
“Ich hab keine Lust auf Hogwarts,” schnurrt der Junge mir ins Ohr und kuschelt sich weiter in meinen Arm. Sein Körper glüht noch immer. Unter der Bettdecke ist es eigentlich viel zu heiß, aber die Nähe, der Schweiß und die Hitze unserer Körper fühlen sich gut an.
“Es ist ja nur noch dieses Jahr,” antworte ich gedankenverloren, als ich mich kurz an mein siebtes erinnere. Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen, als ich an Voldemort denke und daran, was wir damals alles durchgemacht haben. Eine wilde Zeit.
“Ja, ich weiß. Trotzdem. Es langweilt mich einfach.”
Ich schüttele leicht den Kopf und schaue ihn an. Der Junge ist gerade mal siebtzehn, ich weiß, zu jung, aber es war ehrlich nicht so gewollt. Er hat schwarzes Haar, welches er normalerweise streng nach hinten gegelt trägt. Doch Strähnen hängen ihm ins Gesicht, runden das Bild vom kleinen Rebellen ab. Seine Augen sind hellblau und klar, seine Lippen zartrosa und leicht vernarbt. Von den vielen Schlägereien, meinte er einst zu mir.
Sein Nacken wird von einem kleinen Tattoo geziert, einem Hakenkreuz.
“Es ist nicht das, wonach es aussieht...”, hatte er einst zu mir gesagt und “Aber schön ausgeführt” hinzugefügt.
Ich war nicht begeistert gewesen, als ich es zum ersten Mal gesehen hatte. Im Gegenteil, der Schock saß zuerst tief. Zunächst einmal fragte ich mich, wie, in Merlins Namen, ein Sechzehnjähriger schon ein Tattoo haben konnte. Dann stellte ich mir die Frage, wieso ausgerechnet das und vor allem, wer zum Geier verschwendete kostbare Tinte an solch einem Symbol der absoluten Schande?
Er hatte unschuldig mit den Achseln gezuckt und etwas davon genuschelt, dass Frank ja Leute kannte.
Frank, das ist sein Ziehvater. Ich mag Frank nicht. Ich habe ihn bisher zwar noch nicht persönlich kennengelernt, aber das muss ich auch nicht, um zu wissen, dass er ein Arschloch vor dem Herren ist.
“Da musst du eben durch,” antworte ich knapp und justiere unsere Position ein wenig. Ich nehme meinen Arm weg und sitze aufrechter gegen die Rückenlehne des Bettes. Fragende Augen bohren sich in mich, bevor sie sich abwenden und nach dem Feuerwhiskey suchen.
Der Junge dreht sich von mir weg, schenkt sich nach. “Du auch?”, fragt er, doch ich verneine mit einem Kopfschütteln. Er sieht es nicht und macht auch mein Glas wieder voll.
“Hier.” Er reicht es mir und ich nehme es an.
“Also was ist?”, will er wissen und sitzt nun auch aufrechter. Er nimmt einen Schluck und kramt unter dem Kopfkissen eine Schachtel Zigaretten hervor. Ich mag es nicht, wenn er raucht, aber wer bin denn ich, dass ich es ihm verbieten könnte?
Ich räuspere mich kurz, dann frage ich ihn, wie sich Magie bei ihm das erste Mal gezeigt hat. Ich kenne die Antwort schon, weil mir Lily vor zwei Tagen davon erzählt hat. Ganz beiläufig sind wir auf den Jungen gekommen. Immerhin sind die beiden im selben Haus. Lily mag ihn sehr, weil er seit ihrer Einschulung auf sie aufpasst. Keiner wagt es, sie zu schikanieren oder ihr wehzutun, denn ansonsten bekämen sie es mit dem Jungen zu tun.
Denn er ist berüchtigt und gefürchtet, ein Außenseiter, aber dennoch beliebt. Niemand will sich mit ihm anlegen, denn James Kent fürchtet keine Auseinandersetzung. Seine Fäuste schlagen schneller zu, als man den Zauberstab zücken kann. Flüche liegen locker auf seiner Zunge, jederzeit einsatzbereit.
Bereits in seinem ersten Jahr war ich damals aufmerksam auf ihn geworden, weil er einen Hang dazu hatte, die Schule aufzuwirbeln. Im dritten Jahr, dann, als Albus gerade in seinem ersten war, hatte er sich mit ihm in die Haare bekommen – ihn mutwillig verhext, ihn Scheiß Slytherin genannt.
Ich war mehr als wütend. Und dennoch hatte ich ihm schnell verzeihen können. Es war dann, als ich mich das erste mal mit dem Jungen länger unterhielt.
Schnell fand ich seine Umstände heraus. Ein Waise, der mittlerweile bei Frank, einem Muggel, lebte, in einer kleinen Stadt in Devon. Seitdem hielt ich Kontakt zu ihm, auch wenn Frank stets den meisten Einfluss auf ihn hatte. Doch unsere Briefe wurden schnell zur regelmäßigen Kommunikation und sogar während der laufenden Semester besuchte ich ihn. Auror Harry Potter hat schließlich Narrenfreiheit bei solchen Dingen. Und so verbrachten wir viel Zeit auf dem Astronomieturm, unterhielten uns stundenlang, starrten oft die Sterne an.
Bei Merlin, der Kuss war damals nicht gewollt. Er war einfach passiert. James war gerade mal fünfzehn gewesen. Die einzige Rechtfertigung, die ich dafür habe, ist, dass er den Kuss selbst initiiert hatte. Er hatte ihn gewollt.
James runzelt die Stirn und nimmt noch einen weiteren Schluck, bevor er mich fragt, wie ich denn jetzt darauf komme.
“Einfach so,” sage ich und kratze mich verlegen am Hinterkopf. Lügen war noch nie meine Stärke, dabei wäre ich gerne so viel besser darin. Aber mir sieht man es an.
Er schaut träumerisch ins Glas. Seine Mundwinkel zucken kurz.
“Ich war sechs oder sieben, es passierte während eines Ausflugs in den Zoo.” Er stellt das Glas zur Seite und kuschelt sich wieder ins Kissen, sodass er nun zu mir aufsehen muss.
“Ich weiß nicht mehr genau, wie oder was passiert ist, außer, dass man mich aus dem Wasser bei den Pinguinen gezogen hatte. Die Scheibe war verschwunden und irgendwie hatte ich plötzlich Lust, mit ihnen zu schwimmen. Ich mochte, wie sie rumwatschelten und dann ins Wasser sprangen und rumplantschten.”
Ein Lächeln huscht über seine Lippen, während sich mein Magen verkrampft.
“Ich meine, keine Ahnung, ob es das war, weißt du? Aber ich denke mal, dass eine Scheibe nicht einfach so mal verschwindet. Das...das muss das erste Mal gewesen sein.”
Ein Kloß bildet sich in meinem Hals, mir wird noch heißer als mir sowieso schon ist.
Er schaut vom Glas auf, direkt in meine Augen. Ich weiche seinem Blick sofort aus, trinke stattdessen hastig auch einen Schluck, was ich direkt bereue. Ein Zischen huscht durch zusammengepresste Zähne, fuck, der ist stark.
“Wie war das bei dir?”, fragt er, unbeirrt. Die Zigarettenspitze glüht kurz auf, dann haucht er ein paar Ringe aus, die kurz in der Luft tanzen, als wäre ihre Existenz von Bedeutung.
Seitdem ich James kannte, hatte mich der Gedanke nicht losgelassen, dass er vielleicht mein verlorener Sohn sein könnte.
Ich war damals mit Anfang zwanzig einfach noch nicht bereit gewesen, hatte mich nicht unter Kontrolle. Schlimme Dinge hatte ich unserem Baby antun wollen, und die Röte der Scham steigt mir noch immer beim bloßen Gedanken ins Gesicht.
Wir hatten James zur Adoption freigegeben, weit weg, fernab von den Gefahren, die sein Vater für ihn bereithielt.
“Ich...war mit meiner...mit Verwandten im Zoo,” beginne ich und wage es kaum, James anzusehen. Doch aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich die Farbpartikel in seinen Augen neu ausrichten. Sie blitzen kurz auf, dann erlischen sie. Hellblau ist plötzlich grau.
“Ich bemerkte plötzlich, wie eine Schlange mit mir sprach. Ihr war langweilig, sie wollte raus.”
Asche fällt auf die Bettdecke und brennt sich hissend ein. Die Zigarette wartet geduldig zwischen Zeige- und Mittelfinger.
“Dann war die Scheibe plötzlich weg...”
James nickt kaum merklich, dann gleitet sein Blick an die Decke.
“Wieso hast du es mir nie gesagt?”, fragt er ruhig, doch ich ahne, dass es in ihm brodelt.
“Ich habe es nicht gewusst.” Das war die Wahrheit. Ich hatte es vielleicht geahnt, ja. Aber spätestens nach dem ersten Kuss hatte ich die Möglichkeit verworfen, den Wunsch, dass James mein Junge sein konnte, abgelegt. Ich wollte nicht mehr, dass er mein Junge ist.
“Hmm,” gibt er von sich und setzt sich auf. Die Zigarette ist vollends abgebrannt; er wirft den Stummel beiseite und steht auf. Die Bettdecke wird aufgewirbelt, als er mit Schwung aus dem Bett steigt und beginnt, seine Sachen zusammenzusuchen.
Als er sich bückt, um sein Poloshirt zu heben, krümmt sich das Hakenkreuz vor Lachen.
“James, bitte. Hör mir zu. Ich habe es nicht gewusst.”
James schnalzt neckisch mit der Zunge und winkt ab.
“Keine Sorge, Dad.” Er fährt sich durchs Haar und streicht die Strähnen ordentlich zurück. “Weißt du, was der Sprechende Hut damals zu mir gesagt hat?”
Er zieht seine Hose hoch und schnallt sich den Gürtel um. “Er sagte: Oh, ein Potter!”