist.
"Es gibt immer einen Krieg, Potter", schießt Severus zurück, "und ich werde immer...".
Er unterbricht sich selbst so heftig, dass Harry sich fragt, ob er sich auf die Zunge gebissen hat.
Harry wartet einen Moment, sein Blick wandert über Severus' Rücken unter der verschlissenen Strickjacke, doch Severus spricht nicht weiter.
Harry senkt sein Kinn. "...Ein Soldat sein?", bietet er leise an. "Ein Spion?"
"Ein Bastler, ein Schneider."
Harry seufzt. "Severus-"
Severus wirbelt herum, die Arme fest vor der Brust verschränkt. "Was soll ich deiner Meinung nach sagen?"
"Sag ja", fleht Harry.
"Ja was?"
"Ja, du vertraust mir", sagt Harry deutlich und starrt Severus fest in die schwarzen Augen. "Hier. In diesem Raum", seine Stimme wird leiser, die Tonlage sinkt ab, "...mit dir."
Severus starrt ihn einen langen Moment lang an, der immer angespannte Muskel in seinem Kiefer zuckt. Dann wendet er den Blick ab und stößt einen langen Seufzer aus.
Harry verkneift sich ein Lächeln - Severus verabscheut Selbstzufriedenheit leidenschaftlich - und streckt seine Beine aus, um unter die Bettdecken zu schlüpfen.
"Morgen Abend", sagt er sanft und schlägt die Ecke der Bettdecke zurück. "Ich werde kochen." Er klopft auf die Matratze und lädt Severus mit hochgezogenen Augenbrauen ein.
Severus rollt mit den Augen - wie er es immer tut, wenn er sich über Harrys trotzige Ausdauer amüsiert (oder sich über Harrys Belustigung ärgert) - und nähert sich dem Bett mit ein paar langen Schritten. Er gleitet hinein und dreht sich wie immer mit dem Gesicht zur Zimmertür, und Harry schmiegt sich an seinen langen Rücken.
Ein leises Rauschen löscht das Licht und taucht den Raum in das warme, flackernde Licht des Feuers. Harry seufzt in Severus' Nacken und lässt seine Augen zufallen.
Er ist fast eingeschlafen, als Severus flüstert: "Ich vertraue dir."
Harry lächelt mit offenem Mund, seine Lippen kleben an Severus' Haut, und er legt einen Arm um die Taille des Mannes und lässt sich vom langsamen, gleichmäßigen Rhythmus seiner Atemzüge mitreißen.