
Wahre Stärke
Draco saß im großen, kalten Salon von Malfoy Manor, die Finger fest um die Armlehnen seines Sessels geklammert. Der Sommer hatte begonnen, doch die Wärme drang nicht durch die dicken Mauern des Herrenhauses. Die Stille um ihn herum war erdrückend, nur das leise Ticken der alten Standuhr durchbrach die monotone Kälte des Raumes. Er wusste, dass es nicht lange dauern würde, bis sein Vater ihn rufen ließ. Lucius hatte ihn erst kaum beachtet, seit er zurück war, doch Draco war sich sicher, dass dies nicht lange anhalten würde.
Und tatsächlich, kaum eine halbe Stunde später trat ein Hauself in den Raum und verkündete mit zitternder Stimme: "Meister Lucius erwartet Euch in der Bibliothek."
Draco erhob sich langsam, straffte die Schultern und folgte dem Elfen durch die endlosen Gänge des Anwesens. Die Tür zur Bibliothek stand bereits offen. Lucius Malfoy saß in seinem hohen Sessel, ein Glas Rotwein in der Hand, und musterte Draco mit kühler Berechnung. Die goldenen Kerzenhalter warfen lange Schatten auf die Regale, in denen unzählige Bände dunkler Magie standen.
"Setz dich, Draco."
Draco tat, wie ihm geheißen wurde, doch sein Blick blieb fest. Er hatte keine Angst mehr vor seinem Vater. Nicht, nachdem er gelernt hatte, was wahre Stärke bedeutete.
Lucius lehnte sich zurück und betrachtete seinen Sohn abschätzig. "Du hast dich verändert."
Draco nickte nur. "Ich habe gelernt."
Lucius hob eine Augenbraue. "Hoffentlich das Richtige. Denn du scheinst zu vergessen, was es bedeutet, ein Malfoy zu sein. Wir zeigen keine Schwäche, wir lassen keine Zweifel zu. Unsere Macht liegt in dem Respekt – oder der Angst – die wir in anderen hervorrufen."
Draco spürte, wie sich seine Kiefermuskeln anspannten. "Das ist nicht wahr. Wahre Stärke liegt nicht darin, dass andere einen fürchten. Wahre Stärke liegt darin, dass man andere beschützen kann." Seine Stimme war ruhig, aber bestimmt.
Lucius' Miene verdüsterte sich. "Beschützen?" Er ließ das Wort abfällig auf der Zunge zergehen. "Du klingst wie deine Mutter. Wenn Narzissa noch leben würde, wäre sie wütend auf dich. Sie hätte sich einen würdigeren Sohn gewünscht."
Etwas in Draco riss. Ein roter Nebel legte sich vor seine Augen. "Das wage ich zu bezweifeln!" fuhr er Lucius an. "Meine Mutter hat mich geliebt. Sie hat mich beschützt, bis zu ihrem letzten Atemzug. Sie hätte mich niemals verachtet!"
Lucius' Gesicht verzog sich vor Zorn. In einer schnellen Bewegung hob er die Hand und schlug Draco hart ins Gesicht. Ein scharfer Schmerz brannte auf seiner Wange, und für einen Moment war da nur Taubheit. Draco spürte die heiße Röte auf seiner Haut, das Pochen, das ihm durch den Kopf jagte, doch er hielt sich aufrecht.
Die Stille zwischen ihnen war bedrückend. Draco presste die Lippen aufeinander, kämpfte gegen das Zittern in seinen Fingern an und hielt Lucius' Blick stand. Der ältere Malfoy atmete schwer, dann wandte er sich abrupt ab. "Ich werde im Ministerium erwartet. Wenn ich zurückkomme, will ich nicht noch einmal solche Worte von dir hören."
Ohne ein weiteres Wort rauschte Lucius hinaus, ließ Draco allein zurück. Er rührte sich nicht, hörte nur, wie die große Haustür ins Schloss fiel. Dann sank er auf einen der schweren Stühle und rieb sich über die Wange, die immer noch brannte. Der Schmerz war nebensächlich, verglichen mit der brennenden Entschlossenheit in seiner Brust.
Er wusste, dass die Sommerferien lang und hart werden würden. Doch das machte ihm keine Angst. Denn zum ersten Mal in seinem Leben wusste er, dass er nicht allein war. Hogwarts wartete auf ihn. Seine Freunde warteten auf ihn. Harry wartete auf ihn.
Bis dahin würde er sich vorbereiten. Es gab so vieles zu lernen, so vieles zu verstehen. Er konnte nicht zulassen, dass Voldemort zurückkehrte. Er musste verhindern, dass Harry in das Trimagische Turnier verwickelt wurde. Und vielleicht, nur vielleicht, könnte er auch Cedric Diggorys Schicksal verändern.
Draco stand auf und ging zur Bücherwand. Er zog einen der älteren Bände heraus, die über magische Schutzzauber und dunkle Artefakte handelten. Wenn er eine Chance haben wollte, musste er vorbereitet sein. Wissen war seine Waffe. Und er würde kämpfen – für Harry, für seine Freunde, und für eine Zukunft, in der er nicht mehr nur ein Malfoy war.