
Chapter 7
Als Severus erwachte, hielt er seine Augen noch für eine Weile geschlossen. Die Enttäuschung, wieder in einer muffigen Zelle in Azkaban auf dem steinernen Boden zu liegen, wäre viel zu bitter. Alles in ihm sträubte sich dagegen, gleich von den Auroren in den Raum gezerrt zu werden, in dem ein eigens für ihn ausgewählter Dementor auf ihn wartete.
Aber die Matratze unter ihm war viel zu weich, und es roch ein wenig nach altem Papier, Kräutertee und Schokolade. Aus der Ferne drifteten leise Stimmen zu ihm herüber.
„Wieso darf Snivellus das Bett haben und ich bekomme nur das Sofa?“, fragte Sirius Black vorwurfsvoll.
„Ohh, wenn das Sofa nicht gut genug für den noblen Herrn Black ist, kann ich Dich mit Vergnügen im Keller einquartieren“, flüsterte Remus verärgert zurück.
„Ich sage ja nur, er ist immerhin - “, zischte Sirius, aber er brach ab, ohne den Satz zu vollenden.
„Er ist ein Gast in meinem Haus, genauso wie Du“, erwiderte Remus eisig.
Für eine Weile hörte Severus nur noch frostiges Schweigen, doch dann schienen die beiden alten Freunde einen Waffenstillstand geschlossen zu haben.
„Frühstück?“, fragte Remus und dem Geruch von aufgebackenen Brötchen, Marmelade und Rührei nach schien Sirius das Angebot angenommen zu haben.
Remus hatte scheinbar in der Zwischenzeit eingekauft, und aus irgendeinem Grund musste Severus dabei lächeln. Es erinnerte ihn an den Remus, den er aus seiner Schulzeit kannte, und der immer auf alles vorbereitet gewesen war. Remus war es damals gewesen, der bei Pflege magischer Geschöpfe im Verbotenen Wald als Einziger einen Regenschirm dabeihatte. Er hatte Pflaster in seiner Tasche, falls sich bei der nächsten Stunde Zaubertränke jemand verbrühte, und er brachte Sandwichs mit, wenn er mit den übrigen Gryffindors ihr Team bei den Quidditch-Spielen anfeuerte.
In dem Moment knurrte auch sein Magen, und Severus realisierte, wie hungrig er plötzlich war. Er wollte sich aufsetzen, aber er war zu schwach, um das Bett zu verlassen. Alles drehte sich und seine Beine gehorchten ihm noch nicht so ganz.
„Guten Morgen“, sagte Remus, und blieb zögernd im Türrahmen stehen.
Severus bemerkte, dass er ein verwaschenes, aber sauberes T-Shirt trug, und dazu eine karierte Pyjama-Hose. Die Sachen gehörten ihm nicht, und er fühlte sich fürchterlich deplatziert in dem zugestellten Schlafzimmer.
Bücher lagen überall herum, und Remus näherte sich nun vorsichtig mit einer Tafel Schokolade, die er auf der Bettdecke ablegte. Er sah erschöpft und müde aus, aber seine Augen waren nicht mehr so leer und eingefallen wie noch vor einigen Tagen im Keller. Severus sah den Gehstock, der an einer Kommode lehnte, und fragte sich, wo Remus die letzten Nächte geschlafen hatte. Allem Anschein nach mit Sirius auf dem Sofa, und etwas in ihm verknotete sich.
Remus nickte zu der Schokolade hinüber.
„Es hilft gegen die Nachwirkungen der Dementoren“, sagte er.
Severus brach ein Stück ab und schluckte es hinunter.
Die Kälte in ihm ließ etwas nach, doch er fühlte sich immer noch fürchterlich zerschlagen.
„Danke“, erwiderte er leise.
Remus nickte erneut, dann verließ er den Raum und kehrte kurze Zeit später mit einem Tablett zurück. Darauf befanden sich ein paar Scheiben Toast, Marmelade, etwas Obst, und eine Tasse Tee mit Honig. Ihm folgte ein mürrisch dreinschauender Sirius Black, dem die Monate in Azkaban ganz offensichtlich zugesetzt hatten.
Sirius‘ Haare wirkten matt und farblos, die Kanten und Schatten in seinem Gesicht ließen ihn ein Jahrzehnt älter erscheinen und in seinen Augen war etwas Hartes, das da vorher nicht gewesen war.
„Hilfst Du Snivellus nachher noch in ein heißes Bad und liest ihm hinterher etwas vor, bevor er einschläft?“, fragte er verächtlich.
Remus verzog das Gesicht.
„Sirius, bitte, kannst Du Dir wenigstens ein bisschen Mühe geben?“, erwiderte er mit leiser Wut.
Sirius schüttelte sich ein paar verirrte Haarsträhnen aus dem Gesicht und seufzte.
„Es ist mir egal, ob er mich aus Azkaban gerettet hat, ohne ihn wären unsere Freunde nicht gestorben“, sagte er kalt.
Severus machte ein gelangweiltes Gesicht.
„Wo er Recht hat, hat er Recht“, meinte er.
Remus und Sirius sahen ihn überrascht an.
„Du weißt genauso gut wie ich, dass wir die Vergangenheit nicht mehr ändern können“, zischte Remus und starrte Sirius dabei vorwurfsvoll an.
„Ich weiß, ich weiß, wir haben alle Dinge getan, die wir bereuen“, erwiderte Sirius.
Er hatte beide Hände erhoben und Severus war nicht ganz sicher, wie ernst er diese Worte meinte. Aber Sirius drehte sich ohne ein weiteres Wort um und verschwand in der Küche.
„Er braucht Zeit“, wisperte Remus entschuldigend, aber Severus zuckte nur mit den Schultern.
„Ich kann es ihm nicht verübeln“, sagte Severus.
Dann hing wieder unbeholfenes Schweigen zwischen ihnen. Severus nahm ein Toast und stellte fest, dass die Marmelade sogar selbstgemacht war. Er fragte sich, ob Remus ein weiteres Paket von Molly Weasley erhalten hatte und was sie wohl dazu sagen würde, wenn sie wüsste, wer jetzt davon aß. Es war kein Geheimnis, dass die Weasleys nicht viel von Todessern hielten.
Remus hatte auf einem alten Sessel Platz genommen und schaute gedankenverloren auf die lodernden Holzscheite im Kamin. Das Feuer knisterte manchmal, aber es verfärbte sich nicht und kein Zauberer kam plötzlich aus den Flammen. Fast hätte Severus es erwartet, und wenn nicht das Ministerium, dann zumindest Albus Dumbledore.
„Wie konntest Du uns aus Azkaban retten?“, fragte er schließlich, was ihm schon die ganze Zeit auf der Seele brannte.
Remus lehnte sich gemütlich zurück und ließ sich alle Zeit der Welt beim Erzählen der Geschichte. Er schmücke jedes Detail aus und besonders die Sache mit dem Ruderboot, einer sturmumtosten Nordsee und einem griesgrämigen Werwolf, den ausgerechnet Mundungus Flechter bei Laune halten musste, hatte es ihm angetan.
„Ich würde nicht mal ein altes Drachenhaar dafür ins Feuer legen, dass er die Geschichte für sich behält“, gab Severus vorsichtig zu bedenken.
„Oh, ich weiß nicht, nach dem Vergessenszauber sprach er sehr überzeugend davon, nie in Azkaban gewesen zu sein“, erwiderte Remus mit einem verschlagenen Grinsen.
Ungläubig starrte Severus ihn an, aber falls er Einwände dazu hatte, äußerte er sie nicht. Remus fuhr fort und berichtete von der Nacht auf dem Friedhof, der verlassen und kalt dalag und wie blass sie in ihren Särgen ausgesehen hatten.
Severus erschauderte.
„Dafür, ich unter den Toten wandele, fühle ich mich sehr lebendig“, gestand er.
Remus lächelte.
„Das hoffe ich, ich schaufele das Grab nicht noch mal frei und lege Dich wieder zurück“, sagte er.
Severus schaute für einen Moment aus dem Fenster. Er war sich noch nicht ganz sicher, wie er zu seinem vorgetäuschten Tod stand. Remus hatte ihm ein paar der Zeitungen gezeigt, in denen nicht gerade ruhmreich über seine und Blacks Verfehlungen spekuliert wurde. Es wurde über verschiedene Theorien gefachsimpelt, wie es ausgerechnet zwei Häftlinge in derselben Nacht erwischen konnte.
Severus schüttelte sich. Am schlimmsten war, dass in fast jedem Blatt sein Name direkt neben dem von Black in der fettgedruckten Überschrift stand. Selbst nach seinem vorgetäuschten Ableben konnte er sich scheinbar nicht von seinem Erzfeind lösen.
Aber dann sah er wieder zu Remus, der ihn besorgt musterte.
„Das Zittern ist besser geworden“, sagte dieser vorsichtig, woraufhin Severus nur schnaubte.
Remus hatte recht, sein Auge zuckte nicht mehr bei jedem Blinzeln, und seine Hände lagen gerade ruhig und starr auf der Bettdecke. Nur sein Bein fühlte sich verkrampft und sehr verspannt an. Es würde ein paar Tage dauern, bevor die letzten Spuren des Cruciatus-Fluches vollständig verschwunden waren. Doch das war nichts, über das er gerade nachdenken wollte.
„Was geschieht jetzt mit meinem Haus in Spinners End?“, fragte Severus stattdessen.
Remus wrang sich die Hände und sah Severus nicht an.
„Vorläufig liegt die Sache noch beim Ministerium und Alastor Moody hat sich angeboten, es auf Dunkle Artefakte zu untersuchen“, erwiderte Remus zögernd.
„Alastor Moody wühlt in meinen persönlichen Dingen herum“, wiederholte Severus ungehalten.
„Auf diese Weise bleibt es erst mal in Deinem Besitz, da Alastor das Haus aufgrund der Untersuchung nicht freigibt und es daher nicht an jemand Anderen vermacht werden kann“, erklärte Remus den Plan.
Severus blickte ihn finster an.
„Dir ist aber schon klar, dass ich für den Dunklen Lord Tränke gebraut habe, die dort im Keller lagern und auch der Fund von anderen Dunklen Artefakten nicht ganz unwahrscheinlich ist?“, fragte er.
Remus zuckte hilflos mit den Schultern.
„Was wäre Dir denn lieber gewesen? Dass Du in Azkaban stirbst und Dein Erbe alles versteckt, bevor das Ministerium misstrauisch wird?“, fragte Remus.
Da brach Severus in lautes Lachen aus. Erschrocken sah Remus ihn an, doch dann stimmte er in das Gelächter mit ein. Severus wusste nicht einmal, weshalb er lachte, doch es brach gerade alles aus ihm heraus. Die Anspannung der letzten Tage, die Angst, die Erleichterung.
Als er endlich wieder sprechen konnte, richtete er sich mühsam auf.
„Kann Moody ein paar Sachen herüberschicken?“, fragte Severus.
„Das kommt darauf, die Dunklen Artefakte auf jeden Fall nicht“, erwiderte Remus, bevor er sich ein paar Notizen machte, welche Kleidungsstücke und Tränke Severus gut gebrauchen könnte.
Am selben Abend erschien Remus mit einem schäbigen Koffer, den Severus aus seiner Zeit aus Hogwarts wiedererkannte. Es war derselbe Koffer, der damals unter seinem Bett gelegen hatte, und ihn durch all die Jahre seiner Schulzeit begleitet hatte.
Zuerst schluckte er ein paar seiner eigenen Kreationen, welche die Erschöpfung und Müdigkeit, die ihm immer noch tief in den Knochen steckte, ein wenig erträglicher machte. Dann zog Remus einen Stapel Bücher hervor, die Severus glücklich auf dem Nachttisch auftürmte. Darunter befanden sich seine schwarzen Roben, und er fühlte sich allein bei ihrem Anblick schon wieder ein bisschen mehr wie er selbst.
„Abhandlungen zu den Mondalgen in fließenden Gewässern?“, las Remus fragend den Titel des zuoberst liegenden Buches vor.
„Ja, mein aktuelles Forschungsprojekt, es gibt in einigen Flüssen interessante Beobachtungen zu Algen, die mondabhängig ihr Wachstumsverhalten und teilweise sogar ihre Verfärbung ändern“, erläuterte Severus begeistert.
„Seit wann interessierst Du Dich für Kräuterkunde?“, fragte Remus zweifelnd.
Severus warf ihm einen tadelnden Blick zu.
„Gerade Du müsstest doch verstehen, dass sich einige der Erkenntnisse vielleicht auch auf Werwölfe und den Wolfsbanntrank übertragen lassen“, erläuterte er ungeduldig.
Remus ließ sich wieder in den hohen Sessel versinken und nahm einen Schluck Wein aus der Flasche, die angebrochen auf dem Sims des Kamins stand.
„Dir ist schon klar, dass ich keine Alge bin“, sagte er ein wenig altklug.
Severus wollte schon etwas Belehrendes erwidern, als er erkannte, dass Remus dies offensichtlich als Witz gemeint hatte. Er lächelte, und streckte seine Hand ebenfalls nach der Flasche aus. Doch Remus hielt sie außerhalb seiner Reichweite.
„Du solltest nach all den medizinischen Tinkturen heute besser nicht trinken, und ich ehrlich gesagt auch nicht“, sagte er und stellte sie wieder auf das Sims zurück.
Severus verzog das Gesicht.
„Ich glaube, nach all den Cruciatus-Flüchen macht der Wein jetzt auch keinen großen Unterschied mehr“, sagte er trocken.
Remus lachte bitter, aber den Wein gab er Severus trotzdem nicht. Sie beide wussten, dass er immer noch zu schwach war, um das Bett aus eigener Kraft zu verlassen.
Severus war aufgefallen, dass er für seine Zeit in Azkaban und die Stunden in einem morschen Holzsarg auf irgendeinem Friedhof viel zu sehr nach Zitrone und Kräuterseife roch. Irgendjemand hatte ihn gewaschen und in seine jetzige Kleidung gesteckt, und sehr wahrscheinlich war dieser Jemand Remus gewesen.
Severus gefiel die Vorstellung überhaupt nicht, dass Remus ihn so gesehen hatte. Deshalb verdrängte er das alles schnell wieder, bevor er darüber nachdenken konnte, wieso genau ihn das eigentlich so beschäftigte.
Jetzt beugte Remus sich wieder über ihn und legte ihm die Hand auf die Stirn.
„Das Fieber von letzter Nacht ist gänzlich abgeklungen“, sagte er, und strich eine Strähne aus Severus‘ Stirn, bevor er sich zögernd wieder zurücklehnte. Seine Finger fühlten sich kühl und angenehm an, und Severus hätte ihm gerne gesagt, wie dankbar er für das alles war.
Aber er schluckte nur schwer, und lächelte traurig.
In dem Moment tauchte Sirius Black im Türrahmen auf und der Moment war vorüber.
„Remus, ich habe gerade eine Eule von Hagrid erhalten, er kommt morgen früh mit meinem Motorrad vorbei!“, rief er begeistert und Severus fragte sich insgeheim, wer in der Zaubererwelt noch übrigblieb und nicht in das Geheimnis ihres mysteriösen Ablebens eingeweiht war. Doch Remus schien keine solche Zweifel zu hegen.
„Das wird die ganze Sache sehr viel einfacher machen“, erwiderte er begeistert und Severus fragte sich, was das für eine Sache war, von der er da so geheimnisumwoben sprach.
Remus sprang auf, und schaute noch einmal entschuldigend zu Severus, bevor er seinem alten Freund aus dem Zimmer folgte. Severus brach ein paar Stücke Schokolade von der Tafel auf dem Nachttisch ab, bevor er wieder wegdämmerte. Doch dieses Mal kamen keine Albträume, und die Schwärze fühlte sich irgendwie tröstend an. Es roch nach Kräutertee und Honig, und manchmal waren da Wärmezauber, die jemand mit Remus‘ Stimme über den Raum legte.