
Der erste Schultag
01 . September 1976
Das 6. Jahr begann natürlich wieder ganz genauso, wie die Schuljahre in Hogwarts immer anfingen: mit Tränen der Trauer.
Diesmal allerdings nicht mit denen von Diane; wahlweise wegen Heimweh, Prüfungsangst oder einem Trottel aus Gryffindor; nein, es war meine Mum, die sich mit dem Weinen einfach nicht zurückhalten konnte. Als wir am Gleis 9 3/4 ankamen und es Zeit war, Abschied zu nehmen, riet sie mir eindringlich, mich unauffällig zu verhalten und, denn das wäre am besten, einfach nichts zu sagen. "Gute Idee, Mum" antwortete ich dummerweise, "wenn also Du-weißt-schon-wer vor mir steht und mich auf seine Seite holen will, sage ich einfach gar nichts und dann wird er schon wieder verschwinden." Das war wirklich nicht mein bester Spruch gewesen, denn sie schnappte angsterfüllt nach Luft und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ich versuchte noch, mich zu entschuldigen, aber sie ließ mich ohne ein Wort stehen und apparierte zurück nach London, vermutlich erstmal ins St. Mungos, um sich einem Beruhigungstrank einflößen zu lassen. Cheryl, welche die Szene aus dem Hintergrund beobachtet hatte, fand meine Reaktion jedoch famos. "Manche Leute glauben doch wirklich, wenn sie sich zurückhalten und die Situation einfach ignorieren, wird man sie in Frieden lassen. Dämlich, einfach nur dämlich. Wir müssen alle zusammenhalten und kämpfen!" Bevor ich ihr zum wiederholten Male erklären konnte, dass nun mal nicht jeder als Kämpfer geboren wurde, war sie auch schon wieder verschwunden, um ihre Freundinnen aus Gryffindor zu begrüßen.
"Hallo Helena, war was mit deiner Mum?" hinter mir tauchten die Zwillinge auf und schlossen mich nacheinander in die Arme. Na toll, sie hatten es bemerkt. "Sie macht sich Sorgen, wegen der ganzen Situation, am liebsten wäre ihr, ich würde gar nicht mehr nach Hogwarts gehen." antwortete ich kurz angebunden. Ich hatte keine Lust, meinen Fehltritt nochmal niederzulegen, zumal Cheryl es spätestens heute Abend im Schlafsaal erzählen würde und die beiden es sicher wenig lustig fänden. Außerdem gab es wichtigeres zu besprechen: "Am besten suchen wir uns jetzt gleich einen freien Waggon, sonst müssen wir wieder bei sonst wem sitzen. Ich hab schließlich noch was für euch."
Vor zwei Wochen waren die beiden 16 Jahre alt geworden und hatten eine Feier gegeben. Keine große, nur ein paar Mitglieder aus Dianes Freizeitclubs (größtenteils Hufflepuffs), ihre Cousine Emmeline und Cheryl nahmen teil. Natürlich war ich auch eingeladen, durfte allerdings nicht hingehen. "Kind, so eine große Ansammlung von Zauberern ist doch eine wunderbare Gelegenheit für einen Angriff!" behauptete meine Mum panisch. Doch mein Zureden, dass die Todesser sicherlich bessere Ziele verfolgen, als bei einer Geburtstagsparty zweier sechzehnjähriger Hexen Angst und Schrecken zu verbreiten, stimmte sie leider nicht milde. So musste ich zu Hause bleiben und konnte meine Glückwünsche nur per Eule übermitteln. Geschenke wollte ich Ihnen persönlich übergeben, schließlich waren es meine besten Freundinnen, vor allem Deborah.
"Oh, wie schön. Neue Spielsteine! Danke Helena!" rief Diane begeistert und fiel mir um den Hals. Sie war Vorsitzende des Koboldstein-CIubs und merkte nicht, dass sie die meisten, vor allem aber Cheryl, für diese Passion eher belächelten. Für Debbie und mich war es völlig in Ordnung, einer unkonventionellen Beschäftigung nachzugehen und dazu zu stehen. Besser als Quidditch, was zum größten Teil Cheryls Leben einen Sinn gab, war es allemal. Deborah freute sich ebenfalls sehr über mein Geschenk. Für sie hatte ich ein Buch ausgesucht, welches auch mir sehr gefiel. Wir hatten einen ähnlichen Geschmack (und ähnliche Ansichten, wofür ich sehr dankbar war), somit war ich auf der sicheren Seite.
Der Hogwarts Express fuhr endlich los und ließ den Bahnhof hinter sich. Merlin sei Dank, ich wollte nur noch weg. Was sollte ich Mum denn nur schreiben? Vielleicht wusste Debbie ja einen guten Rat. Obwohl, wenn ich sie mir so ansah, wie sie aus dem Fenster blickte und mit ihrer Strähne spielte, meinte ich fast zu wissen, dass sie selbst einen gebraucht hätte. Diane betrachtete noch immer freudestrahlend ihre neuen Steine. "Die muss ich gleich den anderen aus dem Klub zeigen. Kauft ihr ein paar Schokofrösche für mich? Galleonen sind vorn in meiner Tasche." Ihre Schwester nickte freundlich: "Klar, geh nur, das machen wir." Kaum hatte Diane unser Abteil jedoch verlassen, änderte sich Deborahs Gesichtsausdruck. "Endlich ist sie weg. Ich dachte schon, sie bleibt die ganze Zeit hier." Ich war verwundert. Klar, Diane war sehr eigen und nervte manchmal, aber das sich Deborah über ein Verschwinden ihrer Schwester so erfreute, war mir neu. "Habt ihr Streit? Ich habe schon gemerkt, dass du bedrückt wirkst. Ist es wegen ihrem Idioten?" Die beiden waren sehr verschieden, kamen aber gut miteinander aus - auch weil Debbie sich mit Kritik meist zurückhielt. Sie schüttelte den Kopf. "Nein, alles in Ordnung. Aber was ich dir jetzt erzählen werde, soll sie nicht wissen. Habe zuviel Angst, dass sie es versehentlich weitererzählt. Erst hab ich überlegt, es Chreyl anzuvertrauen, aber naja, du kennst ja Cheryl..." Jetzt war ich wirklich gespannt: "Na los, nun erzähl schon. Was ist den passiert?" Deborah zierte sich noch ein wenig. Seltsam, so kannte ich sie nicht. Zwar waren wir beide nicht allzu gesprächig, doch Geheimnisse hatten wir keine voreinander. Über Dinge, die uns beschäftigten, sprachen wir ohne Hemmungen.
"Ach, es ist mir so unangenehm. Wenn es sich rumspricht, das wäre das Ende..." Sie errötete und begann wieder, nervös mit einer Haarsträhne herumzuspielen. "Nun spucks schon aus. Ich werde niemandem etwas erzählen, schon gar nicht Cheryl oder Diane." Mit anderen Leuten redete ich eigentlich auch nur dann, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Deborah ging es stets genauso. Zumindest bis vor einigen Wochen...
"Erinnerst du dich an meinen letzten Brief? In dem ich mich aufregte, weil ich widerwillig mit meiner Familie die Lupins besuchen musste." Ich nickte. Natürlich hatte ich das nicht vergessen. Die Jones' und die Lupins waren sehr gute Freunde, doch ihre Kinder hatten immer wenig Kontakt zueinander gehabt. Ehemals trafen sich nur die Elternpaare, aber in Zeiten wie diesem ließ man seine Kinder nicht allein, das war vollkommen verständlich. Trotzdem tat Deborah mir in diesem Moment ausgesprochen leid - eine ganze Woche mit einem der Rumtreiber zu verbringen, wäre mein schlimmster Albtraum. Auch hier waren wir einer Meinung - zumindest damals... "Erst fand ich es ganz schlimm und weigerte mich, mehr Zeit als nötig mit ihm zu verbringen. Ich habe das Gästezimmer kaum verlassen und mich in meine Bücher vertieft. Diane hing, wie sollte es auch anders sein, die ganze Zeit an Remus und hat versucht, neue Informationen über Potter zu bekommen." Ich nickte und verdrehte wohlwissend meine Augen. Diane war schon länger in James Potter verknallt und nervte uns nur zu gern damit. "Sie sind gut zurechtgekommen, er ist ja sehr geduldig, sie spielten gemeinsam Koboldsteine und er hat sie auch mit ins Dorf genommen, um ihr seine Lieblingsplätze zu zeigen. Soweit, so gut, es war mir nur recht, ich hatte meine Ruhe. Nach einigen Tagen, es war schon recht spät, kam Remus in mein Gästezimmer. Du musst wissen, die Lupins haben zwei davon, meine Eltern und Diane schliefen im anderen, ich hatte eins für mich allein..."
Nun kam wohl der springende Punkt. Was wollte er so spät von Debbie? Hoffentlich nichts anstößiges, dafür waren die Rumtreiber, vorallem Black, dieser Idiot, doch bekannt. Meine Freundin erzählte weiter: "Er fragte mich leise, ob ich schon schliefe und ich war so überrascht, dass ich mich aufsetzte und ihn verwundert ansah. Dann fragte er, ob er hereinkommen könnte und ich dachte nur, was für eine blöde Frage, er ist doch schon im Zimmer. Das sagte ich ihm dann auch und er lachte. Ihr Ravenclaws, meinte er dann, ihr seid so klug, manchmal wäre ich gern in eurem Haus." Um Merlins Willen, noch jemand, der sich seinem Haus nicht zugehörig fühlt. Aber warum er? Die Rumtreiber, das waren DIE Gryffindors, jede Faser ihres Körpers schrie nach Abenteuer. Ich wollte keinen in Ravenclaw sehen, sonst würde ich direkt meine Koffer packen und nach Hause fliegen. Debbie schien anderer Meinung: "Und dann haben wir lange geredet, über seine Freunde, die er zwar liebt und denen er zutiefst dankbar ist, denen er sich oft aber nicht ganz zugehörig fühlt, weil er so anders ist als sie.." Ich war verwundert. Für mich waren alle vier gleich. Laut, immer im Mittelpunkt, arrogant, Gryffindors eben. Obwohl, wenn ich es mir recht überlegte, so waren eigentlich nur Potter und Black, die anderen beiden merkte man kaum. Pettigrew eiferte Ihnen stets nach, um zur Elite dazuzugehören, es war meistens peinlich anzusehen, und Lupin? Der war zwar immer dabei, aber außerhalb des Unterrichts hatte ich ihn nie großartig reden hören. Cheryl hatte ihn stets als "Langweiler, aber sehr nett" beschrieben. "Wofür ist er ihnen denn dankbar? Das er der beste Schüler aus Gryffindor ist?" Sie schüttelte den Kopf: "Nein, sie sind ihm wirklich gute Freunde. Seitdem wir redeten, sehe ich die Rumtreiber in einem ganz anderen Licht. So blöd, wie wir früher dachten, sind die gar nicht." So schnell kann es also gehen...
"Und das willst du vor Diane geheimhalten? Ihr erzählt euch doch sonst auch alles." Debbies Gesicht nahm einen leichten Rotton an und begann schon wieder, ihr dichtes Blondhaar mit dem Zauberstab einzudrehen. Wenn sie so weitermacht, wird sie bald mehr Locken haben als ihre Schwester. "Das meinte ich nicht, das hab ich ihr auch schon erzählt. Die restliche Zeit des Besuches verbrachten wir ja dann auch zu dritt. Sie fand die Rumtreiber ja schon immer toll. Aber ich glaube, dass ich mich... naja, wie soll ich es sagen... ach, egal, das Kind ist schon in den Kessel gefallen, jetzt muss es gesagt werden: ich hab mich in Remus verliebt."
Das saß. Ich war am Boden zerstört. Jetzt war auch noch Debbie vom Rumtreiber-Fieber infiziert. Gegen jede Art von Fieber gab es bon Madam Pomfrey ein Gegenmittel, nur gegen dieses gab es keines, sonst wäre nicht die halbe Schule damit infiziert. Ich war nun die einzige Ravenclaw der 6. Klasse, die es noch nicht erwischt hatte. Sogar meine Debbie, meine liebe Debbie. Das kann doch nicht wahr sein. "Du kennst ihn doch kaum, du hattest vorher gar nichts mit ihm zu tun." Verzweifelt versuchte ich, sie wachzurütteln. Doch es brachte natürlich nichts: "Doch, ich kenne ihn schon recht gut. Man kann nicht fünf Jahre auf dieselbe Schule gehen, ohne einiges über einen Menschen festzustellen. Was ich bis jetzt nur nie erkannte... er ist perfekt. Er ist so höflich, so intelligent, so hilfsbereit... und sieht einfach klasse aus." Na toll. "Ja, also wenn man auf blasse, schlaksige Bohnenstangen mit vielen Kratzern und Narben steht, ist er sicherlich der absolute Traum. Wo kommen die eigentlich her? Hättest ihn lieber mal gefragt, ob er in seiner Freizeit wirklich gern mit der peitschenden Weide kämpft." Debbie wollte mir wohl eine empörte Antwort geben, aber in genau diesem Moment öffnete sich die Tür. Diane kam herein, mit Cheryls Kröte Dolly auf dem Arm - und es war wie jedes Fall faszinierend, wie schnell ihre Schwester von einem Zustand in den nächsten wechseln kann. "Di, es ist wirklich nicht deine oder gar unsere Aufgabe, Cheryl ihre Tiere hinterher zu tragen. Du solltest nicht deine Zeit dafür opfern, nur weil ihr alles egal ist" Das stimmte allerdings nicht, was Debbie ebenfalls wusste. Cheryl würde es nie zugeben, aber sie liebte ihre Dolly tatsächlich. Sie war schließlich das Einzige, was von ihrer Familie geblieben ist (bis auf ihre Tante, nach der sie ihre Kröte wegen äußerlicher Ähnlichkeit benannt hatte, aber mit der wollte Cheryl nichts zu tun haben - angeblich wäre sie schlimmer als ein ungarischer Hornschwanz.) So war ihr Haustier nun alles, aber besonders kümmerte sie sich nicht drum. Meistens übernahm Diane das Füttern oder rettete sie vor frechen Erstklässlern - so wie jetzt. "Ein Zweitklässler hat versucht, sie in ein Tintenfass zu verwandeln. Das konnte ich doch nicht zulassen!" Debbie und ich blickten uns grinsend an. "War das wieder der Vorlaute mit den goldenen Locken? Das hätte er eh nicht geschafft." "Bring sie mal zu Cheryl, die ist immer noch bei den Gryffindors. Das ist ihr dann schön peinlich vor ihrem hippen Freunden."
Endlich waren wir angekommen. Die Zwillinge und ich traten auf das Bahngleis heraus und ich atmete - wie jedes Jahr - zu allererst die angenehme Waldluft ein. Als Stadthexe war ich das gar nicht mehr gewöhnt. Aber die wunderschönen, naturbelassenen Ländereien beeindruckten mich noch immer. Hier gab es alles, was es in London nicht gibt: Einhörner, große Wälder und vorallem: Die Natur durfte noch Natur sein. Manchmal glaube ich fast, die Muggel haben Angst vor der Natur und wollen sie nicht um sich haben - sonst würden sie doch nicht jede Ecke mit Häusern und jedes Haus mit Technikkram verbauen. Von Elektronik war hier nichts zu sehen. Hogwarts war noch immer so wie vor 500 Jahren und wird es sicher auch die nächsten fünf Jahrhunderte so bleiben.
Debbie und Diane sahen sich nach bekannten Gesichtern um. Ich selbst vermied sowas immer. "Schau mal Debbie, ich glaub, James hat uns gerade zugewunken!" Di war mal wieder in ihrem Element und hob die Hand in Richtung ihres aktuellen Traummannes. "Unsinn, er hat Hagrid gegrüßt, der steht dahinten und wartet auf die Erstklässler." Dolly war in diesem Moment natürlich von Dianes Arm in das Haar einer Slytherin aus dem siebten Jahrgang gesprungen, welche sich nun zur Übeltäterin drehte, um ihr schlimme Fluchschäden zu wünschen, falls sie ihre Kröte noch einmal auf sie losließe. Das Schuljahr konnte beginnen.
Als wir die große Halle betraten, saß Cheryl bereits an ihrem Stammplatz - dem Gryffindortisch. Viel lieber wäre in das Haus der Löwen eingeteilt wurden, das war ein offenes Geheimnis. Direkt sagte sie es nicht mehr, aber meist war es schon offensichtlich.Vor drei Jahren begleiteten wir sie zu Dumbledore, um sich erneut der Prüfung des Hutes zu unterziehen. Doch zu ihrem Leidwesen rief er, kaum hatte er den Haaransatz berührt, wie schon im ersten Schuljahr: "Ravenclaw!" und ließ nicht mit sich reden. "Nun, so entschlossen und hartnäckig ist er in den vielen Jahren, in welchen ich hier unterrichte, nur selten gewesen. Er sieht in Ihnen den Geist und die Raffinesse einer Ravenclaw, seien Sie stolz darauf." hatte unser Direktor gemeint und Cheryl freundlich die Treppe heruntergeleitet.
Doch besagte Ravenclaw war entzürnt: "Dieser uralte Hut, was soll der schon über mich wissen? Der funktioniert sicher nicht mehr richtig, der soll mal repariert werden." Da sie quasi bei Muggeln aufwuchs, verstand sie manchmal nicht, das Magie nicht so funktionierte wie technische Geräte. Mittlerweile ist sie aber durch ihre vielen Freunde in unserer Welt der Magie in manchen Teilen besser kundig als ich oder die Zwillinge.
"Die kommt wohl jetzt gar nicht mehr an unseren Tisch?" Doch, sie wird kommen... Professor McGonagaII betrat die große Halle und blickte zu ihrem Haustisch. Mit einem Schlenker ihres Zauberstabs beförderte sie Cheryls Stuhl an unseren Tisch. "Ich kann gar nicht verstehen, wie der sprechende Hut sie jemals nach Gryffindor einsortieren konnte, der ist doch wirklich total senil..." Aber eigentlich mochte sie die Hauslehrerin ihrer liebsten Freunde, ebenso wie wir alle.
Debbie blickte noch immer zu besagtem Tisch, natürlich in Richtung der Rumtreiber.
Die waren allerdings so beschäftigt mit Gesprächen, dass sie sonst nichts um sich herum mitbekommen. Wahrscheinlich planten sie gerade ihren nächsten, kindischen Streich... Di folgte dem Blick ihrer Schwester: "Oh, James sieht heute wieder klasse aus, findet ihr nicht auch?"
Cheryl verdrehte die Augen und nahm sich einen Löffel, allerdings nicht um zu essen, sondern um in der Spiegelung ihren Pony zu betrachten. Zum Abendessen gab es für sie nur Salat - "ansonsten falle ich beim nächsten Spiel vom Besen, ich mache Sport, im Gegensatz zu euch!" Di hätte Dolly gern zurückgegeben und auch die neuen Koboldsteine präsentiert, aber das interessierte Chreyl gar nicht. Sie erzählte vom ABBA-Konzert, welches sie gemeinsam mit Mary besucht hatte, von Dorcas l neuem Freund ("Ein Muggel! Das ist so typisch Cassy!") und von Lilys Schwester. Die hatte wohl einen schrecklich unsympathischen Mann kennengelernt, den Leiter einer größeren Firma für Bohrmaschinen. Auf meine Rückfrage, was denn das sei, verdrehte sie die Augen und wollte schon mit einer hochnäsigen Erklärung anfangen (Aber wehe, wenn ich so mit ihr reden würde!), als uns eine Zweitklässlerin unterbrach: "Wer von euch ist Helena Abbott?" Scherzhaft deutete ich auf Debbie. "Ich hab hier eine Nachricht von Professor Flitwick für dich." Was könnte er denn von mir wollen? Hatte meine Mutter ihm etwa geschrieben? Das sähe ihr absolut nicht ähnlich, jedoch hatte ich auch keine andere Idee, um was es gehen könnte. Ich war eine unauffällige Schülerin und keine Inhaberin einer Position in einem der Schulclubs. Debbie hatte das eingerollte Pergament inzwischen geöffnet und las: "Liebe Miss Abbott, bitte kommen Sie nach dem Festmahl auf ein Wort in mein Büro. Ich möchte gern etwas mit Ihnen besprechen" Mysteriös, mysteriös. Auch beide Zwillinge waren ideenlos. Von Cheryl kam auch nichts konstruktives. "Vielleicht hat er sich ja in dich verliebt und will um deine Hand anhalten. Größenmäßig passt ihr wunderbar zusammen, hahaha!" Ich lachte nicht mit.
Nachdem auch der letzte Schüler seinen Schokopudding aufgegessen hatte und sich auf den Weg in seinen Gemeinschaftsraum machte, stand ich vor der Tür von Flitwicks Büro. Ich klopfte und die Tür schwang auf. Der Professor war gerade mit der Sortierung von Pergament beschäftigt, doch als er mich sah, ließ er seinen Zauberstab allein weitermachen. Ob ich das je auch so gut können werde?
"Ah, guten Abend, Miss Abbott, wie schön, dass sie gekommen sind. Geht es Ihnen denn gut? Hatten Sie schöne Ferien?" Ich nickte. Eigentlich waren es tatsächlich gute Ferien gewesen. Wegen Mums Panik durfte ich zwar kaum raus, hatte aber somit viel Zeit zum lesen. War auch nicht schlecht. "Ja, hatte ich. Wollten Sie mich deshalb sprechen?" Er schüttelte traurig den Kopf. "Oh nein, leider nicht. Ich würde gern mit Ihnen über Miss Umbridge sprechen."
Aber ja. Es ging um Cheryl. Ich hätte es wissen müssen. Da der Krieg schlimmer wurde und mehr und mehr Menschen, vor allem Muggelstämmige verschwanden, beschlossen ihre Eltern, mit den beiden Kindern unterzutauchen. Cheryl ging jedoch nicht mit und verurteilte ihre Familie auf das Schärfste für deren "Feigheit".
Doch mittlerweile machte sie sich natürlich doch Gedanken und vermisste sie. (Das wussten natürlich nur die Zwillinge und ich, ihren Gryffindors oder gar den Lehrern erzählte sie nichts von sowas.) Unser Hauslehrer sorgte sich nun auch um seine Schülerin. "Sie sind doch so eng befreundet und ich dachte, sie könnten mir sagen, wie es ihr wirklich geht. Miss Umbridge wirkt ja stets hart im Nehmen und gut gelaunt, aber ich fürchte, dass ist nur Fassade. Wie beurteilen Sie den Gemütszustand ihrer Freundin, Miss Abbott?" Spitze. Jetzt sollte ich auch noch meine Einschätzung abgeben. Wenn Cheryl das wüsste. Was sage ich jetzt am besten? "Nun ja, ich schätze, ihr geht es verhältnismäßig gut, sie verbrachte einen schönen Sommer mit Lily Evans und Marlene und Dorcas und..." Was erzählte ich denn hier für einen Unsinn? Wenn ich so weitermache, wird Flitwick Cheryl morgen selbst fragen.
Eigentlich konnte mir das ja vollkommen egal sein, aber wenn sie irgendwie rauskriegt, dass ich vor ihr über ihr Seelenheil befragt wurde, wird sie nicht begeistert sein. Im Gegenteil...
"Also, wenn ich Ihre Antwort richtig deute, hat Miss Umbridge nicht mit Ihnen über die Eltern gesprochen. Haben Sie mal gefragt, wie es ihr geht?" Das musste ich verneinen: "Sie ist niemand, der solche Fragen ernsthaft beantwortet. Da wird sie gern patzig. Oft ist sie eh nicht bei uns, nur beim Essen und abends im Schlafsaal." Hatte ich zu viel gesagt? Offenbar nicht, denn unser Hauslehrer nickte nachdenklich. "Ja, das ist mir bekannt, aber Sie haben ein so feines Gespür, ich dachte, vielleicht wüssten Sie mehr. Bitte, haben Sie trotzdem ein Auge auf sie." Ich versprach es. "Dann dürfen Sie jetzt gehen. Gute Nacht."
Jetzt fängt auch noch Professor Flitwick an, sich in die Probleme seiner Schüler einzumischen. Professor Sprout tat dies schon länger, Di erzählte öfters davon, aber das unser Hauslehrer es ihr gleich tat, war neu. Zwar mochte ich ihn schon immer, aber mein Innerstes wollte ich vor ihm trotzdem nicht nach außen kehren. Sonst hätte ich ja direkt fragen können, wie ich mich am besten bei Mum entschuldigen kann. Doch darüber wollte ich jetzt nicht nachdenken. Mein Bett wartete oben in unserem Schlafsaal auf mich. Den ganzen Sommer hatte ich mich nach der Ruhe gesehnt. Seit Dads Tod vor sieben Jahren wohnen wir in Stradfort, einer Muggelgegend mit vielen Autos. An den Lärm konnte ich mich nicht gewöhnen. Was die Leute an den komischen Dingern nur fanden! Da gab es doch wirklich bessere und vorallem leisere Alternativen. Aber naja, wie soll man sich als Muggel auch fortbewegen - fliegen geht nicht, Portschlüssel und Apparieren fallen ebenfalls weg. Da ist man doch froh, Hexe zu sein. Aber selbst manche Zaubererfamilien hatten eines, die Potters natürlich und auch Saphira Meadows, Mums beste Freundin. Aber die hat eh einen Knall. Doch hier war die nächste Straße hunderte Meilen weg. Oben im Ravenclawturm hörte man höchtens den Wind und Eulen, aber das meiste hielten unsere Schlossmauern ab.
Als ich endlich in unserem Schlafsaal ankam, bot sich mir ein ziemlich eigenartiges Bild...
"Was wird das denn, wenn es fertig ist?"
Cheryl bearbeitete gerade Deborahs Augenlider mit einem Pinsel und es schien sie nicht zu stören. Eigentlich verabscheute Debbie Kosmetik, genauso wie ich. Stets hatte sie sich über Cheryls Masse an kosmetischen Produkten lustig gemacht und noch kurz vor den Ferien ihren Lieblingslippenstift in eine gewöhnliche Feder verwandelt. Was war nur über den Sommer mit ihr passiert? Hatte Lupin, dieser Idiot, etwa ein neuen Trank an ihr getestet? Oder gar schlimmeres?
"Hey Helena, wir gehen auf die Schuljahresbeginn-Party der Gryffindors. Du kannst leider nicht mitkommen, es wird sonst zu voll und ich schaffe es nicht mehr, dich auch noch zu schminken." Cheryl war in ihrem Element. Party, Schminke, Jungs... Ich verdrehte die Augen: "Oh nein, mein Leben hat keinen Sinn mehr. Die Feier wollte ich unbedingt besuchen. Was ist mit ihr?" Ich deutete auf Diane, welche bereits friedlich schlafend, die blonden Locken über ihr Kissen ausgebreitet, auf ihrem Bett lag. Ungewöhnlich. Wenn es zu den Gryffindors ging, wollte sie meist mit, durfte aber nie. "Ist nur für geladene Gäste, wenn da jeder kommen würde, wäre die ganze Schule im Gemeinschaftsraum versammelt" pflege Cheryl dann zu sagen - übersetzt hieß das: "Du bist peinlich und kannst im Koboldsteinklub bleiben, bis Eintracht Pfützensee in die 1. Liga aufsteigt." Doch da Debbie nie hingehen wollte, hörte Diane nach einer Weile meist auf zu nerven. Sie hatten doch nicht etwa...?? "Habt ihr einen Schlaftrank gebraut, damit sie nicht mitkommen will?" Cheryl und Debbie blickten sich an - und begannen, leicht hysterisch zu kichern. Mir wurde schlecht. Das konnte doch alles nicht wahr sein! "Wirklich? Seid ihr nicht mehr ganz dicht? Wenn sie erst in ein paar Wochen wieder aufwacht? Oder gar nicht mehr?" Cheryl winkte ab: "Morgen ist die wieder wach. Mein "Ohnegleichen" in der ZAG-Prüfung für Zaubertränke kommt schließlich nicht von irgendwoher." Ich blickte verstört zu Debbie, der Verräterin. Stand sie unter dem Imperius-FIuch? Sonst ging sie immer gleich hoch, wenn jemand ihrer Schwester auch nur ein Haar krümmte, und nun das! "Sie hätte eh nur gestört. Wäre zu Potter gerannt und hätte ihn zugetextet. Ihre immerwährende Liebe gestanden und ihn zum nächsten Koboldsteinturnier eingeladen. Das wäre eine Blamage geworden!"
Cheryl war nun fertig mit Deborah (oder wer auch immer das wirklich war). Sie war kaum wiederzuerkennen: Ihre natürliche Blässe war verschwunden, nun erleuchtete eine Mischung aus grellblauem Lidschatten und dunkelrotem Lippenstift ihr Gesicht.
Begeistert schaute sie sich im Spiegel an und fiel Cheryl um den Hals. Ich beschloss, mich ins Bett zu legen und den ganzen Unsinn zu vergessen. Erst meine Mum (eine Eule mit einer Entschuldigung würde ich morgen nach Hause schicken, jetzt war ich zu müde), dann die völlig veränderte Debbie (vielleicht sollte ich morgen in der Bibliothek nachsehen, ob ich etwas über den Imperius-FIuch finde, aber das wird sicher schwer, da brauchbares zu finden, über solche Flüche wird hier gern geschwiegen) und auch die Tatsache, dass wir morgen früh eine Doppelstunde Zaubertränke hatten (Cheryl freut sich bestimmt schon richtig, sie liebt es, irgendwelche Zutaten in einem Topf zu verrühren). Aber wird schon alles irgendwie gehen, das tat es immer.